»Wäre es nicht langsam mal Zeit aufzuhören?« // Mädness im Interview

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Mädness hatte seine Rap-Karriere schon beendet, als er vor zwei Jahren mit Döll noch einen Majordeal hatte und auf dem Cover der JUICE landete. »Ich und mein Bruder« machte das hessische Unikat zum Maggo Abi. »OG« ist nun sein Indie-Neuanfang und das erste Soloalbum seit zehn Jahren. Der Original Gude ist angekommen.

Direkt die erste Zeile auf »OG« ist deinem Bruder gewidmet. Haben euch die letzten gemeinsamen Jahre noch enger zusammengeschweißt?
Ich glaube, wir haben uns in unserem gesamten Leben mehrfach kennengelernt. Und sind in sehr unterschiedlichen Situationen wieder zusammengewachsen. Wir waren erst nur Brüder, dann Brüder, die zusammen Mucke machen, dann Brüder, die zusammen Mucke machen, einen Deal haben und gemeinsam Geschäfte machen. Jetzt sind wir quasi wieder Solokünstler – und gleichzeitig eine Crew. Klar, so intensiv wie während und nach unserem gemeinsamen Album war unser Verhältnis noch nie. Ich hab ihn jetzt sogar auf Tour als DJ und Backup begleitet. Das funktioniert schon ganz gut. (schmunzelt)

Döll hat eine fast komplett ausverkaufte Solotour gespielt und wäre ohne einen technischen Fehler bei der Chart-Auszählung mit »Nie oder Jetzt« sogar in den Top 10 gelandet. Er hat das Album komplett in Eigenregie herausgebracht. Hat dich die Resonanz darauf nicht auch überwältigt?
Ich war tatsächlich nicht so krass überrascht. Ich finde sogar, das ist das Mindeste, was Fabian verdient hat. Wenn man bedenkt, was er kann und zu sagen hat. Er hat seine Geschichte offen und ungeschönt dargelegt und sie sich zunutze gemacht. Nicht nur, dass er persönlich daran gewachsen ist, man merkt auch auf den Konzerten, was die Tracks bei den Leuten auslösen, wie wichtig die ihnen sind. Er spricht so offen über seine Sucht, ein noch immer krasses Tabuthema. Genau dafür ist Rap doch da.

Fabian hat dir eine sehr bewegende Strophe auf »Ich bleib« gewidmet. Kann man dein Album-Outro »Ich mach’s nochmal neu« als Gegenstück verstehen?
Mir fiel erst im Nachhinein auf, dass man das wirklich als direkte Antwort darauf interpretieren könnte. Ich weiß noch, wie ich schlucken musste, als mir Fabian seinen Track das erste Mal vorspielte. Die Parts, die ich jetzt an ihn und unsere Mutter adressiere, sind wirklich aus mir rausgesprudelt und waren in zwei Stunden geschrieben. Der Track steht für meinen Neuanfang und wird deshalb auch die zweite Single nach dem Titeltrack.

Ihr habt letztes Jahr einen eigenen Podcast – »Aja, was geht?« – gestartet. Damit wart ihr vergleichsweise früh dran, mittlerweile hat das Format einen richtigen Hype im Deutschrap.
Rockstah und Nanoo, die beide schon in der Show waren, sind da quasi unsere Vorbilder – und Vorreiter für die ganze Szene. Wir haben deren Show [»Im Autokino«; Anm. d. Red.] immer gehört und fanden das einfach witzig. Für uns hatte das natürlich nochmal einen besonderen Charme, weil die Jungs aus der gleichen Ecke stammen und man die Insider und ihren Humor dann noch besser checkt. Wir haben unseren Pod­cast zuletzt etwas schleifen lassen, wollen damit aber auf jeden Fall weitermachen. Als wir beide in die heiße Albumphase kamen, war das einfach zu zeitaufwändig.

Du veröffentlichst jetzt auch über dein eigenes Indie. Eure Kumpels Audio88 & Yassin hatten diesen Schritt mit Normale Musik schon vor euch gemacht. Konntet ihr daraus viel lernen?
Ich hatte mir noch andere Optionen offen gehalten. Aber klar, dadurch hat man gesehen, dass man gar nicht auf so viele Leute angewiesen sein muss. Man selbst steckt sowieso die meiste Arbeit und Liebe in sein Projekt. Audio und Yassin konnten wir immer um Hilfe fragen, die haben schon viel Erfahrung mit dem eigenen Label gesammelt. Überhaupt befruchtet sich unsere kleine Szene in Berlin ganz gut, weil jeder immer am Machen ist. Wir sind alle im gleichen Studiokomplex, wo ich und mein Bruder uns einen Raum mit Megaloh und Ghanaian Stallion teilen, und unter anderem auch Torky Tork, Doz9 und S. Fidelity sitzen. Wo wir vorher aufgenommen haben, als wir noch in Hessen waren, hatten sich die meisten schon gegen eine Musikkarriere entschieden oder fanden in einem anderen Genre statt. Da gab es keine wirkliche Rap-Szene.

