Kings Of HipHop: Outkast

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Outkast sind tot. Ist so, Punkt. Zwar wird Big Boi sein seit Internetmyriaden angekündigtes Soloalbum »Sir Lucios Left Foot: The Son Of Chico Dusty« an den Start bringen, André 3000 wird ähnliche Ideen spazieren tragen, und irgendwann wird das kreativste Duo der HipHop-Geschichte auch wieder gemeinsam Musik machen. Aber die Magie ist verblasst, der Wahnsinn leergelaufen. Ein weiteres gutes Outkast-Album wäre die größte denkbare Sensation der HipHop-Welt – einer Welt, die bei aller Liebe zur Seifenoper das Konzept Comeback einfach nicht akzeptieren mag.

Eine offizielle Auflösung der Band hat es nie gegeben, wechselseitige Despektierlichkeiten sind selbst zwischen den Zeilen eher nicht aufzutun. Auch die weit verbreitete Theorie, wonach sich Big Boi und Dre auf der gemeinsamen 2006er Single »Mighty 0« gegenseitig ans Bein pissten, entstammt wohl eher dem Reich der Fabel denn vernünftiger Exegese; zumindest haben Outkast sie in Interviews stets brüsk zurückgewiesen. Warum auch sollten zwei Freunde an exponiertester Stelle Beleidigungen austauschen, wenn ansonsten nicht mal eine klitzekleine Spitze gegen kanariengrelle Frauenkleider oder schlimm gescheiterte Labelpläne zu vernehmen war? Passiert ist schlicht das Normalste auf der ganzen Welt: Zwei erwachsene Männer, die einst gemeinsam aufwuchsen und als Buben eine Leidenschaft teilten, haben sich auseinandergelebt. Die ebenso viel zitierten wie zelebrierten Unterschiede in den Persönlichkeitsstrukturen der beiden Protagonisten, das permanente Oszillieren zwischen Yard und Avantgarde, das die Gruppe ein ganzes Jahrzehnt lang in eklatanter Weise von der Masse an Mitbewerbern abhob und schließlich in dem epochalen Doppelalbum »Speakerboxxx/The Love Below« kulminierte, ist längst in schmerzhaft reale Gräben umgeschlagen. Kein Streit, aber man hat sich halt einfach nicht mehr so viel zu sagen, ne? Im Studio nicht, und in der echten Welt vermutlich auch nicht. Was die Gründe angeht, könnte man sich in einen ganz fabelhaften Rausch hineinspekulieren. Aber die Tatsache liegt auf der Hand: Da helfen keine geteilten Drogen, keine bunten Kostümchen, ja nicht mal das Scheckheft aus der Vorschussschublade.

Was genau also war der Wendepunkt in der Beziehungsgeschichte dieser ganz und ganz außergewöhnlichen Band auf dem Weg alles (Außer-)Irdischen? War es Dres Beziehung zu Erykah Badu, deren angebliche Fähigkeit, echte Männer in wollmütztragende Eso-Vögel zu verkehren, an jedem HipHop-Stammtisch einen beliebten Running Gag abgibt? Das E, das irgendwann in den Dungeon kam, lange bevor es zur offiziellen Modedroge der New Yorker Großkopfertenblase auf ihrem kommerziellen Zenit wurde? Der Moment, da Dre zu aller Verwunderung zum ersten Mal sang statt rappte, auf dem funkelnd-brillianten Spacefunk-Geschoss »Synthesizer« mit George Clinton-Feature und Sly-Stone-Sample? Oder war Outkast einfach immer schon eine Zwangsgemeinschaft gewesen, der bodenstämmige Junge mit den zehn Geschwistern aus dem südwestlichen Zipfel Georgias und das Einzelkind aus der Großstadt, der grimmige G aus bescheidenen Verhältnissen und der querdenkende Freigeist aus der Mittelschicht?

Letzteres mit großer Sicherheit nicht. Schenkt man Big Bois Erinnerungen Glauben, war es Andre, der bei ihrem ersten Zusammentreffen auf einer Party in East Point (einem 40.000-Seelen-Städtchen in unmittelbarer Umgebung Atlantas) eine Glock spazieren trug, wälderweise Weed verbrannte und auf der Rückbank seines Cadillacs einen mittleren Harem spazieren fuhr. Andre war es auch, der in den Neunzigern den Kanye machte und die gemeinsam besuchte Tri-Cities High School vorzeitig verließ, während Big Boi brav das »Visual and Performing Arts«- Programm abschloss – und das, obwohl die Gruppe zu diesem Zeitpunkt bereits einen Plattenvertrag unterzeichnet hatte. Wer ist hier also der Art School Vet?

