Kunst und Kopfkrieg: Johnny Rakete über Isolation und Rap als Therapie // Interview

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Johnny Rakete nennt sein letztes Album »Trauriger Junge mit Rauch in der Lunge«. Darauf berappt er den Zerfall seiner Lebensfreude, findet Bilder um Bilder, die nachvollziehen lassen, wie es sich anfühlt, mit dem eigenen Kopf im Krieg zu stehen. Unter süßlichen Rauchschwaden erzählt er die Geschichte einer ganzen Generation. Vom Umzug aus der Klein- in die Großstadt, Unsicherheit, Süchten und Isolation, Kummer und Geschlechterrollen, dem Drang, sich auf die Bühne zu stellen und die Möglichkeit von Kreativität als Ventil, wenn es dir schlecht geht.

Laurens Dillmann: Ich merke allmählich, dass ich mit meiner Gesprächsreihe in ein Wespennest gestochen habe.
Johnny Rakete: Künstler haben alle einen an der Klatsche. Ausnahmslos. Geh mal in ne Fußgängerzone, frag die Leute: Willst du vor 500 Leuten auf einer Bühne stehen? Für fast alle ist das eine Horrorvorstellung. Und wir setzen uns dieser Scheiße aus. Natürlich haben wir alle einen an der Klatsche. Wenn es Stellenbeschreibungen für Künstler gäbe, würde man bei der Stellenbeschreibung mindestens nach einer psychischen Störung gefragt werden.

Es gibt das Klischee, Kunst wäre besser, wenn sie melancholisch oder depressiv ist. Was hältst du davon?
Ich stimme dem zu, würde aber noch einen Schritt weitergehen. Grundsätzlich bringen extreme Gefühlslagen gute Kunst hervor. Auch aus guter Laune entsteht Kunst. Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus: Na klar, in beschissenster Laune schreibt sich das Beste. Das ist in den meisten Fällen so. Aber es gibt so viel positive, euphorische Kunst, da muss man sich nicht beschränken.

»Der Henker naht, verdammt, ich hoff, er packt mich zeitnah
Ist auf jeden besser als den ganzen Tag im freien Fall
In meiner Brust nach einem Herz zu suchen, es ist keins da
Ich zähl keine Schafe, sondern Probleme zum Einschlafen
Mein Lebenswille, er gleicht einem leisen Nuscheln
Eingekreist von 1000 Schreien, die keifen mit breiter Brust
Mieses Dasein führt geradewegs hinein in eine Gruft
Eyo, mein Leben ist ein Faustkampf, ich hab leider keine Muskeln«

– JOHNNY RAKETE AUF »WENN KATZEN STREITEN«

War es für dich eine Überwindung, dich in deinem letzten Album depressiv zu zeigen?
Ich gehe mit meinen Gefühlen sehr offen in meiner Musik um. Es kostet mich keine Überwindung, zuzugeben, dass ich schlechte Momente und Phasen habe. Wenn mich jemand fragt: Hey, wie geht’s dir? Sage ich nicht nur »gut« als Standardantwort. Wenn mich jemand fragt, wie es mir geht, gehe ich davon aus, du willst es wissen und ich antworte: Heute geht’s mir beschissen. Oder schon seit zwei Tagen, oder seit zwei Monaten. Wenn mich jemand fragt, warum‘s mir beschissen geht, kann ich in den meisten Fällen auch darüber reden. Warum sollte ich mich denn damit verstecken? Vielleicht habe ich den Vorteil, durch das Ventil Musik eine Möglichkeit zu haben, aus meinem Versteck herauszukommen. Ich weiß nicht, wie Menschen mit sowas umgehen, wenn sie kein kreatives Ventil haben. Das kann ich nur schwer nachvollziehen.

Bleibt man manchmal bewusst oder unbewusst in schlechter Laune gefangen, weil man gerade einen Text darüber schreibt?
Aus meiner Erfahrung sind beim Texteschreiben Zeile eins bis vier am wichtigsten. Da bekomme ich heraus, worum es geht, was ich erzählen will. Auch am Tag darauf, kann ich anhand meines Textes nachvollziehen, welches Gefühl ich da in mir hatte und kann an den Faden anschließen. Ich muss nicht künstlich das Gefühl aufrechterhalten. Natürlich beschäftigt man sich durch das Schreiben mit seinen Problemen. Und gleichzeitig verarbeitet man sie dadurch. Das hat Pro und Contra. Während des Schreibens ist es ein bisschen ekelig. Man fängt an, sich einzugestehen: Es ist nicht alles perfekt. Vieles läuft scheiße. Das braucht Überwindung. Der Zeitpunkt ist sehr befreiend, wenn du dir eingestehen und aussprechen kannst, dass du Hilfe brauchst. Dass irgendetwas mit dir nicht stimmt, nicht in Ordnung ist. Funktioniert mit Rap ganz gut. Aber ob ich jetzt mit Dir spreche, Freunden, einer Therapeutin, ob ich es aufschreibe: Der Mechanismus ist gleich. Es ist erstmal raus aus meinem Kopf.

