Kalim im Interview: »Von der ganz neuen Welle an Künstlern catcht mich keiner« // Feature

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Fast fünf Jahre ist es her, dass Kalim mit seinem Mixtape »Sechs Kronen« einen nachdrücklichen Erdrutsch in Deutschlands Straßenrap-Distrikt auslöste. Nun ist er nicht mehr bei Alles Oder Nix, sondern beim Major Universal/Urban und kommt mit seinem neuen ­Album direkt von »Null auf Hundert«.

Schon damals, zu Zeiten seines ersten Mixtapes, fiel auf, dass sich der Straßenjunge aus Hamburg-Billstedt – zu dieser Zeit noch unter den breiten Fittichen des Bonner Unterwelt-Präsidenten Xatar unter Vertrag – vielmehr durch seinen grimmigen Erzählstil und seinen souveränen Flow als durch die Preisgabe sensibler Informationen über sein Privatleben oder kalkulierte Skandale ins Gespräch bringen wollte. Kalim hat sich in keiner Phase seiner Karriere als Person inszeniert – und das, obwohl er vermutlich weit mehr zu erzählen hätte als neunzig Prozent seiner Artgenossen. Ziemlich sicher sogar, führt der Sohn afghanischer Eltern doch bis heute ein Leben inmitten der Extreme: Kaum verlässt er den protzigen Gebäudekomplex, in dem sein neues Label Universal Urban beheimatet ist, zwingen ihn die ihm auferlegten Meldeauflagen zum nächstgelegenen Polizeirevier. Nicht nur deshalb ist sein Lebenslauf gleichzeitig der faktische Beweis dafür, dass der harte und oftmals zu Unrecht romantisierte Gang vom Straßenköter zum Superstar weder geradlinig noch sorgenfrei vonstatten geht. Kalim geht ihn trotzdem.

Obwohl dein letztes Album »Thronfolger« inzwischen gute eineinhalb Jahre zurückliegt, war es nie wirklich still um deine Person. Quasi parallel zum Weggang von Alles Oder Nix hast du im August 2018 mit einer turbulenten Festnahme für Schlagzeilen gesorgt. Was war da los?
Ich war mit dem Auto in meiner Gegend unterwegs. Als ich angehalten habe, hat eine Polizeieinheit mit zehn maskierten Beamten das Fahrzeug gestürmt. Die hatten mich über einen längeren Zeitraum observiert und haben mir ein paar Sachen vorgeworfen, auf die ich hier nicht näher eingehen will. Jedenfalls haben die eine scharfe Waffe mit vollem Magazin und sehr viel Bargeld in meinem Handschuhfach gefunden und haben mich logischerweise direkt festgenommen. Ich saß für eine Nacht in der Zelle, wurde dann dem Haftrichter vorgeführt und anschließend wieder rausgelassen. Eigentlich war ich mir ziemlich sicher, dass ich jetzt erstmal eine Weile weg bin – und das wäre echt scheiße gewesen! Wir hatten kurz vorher erst den Deal mit Universal gemacht und kamen gerade vom Videodreh zu »Offenes Verdeck« aus Spanien zurück.

Die Geschichte klingt auch deshalb so surreal, weil der »Plan B«, von dem du in der Vergangenheit immer wieder gesprochen hast, zu dieser Zeit eigentlich schon zum Greifen nah wirkte. Dein neues Album »Null auf Hundert« vermittelt nun aber endgültig den Eindruck, dass das Modell »Musik als Alternative zum Straßenleben« bei dir inzwischen aufzugehen scheint: In den Texten geht es auffällig oft um Wertgegenstände, den Rockstar-Lifestyle und den Vorsatz, nie wieder broke zu sein. Bist du angekommen?
Angekommen bin ich noch nicht, aber auf jeden Fall gesettelter und sicherer als vor zwei, drei Jahren. Mit »Odyssee« begann für mich damals die Phase, in der ich wirklich zu einhundert Prozent hinter meiner Musik stehen konnte, weil ich wusste, dass ich endlich die richtige Nische gefunden hatte. Aber die Leute hatten nach dem »Sechs Kronen«-Tape einen anderen Sound erwartet. Die Fans, die von Beginn an dabei sind, waren teilweise irritiert, dass das plötzlich alles so nach Trap und weniger nach 2Pac klang. Als jetzt die neuen Singles gedroppt sind, hatte ich endlich das Gefühl, dass die Leute mich verstanden haben. Die neue Label-Situation erleichtert mir einiges, mein Verfahren ist so gut wie überstanden und ich bin in ein besseres Viertel von Hamburg gezogen. Ich denke, ich bin zumindest auf dem richtigen Weg.

Du berichtest also schon aus der Retrospektive, wenn du wie im aktuellen Track mit Luciano erzählst, dass du Gramme in Kilos verwandelst?
Ja. Das sind Dinge, mit denen ich seit Jahren nichts mehr zu tun habe. Trotzdem werden sie mich mein Leben lang begleiten – allein deshalb, weil sie täglich in meiner Gegend passieren. Meine Musik ist kredibil, auch wenn ich nach diesem Interview nicht auf die Straße gehe und Drogen verkaufe. Nur weil etwas nicht gestern passiert ist, ist es ja nicht gleich unecht. Ich bin 26 Jahre alt, habe viel gesehen und viel gemacht – so viel, dass das ohne Weiteres noch für zehn Alben reichen würde.

»Straßenrap, Dreck und Perspektivlosigkeit hängen eng miteinander zusammen«

Du wirst immer mal wieder als Paradebeispiel für den Straßenjungen angeführt, dem Rap aus der Kacke verholfen hat. Erkennst du dich in dieser Rolle wieder?
Irgendwie sehe ich mich schon so, na klar. Natürlich klingt das irgendwie ausgelutscht und ist an Klischees gekoppelt, aber es entspricht einfach der Wahrheit: Straßenrap, Dreck und Perspektivlosigkeit hängen eng miteinander zusammen. Natürlich gibt es eine Million Rapper in Deutschland, die aus reichen Elternhäusern kommen und versuchen, mit diesem Underdog-Image Patte zu machen. Aber ich kenne auch echt viele Leute, die es tatsächlich durch Musik geschafft haben, aus wirklich beschissenen Verhältnissen auszubrechen. Ich war vierzehn Jahre alt, als ich das erste Mal Drogen verkauft habe, und ich würde immer noch Drogen verkaufen, wenn es Rap nicht gäbe.

Das klingt fast so, als hättest du damals mit der Musik angefangen, weil du die Möglichkeit gesehen hast, damit Geld zu verdienen.
Nein, so war’s überhaupt nicht. Wer wegen Geld anfängt zu rappen, kann in der Musik ja von Vornherein gar nicht er selbst sein. Für mich war es schon sehr früh ziemlich selbstverständlich, dass man rappt. Das war wie Fußballspielen, dazu entscheidest du dich ja auch nicht: Du hängst halt am Bolzplatz rum und bekommst irgendwann einfach einen Ball zugespielt. Ich komme aus einer sehr musikalischen Familie, habe Verwandte in den Staaten und kam allein dadurch total früh mit HipHop in Berührung. Farhot ist mein Cousin und hat immer in Hamburg gewohnt. Dem habe ich schon über die Schulter geguckt, als ich gerade mal zehn Jahre alt war.

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