Kitschkrieg & Trettmann: »Im HipHop fühlen wir uns Zuhause« // Titelstory

-

In seinem zweiten Karrierefrühling spielt er vor über 20.000 Menschen auf Tour – alleine vier Shows in Köln. Der Autotune-Adel thront, und jeder gönnt ihm den Erfolg. Auf Tretti scheint sich jeder einigen zu können, weil er die afroamerikanischen Helden seiner Jugend mit der Technik von heute vereint. Er schlägt die Brücke vom zeitlosen Swag eines Adriano Celentano zu aktuellem Afrobeat und gedenkt Jazzikone Billie Holiday in einer gleichnamigen Trap-Ballade. Der OG und Lebemann hat den Blues und die großen Klassiker studiert und in die Zukunft übertragen. »Ich habe mir wieder angewöhnt, die Platten meiner Kindheit zu hören – und die Nummern aus der Nachwendezeit, die ich über HipHop kennengelernt habe. Bedingt durch Reggae habe ich mich auch früh mit dem R’n’B und Soul der Fünfziger und Sechziger beschäftigt. In meinen Lyrics und Harmonien, die sehr mollig sind, kann man das raushören. Ich verweise ja auch oft auf diese Künstler.«

»FORMATION KOMPLETT, KEINE LIMITS«

Fast Forward in den Juli 2018. Trettmann steht wieder auf der splash!-Bühne und reißt die Show seines Lebens runter, arte überträgt live – und, natürlich, in schwarzweiß. Während auf der Hauptbühne ihr großer Grime-Held Skepta spielt, herrscht vor der Seebühne Einlassstopp. Die erste Reihe kreischt in KitschKrieg-Kampfmontur. Nebel zieht auf. Es blitzt. Dann setzt die Kick ein, und ein paar Tausend Menschen brüllen aus voller Kehle: »Alle überrascht, war zurück über Nacht/Aus’m Nichts, hab’s geschafft!« Der Auftritt eines wiederauferstandenen Champions wird zum emotionalen Höhepunkt des Festivals. »Tretti hat die Wochen davor wie ein Boxer trainiert«, betont Fizzle später. »Und dann ruft der alles ab. Das war für uns der absolute Höhepunkt.«

Während der gebürtige Chemnitzer, der schon lange in Leipzig lebt, seine Live-Crew vergrößert und Festivals spielt, gingen die verbliebenen Member in ihrem »#DIY«-Durchbruch wortwörtlich unter. »Wir lernten ja in Echtzeit dazu. Es gab immer kleine Zwischenschritte, neues Wissen, das man anwenden konnte«, erinnert sich awhodat. »Mit der Trettmann-Rolle, die quasi unsere Deluxe-Box war und von uns selbst verpackt und verschickt wurde, haben wir uns aber ziemlich übernommen.« Drei Monate lang dauert das Bearbeiten der Bestellungen. Tausende Rollen werden in Paletten angeliefert, in der WG verpackt und im Einkaufswagen zur Post gebracht. Die Idee, die Fans zwischen drei Shirtmotiven in verschieden Größen wählen zu lassen, stellt sich als kleine logistische Katastrophe heraus. Die Aktion, die später beim Preis für Popkultur als »Kampagne des Jahres« nominiert ist, wird aber zur Feuertaufe: »Im Grunde war das der Stresstest für den Shop, den wir jetzt bezogen haben.«

»Im HipHop fühlen wir uns zuhause« (Fiji Kris)

Das Indie-Game war damit eigentlich schon durchgespielt, die Grenzen der Selbständigkeit erreicht. Eine Managementagentur unterstützt das Team mittlerweile, doch die Vision und der Hustle bleibt in den eigenen Händen. Man veröffentlicht weiter über das eigene SoulForce-Label und den bewährten Shop, um den sich Familienmitglied Dodo mittlerweile in Vollzeit kümmert. »Das ist eine riesige Aufgabe, weil alles so schnell passiert, weil wir uns wirtschaftlich vergrößern und auch kreativ nachlegen müssen – das ist die Herausforderung. DIY heißt auch gute Deals machen und einen besseren Cut haben. Man kennt das ja: Sachen wachsen, werden kommerziell und verlieren ihre Essenz«, sagt Fizzle. »Das ist etwas, das unsere Gespräche bestimmt: Wie schaffen wir es, die Seele zu behalten?«

Mit ihrem ersten Produzentenalbum haben sie sich noch eine weitere Mammutaufgabe gestellt: die KK-Ästhetik weiterzuspinnen, neue Welten zusammenzubringen und knapp zwei Dutzend Musiker zu koordinieren und zu orchestrieren. So trifft auf dem Opener »7 Minuten« Cro auf die Kölner Band AnnenMayKantereit und, klar, Trettmann, der gleich mehrfach auf dem Album auftaucht. Fizzle über die Idee dahinter: »Wir sind in der Lage, das Essenzielle eines Künstlers zu erkennen und herauszuarbeiten – und eben nicht mit zu viel Zuckerguss zu verwässern, sondern der Kunst Platz zu geben. Die Künstler können sich in diesem Kontext etwas trauen, das sie auf ihrem eigenen Projekt vielleicht nicht dürften. Ich weiß nicht, ob AnnenMayKantereit und Cro ohne uns zusammenarbeiten würden. Die werden ja sehr unterschiedlich wahrgenommen, haben andere Fans, aber unter dem Deckmantel KitschKrieg wird das möglich – und das ist doch die eigentliche Aufgabe eines Produzenten.«

DER NEUE STANDARD

Auf der ersten Single greifen sie ein altbekanntes Muster auf. »Das ist dasselbe Prinzip wie bei ‚Ein Messer‘ von Haiyti oder ‚Nur mit den Echten‘ von Gzuz. Wir nehmen die beste Line, machen sie zur Hook und geben damit dem Künstler schon die Stimmung vor, der das meistens dankbar annimmt«, erklärt Kris das Konzept von »Standard«. Ganz so einfach ist es natürlich nicht, obwohl ihre große Kunst tatsächlich aus Reduktion, winzigen Details und der Fähigkeit besteht, die Songs im richtigen Moment atmen zu lassen. »Ein Beat muss für uns mit wenigen Elementen funktionieren. Bei ‚7 Minuten‘ haben wir zum ersten Mal mit einer Band gearbeitet. Eine Band spielt ja immer viel zu viel, und als Produzent will man nur die magischen vier Takte haben, die sich loopen lassen.« Das Produzentenalbum, das nicht als Compilation gedacht ist und für die Macher im Idealfall an »The Neptunes Present … The Clones« ihrer Producer-Helden erinnern soll, hat durch seine neuen Akteure tatsächlich einige untypische Momente. »Aber wenn man hinter die Fassade guckt, steht das gleiche Fundament.«

Der »Standard«-Riddim ist noch so ein Beispiel: Er spielt zwar locker in der neuen »Modus Mio«-Welt mit, bezieht sich aber eigentlich auf eine längst vergangene Dancehall-Epoche: »Das ist eben kein Zitat des Dem-Bow-Riddims, aus dem sich später Reggaeton entwickelt hat und der heute allgemein als Afro Trap durchgeht. Diese minimalistische Spielart und diese harten Nineties-Patterns aus Jamaica gab es so eigentlich noch nie im Deutschrap. Das stammt aus der Golden Era im Reggae und ist eigentlich total retro«, gesteht Kris, der Tontüftler im Team. Natürlich hatten KitschKrieg und Tretti als Hook-Heiland bereits davor einen entscheidenden Anteil daran, dass Dancehall hierzulande erstmals im Stadion stattfand, auf der »Palmen aus Plastik«-Tour eröffnete Trettmann als Support-Act. Für das erste Platinalbum von Bonez MC & RAF Camora steuerten sie, neben der EP, die Highlights »Vaporizer« und »Daneben« bei. Der Boss-Tune »100«, der das zweite Album des Duos abschließt, stieg dieses Jahr, ohne als Single ausgekoppelt zu werden, direkt auf Platz 15 der Charts ein.

Kris erklärt sich den Nährboden, auf dem ihr Projekt fruchtet, auch durch die emanzipierte arabischstämmige Rap-Community, die dabei ist, sich eigene Subgenres zu erschließen: »Diese orientalischen Rhythmen sind nicht weit vom Dem Bow entfernt. Neunziger-Dancehall hat sich auch bei orientalischen Rhythmen und Melodien bedient – da schließt sich dann wieder ein Kreis. Ich denke, dass syrische Kids, die jetzt hier aufwachsen und offen mit der Musik ihrer Heimat umgehen, ähnliche Subkulturen wie Grime erfinden könnten – also etwas, das nicht komplett importiert wurde, sondern mit einer eigenen Identität funktioniert.«

Die eigene Identität haben KitschKrieg und Konvoi längst geschärft und vom www in die weite analoge Welt getragen. Letztes Jahr filmten sie das farblose Epos zu »Billie Holiday« auf Jamaika. Im Yard von Bass Odyssey pumpte die Produktion aus den riesigen Boxentürmen des legendären Soundsystems. Viel mehr Ehre geht nicht für die vier Inselfanatiker – und das Video in Übersee wäre damit auch abgehakt. Im Sommer dieses Jahres arbeitete das Trio in Atlanta mit lokalen Rappern zusammen. »Wir konnten das dort so einfach abrufen, weil wir es jahrelang im Berliner Bootcamp trainiert haben.« Fizzles Augen leuchten, wenn er über die Diensturlaube spricht, und erwähnt noch ein Life Goal: »Da haben wir gemerkt, dass das KitschKrieg-Prinzip auf andere Länder und Kulturen übertragbar ist.« Wenn das Kollektiv so weitermacht, dürften 2019 wieder einige Tattoos gestochen werden.

Fotos: °awhodat°

Dieses Feature erschien in JUICE #190. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Onlineshop bestellen.

2 Kommentare

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein