»Kunst und Kopfkrieg« mit MC Basstard: »Gesellschaftlich werden Depressionen als Schwäche angesehen« // Interview

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Nach bislang sieben via Noisey veröffentlichten Ausgaben spricht Laurens Dillmann in seiner Interview-Reihe »Kunst und Kopfkrieg« ab sofort für JUICE mit Künstlern über Depressionen und Krieg im eigenen Kopf und fragt nach Antworten, wie man diese Krisen überwindet. Für den achten Teil hat er sich mit der Berliner Untergrund-Legende MC Basstard getroffen.

Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit dem Bösen. Aus philosophischem Interesse und weil ich mich selbst besser verstehen will. In der Psychologie ist das als Schattenarbeit bekannt. Und es hat auch eine esoterische Komponente.
Ich habe darüber einen Song gemacht. Kennst du Hannah Arendt? Sie war eine deutsch-amerikanische Philosophin. Viele ihrer Familienmitglieder sind im KZ umgekommen. Während der Nürnberger Prozesse ist sie Adolf Eichmann [SS-Obersturmbannführer; Anm. d. Verf.] begegnet, der kurz davor in Argentinien verhaftet wurde. Sie hat darüber ein Buch geschrieben. Daraus stammt die Formulierung »Die Banalität des Bösen«, und so heißt auch mein Song. Arendt beschreibt damit ihren Eindruck von Eichmann. So wie sie es hoffte, und so wie sie es auch esoterisch betrachtet hat, war er die Verkörperung des Bösen. Im Endeffekt hat er sie total enttäuscht. Er war einfach nur ein Arschloch. Ich glaube, es ist ein großes Problem, dass die Menschen das Böse so glorifizieren und meinen, wir könnten nichts dagegen tun, weil es einfach Teil unserer Natur ist. Das ist Unsinn. Das Böse gibt es nicht. Menschen haben einfach dunkle und helle Anteile. Dazwischen sind Grautöne. Das Böse ist kein esoterischer Geist, der über einen kommt und wegen dem man plötzlich von Dämonen besessen ist. Durch die Religionen hat sich einfach der Glaube manifestiert, dass es etwas wie einen Teufel gibt, der mit den Hufen scharrt und uns in der Hölle lodern lässt, wenn wir nicht an Gott glauben. Aber ganz ehrlich? Das haben sich Menschen ausgedacht! Es gibt weder Himmel noch Hölle und auch keine Seele. Wenn wir sterben, ist es vorbei. Wieso erdreistet sich der Mensch zu sagen, er habe eine Seele, die Tiere aber nicht? Die darf ich deswegen essen. Das ist doch völlig abgehoben.

Ehrlich gesagt habe ich nicht damit gerechnet, dass du so …
… selbstreflektiert bist?

Das meinte ich nicht, sondern dass du so nüchtern über die Welt denkst. Deine Musik ist ja voller okkulter Symbolik.
2009, als »Zwiespalt Weiss« rauskam, war ich voll auf diesem Film. Ich habe Bücher gelesen über Lichtwesen und Lichtnahrung. Astralreisen, das Universum, du bist eins mit allem. Ey, so ein Quatsch. Alles Geldmacherei, ganz klar. Klar ist allerdings auch, dass Meditation positive Effekte auf uns hat. Das kann man nachweisen. Unser Hirn ist dafür da, um an etwas Esoterisches zu glauben. Es gibt darin einen Bereich, der anspringt, wenn wir religiöse Erfahrungen machen. Komischerweise springt der auch an, wenn wir an Markenprodukte wie Apple denken. Das kann man belegen und ist wissenschaftlich und trocken. Bei mir ging es nämlich so weit, dass ich mir eingeredet habe, mit Gott zu sprechen. Ich habe seine Stimme gehört. Er hat mir immer gute Sachen gesagt. Irgendwann war mir allerdings klar, ich schlittere gerade in eine ernsthafte psychische Erkrankung. Da habe ich mir gesagt: Ich höre sofort auf zu kiffen und zu meditieren. Ich nehme Abstand und komme zurück auf den Boden der Tatsachen. Sonst verliere ich mich darin. Inzwischen meditiere ich wieder und komme gut damit klar. Diese Stimme habe ich nicht mehr gehört. Will ich auch nicht mehr, es ist beängstigend.

Du hast in deiner Kunst ja oft bewusst die Rolle des Bösen eingenommen.
Ich fand das einfach immer besonders spannend und habe instinktiv diese dämonischen Texte geschrieben. Das geht mir leicht von der Hand.

Weißt du, was dich an der Dunkelheit anzieht?
Ich glaube, die dunkle Seite der Macht zieht jeden an. »Star Wars« findet jeder geil. Aber keine Ahnung, wann das angefangen hat. Als ich in der Grundschule war, habe ich gedacht, ich hätte UFOs gesehen. Als Kind fantasiert man ja noch sehr viel.