»Jede Minute hat 60 Leben, ich verschwende jedes, alles bleibt wies ist
Man, ich bin mir selbst der nächste, Freund oder Feind, verdammt, ich weiß es nicht«

– JOHNNY RAKETE AUF »60 LEBEN«

Was für Rückmeldungen hast du auf dein Album bekommen?
Fast ausnahmslos Positive. Einen Kommentar gab es, da schrieb jemand, meine Texte seien nicht mehr so philosophisch wie früher. Aber so ist es, auf den ersten Platten war ich eben noch schwammiger. Jemand schrieb mir, dass das Album ihn aus einer Depression und vor dem Suizid gerettet hätte. Das ist ein krasses Gefühl, mit Musik die Fähigkeit zu haben, jemandem aus dem Loch zu helfen. Das ist viel wert. Ich finde ein bisschen verrückt, dass es vielen Menschen so schlecht geht. Ich denke, ich habe viele traurige Menschen unter meinen Fans. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Viele Menschen melden sich bei mir, fühlen sich verstanden, können sich mit dem identifizieren, was ich erzähle. Und es hilft ihnen, was wiederum mir ein gutes Gefühl gibt.

Dein Album klingt sehr abgeklärt, als hättest du die schlimmste Phase einer Depression schon hinter dir. Kannst du deine Geschichte erzählen?
Die Zeit der Entstehungsphase war tatsächlich eine meiner Schlimmsten. Mit der Uni ging es bergab, ich habe in Erlangen für jeweils zwei, drei Semester haufenweise Geisteswissenschaften studiert. Es hat mich aber alles nicht richtig interessiert. Nebenbei das Musikmachen. Ich hatte so einen ekligen Stillstand. In Fürth dachte ich, mir fällt die Decke auf den Kopf. Wenn ich da jetzt nicht abhaue, komme ich nie mehr weg. Eine krasse Angst hat reingekickt, es ist zu spät und ich habe meine Zeit verschwendet. Ich bin 26, bin 27 und habe noch nichts auf die Reihe bekommen. Ich habe Politikwissenschaften, Philosophie, Theater- und Medienwissenschaften, Soziologie studiert. Alles interessante Sachen, aber ich hatte niemals eine eigene Ambition für mein Studium. Es frisst dich innerlich auf, wenn du jeden Tag etwas machst, dass dir keinen persönlichen Mehrwert gibt. Man gerät in einen Kreislauf. Denkt sich, ich habe Abi gemacht, studieren wäre sinnvoll, was machst du sonst überhaupt und Rap ist doch auch keine Sicherheit…da wirst du ja irre. Ich musste damals innerhalb zwei Tagen meine Fürther Wohnung verlassen und bin nach Berlin gezogen. Freitagabend kam die Nachricht und am Sonntag bin ich mit einem Koffer nach Berlin gezogen. Berlin ist etwas Anderes, als wenn du nur zu Besuch bist. Du brauchst einen Job, eine Wohnung, musst dich organisieren. Für mich herrschte in so kurzer Zeit plötzlich sehr viel Unsicherheit. Ich wollte zwischenzeitlich auch wieder weg, dachte, es ist zu viel, zu groß, zu anonym.

Parallel habe ich das Album gemacht. Und seit Anfang des Jahres lerne ich japanisch, weil ich so ein Anime-Nerd bin und die Filme im Original schauen will. Das erste Mal habe ich mit privat zum Lernen hingesetzt, es hat mir Spaß gemacht. Jetzt studiere ich sogar Japanologie und ich liebe es. Mit jedem kleinen Schritt, jedem geschriebenen Text, recordetem Song, mit dem Job, der gefundenen Wohnung, der gezahlten Miete, kam die Sicherheit zurück. Und meinem Kopf ging es besser. 

Ich habe ein halbes Jahr kein Gras geraucht. Ich hatte einmal für zwei, drei Stunden nach einem anstrengenden Tag einen ekligen Film. Da wusste ich: Gerade vertragen sich die Probleme in deinem Kopf auf keinen Fall mit dem Kiffen. Erst vor drei vier Wochen, als Unibeginn war, habe ich wieder angefangen. Ich hab halt einen Tinnitus auf beiden Ohren, will rappen und auf Tour gehen. Da wird man schon vorsichtiger. Jetzt gerade geht es mir gut, ich habe wirklich das Schlimmste überstanden. In meine Uni gibt es super Leute, exquisite Zuckermenschen. Ich habe eine Gang. Ich mache mehr aus meinem Leben als – in Anführungsstrichen – nur Musik. Es gibt einen Plan B, eine Sicherheit, für den Fall, dass ich doch nicht der krasseste Rapstar des Planeten werde (lacht).

Schön zu hören. Vor allem, weil jetzt der Winter kommt.
Das kenne ich. Sobald es finster wird, werde ich grumpy. Aber ich habe jetzt ein gutes soziales Umfeld, weißt du? Leute, die mich besuchen kommen. In Nürnberg und Fürth hatte ich keine Gang. 90 % der Zeit habe ich gefühlt alleine verbracht. Mit meinen zwei Nachbarn habe ich ab und zu mal Zeit verbracht, aber das sind auch Außenseiterboys. Ich bin kein klassischer nerdiger Außenseiter, ich habe einfach oft wahrgenommen, dass ich mich mit manchen Menschen nicht wohl fühle. Ich weiß nicht genau wieso, aber nach dem Abi ist Stück für Stück mein soziales Umfeld zerbröckelt. Sehr enge Freunde haben sich plötzlich aus meinem Leben ausgeklinkt. Dann fängt man auch an, an sich selbst zu zweifeln. Und je mehr du alleine bist, desto mehr Zeit hast du, dich in deinem eigenen Kopf im Kreis zu drehen. Und dann kiffst du auch noch zu viel. Ey, das ist ne toxische Kombi. Das kann einem ganz schnell alles an Energie und Lebensfreude entziehen. Aus meiner Erfahrung ist es sehr wichtig, Menschen in deinem Umfeld, die depressive Episoden haben, immer das Gefühl zu geben, dass sie nicht vergessen sind. Frag sie immer, ob sie mitkommen wollen, selbst wenn sie jedes Mal nein sagen. Vor diesem Winter habe ich keine Angst, weil ich ihn mit Sicherheit nicht alleine verbringen werde.

Klingt, als hättest du eine krasse Sinnkrise gehabt, aber nicht, als wärst du der geborene Melancholiker.
Ich kann mich nicht daran erinnern, als Kind oft und viel traurig gewesen zu sein. Es ging erst zum Ende der Pubertät, mit 17,18,19 los. Nach dem Abi saß ich da und habe mich gefragt: Was mache ich? Wohin will ich? Meine Eltern sagten, ich kann mir ein Jahr nach dem Abi Pause gönnen. In diesem Jahr habe ich nichts gemacht. Von sieben Wochentagen habe ich sechs meine Wohnung nicht verlassen. Davon auch vier das Zimmer nicht, außer um aufs Klo zu gehen. Richtig ranziger Zocker-Lifestyle. Um 16 Uhr aufwachen, frühstücken, Zocken bis um fünf Uhr nachts. Richtig versumpft. 

Da ging es wohl los, als ich merkte: Irgendwas ist in meinem Kopf und in meiner Gefühlswelt nicht richtig. Man merkt nicht sofort, wenn man eine Depression hat, worin der Startpunkt liegt. Es ist nicht wie vergleichbar mit einem Mückenstich: Fuck, plötzlich bin ich depressiv, hast du Fenistil? Es hat lange gedauert, bis ich kapiert habe, dass das nicht nur eine blöde Phase ist, sondern immer wiederkommt. Bis ich 24, 25 war, habe ich das nicht so ernst genommen. Sonst hätte ich mich früher um einen Psychologen gekümmert. Dazu kommt, dass ich mich im Rap-Umfeld bewegt habe. Da wird Schwäche zeigen nicht so gerne gesehen.

»Pech und Schwefel, sie singen immer das gleiche Lied
Ich würds gern leiser drehn, Digger, doch ich weiß nicht wie
In meinem Kopf herrscht leider Krieg,
darum bleib ich wach bis sich die Zeit verschiebt«

– JOHNNY RAKETE AUF »PECH & SCHWEFEL«

Hast du eine Therapie gemacht?
Ja, aber mit schlechten Erfahrungen. Ich war bei zwei Therapeuten, habe mich aber mit beiden nicht gut verstanden. Das ganze Drumherum, das Rumtelefonieren, die Frage, ob ich mich wohl mit der nächsten Person gut verstehe, das hat mich mehr belastet als das eigentliche Problem. Ich habe die Mukke. Das hilft viel. Ich wüsste nicht, ob mir ein Therapeut so gut dabei helfen könnte. Vielleicht klingt es anmaßend, aber ich bin ein extrem reflektierter Dude. Ich bin mir sehr bewusst über meine Probleme und Unzulänglichkeiten. Dementsprechend muss ich beim Texten nur aufschreiben, was ich weiß. Natürlich, jemand kann es analysieren und mir Input geben. Aber das ist gar nicht ausschlaggebend. Ich brauche die Validierung von jemand anderem nicht.

Kennst du das Gefühl, nicht unter Leute gehen zu wollen, weil du sie dann mit deiner schlechten Laune runterziehst?
Ich habe ein Talent, es zu überspielen, den Schein zu wahren. Ich behalte es für mich, genau aus diesem Grund. Ich will niemanden abfucken. Du willst auch keine mitleidigen Blicke, weil du zum zehnten Mal dieselbe Story auf die Frage, wie es dir geht, erzählst. Man versteckt sich damit. In alle Richtungen kann es schief geben. Man kann total extrovertiert damit nach außen gehen und es ist scheiße, man frisst es in sich hinein und es ist scheiße. Verrücktes Labyrinth, das vom Umfeld, in dem man sich bewegt, abhängig ist. Auch davon, ob man weiß, wie man mit sich und anderen umgehen soll.

Warum frisst ein Mensch alles in sich hinein und ein anderer stellt sich damit auf eine Bühne?
Alter, das ist eine sehr gute Frage. Keine Ahnung, woher dieser Drang kommt. Der Wunsch gehört zu werden vs. Angst, dass es überhaupt jemand hört. Vielleicht ist es genau das. Vielleicht teilt es sich auf in Leute, die nach Hilfe oder Aufmerksamkeit suchen und diejenigen, die überhaupt kein Aufsehen erregen wollen. Wenn du dich vor 500 Leuten auf eine Bühne stellst und einen Song performst, in dem es darum geht, meint man es auf jeden Fall ernst und es gibt ein Mitteilungsbedürfnis. Vielleicht fehlt manchen der Mut. Vielleicht wissen manche gar nicht, wie sehr es ihnen helfen würde, es auszusprechen. Vielleicht haben sie Musik, Kunst oder Sport nie als Möglichkeit gesehen, da rauszukommen. Manchen Menschen fehlt das Werkzeug.

Was hat das viele Alleinsein mit dir gemacht?
Ich beobachte bei vielen Menschen, dass sie keine zehn Sekunden mit sich alleine sein können. Digga, ich kann auch ein Jahr alleine in meinem Kopf rumhängen und drehe nicht durch. Früher ja, aber mittlerweile nicht mehr. Wer hat denn am meisten Zeit mit mir verbracht? Ich selbst. Man muss nur an den Punkt kommen, auch wahrzunehmen, dass du selbst anwesend bist, während du alleine bist. Viele denken, wenn sie alleine sind, gibt es sie quasi nicht mehr und das stimmt nicht. Mir hat das Alleinsein geholfen. Ich kenne mich gut, bin reflektiert und kann meine Gedankengänge und ihre Ursachen zurückverfolgen. Man muss halt den Mut haben, sich sich selbst zu stellen, der Stimme im eigenen Kopf. Ich habe mir angewöhnt, mit mir selbst zu sprechen, teilweise auch laut. Das können ganz banale Sachen sein, beim Putzen, oder in einer Diskussion, in der mein Gegenstandpunkt verlangt wird. Ich führe diese Streitgespräche laut mit mir selbst und es hilft. Manchmal glaube ich, wenn das irgendjemand sieht, hält er mich für bescheuert (lacht).

Du bezeichnest die Depression auf deinem Album auch als »Ersteweltproblem«. Warum können so viele Menschen mit Depressiven nicht umgehen, warum gilt die Krankheit noch immer als tabu?
Ich glaube, dieses »Lach doch mal« oder »Mach doch mal Sport« hat keinen bösen Ursprung. Es ist der Wunsch deines Gegenübers eine Lösung anzubieten. Das ist lieb gemeint. Das Problem daran ist: Wenn dir jemand helfen will und es nicht schafft, fühlt er sich wiederum hilflos. Entweder kommen dann Durchhalteparolen oder extremer: Depression gibt es nicht, du redest dir das sein. Das basiert alles auf dem Drang, helfen zu wollen, aber am Mangel, das Problem mit einem plakativen Satz oder einer möglichst klugen Aussage aufzulösen. Aufklärung würde helfen. Aber das wird im großen Stil nicht passieren. Du wirst nie das komplette Verständnis bekommen. Es wird immer jemanden geben, der es dir als Zeichen der Schwäche oder als Ausrede auslegt. Da muss man drüberstehen.

