HipHop und House haben da was am Laufen. Manchem Head zwischen Berlin und Köln soll bei all dem Sampling im oberen Tempobereich schon ganz schwindlig geworden sein. Doch woher rührt eigentlich diese grenzüberschreitende Freundschaft, die über die letzten drei Jahre zunehmend Gestalt annahm? Eine Spurensuche.
Tatort Köln. Ein Schreck geht durch die Gemeinde: Der Kurt macht jetzt Techno. Das sind doch locker über hundert BPM, die der da spielt. Und dann auch noch bei diesem Hipster-Auflauf namens Boiler Room; da, wo alle schön sein wollen und keiner sich zu tanzen traut. Der Anlass: Kölns House-Häuptling Damiano von Erckert stellt an diesem Abend sein Label ava. vor. Und zum Roster gehört eben auch Kurt Hustle alias Retrogott, der diesmal nicht nur zum Mic greift, sondern auch eine Handvoll funky Uptempo-Nummern auflegt. Damit tritt der Retrogott nicht zuletzt auch in die Fußspuren seines Kollegen Hulk Hodn, der im vergangenen Jahr sein House-Debüt als Hodini gab und nun ebenfalls auf Damiano von Erckerts Label releast hat. Dass sich vereinzelte Freunde des herkömmlichen Bummtschacks gegen diese Entwicklung sträuben, bekam Hodn erst vor Kurzem persönlich zu spüren, als er auf einer Hannoveraner Rap-Party gebucht wurde, fälschlicherweise einen Koffer Houseplatten dabei hatte und sich schließlich von einer tobenden Crowd bedroht sah. Doch setzen wir etwas früher an.
HipHop und House sind sich lange nicht so fremd, wie manch einer das gerne hätte. Streng genommen sind sie gar Geschwister. Denn als Disco die afroamerikanische Popmusik in den Siebzigern in die Clubs ausführte, entwickelte sich daraus dank tieffrequenter Drum Machines nicht nur der Partysoundtrack namens House, der mit seinen Vier-Vierteln bis heute so viele Clubs beherrscht, sondern auch unser allerliebster Wortsport. Es waren nicht zuletzt auch Ansagen von Club-DJs, die erste Rap-Parts vorwegnahmen – und das gerne auch auf Breaks von Discoplatten. Mit »Rapper’s Delight« basierte sogar die erste große Rap-Veröffentlichung auf einer solchen: »Good Times« der Band Chic um Pharrell-Buddy Nile Rodgers. HipHop und House, sie finden in Disco einen gemeinsamen Erziehungsberechtigten. Und doch führen sie seit ihrer Pubertät einen Erbstreit, der bis heute nicht ganz geklärt scheint.
Nicht, dass es in all den Jahren nicht zu vereinzelter Annäherung gekommen wäre. Die innigste Umarmung ließ sich etwa Ende der Achtziger im Chicagoer Westen beobachten. Als ein gewisser Fast Eddie seine Vorliebe für HipHop ausleben will, sein Arbeitgeber, das Label DJ International, ihm jedoch klarmacht, dass man sich dort nun mal auf House spezialisiert habe, zählt Eddie eins und eins zusammen. Sein Kompromiss: Rap in schnell, inklusive James-Brown-Breaks, auf mindestens 120 BPM und mit Kickdrum auf allen Zählzeiten der vier Viertel. Das Label drückt ein Auge zu und klatscht der Vermarktung zuliebe den Stempel Hip-House drauf. Doch so vielversprechend der Name, so erfolglos die Formel. Zwar lösen Fast Eddie und Kollegen mit ihrem Sound in einigen US-Clubs kleine Wellen der Euphorie aus, doch bevor die so richtig beritten werden können, ist das Gros der Rapwelt mit dem Beginn der Neunziger schon wieder ganz woanders. Fernab der Clubs versagt man sich in den Blocks damals zunehmend die hedonistischen Spaßeskapaden – die Perspektivlosigkeit der Sozialbauten soll stattdessen die Booth beherrschen. Das Spiel mit der Realness geht los.
