Kings Of HipHop: The Neptunes // Feature

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Um die Musik der Neptunes und von N*E*R*D in dieser Zeit zu beschreiben, gibt es ein perfektes englisches Adjektiv: raunchy. Es lässt sich alleine schon klanglich nur sehr unzureichend mit anzüglich, vulgär oder dreckig übersetzen. Aber jedes der Attribute trifft es. Denn genau diese Vulgarität, dieses bisschen Schmutzfinkentum auf Instrumentals, die den Allgemeingeschmack treffen, genau damit wollen sich in der Folge einige wohlbehütete Popsternchen umstylen lassen. Wer seine Unschuld, aber nicht das Chart-Abo verlieren will, der ruft die Neptunes. Britney Spears streift ihre Schuluniform ab und wird 2001 zum »Slave For You« – verschwitzt und bauchfrei auf einem Neptunes-Beat. Auf einem solchen wäscht sich auch Justin Timberlake die Yum-Yum-Nudeln aus den Haaren. Denn bevor Timbaland Justins Soloweltkarriere dirigieren wird, bereiten die Neptunes ihm mit »Like I Love You« den Weg: vom süßen Boy auf Postern in Jugendzimmer zum Posterboy einer runderneuerten, sexy Popmusik. Dem Time Magazine erklärte Pharrell die Erfolgsformel: Den Künstler von A nach B mitzunehmen, sei nicht das Ziel. Man wolle den jeweiligen Kollaborationspartner direkt nach D katapultieren.

Die Neptunes beherrschen damals vor allem eines perfekt: Ihre Sounds machen sie so dreckig, dass sie rebellisch und nahe an der Gürtellinie klingen, aber nicht so dreckig, dass sich im sauberen und sexuell verklemmten Mainstream irgendwer zu sehr auf die Pelle gerückt fühlt. Gerade für JTs Solodebüt »Justified« verwalten sie diesen Sound. Aber damals switchen Pharrell und Chad noch mühelos zwischen Verwaltungs- und Revolutionsmodus.

Die Game Changer haben sich Chad und Pharrell für andere Projekte aufgehoben. Der erste ist vielleicht der, der die Karriere der Neptunes am stärksten definiert hat. Ein Beat, so neu, so raw, so unmitfickbar, dass er das Fundament für die Neptunes-Legacy errichtet hat, dass selbst Pharrells spätere Clownereien (dazu später mehr) diesem höchstens Risse zufügen konnten. Die Rede ist, natürlich, von »Grindin’«. Dieses Beatskelett, das unter die Haut geht; ein Beat, der klingt, als würden mürrische Gangmitglieder auf einem Schrottplatz abhängen und auf Autoteilen rumklopfen. Ein gelegentliches Schnippen mit dem Finger. In der Hook die U-Boot-Schaltzentralen-Sounds und Pharrells unverkennbares »GrrRIndin«. Unfassbar, bis heute. Darüber: The Clipse, Pusha T und Malice, die keine weitere Einführung brauchen sollten. Die Neptunes hatten bereits deren 1999er Debüt »The Funeral« produziert und darauf außer den Trademark Stakkato-Gitarren noch ganz ihren Backpack-Wurzeln gehuldigt. »Lord Willin’« erscheint drei Jahre später. Es enthält neben »Grindin’« Hits wie »When The Last Time« und, nun ja, Hits, wie sie die Neptunes so oder so ähnlich schon mal produziert hatten.

Beats wie Knochengerüste: keine Haut, kein Fett, staubtrocken.

Was sie aber vier Jahre später für The Clipses zweites Album zusammenbasteln, hatte es so noch nicht gegeben. Es ist eine Zäsur; ein Werk, so eigenständig, dass es keine zwei Meinungen darüber geben kann: Das war nicht weniger als ein Meilenstein. »Hell Hath No Fury« ist mit nichts vor und nichts nach ihm vergleichbar. Stattdessen bleibt es einfach stehen – als unverkennbare Größe, als Monolith, der wie nichts ist, das um ihn herum besteht. Niemand kann das nachahmen. Ein komplett ohne Bass produziertes Album. Beats wie Knochengerüste: keine Haut, kein Fett, staubtrocken. Fast jeder hätte sich daran die Zähne ausgebissen. Nicht so The Clipse, die keine Messer, sondern Meißel zwischen den Beißerchen zu haben scheinen. Es ist die maximale Ausprägung des von den Neptunes schon früher geprägten Minimalismus, der in Songs wie Gwen Stefanis »Hollaback Girl« und Snoops Doggs »Drop It’s Like It Hot« seine Konsenshits hat. Natürlich ignoriert dieser Artikel etliche andere Neptunes-Hits. Vollständigkeit ist unmöglich. Die Online-Plattenbörse Discogs gibt dem Duo Credits für Produktionen auf 664 Releases, wovon in der Prime gefühlt jeder zweite ein verdammter Hit war. Aber der Artikel legt sich fest: »Hell Hath No Fury« war der letzte wirklich große Hugo/Pharrell-Moment.

Allerdings nicht für den Flashmob der Germanistik-Fachschaft der Uni Freiburg. Auch nicht für deine Tante. Nicht für die Mitglieder der Weihnachtsfeier des lokalen Versicherungsanbieters in Siegen. Und nicht für den geneigten nachmittäglichen Pro7-Glotzer. Für die kamen die richtig großen Momente erst noch. Zumindest die Pharrell-Momente. Und ab hier lässt sich nicht mehr an Sex denken. Obwohl wir es dringend noch mal müssen, später.

