»Kunst und Kopfkrieg« mit KeKe: »Mentale Gesundheit hat keinen gesellschaftlichen Stellenwert« // Interview

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Foto: Julian Harather

In seiner Interview-Reihe »Kunst und Kopfkrieg« spricht Laurens Dillmann für JUICE mit Künstlern über Depressionen und Krieg im eigenen Kopf und fragt nach Antworten, wie man diese Krisen überwindet. Diesmal: Die rappende Sängerin KeKe über den tieferen Sinn von Depressionen, gesellschaftliche Missstände und den Zugang zum eigenen Körper.

»DER RAUM UM MICH FÜHLT SICH ENG AN/ ES VERKLÄRT SICH MIR DIE SICHT/
SIE SAGEN, ICH MUSS NUR WAS ÄNDERN/ DAVON VERSTEH ICH NICHTS«
KEKE AUF »PARADOX«

Wie fühlt sich das an, einem Fremden wie mir etwas über seine Depressionen zu erzählen?
Ich bin so aufgewachsen. Ich kenne es nicht, dass man Emotionen verbergen muss. Ich finde, man lernt es auch, je mehr man mit anderen Menschen darüber spricht. Auch mit solchen, die man nicht so gut kennt. Umso weniger schwer wird es.

Und es besteht ja die Notwendigkeit, darüber zu reden.
Ja, um Gottes willen. Unbedingt. Für mich ist es völlig unverständlich, warum man das nicht kommuniziert. Man spricht es ja auch aus, wenn man eine Grippe hat. Mentale Gesundheit ist genauso wichtig wie körperliche, aber über die mentale wird nie gesprochen. Ich verstehe schon, wenn Menschen sich dabei nicht wohlfühlen, aber es liegt am gesellschaftlichen Stigma, nicht darüber reden zu dürfen. Ich glaube, viel mehr Menschen würden darüber reden, wenn sie das Gefühl bekämen, es wäre gesellschaftlich akzeptiert.

Erinnerst du dich, wann die Depression bei dir ausgebrochen ist?
Als ich zehn war, war ich ziemlich depressed. Das ging in Kombination mit Essstörungen einher. Ich war damals sehr dick. Wobei ich sagen möchte, dass die Wörter dick oder fett nichts Negatives sind. That was my state. Ich habe viel gegessen, um dieses Gefühl zu stopfen. Und ich kämpfe bis heute damit.

Ich zeige ihr meine Reiselektüre, das Buch: »Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten« von Sandra Konrad.

Wird man mit einem depressiven oder melancholischen Temperament geboren?
Bei mir liegt es definitiv in der Familie. Ich glaube, man hat eine Veranlagung zu Panikattacken, Depressionen und verschiedenen psychischen Krankheiten. Sicher tragen Kinder auch die Trauer ihrer Eltern weiter. Dinge, die gar nicht zu ihnen gehören. Wenn man sensibel ist, nimmt man das alles wahr. Man muss erst mal kapieren, dass man etwas übernommen hat, und dann daran arbeiten, es aufzulösen. Es kann sehr lange dauern, bis man diese Verknüpfung macht. Weil es schwer ist, die Herkunft seiner Gefühle zu identifizieren. Bei mir hat es erst nach Jahren Klick gemacht. Das Gefühlsleben ist so komplex und so unterschiedlich bei allen Personen. Kein Weg ist mit dem anderen vergleichbar, man findet nur Berührungspunkte.

Hast du eine Therapie gemacht?
Ja, Gesprächstherapie. Ich habe meine Therapeutin sehr geliebt, sie war so special. Im Prinzip war sie wie eine Mutter, die aber einen klaren Blick auf die Situation hat. Sie ist jetzt in Pension. Sie hat mir sehr viele praktische Lösungen gegeben, die ich im Alltag anwenden kann. Sie hat zum Beispiel mit mir Yoga und Bewegungstherapie gemacht. Manchmal hilft das bloße Sprechen nämlich nicht. Jetzt sollte ich mich wieder um eine Therapie kümmern, aber ich habe es noch nicht geschafft. Ich muss dir nämlich ehrlich sagen, ich habe bis vorhin vergessen, dass unser Gespräch um das Thema Depression gehen soll. Zur Zeit bin ich wieder mittendrin, es ging mir schon mal viel besser. Und ich dachte, Fuck, was soll ich dir eigentlich erzählen? Wenn ich darüber rede, möchte ich nämlich auch Lösungsmöglichkeiten oder zumindest einen Weg aufzeigen. Den habe ich gerade nicht (lacht).