»Ey bitte frage nicht, wies mir geht, denn ich hab zu oft das Gleiche zu erzählen
Ich bin nicht sicher, wo ich bleib und wo ich steh und wo ich hinwill, weiß ich selbst leider noch nicht“

– JOHNNY RAKETE AUF »EINBAHNSTRASSE«

Wie ist dein Zugang zu deinen Gefühlen und mit was für einem Männlichkeitsbild bist du aufgewachsen?
Was das angeht, ist das Elternhaus unheimlich wichtig. Eine große Rolle spielt deine Erziehung und wie deine Eltern dir beigebracht haben, mit Gefühlen umzugehen. Wir leben noch immer in einer Macho-Gesellschaft. Ist das ein Wort, kann man das so sagen? Natürlich existiert das Bild eines Mannes, der keine Schwäche zeigt, das sind tausende Jahre Menschheitsgeschichte, die nicht plötzlich verschwinden werden. Mein Vater kommt wie meine Mutter aus Rumänien, da herrscht noch ein ziemlich klassisches Männlichkeitsbild und an das hat er sich gehalten. Er hat zwar nie gesagt: »Jammer nicht!«, aber er hat es vermieden, Trauer oder so etwas zu artikulieren. Wenn ich dann Kummer hatte, war immer meine Mutter die Ansprechpartnerin. Sie hat mir vermittelt, dass es okay ist, über Gefühle zu reden. Wahrscheinlich gibt es viele junge Männer, denen während ihres Aufwachsens etwas Anderes vermittelt wird: Männer zeigen keine Gefühle. Das ist Schwäche. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das ist. Dann bist du ja dein Leben lang im Konflikt mit dir selbst. Denn Gefühle dieser Art sind selbstverständlich und wenn du keinen Mechanismus beigebracht bekommen hast, damit umzugehen und es zu äußern, wirst du auf jeden Fall verrückt. 

Ich denke, mit fortschreitender Zeit wird es besser werden. Unsere Generation und die nachfolgenden sind »woke«, wie man so schön sagt (lacht). Immer mehr Leute werden aufgeklärt. Immer mehr alte Leute mit verkopften, alten Ansichten werden sterben. So ist der Lauf der Dinge. Die Frage ist nur: Verändert sich die Menschheit schnell genug, oder wird unser Planet irgendwann wegen uns nicht mehr bewohnbar sein? Es sollte doch möglich sein, dass diese klischeehaften Bilder eines Tages überwunden werden. Weil sie einfach scheiße sind. Jungs sind auch traurig, ganz oft. Gesellschaftlich ist es noch immer sehr schwierig, das offen zu zeigen. An alle Jungs, die das lesen: Es ist okay, auch mal traurig zu sein. Das ist wichtig und man sollte es oft sagen. 

Kannst du weinen?
Ich habe kein Problem damit. Es kommt einfach. Ganz zufällig, ein Song, oder nur eine Zeile aus dem Song berührt mich und löst es aus. Es tut immer gut, wenn es passiert. Es befreit, es ist raus, es spült dich durch.

Was möchtest du den Lesern noch mitgeben?
Das Wichtigste ist, auf sich selbst zu hören. Man hört zu oft weg bei den Signalen des eigenen Körpers. Wenn man sich einfach öfter auf sich selbst besinnt, auf seine Gefühle und Bedürfnisse hört und sie ernst nimmt, kommt man nicht in diese Konflikte. Ansonsten ist es ist voll okay, wenn nicht alles okay ist. Es muss nicht immer alles geil laufen. Es kann auch mal eine ganze Zeit lang viel schlecht laufen und es ist immer noch kein Weltuntergang. Man darf sich nicht dafür schämen. Keiner ist selbst daran schuld, dass mit seiner Psyche etwas nicht stimmt. Das sollte man sich nicht auch noch selbst vorwerfen. Du kommst halt nicht aus deiner Haut. Und wenn du mit dir selbst nicht in Einklang kommst, hol dir Hilfe. Sei es ein Therapeut, oder indem du dir selbst hilfst, wenn du dein Problem kreativ verarbeitest.

Text: Laurens Dillmann
Foto: Emma Weh

In seiner Reihe Kunst und Kopfkrieg spricht Laurens Dillmann mit Künstlern und Künstlerinnen über Ruhm, Depressionen und Wege aus der Krise. Er bietet Waldbaden auf Spendenbasis an. In seiner Reihe »Mach`s weg« interviewt er Menschen aus dem Gesundheitswesen.

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