»Das ist wie eine Tonne Gewicht auf der Zunge zu haben. Du kannst nicht reden. Deine Gedanken kreisen die ganze Zeit«

Ich habe das Gefühl, Erwachsene verlernen, die Welt mit Kinderaugen wahrzunehmen. Viele Menschen in Berlin wirken auf mich ausgebrannt und leer.
Da hast du auf jeden Fall recht. Es ist ein Fehler, den viele machen. Sie geben auf die kleinen Dinge des Lebens nicht acht (zeigt auf einen Vogel auf der Terrasse, der sich am Futternapf bedient). Dass man sich an so etwas erfreut. Das ist doch das Beste, was es gibt. Man muss sich wohl antrainieren, kleine Dinge wieder schätzen zu lernen.

Hattest du Depressionen?
Ja. Sonst hätte ich nicht auf diese Weise darüber schreiben können.

Und hast du sie überwunden?
Ja. Seit fünf, sechs Jahren. Meine Freundin hat mir geholfen. Sie hat mich aufgefordert, Sport zu machen, mit dem Fahrrad in die Natur zu fahren. Dann das Audio-Engineering-Studium, das mir Antrieb gegeben hat. Davor war ich viele Jahre einfach zu Hause eingesperrt und wollte mit niemandem etwas zu tun haben.

Wahrscheinlich warst du auch in deinem Kopf eingesperrt.
Das ist wie eine Tonne Gewicht auf der Zunge zu haben. Du kannst nicht reden. Deine Gedanken kreisen die ganze Zeit. Du kannst keine klaren Gedanken fassen, es springt vom einem zum nächsten und hört nicht auf. Du bist lustlos, antriebslos. Du willst das Bett nicht verlassen. Dich kotzt einfach alles an.

Und die Naturaufenthalte haben dir geholfen?
Auf jeden Fall. Natur. Kontakt mit Tieren. Sport und Bewegung sind sehr wichtig. Draußen sein, nicht nur im Fitnessstudio. Sich selbst zu sozialen Kontakten zwingen, auch wenn das schwerfällt. Sich Hilfe und Unterstützung suchen.

Das ist auch die Botschaft meiner Kolumne. Darüber offen zu kommunizieren hilft. Und Akzeptanz üben, dass man ist, wie man ist.
Ganz klar. Akzeptanz mit der eigenen Vergangenheit. Auch wenn sie schmerzvoll und grausam ist. Das ist der erste Schritt. Dann lernt man, damit umzugehen. Je nachdem, was für Trauma man erlebt hat, ist das einfacher oder schwerer. Aber das gehört halt dazu.

Wie spricht man angemessen über solche Themen?
Kunst ist sehr hilfreich. Man geht in ein Theaterstück, das einen persönlich betrifft. Man guckt sich Bilder an und geht in eine Galerie. Lässt sich inspirieren. Mir gefällt auch das Symbol der Raupe, die zum Schmetterling wird. Sie muss sich eine Weile von der Außenwelt abschirmen, um bei sich selbst anzukommen.

Fast zu einfach, um wahr zu sein, oder?
Ich finde es falsch, dass wir Depressive auch noch mit Medikamenten vollstopfen. Das ist der falsche Ansatz. Man muss es rauslassen. Man muss darüber reden können. Die Menschen in geschlossenen Anstalten werden nicht therapiert. Ärzte haben zu wenig Zeit, um mit ihren vielen Patienten zu reden. Wenn man mal realisiert, dass Depression der Alltag von vielen Menschen ist, sind das eigentlich skandalöse Zustände.

Gibt es andere Leute in deinem Leben, die depressiv sind?
Das ist schwierig zu sagen, weil es die meisten Leute, die es sind, verheimlichen. Gesellschaftlich werden Depressionen als Schwäche angesehen, zum Teil sogar verachtet und belächelt. Man nimmt dich nicht ernst. Sie schieben es beiseite. Sagen Sprüche wie: »Hab dich nicht so, das wird schon wieder, mach dir nicht so’n Kopf.« Aber sie verstehen nicht, was gerade wirklich in dir vorgeht.