»MACH NICHT AUF HART,
WENN DU EIGENTLICH WEISST,
DASS DU SCHON SEIT PAAR
JAHREN IM ARSCH BIST/
BIETE NICHT AN,
DASS DU KÄMPFEN KÖNNTEST.
UND ERZÄHL NIEMANDEM,
DASS DU STARK BIST«
KEKE AUF »PARADOX«

Warum müssen sich Menschen in unserer Gesellschaft verstellen?
Viele Menschen schämen sich, zuzugeben, wenn es ihnen schlecht geht. Man wischt es beiseite, spielt es runter und sagt: So schlimm ist es schon nicht. Mentale Gesundheit hat einfach keinen Stellenwert. Es ist wichtiger, dass man funktioniert und produktiv ist. Dass man sich einfügen kann. Was ist mit den Leuten, die das nicht können? Man wird ausgegrenzt. Das ganze System dreht sich um Wachstum, möglichst schnell. Bam, bam, bam! Ja nicht rausfallen! Dann bist du fucked. Was ist, wenn du so depressiv bist, dass du nicht arbeiten kannst? Du bist draußen. Das ganze System ist ein Teufelskreis, der uns krank macht. Eigentlich müsste sich ALLES ändern.

Mir hat die Depression geholfen, mehr zu mir selbst zu finden. Ich habe einen Sinn darin gefunden, dieses Thema öffentlich zu machen.
Gestern hatte ich eine Session, wusste aber nicht, worüber ich schreiben sollte. Und ich sagte zu meinem Produzenten: Weißt du, das ganze Trinken, das ganze Konsumieren, mir einen neuen Mantel zu kaufen, es ist alles Ablenkung von dem, was mich eigentlich nähren würde. Ich bin auch spiritueller geworden. Weil ich dachte, ich will nicht aus dieser Welt gehen, ohne das Feuer zu spüren. Ja, Depression kann einen mehr zu sich selbst führen. Ich habe gerade den Film »Ich bin dann mal weg« über Hape Kerkeling gesehen, wo er wegen seines Burnouts den Jakobsweg geht. Da habe ich auch oft drüber nachgedacht. Aber gleichzeitig habe ich auch gedacht: Was soll ich da machen? Ich bin nicht in diesem Sinne religiös (zeigt auf die Kirche in der Nähe). Am Schluss sagt Hape: Alle Leute, die er dort getroffen habe, suchten nach einer Antwort. Er hingegen suchte nach einer Frage. Ich fange immer an zu weinen, wenn ich darüber rede. Ich glaube, das ist auch mein Weg. Erst mal eine Frage finden. Ein großer Anteil von Erschöpfung und Depression ist, dass man keine Kraft mehr hat, diese tiefen Fragen zu stellen. Dieser Film hat mich berührt, weil ich danach zu mir selbst sagte: Ich werde diese Frage finden. Irgendwann musst du dir nichts mehr kaufen, nichts mehr trinken, nicht mehr feiern, dich nicht mehr ablenken.

Foto: Julian Harather

Du sagtest zu Beginn, für dich sei es ganz normal, Emotionen auszudrücken. Fällt das Frauen leichter als Männern?
Ich habe eine Handvoll Männer kennengelernt, die das konnten. Es ist auch furchtbar, dass Männer immer noch gezwungen werden, eine Rolle einzunehmen. Stark sein müssen, nicht weinen dürfen, nicht sensibel sein. Ich habe meinen Vater nur zweimal in meinem Leben weinen sehen, meine Mutter viel öfter. Ich bin Hardcore-Feministin, glaube aber nicht, dass die weibliche Seite überwiegen sollte. Wir sollten uns gegenseitig helfen. Ich habe starkes Mitgefühl für Männer. Wie schlimm muss es sein, wenn du immer mit deinen Emotionen alleine bist, und gleichzeitig wird dir beigebracht, sie nicht fühlen zu dürfen? Das muss grauenhaft sein. Wenn man das dann lernt, kann man es auch als Triumph für sich feiern. Bei einigen Männern in meinem Umfeld merke ich, dass es sich ganz allmählich in diese Richtung verändert. Das macht mich stolz. Wie schön, dass du es hinbekommst, trotz aller Widerstände.