Zünden wir uns also erst mal eine Fluppe an und fassen zusammen: Pharrell Williams und Chad Hugo haben mit ihrem unnachahmlichen Sound Britney Spears und Justin Timberlake erwachsen gemacht, sie haben Ludacris’ Karriere die Initialzündung verpasst, sie haben mit Songs wie »Hot In Here« und spätestens »Hollaback Girl« White America mit seinen eigenen Kurven bekannt gemacht. Sie haben Hits, Hits, Hits produziert. Zwischen all diesen Hits ist Pharrell nach und nach zur Stilikone geworden. Die JUICE ist aber keine Modezeitschrift, und entsprechend ist an dieser Stelle der Mut zur Lücke besonders groß: Pharrell hat die Modelinie Billionaires Boys Club entworfen, eine Kooperation mit Adidas auf der Habenseite, er hat Brillen für Louie V designt, der Esquire hat ihn mal zum bestaussehenden Mann der Welt gewählt. Heute fragen Bild und Bunte nach Pharrells Beautytipps. Der trägt inzwischen einen Hut, der von Vivien Westwood entworfen ist und Zauberlehrlinge in die für sie geeigneten Schulen zuordnet. Pharrell ist inzwischen 41. Viele seiner Tattoos hat er sich weglasern lassen. Der »Rockstar« von damals weint inzwischen bei Oprah. Wir kommen nicht drum herum, auch über Pharrells zweiten Frühling zu reden (Chad produziert in dieser Zeit Earl Sweatshirt und The Internet). Aus der Perspektive von Fans erster Stunde ist Pharrell cold like Minnesota.

2 Kommentare

  1. Vorab:
    Diese Rubrik ist die Beste, die ihr habt, Juice.
    Mit Abstand.
    Normalerweise gleichermaßen Geschichtsunterricht wie Lehrstunde für jeden Anhänger unserer geliebten Kultur… hier kann auch jeder Oldschooler noch was lernen.

    Dieses Mal habt ihr aber schwer ins Klo gegriffen.
    Nur 3 lächerliche Seiten für jemand dermaßen einflussreichen wie die Neptunes?!?
    Ne halbe Seite davon verschwendet mit albernem Gibberish über diesen Pseudoskandal wegen „blurred lines“?!?
    Und dann auch noch mit nem Zitat von Margarete Stokowski, der Genderpropagandaministerin der Herzen… unfassbar.
    Suffragetten der ersten Stunde würden im Grab rotieren wie ein Bboy beim Powermove, wenn die wüssten, was Damen wie Frau Stokowski heute als Feminismus… nun ja… verkaufen („…in ihrem Buch…“). 😉

    Das Thema hätte man in einem Halbsatz abhandeln können, damit wäre der Sache genüge getan gewesen.
    Frauen haben mit weitaus ernsteren Probleme zu kämpfen, als mit beschissenen Lines in Popmusik.
    Schön, dass ihr Stellung bezieht, aber so doch nicht, Leute…

    Vielleicht hört sich mal jemand ein gewisses Album namens „N*gga pls“ von einem unbedeutenden Undergroundkünstler namens ODB an… übrigens auch von den Neptunes produziert, und zwar grandios. 😉
    Vielleicht da mal das Frauenbild unter die Lupe nehmen, und dann mit dem skandalösen Blurred Lines vergleichen. 😉

    Nebenbei:
    Meiner Freundin gefällt beides, und wer die Neptunes sind, weiß sie nicht mal. 😉

    Ich les euch seit 20 Jahren, aber der Artikel war nix.
    Werd euch trotzdem treu bleiben.

    Nächste Mal bissl mehr Mühe geben bitte… vielleicht ja bei nem KOHH über 36 Mafia…?

  2. Ich kommentiere eigentlich nie, aaaaber muss mir einfach diese 2 Minuten meines Lebens nehmen und es loswerden. Ich hatte mich sehr auf diesen Artikel gefreut aber er wird den Neptunes einfach NULL gerecht… :-(.
    Anstatt über „sexistische“ Songtexte, die wahrscheinlich keine Frau auf der Welt stören (mich als Frau auch nicht) hätte viel mehr auf den Sound, Inspirationen der beiden, Vorbilder und Einflüsse und eine persönliche Note eingegangen werden können.
    Oder mehr auf das Album „Neptunes present clones“. Jeder weiß, dass Songs wie Hot in herre von Nelly oder aus dem Justified Album von Justin T. produziert wurden, aber nicht dass die Neptunes auch mit vielen non Pop/Hip Hop Künstlern wie Rolling Stones (Sympathy for the Devils- Remix) oder mit Bands wie Papa Roach zusammengearbeitet haben. Die beiden waren der Musik und auch Fashion Szene, wie auch Aaliyah zu ihrer Zeit um Jahre (wenn nicht Jahrzehnte) voraus. Trotzdem Danke für die Aufmerksamkeit und den Artikel, habe das Gefühl, dass die Neptunes in Vergessenheit geraten sind, was wirklich sehr schade ist vor allem wenn man sich die ganzen Trash Producer von heute anschaut.

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