Du lebst hier in der Hauptstadt, trotzdem ziehen sich deine alten Beziehungen und dein Verhältnis zu Hessen als Leitmotiv durch das Album.
Das beschäftigt mich einfach noch immer. Wir sind vor drei Jahren nach Berlin gezogen, und nachdem die erste Aufregung um den FOUR-Deal, die Festival-Bookings, die Tourneen und all das abgeklungen war, stellte sich so ein Moment der Ernüchterung ein. Ich hab erst jetzt realisiert, dass wir wirklich alle Zelte abgerissen haben und dass ein neues Leben angefangen hat. Das fühlt sich gut an, war aber mit vielen persönlichen Brüchen verbunden.

Das klingt teilweise fast wie eine Hassliebe zu deiner Heimat.
Ja, aber die hat doch jeder, oder? Ich fühl mich hier einfach wohler und frei. Diese Freiheit war in Darmstadt nicht mehr gegeben, weil alles ausgespielt war. Ich bin da noch immer gerne, aber lieber in Berlin. Die Konzerte, die wir seit unserem Umzug in Hessen gespielt haben, waren dafür etwas ganz Besonderes. Uns kennen dort jetzt auch ein paar Leute mehr. (grinst) Durch »Ich und mein Bruder« und vor allem Fabians Soloalbum kam nochmal eine jüngere Generation dazu, die meinen Start in Darmstadt bestimmt gar nicht mitbekommen hat. Wir haben ja schon 2005/06 angefangen, Musik zu veröffentlichen, und waren dort die Locals. Und diese ältere Generation kommt auch noch zu den Konzerten. Die muss nur schauen, dass sie einen Babysitter organisiert kriegt. (grinst)

Du hast letztes Jahr irgendwann gepostet, dass dein Feature auf dem Yassin-Album, der Track »Nie so«, für euch beide sehr wichtig in der eigenen Sound-Findung war. Inwiefern?
Mich hat der inhaltlich total weitergebracht. Es war erst noch nicht klar, auf welchem Album der landen wird. Irgendwann meinte Yassin, dass er super auf seine Platte passen würde. Und ich wusste schon, dass ich ihn nicht auf mein Album packe, was nicht ganz so elektronisch und vielleicht modern wie »Ypsilon« ist. Ich wollte eher hin zu einem wärmeren Sound. Ich hab jetzt Beats von Dienst & Schulter, Nico K.I.Z, Enaka, Swoosh Hood, der viel für Enoq produziert hat. Und Suff Daddy hat noch ein paar G-Funk-Bretter beigesteuert, unter anderem den Titeltrack. Grzegorz, der viel für K.I.Z und zuletzt Nord Nord Muzikk produziert hat, war als Executive Producer beteiligt, auf ihn halte ich sehr große Stücke. Er ist in sehr verschiedenen Gefilden unterwegs. Mir war wichtig, dass er einen genrefremden Blick mitbringt. Wir haben auch noch Live-Drums aufgenommen, um einen bandmäßigen Sound und roten Faden hinzukriegen.

»Ich hab erst jetzt realisiert, dass wir alle Zelte abgerissen haben und dass ein neues Leben angefangen hat.«

Mich hat »OG« vom Vibe tatsächlich an »1982« erinnert, das gemeinsame Album von Casper und Marteria, auf dem sie ihre Jugendzeit aus heutiger Sicht reflektieren. Gibt es Dinge, die du so erst jetzt sagen kannst, die du dich früher nicht getraut hättest zu rappen?
Voll, ich hab natürlich früher schon versucht, Persönliches preiszugeben, mich greifbar zu machen. Aber es ging immer mehr um Technik und noch schnellere Flow-Abfahrten: Doubletime hier, Doppelreim da. Aktuell will ich gar keine klassischen Representer mehr schreiben, die gibt es auch nicht auf dem Album. Ich konnte nur Tracks draufnehmen, die mich auch packen. Deswegen ist es gefühlt fast ein Debütalbum, da mein Fokus noch bis »IumB« nie komplett auf Rap lag. Beruflich war für mich schon alles in trockenen Tüchern. »Maggo« sollte damals mein Ende sein. Die EP kam dann gut an, ich hab Konzerte gespielt, und parallel dazu ging mein eigentlicher Job in die Brüche. Kurz darauf hat uns dann FOUR Music den Deal angeboten.

