Kings of HipHop: Mobb Deep // Feature

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Hell Of A Life

Als im Frühjahr 1996 Mobb Deeps insgesamt drittes Album erschien, hatte sich der Titel »Hell On Earth« auf tragische Weise selbst erfüllt. Ein Mitglied der 12th Street Crew, Godfather, verur­sachte im Suff einen Verkehrsunfall, bei dem unter anderem Scarface Twin sein Leben lassen musste. Der von Prodigy geborgte Wagen hatte sich beim Ausscheren mehrfach überschlagen, neben dem Twin starben ein weiterer Homie aus QB, Twin Gambino und Money No überlebten nur durch ein Wunder. Derweil landete ein weiterer Freund der Posse, Yamit, nach einer Straßenschlägerei mit lokalen Dealern der Catskills-Bande im Koma, sein Schädel rücklings zertrümmert von einem Baseballschläger. Und wenige Tage später nahm sich zu allem Überfluss auch noch Killer Black das Leben. Zeitgenossen hatten ihn stets als einen der Ruhepole im zügellosen Dunstkreis des Infamous Mobb beschrieben: ein Krimineller, doch einer mit Rat und Verstand. Seit einer Schießerei aber, die ihm drei Kugeln beschert hatte, darunter eine in den Hinterkopf, war er jedoch jähzornig und aufbrausend gewesen, high von Angel Dust wurde er geplagt von nächtlichen Erscheinungen. Er beendete seine persönliche Hölle auf Erden mit einem Schuss aus der Neunmillimeter. Zwischen all dem erfuhr Prodigy, dass sein über alles geliebter Vater an AIDS gestorben war, weil er sich offenbar Spritzen mit anderen Junkies geteilt hatte. All das passierte innerhalb weniger Wochen, ja Tage.

Unter dieser Häufung von tragischen Vorfällen, gepaart mit der gefühlten Mitschuld an den Toden von 2Pac und Notorious B.I.G. (Mobb Deep hatten den angeblich von den Medien erfundenen Eastcoast-Westcoast-Beef mit kleinen Provokationen und großspurigen Disstracks wie »Drop A Gem On ’Em« oder »L.A., L.A.« stets kräftig befeuert), zerbrachen Prodigy und Havoc. Immer schon hatten sie die Nähe zum Betäubungsmittel gesucht, doch nun wurde aus großzügigem Genussverhalten pure, zerstörerische Sucht. Prodigy klammerte sich an Weed, Kokain und das Schmerzmittel Percocet, zu dem er wegen seiner Sichelzellanämie quasi uneingeschränkt Zugang hatte. Havoc soff. Zwei Jahre traten sie nicht auf, zeigten sich kaum in der Öffentlichkeit. Sie machten durchaus noch Musik, lebten ihr gewohntes Leben, waren Mobb Deep. Aber von der Öffentlichkeit unbemerkt, begannen Prodigy und Havoc in dieser Zeit erstmals, sich auseinander zu entwickeln. Havoc genoss die Ruhe und die Abgeschiedenheit, die ihm das Studio bot. Er baute Beats, für Method Man, Biggie, Nas, LL Cool J, Foxy Brown und The LOX. Nach verrichteter Arbeit chillte er mit seinen alten Freunden aus Queensbridge im gemeinsamen Studio-Wohnungs-Komplex, den sich Mobb Deep von dem Vorschuss für ihr drittes Album bei Loud Records geleistet hatten. Er begann, den Trott als Berufsmusiker zu genießen. Prodigy hasste die Trägheit seines Partners: Je länger der den Abwasch nicht machte, desto mehr Zettel klemmte er an den Kühlschrank. Je mehr sich Havoc mit dem zufrieden gab, was er hatte, desto mehr wollte er. In dieser Zeit begann er eine Verwandlung, die ihn seinem späteren Boss und Idol 50 Cent nicht unähnlich machte. Er traf vielleicht nicht ganz so schlaue Entscheidungen. Aber er schaffte es, parallel an »Murda Muzik« und seinem ersten Soloalbum »H.N.I.C.« sowie diversen Nebenprojekten zu arbeiten.

Quiet Storm

Es ist paradox: Just in jener Zeit, da die Stammtische an Mobb Deep zu zweifeln begannen, war die Band technisch auf der Höhe ihrer Kunst. Prodigys Pengame war präziser und produktiver als je zuvor, sein Fokus der eines Scharfschützen. Und Havoc hatte sein natürliches Talent über die Jahre mit wohl dosierter Routine gepaart – einen Q-Tip an seiner Seite brauchte er schon lange nicht mehr. Das Resultat dieser Phase, »Murda Muzik«, verhält sich zu »The Infamous« und »Hell On Earth« wie »Wu-Tang Forever« zu »36 Chambers« und »Cuban Linx«: Die wilde Aufbruchstimmung war vorbei, aber objektiv gesehen konnten Mobb Deep locker mit den Großtaten ihrer frühklassischen Phase mithalten. So fuhr das Album unter anderem die Banger »Adrenaline«, »Streets Raised« und »It’s Mine« auf. Zusätzlich wurde Prodigys Solostück »Quiet Storm« im Remix mit Strophen von Havoc und Lil Kim zum Superhit für die Ewigkeit aufgeblasen: Als Mobb Deep den Song kürzlich bei ihrem Comeback-Konzert im Best Buy Theater zum Besten gaben und dabei auch noch die Queen Bee auf die Bühne holten, stand New York Kopf wie zu goldenen Tunnel-Zeiten. Wenig später warf »H.N.I.C.« mit »Keep It Thoro« einen weiteren unfickbaren QB-Klassiker und immerhin Gold für seinen Schöpfer ab. »Murda Muzik« ging sogar Platin.

Leider bildete Prodigy in jener Zeit auch eine unangenehme Eigenschaft aus, die ihm in Ansätzen immer schon zu eigen gewesen war: den Hang zu grotesken Verschwörungstheorien und anderem gemeingefährlichen Achtelwissen. Ohne jede mitteleuropäisch-bildungsbürgerliche Arroganz: Was sich Prodigy Ende der Neunziger aus den Lehren des nuwaubischen Para-Wissenschaftlers Dwight York, der Five-Percenter und anderer, noch weit abstruserer Quellen zusammenklaubte und anschließend kaum reflektiert wiederkäute, ist schlicht abenteuerlich. Hanebüchener, paranoider, latent rassistischer Unfug – ein durchschnittlicher Forumseintrag über die strategische Unterwanderung der HipHop-Szene durch die Illuminaten ist ein feuchter Dreck dagegen. Man könnte ein ganzes Buch darüber schreiben; Prodigy übrigens gedenkt, genau dies zu tun. Lesen will man das eher nicht. Zumindest in der Musik nahmen die verwegenen Geheimgesellschaftsfantasien zwischen den bildhaften Dopedealer-Narrativen und blanken Aufschneidereien zum Glück nie überhand.

Real Gangstaz

Ja, Mobb Deep erweiterten ihren Themenkanon sogar. Auf der ersten Single zu ihrem 2001er-Album »Infamy« etwa, »Hey Luv« mit 112, flüsterte Prodigy der Gespielin eines Widersachers Ungebührlichkeiten ins Ohr und versprach dabei umfangreiche Hofierungen – als schlitzohrige Verführer waren die Haudegen von der Zwölften bislang eher nicht aufgefallen. Der Zug wurde selbstredend umgehend als verräterische Abkehr von den guten, alten Werten abgetan. Es gibt da eben so Reflexe. Wer genau hinhörte, erkannte jedoch schnell, dass Prodigy lediglich das tat, was er seit seinem 13. Lebensjahr eigentlich immer schon getan hatte: frech irgendwelche Weiber anlabern und sehr große, sehr schwere Ketten spazieren tragen. Auch das ähnlich heftig gescholtene »Amerikaz Nightmare« von 2004 ist alles andere als ein schlechtes Album. Dem missglückten Versuch jedenfalls, sich mit einer Produktion von Lil Jon dem damals noch leicht glimmernden Crunk-Hype anzubiedern (»Real Gangstaz«), konnte man immer noch entgegenhalten, dass Mobb Deep bereits auf »Murda Muzik« und »H.N.I.C.« mit Rappern aus den Südstaaten gearbeitet hatten, was im Big Apple damals durchaus noch nicht zum guten Ton gehörte. Oder einfach die perversen Banger von Alchemist (»Got It Twisted«), Red Spyda (»Real Niggaz«) und Kanye West (»Throw Your Hands In The Air«) pumpen. Beatshopping geht eben auch in gut. Die Behauptung, Jay-Z hätte die Karriere von Mobb Deep mit seiner Demütigung auf der Summer Jam-Bühne ein für alle Mal ­zerstört, erwies sich ohnehin als haltlos. Keine Frage, Jay hatte gewonnen. Und im Vergleich zu Prodigy hatte selbst Nas noch ein bisschen ­gewonnen. Das nagte an seinem Ego, aber wer von einem Mixtape ohne jede Promotion binnen kürzester Zeit 400.000 Exemplare verkaufen kann wie Mobb Deep mit »Free Agents« im Jahr 2004, um den kann es so schlecht nicht bestellt sein. Und so kam es, dass neben den üblichen Verdächtigen aus dem irrlichternden Major-Betrieb auch ein alter Bekannter aus Queens aufmerksam wurde.