Eine Freundin von mir ist angehende Psychotherapeutin. Sie hat mir von den finanziellen Ausbildungsbedingungen erzählt, die so schlecht sind, dass man diesen Beruf eigentlich gar nicht erst antreten möchte.
Bei »Team Wallraff« auf RTL wurden katastrophale Missstände in den Psychiatrien aufgedeckt. Da verschanzen sich Mitarbeiter in ihren Büros und überlassen die Patienten sich selbst. Hauptsache, die nehmen ihre Medikamente, ist da die Einstellung. Das ist unmenschlich und grausam. Ich bin familiär selbst betroffen. Mein Bruder ist mit 17 reingekommen. Er war nicht mal krank. Er war einfach zur falschen Zeit am falschen Platz. Er hat von einem Polizisten so aufs Maul bekommen, dass er mehrere Zähne verloren hat. Dabei ist ihm eine Schere aus der Tasche gefallen, und die haben das als Angriff gegen die Polizei aufgenommen. Er kam in die Geschlossene und wurde auf Medikamente gesetzt. Man hat ihn nicht mehr wiedererkannt. Er hat 30, 40 Kilo zugelegt und war mental völlig am Ende. Die Psychiatrie hat ihn also nicht auf gute Weise therapiert, selbst wenn er psychisch krank gewesen wäre. Seine Behandler haben ihm ausgeredet, die Medikamente abzusetzen. Er hat es trotzdem gemacht, wurde geistig wieder klarer und konnte sich vor Gericht selbst verteidigen. Unter Medikamenteneinfluss geht das nicht. Nach sieben Jahren haben sie ihn endlich rausgelassen. Ich habe mit dem Verein Psychiatrieerfahrener geredet. Das sei wohl normal. Mit durchschnittlich neun Jahren Aufenthalt musst du rechnen, wenn du dort reinkommst. Das ist deutscher Alltag, und darüber wird zu wenig gesprochen. Der Fall von Gustl Mollath war in den Medien, dann ist es wieder versackt.

»Wenn man mal realisiert, dass Depression der Alltag von vielen Menschen ist, sind das eigentlich skandalöse Zustände«

Ich glaube, dass Menschen auch krank werden, weil wir oft ziemlich lieblos aufwachsen und dementsprechend miteinander umgehen.
Ja, aber das ist ein Problem in deutschen Familien. Ich kenne ja auch einen anderen Kulturkreis, und mir fällt das hier einfach auf. Alte Menschen werden abgeschoben. Kaum Kontakt, vielleicht mal zu Weihnachten. Mit den eigenen Kindern ist es ganz ähnlich. Oft fehlt familiäre Nähe, Liebe und Zärtlichkeit. Die Erziehung ist sehr nüchtern und kalt. Hauptsache Erfolg. Erfülle, was von dir erwartet wird. Wirkliche Zuneigung und Nähe sind schwer zu haben, das bemerke ich in vielen Familien.

Körperliche Nähe ist im Alltag auch eher verpönt.
Ja, mal hier ein Küsschen links und rechts oder eine Umarmung. Gibt’s hier eher selten. Tja, wie kann man diese Dinge ändern? Dieses Verhalten ist in der Kultur verankert. Bei mir war das ganz anders. Mein Vater hat mir viel Liebe und Nähe gegeben. Doch er hatte ein Alkoholproblem und wurde in seiner späten Jugend im iranischen Gefängnis für seine politischen Ansichten gefoltert. Er hatte einen psychischen Knacks. Auch weil er alleinerziehend war. Fremdes Land, mit den neuen Gesetzen klarkommen. Das war alles nicht so einfach für ihn. Er hat es zwar gemeistert, aber leider hat ihm der Alkohol dabei geholfen. Auch mir gegenüber wurde er dann scheiße, hat mich angeschrien oder geschlagen, wenn auch nur sehr selten. Alkohol ist ein großes Problem in Deutschland. Das wird gerne verschwiegen. Süchte haben viel mit unterdrückten Aggressionen zu tun. In der Musik kann ich die gut rauslassen, deswegen ist meine so finster. Guck mal, da ist der Spatz wieder (zeigt zur Terrasse). Meistens kommen nur Krähen her.

Gibt es Menschen, die dich nicht mehr kennenlernen wollen, nachdem sie deine Musik gehört haben? Die dich für verrückt halten?
Ja. Aber wahrscheinlich haben die bloß Angst, dass die Wahrheit zu ätzend ist. (lacht)

Was ist die Wahrheit?
Die Wahrheit ist, dass ich kein esoterischer Typ bin, der an den Teufel glaubt, sondern eher realistisch und nüchtern. Ich berufe mich auf Wissenschaft. Da gibt’s etwas, das kann man belegen. Man hat Zahlen dazu. Das ist doch schön, es beruhigt mich. Ich habe nicht die Hoffnung, dass es weitergehen muss, wenn ich sterbe. Weil ich denke, höchstwahrscheinlich habe ich nur diesen einen Versuch. Ich will das Beste draus machen – und das kann man sich jeden Tag sagen.

In seiner Reihe Kunst und Kopfkrieg spricht Laurens Dillmann mit Künstlern und Künstlerinnen über Ruhm, Depressionen und Wege aus der Krise. Er bietet Waldbaden auf Spendenbasis an. In seiner Reihe »Mach`s weg« interviewt er Menschen aus dem Gesundheitswesen.

Dieses Feature erschien in JUICE 193. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Onlineshop bestellen.

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