M.I.A.: »Und dann war ich bereit, erschossen zu werden.« // Interview

-

mia-borders

Grammy Awards 2009. Am Stichtag ihrer Schwangerschaft performt die nominierte M.I.A. mit Hilfe von T.I., Lil Wayne, Jay Z und Kanye West »Swagga Like Us«, eine Interpolation ihres Hits »Paper Planes«. Nach zwei bahnbrechenden Alben steht die Filmabsolventin auf dem Höhepunkt ihrer bisherigen Musikkarriere. Eine Karriere, die stets zwischen dem Streben nach solchen Superstarmomenten und vielfältiger Systemkritik oszillierte. Während letztere nach der Grammy-Performance durch eine Allianz mit Wikileaks-Initiator Julian Assange und später durch Fehden mit der New York Times, der BBC, NFL, Paris St. Germain und jüngst Black Lives Matter heiß lief, vermisste die Fachpresse an Mathangi Maya Arulpragasams letzten beiden Platten das musikalische Feuer. Nun steht mit »A.I.M.« ihr nach eigener Aussage letztes Album an. Über dieses und nächste Ziele sprachen wir am Ende eines siebenstündigen Pressetags mit einer erstaunlich gesprächigen M.I.A. – nur zwei Tage nach ihrem 41. Geburtstag.

Dein Twitter-Account zeigt gerade ein Logo mit dem Slogan »MIA – Uniting People Since 2003«. Wie vereint man Menschen mit Musik?
Ich versuche, niemanden auszuschließen, und alles, was ich von Menschen, Ländern und Kulturen gelernt habe, in meiner Musik verschmelzen zu lassen. Zum Beispiel habe ich für »Boyz« [erste Single ihres zweiten Albums »Kala« von 2007; Anm. d. Verf.] einen zweitausend Jahre alten indischen Drumbeat gepickt, mit nach Jamaika genommen und Jamaikaner dazu für das Musikvideo tanzen lassen. Dann bin ich nach England zu Dave [alias Switch, früherer Produzent von M.I.A. und Mitbegründer von Major Lazer; Anm. d. Verf.], der den Bass gemacht hat. Und dann habe ich den Song in die USA gebracht, wo Leute wie Akon und Jay Z ihn geremixt haben. Verstehst du, was ich meine? Ich bringe all diese Elemente zusammen und zeige, dass sie alle die gleiche Wichtigkeit für so einen Song haben können. Und das Geld, was ich damit verdiene, versuche ich auch wieder auf der ganzen Welt zu verteilen. Majorlabels bieten dir ja immer einen Pool von Features und Produzenten an, die es schon geschafft haben. Da wird die Arbeit dann nur noch untereinander hin- und hergeschoben. Ich habe immer versucht, aus diesem Pool auszubrechen und mir andere Leute zu suchen.

Wie lief dieser Prozess bei »A.I.M.« ab?
Spiritualität war für mich das einzige Kriterium, nach dem ich die Menschen ausgewählt habe, mit denen ich arbeiten wollte. Wer sie sind, woher sie kommen und wie erfolgreich sie sind, hat mich nicht interessiert. Letztendlich habe ich nur diejenigen angefragt, bei denen ich einen guten Vibe gespürt habe. Der letzte Track »Survivor« basiert zum Beispiel auf einem älteren Riddim [»Life Support Riddim« von JA Productions; Anm. d. Verf.], der nur deshalb auch auf meinem Album ist, weil er einen so positiven Vibe transportiert. Ich habe miterlebt, was er auf Jamaika bewegt und wie er Menschen glücklich gemacht hat in einer Zeit, in der der angesagte Sound sehr düster war. Ich will keine großen Namen, es ist mir egal, ob ich damit viel Geld verdiene oder die hottesten Beats auf dem Album habe. Es geht nur darum, mit Menschen zu arbeiten, die dafür kämpfen, Gutes zu tun.

Ist dein Twitter-Logo auch als Albumcover angedacht? Es wäre dein erstes gesichtsloses Cover.
Majorlabels akzeptieren kein Albumcover ohne dein Gesicht. Ich habe das schon einmal versucht. Oder? (überlegt, zu ihrer Managerin gewandt) Könnte ich das Logo einreichen?
Managerin: Das Albumcover, das du hast, ist doch fantastisch!

Auf »Survivor« ist auch ein verstecktes Outro, in dem du eine Geschichte erzählst …
(unterbricht) Oh, das ist da immer noch drauf? Das ist ein Kinderbuch, das ich geschrieben habe. Das müssen wir noch runternehmen. Du hast dir wohl gedacht: What the fuck is that? (lacht)

Ich wollte eigentlich fragen, was diese Geschichte für dich bedeutet und warum sie das Album schließt. Du erzählst von einem Jungen, der brennende Kerzen in Sandalen legt, dafür ins Gefängnis kommt, sich von der Gesellschaft ignoriert fühlt und nach seiner Frei­lassung gegen diese rebelliert.
Ich habe die Geschichte für meinen Sohn geschrieben, aber alle meine Freunde, die sie gelesen haben, meinten, dass das keine Kindergeschichte sei – zumindest nicht für einen Fünfjährigen. (lacht) Ich suche noch einen Grafiker. Als jemand meinte, ich solle das selber malen, habe ich mich dazu entschieden, die Geschichte als Track aufzunehmen, weil ich zu faul war. (lacht) So nach dem Motto: »Fuck them, ich mach da jetzt einen Song draus!«

Im Mai hast du via Twitter verkündet, diese LP sei »a break up with music«. Was meinst du damit?
Hm … (überlegt) Ich habe mich letzten Dezember von jemandem getrennt und dann direkt angefangen, das Album zu schreiben, um klarzukommen. Ich musste irgendetwas machen. Und dann wusste ich, dass dies mein letztes Album sein wird. Seit ich Mutter bin, habe ich mehr Geduld mit Menschen und auch mit mir selbst. Ich kann mich jetzt länger einer Sache widmen, ohne die Motivation zu verlieren und deswegen frustriert zu sein. Früher war ich zu impulsiv, um längere Projekte umzusetzen – einen Film zum Beispiel.

Apropos: Du hast mal Film studiert und vor einiger Zeit mit Steve Loveridge, einem deiner ehemaligen Kommilitonen, an einer Doku über dein Leben gearbeitet.
Fuck knows, wo diese Doku steckt! Steve ist für einen Job nach New York gezogen und ich habe ihn nie wieder gesehen. Gerade gestern habe ich ihn angerufen: »Hey, ich habe dich seit zwei Jahren nicht gesehen und gehört, du hast ein schönes Haus in NYC, hast dir einen Hund zugelegt. (M.I.A. und Managerin brüllen vor Lachen) Läuft also super bei dir. Aber kann ich bitte mein Leben wiederhaben?«

Also ist er endgültig abgesprungen?
Das nicht, er meinte: »Warum sollte ich jetzt noch aussteigen?« Aber das Ganze dauert länger als fucking »Star Wars«. (lacht) Jetzt sind es schon sechs Jahre! In der Zeit hätte ich den Film geschrieben, gedreht und im Kino geguckt. Nach dem »Maya«-Album habe ich ihm all mein Material gegeben, weil mir die verrückteste Scheiße passiert ist. Ich dachte damals, dass ich jeden Moment umgebracht werden könnte.

Damals kam gerade deine New-York-Times-Cover­story heraus, in der du unter anderem auch als Terrorsympathisantin porträtiert wurdest.
Die Story und mein Reden über die NSA haben mich damals in diese Lage gebracht. Ich habe Steve mein Material gegeben und gesagt: »Hier ist mein Leben. Nimm es und erzähl meine Geschichte.« Und dann war ich bereit, erschossen zu werden. Aber seine einzige Antwort bei unserem Telefonat war: »Halt die Klappe und sei dankbar, dass es eine Doku über dich gibt. Die meisten Leute müssen erst sterben, bevor sie ihre eigene Doku kriegen.« (lacht laut) Allein letzte Woche habe ich wieder drei Morddrohungen erhalten. Aber John Lennon wurde auch erschossen, als er auf seiner friedlichen Schiene war. Vielleicht muss ich einfach noch ein Album über Atomangriffe machen, um zu überleben.

Text: Daniel Hauschild
Foto: Viviane Sassen

 

Dieses Interview erschien in JUICE #176 (hier versandkostenfrei nachbestellen). juice-176

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein