Kitschkrieg & Trettmann: »Im HipHop fühlen wir uns Zuhause« // Titelstory

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FIJI Kris pendelt in der Tiefphase zwischen Hamburg-Altona und der Kreuzberger WG, die er mit Fizzle und awhodat bewohnt. Im Frühjahr 2014 produzierte er mit Symbiz den Ronny-Trettmann-Track »Gewehr bei Fuß« und führte Regie für das One-Take-Video, das im Wrangelkiez gedreht wurde und mit einem Cameo von RAF Camora im Alfa Romeo überraschte. In der Hansestadt arbeitet er mit den Beginnern an ihrem späteren Platin-Comeback »Advanced Chemistry«: »Ich hab da viel über das Album-machen gelernt. Parallel wurde auch zum ersten Mal von KitschKrieg als Firma gesprochen. Die beiden anderen haben in einem WG-Zimmer SoulForce Records aufgezogen und die Platte mit Noah Slee rausgebracht. Da ging es erstmals bergauf. Das Beginner-Album hat mir die Freiheit gegeben, bei Symbiz aufzuhören.«

»Der musikalische Anspruch an unsere Projekte davor war so immens, dass er uns gehemmt hat«, sagt der gebürtige Braunschweiger. »Als wir erkannt haben, dass man nur einen Bruchteil davon anwenden muss – und den halt gezielt –, konnten wir endlich konzeptionell arbeiten – es hat Klick gemacht. Die deutsche Reggaeszene hat uns halt immer genervt, die war total unsexy: blonde Dreads, Hippies und Leute, die Badman-Lyrics abfeiern – aber deutsche Straßenrapper nicht. Uns war das zu heuchlerisch. Wir haben unsere Ästhetik dann in Richtung HipHop verschoben, wo wir uns zu Hause fühlen, und es auch einen Markt gibt.« Kris ergänzt: »Noch dazu hat es sich zu unserem Vorteil entwickelt, dass Künstler wie Travis Scott und Young Thug groß wurden – und sich die Musiklandschaft so verändert hat, dass ein Sänger auch als Rapper wahrgenommen werden kann. So wie Tretti.«

»HOL MIR ’N RIDDIM AUS KREUZBERG«

Der legendäre Anruf vom Booking führte zum Reality Check, den Trettmann auf »Was solls« antizipiert. Mit Megaloh als Türöffner in den Deutschrap-Kosmos flext er im Sommer 2015 noch über einen klassischen One-Drop-Riddim aus Tekas Maschinen, aber schon von seinem künstlerischen Reboot. Fizzle überredet ihn, das Video nicht in Übersee zu drehen, sondern sein letztes Geld in ein Projekt mit Kris, Teka und awhodat zu investieren. So beginnen Ende 2015 die stilprägenden Sessions zu »KK1«.

Ende Januar geht, fast unbemerkt, das Video zu »Skyline« online. Dabei ist der Track für sich bereits eine kleine Neuerfindung des Deutschrap-Rades: Veteranenvokabular trifft auf Future-Sound. Autotune gurgelt so schön. Die Mystik, der Minimalismus, dieser morbide Mood – alles fittet. Erstaunlich viele Straßenrapper teilen das Video, aber Co-signs kommen aus allen Milieus. Auch absurd wird der »Skyline«-Remix, auf dem Samy Deluxe und Ufo361 harmonieren.

Der Plan, wirklich alles selbst und in-house zu machen, ist zu dem Zeitpunkt noch alternativlos. Die Suche nach einem Deal oder Vorschuss scheitert. Aber ein paar Jahrzehnte Selfmade-Erfahrung und die berühmten 10.000 Stunden Nerdtum, die das Quartett schon investiert hat, sollten sich spät auszahlen. »Wir sind zu Labels und haben ihnen die Lieder vorgespielt«, berichtet Fizzle, der Mann für die Öffentlichkeitsarbeit. »Die fanden uns nett und meinten, wir sollten doch wiederkommen, wenn wir neue Tracks haben. Die wenigsten dieser Leute sind halt visionär. Es sei auch mal dahingestellt, ob man das zum damaligen Zeitpunkt schon sehen konnte. Wir sahen das ja selbst noch nicht.«

Was im Frühjahr 2016 jeder sehen kann: dass Rap sich grundlegend neu erfindet. In Deutschland kommen langsam Halftime-Beats und Trap an, Mumble Rap übernimmt bereits die US-Charts. Die JUICE packt später sieben wegweisende Freshmen aus D aufs Cover. Trettmann saugt das alles auf, lässt sich in der Soundcloud aus Atlanta, Lagos, Kingston, London und Berlin inspirieren und trifft im Netz auf Gleichgesinnte, deren Vater er sein könnte. »Ich war zu der Zeit viel auf Twitter und Tumblr unterwegs. Das war eine neue Welt für mich. Ich habe dort Leute wie Juicy Gay, LGoony und auch Ufo kennengelernt. Das war wie eine neue Family, die ohne einen Kodex Rapmusik gemacht hat und frei von Schubladendenken war. Diese vielen Regeln haben mich an Deutschrap ja so lange abgeschreckt. Bei mir muss das immer über den Dancefloor funktionieren.«

»Die vielen Regeln im Deutschrap haben mich lange abgeschreckt«

Trettmann

Trettmann übernimmt daraufhin den Sommer, macht jeden seiner Gast-Slots zum Spektakel, setzt den 13-jährigen Austro-Rapper Brown-Eyes White Boy in Szene (»Messer raus *Positivität*«), schenkt Megaloh auf »Wer hat die Hitze« einen arenagroßen Chorus und gönnt sich hart auf dem Remix zum Internet-Hit des Jahres von Hugo Nameless und Fruchtmax. Beim Videodreh zu »W.K.M.S.N.S.H.G.« lernt die Truppe Haiyti kennen, noch so ein Punk im Herzen. In wenigen Aufnahmesessions entsteht die »Toxic«-EP für die Hamburger Kunststudentin, die damit erstmals im Popdiskurs wahrgenommen wird. »120 Jahre« mit Trettmann ist dann schon Moshpit-Material, eröffnet die Kampagne zu »KK2« und Deutschrap eine neue Zuhörerschaft. Die gemeinsame »Ich komm aus dem Club nicht raus«-Tour platzt aus allen Nähten. Ein erster Hype nimmt Fahrt auf und Trettis Trap-Transformation Form an. Das nächste Kapitel in der »Rocky«-Erzählung.

LILA FRÜHLING

Noch bevor »#DIY« im Herbst 2017 erscheint, gehört die Hauptsaison schon wieder der Squad. Der Rollout zum unumstrittenen Album des Jahres wird ein einziger Siegeszug. Die erste Single »Knöcheltief«, auf der Trettmann Georg Büchner rezitiert und Gzuz den Part seiner Karriere abliefert, erreichte kürzlich, wie die zweite Auskopplung »GottSeiDank«, Goldstatus. Aber erst »Grauer Beton« spielt ein neues Level für das Konglomerat und Tretti als Songwriter frei. Die puristische 808-Hymne, die nur aus einer transponierten Kuhglocke und dezenten Mollakkorden besteht, beschreibt das Lebensgefühl einer vergessenen Jugend und das Aufwachsen in der ostdeutschen Platte so universell und smart, wie deutsche Popmusik dazu bisher selten imstande war. Das Team steht kurz vor dem ganz großen Wurf.

»Wir haben uns schon gefragt, ob das nur in unserer Blase, hier in Berlin, im Radius von 200 Metern stattfindet«, beschreibt awhodat die Ruhe vor dem Sturm. »Unser Auftritt bei Böhmermann war dann aber so ein Moment, wo wir merkten, dass das nicht nur Szenemenschen mitbekommen. Da wurde uns klar, wie large das werden kann. Die ‚ZDF Neo‘-Redaktion hat das Video ja noch weitergesponnen und mit einem Orchester umsetzten lassen. Danach hat jeder gecheckt, dass das ein großer, wichtiger deutschsprachiger Song ist.« Die Kritiken zu »#DIY« sind beängstigend euphorisch, überschlagen sich in Superlativen. Jede relevante Kulturredaktion berichtet. Die JUICE vergibt die Höchstwertung, die sich Trettmann tatsächlich auf den Oberarm tätowiert hat – so wie Erfolge im KK-Kosmos eben zelebriert werden.

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