Kings Of HipHop: T.I. Gummibandmann // Feature

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Dead And Gone

All den Erfolgen zum Trotz beginnt für T.I. das dunkelste Kapitel seiner Karriere: Im Mai 2006 wird sein Leibwächter Philant Johnson nach einem Auftritt in einem Nachtclub in Cincinnati erschossen, als ein Streit außer Kontrolle gerät. Drei weitere Mitglieder aus T.I.s Entourage werden ebenfalls verletzt. Johnson ist nicht nur Tips Mitarbeiter, sondern auch sein engster Vertrauter. Die Freundschaft der beiden reicht zurück bis zu den gemeinsamen Tagen im Sandkasten. Es ist ein einschneidendes Erlebnis, das Tip traumatisiert und paranoid zurücklässt. Er glaubt, sich gegen eine unsichtbare Gefahr schützen zu können, indem er ein Waffenarsenal anhäuft. Mit schwerwiegenden Folgen: Im Oktober 2007 wird er beim Versuch verhaftet, auf dem Parkplatz eines Shoppingcenters in Atlanta mehrere Maschinengewehre zu kaufen. Wie sich später herausstellt, ist Tips Leibwächter, der den vermeintlichen Deal eingefädelt hat, ein von der Bundespolizeibehörde ATF eingeschleuster Maulwurf, der die Ermittlungen gegen den Rapper somit zu einem erfolgreichen Ende bringt. Nach einer Kautionszahlung in Höhe von drei Millionen Dollar umgeht Tip die Untersuchungshaft und steht stattdessen für ein Jahr unter Hausarrest, bis er im März 2009 zu einer Haftstrafe von einem Jahr und einem Tag verurteilt wird.

All der Schicksalsschläge und immer wiederkehrenden Probleme mit der Justiz zum Trotz sind die Jahre 2007 und 2008 zumindest von wirtschaftlichem Erfolg gekrönt. Auch wenn das Konzeptalbum »T.I. vs. T.I.P.« für viele Kritiker zu unausgegoren wirkt, gelingt die zweite Nummer-eins-Platzierung und die vierte Platinauszeichnung seiner Karriere. Es ist jedoch das im Herbst 2008 veröffentlichte Album »Paper Trail«, mit dem Tip erneut Schallmauern durchbricht. Während er die Gerichtsverhandlung erwartet, in der ihm bis zu zehn Jahre Haft drohen, nimmt er über hundert Songs auf. Standout-Track ist der Possecut »Swagga Like Us« mit Jigga, Kanye, Weezy. Der Song bedient sich stark beim Vorjahreshit »Paper Planes« von M.I.A. – während Facebook und Youtube so langsam die Welt erobern und auch hierzulande StudiVZ und Myspace als größte Social-Media-Kanäle ablösen, sorgt die globale digitale Vernetzung zunehmend dafür, dass US-Rapper und ihre Produzenten sich von Indie, House und Trance aus Europa inspirieren lassen. Das gilt auch für die erfolgreichste Auskopplung aus »Paper Trail«: Auf »Live Your Life« trällert Rihanna ihre Hook über die Melodie des unsäglichen »Numa Numa«-Ohrwurms »Dragostea din tei« von 2004. Bis er 2013 mit dem wegen fehlender Samplingrechte zum Skandalsong mutierten »Blurred Lines« einen späten Hit feiert, ist »Live Your Life« der erfolgreichste Song in Tips mittlerweile zwanzigjähriger Karriere.

Pharrell spricht von T.I. als »Jay-Z of the South«.

Zwar verbringt er das Ende der Nullerjahre hinter Gittern, doch diverse Publikationen haben seinen Einfluss auf die Dekade aus musikalischer Sicht nicht vergessen. »Pitchfork« führt »King« immerhin auf Platz 147 der besten Alben des Jahrzehnts. »Complex« nennt ihn 2013 in einer Liste der besten Rapper der 2000er auf Platz 6 hinter Kanye, 50, Lil Wayne, Eminem und Jay-Z. Das neue Jahrzehnt meint es eingangs jedoch weniger gut mit ihm: Nur ein knappes halbes Jahr nach seiner Haftentlassung im März 2010 wird er Anfang September gemeinsam mit seiner Frau Tameka »Tiny« Cottle-Harris bei einer Verkehrskontrolle in L.A. festgenommen. Bei der Durchsuchung des Fahrzeugs finden die Beamten Marihuana und Ecstasy, auch ein Drogentest fällt positiv aus. Der erneute Verstoß gegen seine Bewährungsauflagen handelt ihm eine weitere 11-monatige Haftstrafe ein, die auch den Rollout seines ursprünglich als »King Uncaged« angekündigten Albums beeinträchtigt. Als die schließlich »No Mercy« betitelte Scheibe im Dezember auf Platz 4 chartet, sitzt Tip irgendwo in Arkansas hinter schwedischen Gardinen. Fehlende Promotion hin oder her, Album Nummer sieben ist eher ein Griff ins Klo – kaum ein Kritiker findet lobende Worte.