Überhaupt war von der bohemischen Extravaganz, die Andre und Big Boi später ihren Sonderstatus verleihen sollte, damals noch wenig zu spüren. Outkasts Debütvideo »Player’s Ball« aus der Weihnachtszeit 1993 zeigt zwei schmale Teenager im Homeboy-Outfit, Baseball-Jersey, Baseball-Cap und dreißig Zentimeter Boxershorts zwischen baumelnder Baggy und Bauchmuskulatur. Auch die Musik ist klar beeinflusst von den vorherrschenden Styles der Zeit: verspielter Eastcoast-Rap ála Tribe und De La auf der einen, der melodiöse Gangsta-Funk von »The Chronic« auf der anderen Seite. Aus der heutigen Sicht klingt »Player’s Ball« wie eine im Ghetto geerdete Version von The Pharcyde – mit dem kleinen, aber nicht ganz unbedeutenden Unterschied, dass hier zwischen all den globalen Codes zum ersten Mal im großen Stil die heutige Rap-Metropole Atlanta repräsentiert wird. Andre trägt mit unübersehbarem Stolz das Trikot der Braves, Big Boi das der ortsansässigen Plattenfirma LaFace. Im Outro werden Orte wie Decatur oder College Park ausgerufen, wie grundsätzlich das ganze Video als leicht juvenil geschönte, aber dennoch authentische Schilderung des Hood-Alltags durchgeht.

Das dazugehörige Album »Southernplayalisticadillacmuzik« jedenfalls erschien im April 1994 und empfing direkt die höheren Weihen des HipHop-Betriebs: Platin, viereinhalb Mics in der »Source« sowie die öffentliche Anerkennung durch Puff Daddy, der gerade die Karriere eines gewissen Notorious B.I.G. lancierte und damit seine ganz eigene Antwort auf die gefühlte Übermacht der Westküste gab.

»’Southernplayalisticadillacmuzik‘ war größer als Outkast. Es ging um Organized Noize und um diesen Sound« – Cool Breeze

Ein Debütalbum, gewiss, und als solches naturgemäß unfertig und nicht frei von Schnitzern. Und doch war »Southernplayalisticadillacmuzik« weit mehr als nur ein Ausblick auf die Dinge, die da kommen sollten, wie rapreviews.com treffend zusammenfasst: »’Southern‘ for their roots in Atlanta, ‚playalistic‘ for a rap style that embodied the vibrant flair of 70’s soul, and ‚cadillac‘ for the perfect car to cruise in while listening to their ‚muzik‘ – sometimes smooth, sometimes hard, but always stylin‘.«

Überhaupt, die Muzik. Mehr noch als das bemerkenswerte Raptalent zweier gerade Volljähriger, die scheinbar ohne jede Anstrengung blumige Schilderungen ihrer Umgebung (Titeltrack), erbauliche Botschaften (»Git Up, Git Out«) und beträchtliches Badman-Bravado (»Myintrotoletyouknow«) in einen flüssigen, melodiösen Flow kleideten, stachen auf »Southernplayalisticadillacmuzik« die Beats hervor. Die nämlich wickeln – auch ohne Diamond D-Remix auf der B-Seite – noch heute jeden Rapfan um den Finger, der im Albumtitel zunächst das »Dilla« lesen will. Und brannten zudem ein Produktionsteam ins kollektive Bewusstsein der Rap-Nation ein, das wenig später Welthits am Fließband abliefern und zu einer der einflussreichsten Kräfte der Musikindustrie aufsteigen sollte.

Rico Wade war gerade 19, als er Outkast zum ersten Mal rappen hörte. Doch hatte er bereits eine gewisse Reputation in der Grauzone zwischen Atlantas Halb-und Geschäftswelt. Er hatte eine Vergangenheit als Bass-Music-Tänzer sowie als Manager lokaler Bands, kümmerte sich um die Geschäfte eines kleinen Geldwäscheladens (in dem unter anderem T-Boz von den späteren R&B-Superstars TLC am Tresen stand) und, viel wichtiger noch, stand einem Produktionstrio vor, dem zusätzlich noch Ray Murray und Sleepy Brown angehörten: Organized Noize. »Don’t Let Go (Love)« und »Waterfalls« – beides exzellente Beispiele für den satten, vielschichtigen, warmen, eingängigen Sound Organized Noizes Mitte der Neunziger – waren zu diesem Zeitpunkt noch Zukunftsmusik. Aber es war dennoch Wade, der das Talent von Big Boi und Andre erkannte, die beiden zum Vorsprechtermin bei Babyface und Antonio »L.A.« Reid schleppte, dem heutigen Chairman der Island Def Jam Music Group und damaligen Chef von LaFace Records, und ihnen schließlich ihren Deal verschaffte. Es war Wade, der ihnen im Keller seiner Mutter, dem sagenumwobenen Dungeon West, eine musikalische Heimat bot, und mit dem dazugehörigen Großkollektiv, der Dungeon Family, auch das nötige kreative Umfeld. Und es war Wade, der ihnen den Weg zu einem Sound ebnete. Ihrem Sound. Diesem Sound. Ohne Rico Wade kein Outkast – und ohne Organized Noize kein »Southernplayalisticadillacmuzik«.

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