Kendrick Lamar in Berlin: Königliche Audienz // Live

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Königlicher Besuch in der Hauptstadt: Am Montagabend beendete Kendrick Lamar seine »DAMN.«-Europatour vor 17.000 Fans in der ausverkauften Mercedes Benz Arena. Wir lassen den Abend in der Gegenwart des derzeit besten Rappers der Welt Revue passieren.

Die Vorgruppe

Als die Tausendfüßler-Synthies von »Life Round Here« durchs Rund kriechen, ist James Blake die Aufmerksamkeit der bereits gut gefüllten Mercedes-Benz Arena augenblicklich sicher. Kurz muss ich zurückdenken an mein letztes Kendrick-Konzert: Maimarkthalle zu Mannheim, im Rahmen der »Good Kid, m.A.A.d City«-Tour im Februar 2013 – eine klirrend kalte Wellblechhütte, die die Besucher mühsam mit Körperwärme aufheizen müssen. Und mit Vega ein Support-Act, dessen harte Betonlyrik beim vom Frost gebeutelten Publikum auf so wenig Zustimmung stößt, dass der Frankfurter nach knapp zwanzig Minuten nachvollziehbar gefrustet und ohne Verabschiedung von der Bühne stürmt. Heute ist alles anders: Die Entscheidung, den introvertierten Londoner Sound-Virtuosen eröffnen zu lassen, scheint zunächst ein Wagnis – und geht doch voll auf, weil Blakes Diskografie in keinerlei Konkurrenz zu Kendricks Hits steht. Mal säuselt er zerbrechlich ins Mikro, dann lässt der Frickler mit brachialen Bass-Ungeheuern wie dem Untold-Remix »Stop What You’re Doing« das Fundament der Multifunktionsarena erschaudern. Nach gut 45 Minuten bedankt er sich, höflich und humble, nicht ohne Hinweis auf das anstehende Spektakel. Der rote Teppich für den König ist ausgerollt. (jp)

Die Set-List

Fünf Jahre hatte Kendrick Berlin warten lassen – eine halbe Ewigkeit also, bezogen auf die gewöhnliche Halbwertszeit einer Rap-Karriere. Doch gewöhnlich verlief in seiner Karriere über die letzten Jahre so gut wie nichts. Seit dem Meilenstein »GKMC« erschienen mit »TPAB« und »DAMN.« gleich zwei Alben, die dem monumentalen Vorgänger in nichts nachstehen und gleichzeitig Kendricks Künstlerpersona weiter ausdefinierten. Die »Black Lives Matter«-Hymne »Alright«, der Empowerment-Tune »King Kunta«, höchste MC-Kunst wie »Untitled 07 | Levitate« oder Clubbanger wie »Goosebumps« oder »New Freezer« – die nicht von »DAMN.« stammenden Songs, die Kendrick an diesem Montagabend performt, verdeutlichen nicht nur die absurde Tiefe seines Katalogs, sondern auch K.Dots Wandelbarkeit als Rapper. Lamars Wortgewalt manifestiert sich dann aber ausgerechnet, als er nichts sagt: »I’m so fuckin‘ sick and tired of the Photoshop«, bellen 17.000 Almans den zweiten »HUMBLE.«-Verse durch die Arena, als wären sie dafür geboren. (jp)

Wer besucht 2018 ein Konzert von Kendrick Lamar?

Beim Blick durch die riesige Halle wird jedem klar, der Kendricks Werdegang etwas länger verfolgt, wie sich die Dimensionen innerhalb weniger Jahre verschoben haben. Während K.Dot beim ersten Deutschland-Besuch als Noch-Newcomer knapp 400 Early Adopter vor die Bühne lockte, sieht die Sache 2018 komplett anders aus: Mercedes-Benz Arena Berlin, knapp 17.000 Menschen, Stadionatmosphäre. Kendrick hatte sich mit seinen ersten beiden Alben zum Rap-Retter und G.O.A.T.-Anwärter gemausert – bis dato allerdings nur im Rap-Kosmos. Spätestens aber mit »To Pimp A Butterfly« schob er sich in die Feuilleton-Spalten und auf die große Leinwand. »TPAB« war, mehr noch als seine Vorgänger, vollgepackt, fast überladen mit wichtigen gesellschaftspolitischen Themen, die Kendrick in ergreifende, persönliche Geschichten verpackte. Vom Feuilleton wurde das Album flächendeckend beklatscht und plötzlich war der Name Kendrick Lamar auch in Non-Rap-Kreisen geläufig. Und hier stellt sich die Frage: Wer besucht 2018 ein Konzert von Kendrick Lamar?

All hail Kung Fu Kenny: 17.000 Berliner im Bann von King Kendrick.

Lässt man seinen Blick an diesem Abend durch die Sitzreihen des Ober- und Unterrangs schweifen, wird klar: Kendrick Lamar ist Popstar. Man sieht junge Stans in Merch-Vollmontur, Normalo-Musikkonsumenten und Radiohörer, Mittvierziger und Teenager, Eltern mit ihren Kindern und extrem viele Pärchen. Kendrick-Konzerte sind Familien-Events geworden, große popkulturelle Ereignisse. Und doch besteht der Großteil der Crowd, vor allem in den unteren Stehplätzen, aus jungen Rap-Fans, die regelmäßig in ekstatischen Jubel verfallen. Weit weniger enthusiastisch und doch schwer beeindruckt lässt die ältere Garde die Show auf sich wirken. Eins haben sie jedoch alle gemeinsam: Sobald Kendrick auf die Bühne kommt, werden in der ganzen Halle die Smartphones gezückt. Jeder will diesen Konzert-Moment archivieren, denn: Kendrick Lamar ist larger than life. (ja)

Bird’s Eye View

Wo wir gerade von Popstars reden: Ich erinnere mich, wie mein Vater mir einmal von einem Michael-Jackson-Konzert erzählt hat. Es war die »Dangerous«-Welttournee 1992 und Jacko hatte gerade mit dem gleichnamigen Album seinen Status als King of Pop zementiert. Es sei schlichtweg unfassbar gewesen. Ein Künstler mit ähnlicher Bedeutung für meine Generation? Unvorstellbar – bis gestern Abend. Denn als 17.000 Menschen hypnotisiert zuschauen wie Kendrick zu »LUST.« auf einer Bühne inmitten des Publikums gen Himmel fährt, wird mir die kollektive Bedeutung Kung-Fu Kennys versinnbildlicht. Für diese Menschen ist der Mann aus Compton ein Messias. Seine Bars sind ihre Psalme und seine Beats ihre Kirchenmusik. Er ist Projektionsfläche für die Sehnsucht nach Spiritualität in einer säkularisierten, rationalisierten Welt. Genau diese wird auch in »DAMN.« thematisiert. Zum Glück hat uns dieser Priester so viel zu sagen! Dieser Idealisierung sollte man sich jedoch bewusst sein, um sich auch kritisch mit seinen Botschaften auseinandersetzen zu können. K.Dot trägt nämlich nicht nur die Krone des King of Rap, die mittlerweile gleichbedeutend mit der des King of Pop ist. Er trägt auch einen Heiligenschein. (daz)

Das Ende der Realness

Kendrick Lamars Berlin-Auftritt hatte nichts mehr mit HipHop zu tun. Denn der Abschluss seiner »DAMN.«-Europatour überragte die deutsche Hauptstadt nicht durch seine ohnehin lupenreine Rap-Technikabfahrten und routinierte Flowpatterns. Auch nicht durch verzweifeltes Crowdpleasing oder alberne Call-And-Response-Spielchen, wie es sich your average splash!-Nachmittagsrapper zurechtkonzipiert und erst recht nicht durch ermüdende Juggle-Rewind-Spielchen seines unbestrittenen Hit-Katalogs. Sein Auftritt gestern Abend legte final dar: Kendrick Lamar ist längst »bigger than HipHop«. Im präsidialen Gestus eines Popstars für alle Geschlechter und Generationen führte er die Mercedes-Benz Arena mit schamanengleicher Bedachtsamkeit und der ruhigen Hand eines Königs durch den Abend, wohlwissend, dass jede seiner Bewegungen on stage quasi direkt ins ewige Pop-Gedächtnis seines Publikums übertragen würde. Hier ging es nicht um Realness, ja nicht einmal um die buchstäbliche Realität: er wollte nicht auftreten, er wollte erscheinen. Bis zur Zugabe hatte er nicht einmal richtig mit seinem Publikum gesprochen, sondern um seine unnahbare, kraftvolle, erhabene Bühnenpräsenz ein Konzerterlebnis inszeniert, dessen Trance-artige Wirkung stets etwas Meditatives, etwas Intimes und Unwirkliches anhaftete. Ein Konzert oder ein Theaterstück? Eine Performance oder ein Kerygma? Eine Rap-Show oder eine Astralwanderung? Es war alles zugleich, es war: King Kendrick Lamar, seine Eminenz. (fb)

Text: Juri Andresen, Fionn Birr, Jakob Paur, Daniel Zimmermann

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