Heavy Is The Head

Auch wenn nach seiner Entlassung 2011 bis heute drei weitere Studioalben folgen, merkt wohl auch Tip mit der Zeit, dass seine Tage als Primus des Südstaatenrap gezählt sind. Auch in Atlanta haben mittlerweile andere Acts das Zepter übernommen: Egal ob Jeezy, Gucci Mane, Waka Flocka, 2 Chainz, Future, Young Thug oder die Migos, die konstante Weiterentwicklung des Genres Trap findet ohne besonderen Einfluss des »Trap Muzik«-Erfinders statt. Dementsprechend sucht T.I. sein Glück anderswo: Für die zweifelhafte Reality-Soap »The Family Hustle« zerrt er ab 2011 nicht nur seine Ehefrau, sondern auch Stieftochter Zonnique sowie die Kinder Messiah, Domani, Deyjah, King, Major und Heiress vor die Kamera.

Aber es geht auch anders: 2013 signt er den aufstrebenden G.O.O.D.-Music-Produzenten Travis Scott bei Grand Hustle. Auch wenn sich diverse Gerüchte darum ranken, wie grün sich La Flame und Tip nun sind, ist der »Astroworld«-Star weiterhin vertraglich an Grand Hustle gebunden. Auch musikalisch setzt T.I. neue Akzente: Zur Unterstützung der »Black Lives Matter«-Bewegung veröffentlicht er 2016 zuerst die EP und später die gleichnamige Compilation »Us Or Else«. Ungewohnt politisch prangert Tip darauf die Morde an unbewaffneten Afroamerikanern durch Polizeibeamte an. Zusätzlich zur Veröffentlichung schreibt der Rapper Gastkolumnen zum Thema in der »New York Times«, »Washington Post« und »Huffington Post«. Sein Wort hat auch in Sachen Lokalpolitik Gewicht – Anfang 2018 ernennt ihn Atlantas frisch gewählte Oberbürgermeisterin zusammen mit Killer Mike als Teil eines 38-köpfigen Gremiums, das bei der Neuformierung des Stadtrats, sowie in Bildungs-, Wohnungsbau- und Sicherheitsfragen helfen soll.

Auch wenn Tips musikalischer Impact nicht mehr derselbe ist (sein letztes Album »Dime Trap« setzt im Oktober 2018 immerhin noch 32.000 Einheiten in der ersten Verkaufswoche ab), hält er sich im Gespräch. Seine Ehe, die nach mehr als einem halben Jahrzehnt Reality-TV zu zerbrechen drohte, scheint er wieder in den Griff bekommen zu haben. Seit Anfang September hostet er mit »ExpediTIously« seinen eigenen Podcast, der neben Verschwörungstheoretiker Alex Jones bislang auch ordentliche Gäste wie LL Cool, Ice Cube, Master P, Killer Mike, Rick Ross oder Young Thug vorweisen kann. Größter Skandal bislang: Tips »Top 50«-Liste, in der er seine Lieblingsrapper aller Zeiten auflistet. Und weil Clifford Harris Jr. stets auf mehreren Hochzeiten tanzen muss, tritt er derzeit an der Seite von Cardi B und Chance The Rapper als Juror der Netflix-Serie »Rhythm & Flow« auf – eine HipHop-Castingshow im Hochglanzformat, die durchaus ihre Momente hat. 2020 steht T.I.s vierzigster Geburtstag an – seine Rap-Karriere möchte er in absehbarer Zeit an den Nagel hängen. Und doch lässt einen die Vermutung nicht los, dass das Stehaufmännchen mit dem Gummiband noch lange nicht genug hat.

Text: Jakob Paur
Foto: Sony Music / James Minchin

Dieses Feature erschien zuerst in JUICE 195. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Onlineshop bestellen.

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