Mit Marten hast du auch einen ehemaligen FOUR-Kollegen auf dem Album. Wann habt ihr euch kennengelernt?
Wir kennen uns aus Darmstadt, das muss 2005 gewesen sein. Tobias Zumak hatte dort studiert und das Label Magnum12 gegründet, auf dem Gabreal gesignt war. Marten war einer der besten Kumpel von Gabreal und hat dort auch gerade seine ersten Alben rausgebracht. Daher war er öfters in Darmstadt, wir lernten uns kennen und haben erste gemeinsame Tracks aufgenommen. Er war auf meinem Album »Unikat« und ich auf »Base Ventura«. Wir waren auch zusammen bei »Feuer über Deutschland«. Ich erinnere mich noch, wie ein paar Jungs und ich Marten vor 50 Leuten bei einem Rap-Contest im Berliner Bi Nuu supportet haben – und Marten gewonnen hat. Ich habe dann irgendwann im Fernsehen »Verstrahlt« gesehen und wusste: Sein Plan ist aufgegangen. Marten war sich seiner Sache schon immer sicher. Er meinte damals: Ich ziehe nach Berlin und werde Rapstar. Heute füllt er ein ganzes Fußballstadion in Rostock – Wahnsinn!

Er ist auch ist der einzige Feature-Gast auf »OG«. Kann man euren gemeinsamen Track »Kein Ort« als Schlüsseltrack des Albums bezeichnen?
Bestimmt, das wird auch die dritte Single. Das Thema, das wir darauf behandeln, hat mich einfach schon immer begleitet, ich konnte es aber erst jetzt so richtig auf den Punkt bringen. Wir zeichnen darauf ja ein sehr persönliches, aber auch allgemeingültiges Bild vom Aufwachsen in der Provinz und der Stadt. Das Video haben wir im Umland Berlins gedreht, und es zeigt einen Roadtrip, der bei Marten an der Küste endet. Da ist mir nochmal klar geworden, was für ein Star der Typ ist, wie die Leute dort auf ihn reagieren und welche Identifikationsfigur er für seine Heimat ist. Dem rennen die kleinen Kids hinterher, und die Rentner am Hafen drehen sich nach ihm um. Seine letzte Zeile perfomt er am Meer, das passt einfach perfekt: »Heute wasch ich meine Seele rein«.

Was ja wiederum ein Haftbefehl-Zitat ist, also eine Hessen-Referenz.
Ach, krass, echt? Stimmt, das ist mir noch gar nicht aufgefallen. (lacht) Geil, so schließt sich der Kreis.

Du hast eben schon euren gemeinsamen Auftritt bei »Feuer über Deutschland 2« erwähnt. Wie aktiv verfolgst du heute noch die Battlerap-Szene?
Ich schau mir super viel davon an. Das ist für mich nach wie vor die Wurzel von MCing. Durch die Analysen von Ssynic hat das ja gerade nochmal einen Aufschwung bekommen. Und wie er das alles auseinander nimmt, von Stumbler über Haymaker, Crowd­pleaser, Quotables und was es da noch alles an Fachbegriffen gibt. Auch wenn viele das noch immer belächeln, in den letzten Jahren hat sich eine starke Szene entwickelt. Es gibt mittlerweile drei deutsche, eine österreichische und eine luxemburgische Liga. Ich vermute, das Phänomen wird noch viel größer hierzulande. Parallel dazu sieht man ja schon, wie im deutschen Comedy-Bereich die ersten Roastings stattfinden. Meiner Beobachtung nach ist das zu Teilen von der Battle-Szene beeinflusst. Ich finde es superspannend, was da für Charaktere geboren werden und was für eine Macht diese Performances haben.

Capital Bra und Finch Asozial waren beide Teilnehmer bei Rap am Mittwoch.
Und Karate Andi. Capital war ein paar Mal da – die Auftritte hab ich gesehen –, dann war er auf einmal weg. Und kurze Zeit später hat Berlin gelebt!

Das ist nochmal ein ganz eigenes Subgenre, ein weiterer Mikrokosmos im Deutschrap.
Es ist einfach geil, wie viele Leute mittlerweile von Rap leben können. Und eben nicht nur die zehn Künstler, die es in die Charts geschafft haben. Die Horrorcore-Nische kann auch touren und hat ihre Erfolge. Das ist doch super.

Du rappst auf dem Album: »versuche Vergleiche zu vermeiden«. Ist die Zeile auf dein Standing in der Szene bezogen?
Auch, aber die kann man noch allgemeiner interpretieren: In meiner Rolle als Erwachsener, bei dem eben noch nicht alles unter Dach und Fach ist. Ich hab natürlich auch Kollegen, die verheiratet sind und Kinder haben. Das ist ein Konflikt, der sich in meinem Kopf abspielt: Bist du hier noch richtig? Wäre es nicht langsam mal Zeit, aufzuhören? Aber ich fühl mich gut damit – und das ist alles, was zählt. Deshalb versuche ich keine Vergleiche zuzulassen, weder positive noch negative: Es gibt ja auch einen Trettmann, der sich mit über 40 komplett neu erfunden hat und damit seinen bisher größten Erfolg feiern konnte. Mein Ziel ist es, Dinge zu tun, die mir Spaß machen, und dabei so wenig Kompromisse einzugehen wie möglich.

Foto: Robert Winter

Dieses Interview erschien in JUICE 193. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Onlineshop bestellen.

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