Dreißig Jahre später schaut man sich Deutschrap-Interviews an und stellt fest, dass sich seitdem gar nicht so viel getan hat. Immer wieder ist HipHop quer um den Globus heute zu Recht stolz auf das, was man gemeinsam als Kultur erreicht hat – und manövriert sich dadurch gleichzeitig in eine perspektivische Enge. Vielleicht stachen in den vergangenen drei Jahren gerade deshalb eine Handvoll Produzenten heraus, die sich diesseits des Atlantiks von jener Engstirnigkeit lossagten und heute mit multiplem Tempo fahren. So wie der eingangs erwähnte Hulk Hodn, der vor einigen Jahren über seinen Kölner Kompagnon Twit One zur elektronischen Musik fand. Als Produzenten der ersten Ausgabe des »Hi-Hat Club« auf Melting Pot Music, nahmen Twit und Hodn alias Testiculo y Uno im hiesigen Beatgame stets eine Ausnahmeposition ein; ihre Releases wurden als Sampling-Manifeste gefeiert. Twit stolpert als Mitarbeiter in Kölns Vinyl-Traditionsanlaufstelle Groove Attack zwangsläufig über jede Menge Releases aus aller Musikwelt. Und die schleppt er seit einigen Jahren regelmäßig zu den gemeinsamen Sessions, die Twit und Hodn mit ihren »Radio Love Love«-Podcasts bestreiten. Als eines Tages auch eine Platte des Detroiters Andrés dabei ist (auch bekannt als DJ Dez, unter anderem DJ von Slum Village), ist Hodn hin und weg von der Boombap’schen Sampling-Ästhetik, die hier ins House-Tempo transponiert wird, wie er den Kollegen von Thump kürzlich im Interview erzählte. Die MPC dient Hodn seitdem als Bindeglied seiner Tracks, die sich spielend zwischen HipHop und House bewegen.
Überhaupt zieht sich das meistbeschworene Gerät der HipHop-Produktionsgeschichte als roter Faden durch die jüngste Annäherung von HipHop und House. Auch bei Twit beginnt so gut wie jede Operation mit ebendiesem Werkzeug: »Ich schmeiße die MPC an, sammle ein paar Spuren und fange dann an, zu arrangieren – eigentlich immer das gleiche Programm.« Dabei könne man gar nicht anders, als auch beim Uptempo zu landen, meint Twit: »Manchmal gibt’s halt Samples, die du nicht auf 90 BPM zurechtschneiden kannst. Und wenn du keine Berührungsängste hast, kommt dann auch mal ein 110-BPM-Ding dabei heraus.« Auch Hodn preist das Sampling im Thump-Interview als Basis seiner housigen Produktionen an. Allein das Tempo gebe die Marschrichtung vor: »Ich arbeite wie sonst auch. Der Groove der Geschwindigkeit macht den Rest.«
Dem schnellen Trend hinterherrennen scheinen aber weder Twit noch Hodn mit ihren jüngsten House-Releases. Unabhängig voneinander erzählen sie an unterschiedlicher Stelle davon, bereits vor einigen Jahren an ebensolchen Tracks gesessen zu haben, damit aber nicht direkt an die Öffentlichkeit gegangen zu sein. »Ich habe schon relativ früh mit Uptempo-Dingern angefangen, Anfang der Zweitausender etwa«, erzählt Twit. »Ich habe die damals aber nicht groß herumgezeigt, geschweige denn herausgebracht.« Ob es das Bewusstsein war, damit anzuecken? »Langsamerer Kram zwischen 60 und 80 BPM hat nie für Unkenrufe aus dem straighten Raplager gesorgt«, hält Twit jedenfalls fest. »Aber wenn du was über hundert BPM machst, heißt es gleich, du würdest Techno machen. Anscheinend ist der Horizont mancher Hörer da beschränkt.« Also schont Twit seine Anhänger und greift zum Pseudonym: aus Twit One mach Tito Wun. Mit »Mr. Pink, What Have You Been Smoking?« erscheint eine erste Platte, gemeinsam mit Damiano von Erckert auf dessen Label. Ein zufälliges Release, wie Twit erzählt: »Ich hatte diese Tracks rumliegen. Es gab ein Recap-Video für Melting Pot, in dem der Track ’The Way U Do It’ lief. Und als Damiano den hörte, fragte er, ob ich ihn nicht rausbringen wolle.« Der Song wird zu einem kleinen Hit, das britische House-Label Defected sichert sich die Rechte für eine 12-Inch. »So ist der auf einigen Ibiza-Compilations gelandet«, erzählt Twit. Nur das mit den Pseudonymen will bis heute nicht hinhauen: »Wenn ich Booking-Anfragen bekomme, weiß ich nie, ob das für ein Beat-Set ist, Soul-Sets – die ich eigentlich am liebsten spiele – oder Disco und House. Aber so schlimm wie beim Hodn ist das bei mir noch nie geendet.«