»Zuckersüß wie Kandis, Erfolg,
er schmiegt sich an mich/
Es ist endlich amtlich, Rapper
streiten was ein Mann ist«
KeKe auf »Aber Nein«

Es gibt ja eine große Diskussion über die Begriffe männlich und weiblich und unsere Identifikation damit.
Ob man sich nun Mann oder Frau nennt oder sich völlig anders definiert: Wichtig ist, bei sich selbst anzugelangen. Männlichkeit ist für mich nicht das, was uns erzählt wird. Weiblichkeit auch nicht. Diese Schubladen töten unsere Kreativität. Ich habe viele männliche Freunde, die im Modebereich arbeiten oder Friseure sind. Ein Fotograf, mit dem ich arbeite, der ist ein muskulöser Riese. Ein richtiger Mann, würde man sagen. Der ist der sensibelste Typ aller Zeiten. Der sitzt draußen mit seinem Kaffee, schaut sich stundenlang eine Blume an und erzählt allen, wie schön er sie findet. Zum Glück habe ich Menschen um mich, die frei sind. Allerdings lebe ich auch in einer Blase. Die Mehrheit der Menschen verlässt ihre Schublade nicht, die nehmen diese Differenzierungen nicht wahr. Ich glaube, dass Menschen eine weibliche und männliche Seite in sich tragen, dass aber die weibliche Seite nicht zum Vorschein treten darf. Wie schade das ist! Viele Kriege und viel Leid hätten verhindert werden können, wenn man Schwäche zeigen dürfte. I mean, look at this world! Es müsste ganz früh anfangen. Man müsste Kindern emotional beistehen. Wir brauchen Selbstverbundenheit und Ehrlichkeit. Ich glaube, auf privater wie politischer Ebene passiert viel Schlimmes aus Egoismus und persönlichen Problemen heraus. Jede Entscheidung beruht in Wirklichkeit auf Emotionen. Man schiebt die Logik nur vor.

Lass uns über praktische Methoden reden, die bei einer Depression helfen.
Also: Es hilft, sich jemandem anzuvertrauen, Begleitung und Unterstützung zu suchen. Wenn man das noch nicht schafft, sind es kleine Sachen wie: Räum das Zimmer auf. Trink viel Wasser. Dusche heiß. Setz dir irgendein Ziel für den Tag und wenn es nur ist: Bring den Müll raus. Mach Dinge, die du magst. Etwas Gutes essen, einen guten Film schauen. Nutze Social Media, um dich inspirieren statt runterziehen zu lassen.

»Häng’ ab von meinem Atem
Doch ringe schwer nach Luft/
Die Gedanken sind so funny
Mein Gegenschlag verpufft«
KeKe auf »Paradox«

Der beste Rat, den ich je bekommen habe: Gehe jeden Tag in die Natur. Nimm Abstand vom Stress. Atme frische Luft, tief in den Bauch.
Das stimmt, es macht glücklich. Wenn mir alles über den Kopf wächst, fahre ich nach Krems, eine Weingegend in Niederösterreich. Ich habe dort einige Jahre gewohnt und es geliebt, dort jeden Tag spazieren zu gehen. Man geht immer tiefer in die Natur, und der Wald dort ist herrlich.

Wie kann man sich mit seinem Körper verbinden?
Vor dem Singen klopfe ich immer meinen gesamten Körper ab. Und ich massiere meine Füße. Das hat mir meine Gesangslehrerin beigebracht. Sie checkt mich auch immer, während wir singen: Wie geht es deiner Mitte? Spürst du deine Füße noch? Was nimmst du gerade wahr? Was nimmst du nicht wahr? Damit man den Kontakt zu sich findet, damit man sich spürt. Es ist super wichtig, weil man die meiste Zeit diesen Kontakt verliert. Wenn ich gestresst bin, rauche ich. Das ist das Schlimmste für mein System, und ich mache es trotzdem. Es passiert ganz automatisch, es ist das viele Aufs-Handy-Schauen, die Reizüberflutung. Stell dir mal vor, es gäbe ganz viele öffentliche Zentren, wo man immer hingehen kann. Wo Natur ist, wo du mit Leuten arbeiten kannst, die in all diesen Dingen ausgebildet sind. Wenn man diese Methoden wie das ABC lernen würde (lacht).

