Juri Sternburg über Capital Bra, EGJ, Clans und die Medien: Die Unaussprechlichen // Kolumne

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Foto: William Minke

Leute, es ist mal wieder Clan-Zeit. Und wir reden hier weder von irgendeiner »World Of Warcraft«-Gilde, noch von einem Grossverband entfernt verwandter Schotten. Es geht um… ihr wisst schon wen. Die Unaussprechlichen.

Nachdem man sich in den letzten Jahren deutschlandweit daran gewöhnt hatte, dass gefühlt jeder dahergelaufene Mero, Sero oder Fero mindestens eine syrische Rebellenarmee im Rücken haben muss, um seine auf Hektik zusammengeschusterte Karibik-Single auf den Markt zu werfen, ist die Aufregung um die kriminellen Strukturen im Rap aktuell wieder groß. Plötzlich weiß sogar meine auf dem Land lebende Großmutter um die Machenschaften von Capital Bra. Bild & Co. machen’s möglich.

Und auch die Leser der FAZ dürften kürzlich zum ersten Mal vom Bratan gehört haben. Keine große Zeitung, die ihren Lesern nicht die News rund um das angeblich auseinanderbrechende EGJ-Konstrukt auf dem Silbertablett präsentierte. Dabei ist es offenbar vollkommen unerheblich, ob der Durchschnittsleser der FAZ (ein vermutlich 53-jähriger leitender Angestellter im Bürobedarfsvertrieb, der in seiner Freizeit gerne mal einen australischen Rotwein öffnet und beim Square Dance ’ne flotte Sohle aufs Parkett legt) überhaupt schon mal von einem dieser Rapper gehört hat. Hat er natürlich nicht, aber »kriminelle Araber-Clans«, das versteht er. Also liest man vom Spiegel bis zur Süddeutschen Zeitung plötzlich von Samra, Joker Bra und EGJ.

Für die Musik von HipHop-Künstlern interessiert sich die vierte Macht schon immer einen feuchten Kehricht

Und auch manch Rapper ist sich nicht zu schade, Zeitungen wie der FAZ zur Causa EGJ ein Interview zu geben – obwohl besagte Zeitung seit ihrem Bestehen nur ein einziges Mal über den Interviewpartner berichtet hat, und zwar als dieser im Internet einen Journalisten bedrohte, der den Rapper zuvor versucht hatte lächerlich zu machen. Für die Musik von HipHop-Künstlern interessiert sich die vierte Macht nämlich schon immer einen feuchten Kehricht. Ab und zu erscheint mal ein bemüht intellektueller Artikel über Haftbefehl, in dem sich eine junge Schriftstellerin ihre Bewunderung für die Jungs aus der Gosse vom Herz schreiben darf – das war es dann auch. Die skandalösen Begleiterscheinungen nehmen die betont seriösen Medienhäuser jedoch gerne mit. Sich vor diesen Karren spannen zu lassen und als Interviewpartner herzuhalten, ist – gelinde gesagt – schwach.

Aber schwach ist auch die generelle Einstellung der rap­affinen Journaille zu diesen Strukturen. Denn während sich die szenefremden Journalisten des Landes mal wieder für ein paar Minuten mit Straßenrap befassen und die heuchlerischen Doppelmoralisten von der Bild quasi einen eigenen Abou-Chaker-Podcast ins Leben rufen, ducken sich Szenejournalisten weg – entweder aus Angst, als Nestbeschmutzer zu gelten, oder weil man es sich so mit achtzig Prozent der sogenannten Straßenrapper verscherzen würde. Die angeblichen »Ikonen« des Rapjournalismus, ob der kleine Gnubblige mit der komischen Frisur, der alte Dicke mit der Glatze oder der hagere Große mit der Wollmütze, schneiden das Thema höchstens mal am Rande an oder bieten den Hintermännern sogar noch eine Bühne zur Selbstdarstellung.

Während sich die szenefremden Journalisten des Landes mal wieder für ein paar Minuten mit Straßenrap befassen und die heuchlerischen Doppelmoralisten von der Bild quasi einen eigenen Abou-Chaker-Podcast ins Leben rufen, ducken sich Szenejournalisten weg

Ansonsten bleiben die entscheidenden Strippenzieher im Straßenrap die, »deren Namen nicht genannt werden dürfen« (Harry-Potter-Voice), und niemand scheint ein ernsthaftes Interesse daran zu haben, dass sich das ändert. Dabei sind es eigentlich genau jene Journalisten, die ein Recht hätten, darauf aufmerksam zu machen, was dort alles schiefläuft. Immerhin supporten sie die Künstler auch an den 365 Tagen im Jahr, wenn gerade niemand verhaftet, angeschossen oder bedroht wird. Allerdings befeuern und unterstützen sie eben auch ein System, in dem Männer das Sagen haben, die so weit weg von dem Begriff »Ehrenmann« sind wie Torch von einem Comeback; ein System, in dem Rapper Schutzgeld zahlen, um sich vor anderen Rappern, die ebenfalls Schutzgeld zahlen, zu schützen; ein System, das nur funktioniert, weil alle mitmachen – und das an Idiotie kaum zu überbieten ist.

In dem Gruselklassiker »The Village« sind es die »Unaussprechlichen«, die die Dorfgemeinschaft unterdrücken. Eine Bande von vermeintlichen Ungeheuern, die sich an den Dorfgrenzen postieren, um die Einwohner davon abzuhalten, es zu verlassen. Denn außerhalb ihrer kleinen Filterblase würden die im Mittelalter lebenden Dorfbewohner auf eine freie und moderne Welt treffen, mit all ihren Vorzügen und Gefahren. Die Monster stellen sich letztendlich als gewöhnliche Menschen mit Masken heraus. Aber genug Metaphern für heute. Nur noch eine verrückte Idee am Rande: Wenn niemand irgendwen bezahlt, dann braucht auch niemand Schutz vor anderen Leuten, die wiederum irgendwer bezahlt. Könnte man doch mal drüber nachdenken.

Diese Kolumne erschien erstmals in JUICE 191. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Onlineshop bestellen.

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