»Fucking with 50 makes sense«, rappte ­Havoc 2005 auf dem Remix zu »Outta Control«. Oder »makes cents«. So genau hat man das bis heute nicht klären können. Letzteres ­jedenfalls stimmte wohl. Neben einem Vorschuss in hoher ­sechsstelliger Höhe, Hauptrollen in allen ­wichtigen Geschäftsunternehmungen der G Unit, einem mehr als fairen 70:30-Split und gepflegtem All-Inclusive-Entertainment auf der großen »Anger Management«-Tour mit Eminem rund um den Globus, bekamen Mobb Deep zur Vertragsunterzeichnung von ihrem neuen Boss 50 Cent auch zwei fabrikneue Porsches GT3 überreicht – als Zeichen seines Vertrauens. Mobb Deep dankten es ihm mit hemmungsloser, durchaus ­überraschender Hingabe. Sie ließen sich das G Unit-Logo ­tätowieren und streiften sich T-Shirts mit der Aufschrift »Game Over« über. Die waren nicht nur durch die berüchtigte Design-Schule des G Unit-Generals gegangen (also ziemlich hässlich), sondern auch gegen The Game gerichtet, den man also jetzt also aus Sippenhass auch doof fand. Es muss ein wirklich guter Deal gewesen sein.

»Havoc and I are a rare breed«

Das mit dem »sense« dagegen gilt bis heute als nicht belegt. Zwar war das Album, das Mobb Deep dem damals schon strauchelnden Interscope-Imperium ablieferten, weiß Gott nicht so schlimm wie von vielen Kritikern in wildem Furor behauptet. Im Gegenteil: Es war sogar ziemlich gut, das beste vermutlich seit »Murda Muzik«. Aber so recht glaubhaft konnten es Hav und P für ihre neuen Freunde nie unten halten. Wenn man etwa im »Outta Control (Remix)«-Video sah, wie unbeholfen Havoc neben der unbekannten Schönheit mit einer Likörflasche hantiert, war man fast versucht, einen anerkannten Körperklaus wie 50 Cent für einen begnadeten Tänzer zu halten… Mobb Deep gehörten hier ganz eindeutig nicht hin; die Listenfetischisten von »Complex« führten den Deal unter den zehn größten Irrtümern in der Geschichte der HipHop-Industrie. Gut also, dass Prodigy und Alchemist schon wenig später das grandiose Blaxpoitation-Mixtape »Return Of The Mac« nachlegten und mit dem dazugehörigen YouTube-Klassiker »Mac 10 Handle« zum ersten Mal das Internet für den Mobb mobilisierten. Parallel rehabilitierte sich Havoc mit seinem Solo­album »The Kush« sogar noch als versierter MC, nachdem er in dieser Kategorie zwischenzeitlich doch arg hinter seinen Bandkollegen zurückgefallen war. Der übrigens präsentiert sich nach seiner dreijährigen Inhaftierung derzeit in bester körperlicher Verfassung und in allen Interviews äußerst aufgeräumt. Auf dem ersten Song nach seiner Entlassung rappte er über Fan-Liebe. Die Hölle auf Erden jedenfalls scheint erst mal ohne Mobb Deep auskommen zu müssen.

»Havoc and I are a rare breed«, schreibt Prodigy in »My Infamous Life«. »Our position as the most infamous is permanent, and Mobb Deep will always be hot no matter what. All we have to do is do what we do.« Glaubt man Berichten, so tun sie das gerade rund um die Uhr und mit der Aussicht auf ein Mobb Deep-Album noch in diesem Jahr. Es ist, als wären sie nie weg gewesen. Waren sie ja auch nicht. Und werden sie niemals sein.

Text: Davide Bortot

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