Eminem – Recovery // Review

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Eminem_Recovery_Cover

 

(Shady/Aftermath/Universal)

Wertung: Fünf Kronen

Wenn ich irgendwen für den Sommer 2010 nicht auf dem Zettel hatte, dann Eminem. Dass er seine Tablettensucht überwunden und sein Leben ganz offensichtlich auch sonst recht passabel in den Griff bekommen hatte, nahm ich als generell mitfühlender Mensch erfreut zur Kenntnis. Als Rapfan aber interessierte mich das alles nicht die Bohne. Das Comeback-Album “Relapse”? Nicht verkehrt, aber irgendwie auch komplett egal. Die Ankündigung, noch ganz andere Kaliber auf Halde zu haben? Sagen sie alle. Der Verse auf Drakes Vierkönigstreffen “Forever”? Motiviert, aber altbacken, deplatziert, ja fast ein bisschen peinlich zwischen den ganzen coolen Hunden, die mit ihren jeweiligen Entwürfen (Kanye, Weezy) und deren perfekter Synthese (Drizzy) Marshalls ewig aufgekratztes Zigfachreimkrakele ein für alle mal in die Altstylersammlung geschickt zu haben schienen. Schienen.

 

Denn nun ist quasi aus dem Nichts das beste Eminem-Album überhaupt erschienen: eine weitere abenteuerliche Pointe in der ohnehin kaum fassbaren Vita des Marshall Mathers. Entgegen seiner Gewohnheit hat er für “Recovery” Produzenten von außerhalb gepickt, Just Blaze, Jim Jonsin, Supa Dups von Black Chiney, Emile, Mr. Porter und die beiden prägenden Beatschmiede der letzten zwölf Monate, DJ Khalil und Boi-1da, die gemeinsam sechs der 17 Stücke des Albums verantworten. Technisch hat er noch mal eine Schippe draufgelegt gegenüber seiner ersten Hochphase, so unglaublich sich das auch anhören mag für jeden, den die “Slim Shady EP” einst ohne Vorwarnung vom sprichwörtlichen Stuhl beförderte. Und sogar die Balance zwischen Breitseite und Breitenwirksamkeit ist minutiös austariert, mit Features von Rihanna und Pink auf der einen und Tracks auf der anderen Seite, in denen schlicht eine “bullshit hook” zwischen zwei “long-ass verses” (“On Fire”) geklatscht wurde, wie sich das gehört für anständige Rapmusik.

 

Noch viel wichtiger aber ist: Eminem hat endlich wieder einen Grund, Eminem zu sein. Er ist nicht mehr nur der pummelige, überarbeitete Berufspunk. Er ist ein Mann, der durch brodelnde Lava kriechen musste, um heute wieder aufrecht gehen zu können. Er hat den Mord an seinem besten Freund ebenso weggesteckt wie seine Drogenprobleme, und im Gegenzug seine Daseinsberechtigung als MC wiederbekommen – denn wenn die Vorstellung von Rap als Ventil jemals zu brauchbaren Ergebnissen jenseits der Selbsttherapie führte, dann bei ihm. Auf “You’re Never Over” rappt er über den Tod Proofs, wie es nur ein echter Freund tun kann. Mit “25 To Life” arbeitet er umfassend seine ewige Hassliebe zu HipHop auf. “Going Through Changes” reflektiert ehrlich und ohne den Anflug von heimlichem Rockstarstolz Ems düsterste Drogenphase. Und auf “Not Afraid” reicht er glaubhaft all jenen die Hand, die heute Ähnliches erleben.

 

Der Soundtrack dazu klingt trotz des ungewohnten Personals, wie man sich das so vorstellt. Ohne Angst vor der großen Geste türmen sich kantige Keyboardkonstrukte auf dramatischen Boller­bässen, kreischen Gitarren zu kompromisslos klatschenden Snares, geben Black Sabbath und R.E.M. ungefragte Gastdarbietungen. Hundertprozentig geschmackssicher ist das naturgemäß nicht. Die Mathers’sche Singsang-Hook etwa gehört auch zehn Jahre nach “The Real Slim Shady” nicht zu meinen Lieblingsstilmitteln, und Just Blaze mehrt mit seiner wenig gewitzten Bearbeitung von Haddaways “What Is Love” weiter seinen zweifelhaften Ruf als unbeständigster Produzent der Königsklasse. Doch um Geschmack ging es noch nie bei Eminem, und wer möchte schon ernsthaft über Details streiten angesichts dieser Zeilen, die so kraftvoll sind, unbedingt ehrlich, unprätentiös und ganz und gar erstaunlich. Besonders dann, wenn er den Ballast der Vergangenheit ablegt und einfach nur drauflos donnert wie einst als hungriger Halbstarker im Hip Hop Shop, dann ist Eminem endlich wieder ganz bei sich – und damit schlicht großartig. ­Warum ein fast 40-jähriger Multimillionär ­fluchen, Frauen schräg anquatschen und minutenlang imaginäre Feinde kleinfalten sollte? Weil er es kann, vielleicht besser als jeder andere, ganz sicher aber besser als alles andere auf dieser Welt. Weil es ihm immer schon die Welt bedeutet hat. Und weil da draußen immer noch Millionen von Menschen sind, die genau das hören wollen – meine Wenigkeit eingeschlossen. Willkommen zu Hause.

 

Text: Davide Bortot

 

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