Noch ein Thema, über das nicht offen gesprochen wird: Ich war mal bei einer Sexualtherapeutin, die mir sagte: Wenn Sie gesund sein wollen, sollten sie mindestens einmal die Woche liebevollen Sex haben.
Fuck. Das Tabuthema schlechthin. Sex und das Gefühl zum eigenen Körper sind essentiell. Ich bin ein essgestörter Mensch und habe Body-Dysmorphia, man nimmt sich dann selbst nicht wahr. Ich habe mal 38 Kilo gewogen und fand mich fett. Oder ich sehe Fotos von mir vor einem Jahr oder ein paar Monaten und erinnere mich, dass ich mich für fett hielt, und erst ein paar Monate später sehe ich klarer. Für mich war Sex immer so schwierig, weil ich mich für hässlich hielt und vor niemandem ausziehen wollte. Seit diesem Jahr wird das besser für mich, ich fühle mich wohler in mir und akzeptiere mich mehr. Aber da gibt es noch einiges für mich aufzuarbeiten. Es war weltbewegend, ein Shooting mit dem Magazin »Das Wetter« zu machen, wo ich nackt war. Das war befreiend. Ich hätte nie in meinem Leben gedacht, dass ich mich mal nackt vor eine Kamera stelle. Ich habe mir diese Bilder anschließend angeschaut und gedacht: Actually, it’s totally fine. Das war schön.

Gut, dass wir darüber reden.
Es ist schön, dass wir auf diese Weise sprechen. Oft kommen Magazine zu mir und behandeln mich wie eine Expertin für gesundheitliche Themen. Ich rede ja auch auf Instagram über solche Themen wie wir gerade. Menschen schreiben mir daraufhin wunderbare Nachrichten, wie sehr ich ihnen helfe. Und ich denke trotzdem: Ich kann es nur so halb genießen, weil ich auch ganz viele Dinge nicht weiß und vieles nicht wahrnehme. Ich bin auch oft eine schlechte Freundin, eine schlechte Tochter, kein guter Mensch. Das einzige, was ich mache, ist über das reden, was mir wichtig ist. Ich bin selbst mitten im Struggle.

Das Wichtigste ist, es auszusprechen. Das erfordert eine Menge Mut.
Ja, das muss man feiern. Jede Kleinigkeit, die einen voranbringt, verdient einen Schulterklopfer. Dann ist es ein riesiger Schritt. Ich habe zwar für viele meiner Gefühle keine Antwort oder Lösung, aber ich kann meine Geschichte erzählen. Dann kann sich jemand darin wiederfinden und fühlt sich nicht so alleine. Und wenn es nur eine Person ermutigt, sich zu öffnen. Dann gibt es eine Kettenreaktion. Außerdem brennt der Hut, wir müssen etwas tun! Durch das Internet haben wir eine riesige Freiheit und die Möglichkeit, Gleichgesinnte zu finden. Instagram hat viele grausige Effekte, aber ich bin auch total dankbar dafür. Ich habe dort Menschen gefunden, die mir in meinem Heilungsprozess immens weitergeholfen haben.

Wenn du dir heute einen Rat geben könntest, an dem Punkt an dem es dir am allerschlechtesten ging, wie sähe er aus?
Supercorny, but supertrue: It’s always darkest before the dawn. Wo Schatten ist, ist auch Licht. Für mich war das essentiell, weil ich wirklich dachte: Es geht nicht mehr bergauf. Ich komme da nicht mehr raus. Heute weiß ich. Du kommst da raus. Du kannst es immer schaffen. Und du bist völlig in Ordnung, so wie du bist.

Text: Laurens Dillmann
Foto: Julian Harather

In seiner Reihe Kunst und Kopfkrieg spricht Laurens Dillmann mit Künstlern und Künstlerinnen über Ruhm, Depressionen und Wege aus der Krise. Er bietet Waldbaden auf Spendenbasis an. In seiner Reihe »Mach`s weg« interviewt er Menschen aus dem Gesundheitswesen.

Bisher erschienen in dieser Reihe bereits Interviews mit Kaas und MC Basstard.

Dieses Feature erschien zuerst in JUICE 195.

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