Dabei agiert auch Hulk Hodn in Sachen Uptempo unter alternativem Namen. Als Hodini kommt er mit seinen House-Produktionen beim Berliner Label Money $ex Records unter. In dessen Wir-machen-wonach-uns-die-Nase-steht-Mentalität hat er wohl eine Parallele zur Kölschen Beat-Schule gefunden, zu der immer auch »einige Typen gehörten, die über den Tellerrand schauen«, so Twit. »Jemand wie Hubert Daviz war nie der klassische Boombap-Produzent, der hat auch mal nach links und rechts geguckt.« Ebenso die zwei Protagonisten, die hinter Money $ex stehen: Der Berliner Max Graef und sein Partner aus’m Pott Glenn Astro machen seit einigen Jahren zusammen Musik – und rücken dabei ihren weiten musikalischen Background in den Vordergrund. Im Fall von Glenn war das in der Jugend vor allem Rap. »Wir waren aber nicht die klassischen HipHop-Nazis, sondern haben parallel immer auch Techno und House gehört«, fügt er im Gespräch hinzu – »auch wenn man in engen HipHop-Kreisen natürlich nicht sagen durfte, welche Technoscheibe man gerade geil findet.« Was Rap angeht, so hätten es ihm damals »abstrakte Sachen« angetan: »Anfangs Savas mit ’LMS’ und ’Pimplegionär’, dazu Gang Starr und Slum Village. ’Fantastic, Vol. 2’ war eine neue Welt für mich, allein die Drum-Sounds.« Dass auch Astro Kick und Snare heute vor allem über die MPC einspielt, ist da nur konsequent. Max Graef dagegen wächst im Elternhaus mit Rock- und Jazzscheiben auf und versucht sich früh an Gitarre und Bass. HipHop streift dabei eher peripher seine Musiksozialisierung: »In der fünften Klasse war ich in Kreuzberg auf der Schule und jeder sollte ne CD mitbringen. Ich hatte das Gang-Starr-Album ’The Ownerz’ dabei, das hat mir ne Freundin von meiner Mutter geschenkt – da wusste ich, dass das cool und real war«, erzählt er mit einem Lächeln. Später waren dann auch Huss & Hodn nicht ganz unwichtig, ebenso kommen durchs Feiern in Berlin aber Techno- und Housescheiben dazu. »Das erste Boys-Noize-Album war super wichtig«, erinnert sich Max. »Das ist voll rotzig. Der hat viele Fehler in seine Musik gelassen.«
House-Grooves ziehen sich als roter Faden durch die Rillen ihrer Releases, doch gerade auf ihrer ersten gemeinsamen EP »Money $ex 01« widmen sich Max Graef und Glenn Astro ebenso Jazz, Soul und Rap – und zwar in Form von knarzigen Sample-Drums, jazzigen Keys und warmen Basslines. Besagte EP versuchen die beiden zunächst beim traditionsreichen britischen Elektronik-Indie Ninja Tune unterzubringen. Und als der absagt, machen Max und Glenn mithilfe des Berliner DJs und Plattendealers Delfonic aus der Platte gleich ein Label. Releases bei Money $ex Records kommen von einer Handvoll Freunde und Bekannter, aktuell ist auch eine LP von Sichtexotheist Knowsum in Planung, der jüngst das abschließende Hi-Hat-Club-Kapitel lieferte. Der ungreifbare Money-$ex-Sound hat derweil auch seinen Weg nach Großbritannien gefunden: Gerade erst erschien auf Ninja Tune das gemeinsame Albumdebüt von Max Graef und Glenn Astro: »The Yard Work Simulator«. Ein Album, das sich dem etwaigen HipHop-Tempo zwar versagt, das sich noch so konsequent durch die (Solo-)Releases der beiden zog – dem aber noch immer eine enorme Digger-Mentalität innewohnt. So findet schließlich auch eine konkrete Sampling-Nummer ihren Weg auf die Platte: »’Flat Peter‘ spielt auf Mr. Oizo an, das wäre ohne Samples gar nicht möglich gewesen«, meint Max. »In dem Track ist außerdem eine Quasimoto-Referenz in den Drums«, fügt Glenn hinzu.
Auf die Beziehung zwischen HipHop und House angesprochen, erinnert sich Max an einen Artikel, der ihm bitter aufgestoßen war: »’HipHop goes House‘ hieß es mal in der Groove, glaube ich. Ich komme aber gar nicht aus dem HipHop und würde nie sagen, dass ich daraus nun House gemacht habe.« Vielmehr widme er sich halt der Arbeit an Samples – und zieht damit, wenn auch unfreiwillig, eine Parallele zu Hodn und Twit: »Bei der Entstehung von Rap hatten die Leute Bock auf Funk und haben daraus einen Beat gemacht«, meint Max. »Das ist bei uns nicht anders, nur dass wir eben schnellere Sachen machen.« Wäre ja auch langweilig, sich auf der Suche nach dem perfekten Beat selbst auszubremsen.
Foto: Bela Zecke / Seda Karaogku / Robert Winter
Dieses Feature erschien in JUICE #175 (hier versandkostenfrei nachbestellen).