»Ich will nicht unbedingt ‚trans*‘ sein, ich will ein Dude sein, that’s it« // Mavi Phoenix im Interview

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Ist Musik Flucht- oder Rückzugsort für dich?

Beides! In erster Linie ist es ein Rückzugsort, wo ich einfach komplett ich selbst sein kann. Das Schöne ist auch, ich kann dort Dinge sagen, die ich unter normalen Umständen vermutlich gar nicht äußern würde. Das hat etwas Therapeutisches, gerade auch in Bezug auf Songs wie »12 Inches«, da sage ich Dinge, die ich im Alltag so nicht direkt aussprechen würde. 

»Boys Toys« ist deutlich expressiver als dein bisheriger Output. »Bullet In My Heart« thematisiert deine öffentliche Bekanntgabe, trans*ident zu sein. Wie hat sich deine Selbstwahrnehmung als Künstler*In in Bezug drauf verändert?

Es war sehr crazy, das alles zu posten und publik zu machen. Parallel dazu lief ja auch einiges in meinem Privatleben plötzlich anders. Ich hatte mich Ende 2018 aktiv beschlossen, mein Leben so zu leben, wie ich es jetzt tue. Ein Teil von mir hat immer gewusst, dass ich so bin. Es freut mich, dass du das Album als expressiver wahrnimmst. Ich hatte bei den Aufnahmen auch das Gefühl, mehr bei mir selbst zu sein und mich auch mehr zu trauen, über Sachen zu reden, die mich beschäftigen. Das habe ich vorher auch schon gemacht, ja, aber dieses Mal waren es Dinge, die sehr eng mit meinem Leben verknüpft sind. Ich hatte aber schlussendlich auch gar keine Wahl. Ich wusste, entweder, höre ich auf und mache erstmal keine Musik mehr, weil es so nicht mehr weitergegangen wäre oder ich trete nach vorn. Sogar mein Management hat mich irgendwann angesprochen bei neuen Songs und sagte: »Fast jeder Song handelt von diesem Thema, willst du das nicht an die Öffentlichkeit bringen?« Es war aber recht schnell klar, dass ich das publik mache. Ich bin auch extrovertiert genug, dass ich Bock darauf habe, mein Leben in meiner Musik zu verarbeiten.

Hattest du Bedenken, dass du dir dadurch hinter den Kulissen eventuell Möglichkeiten erschwerst?

Ich hatte ein bisschen Angst, dass ich alles verliere von heute auf morgen durch diesen Entschluss, ja. Dass es ein kompletter Anfang bei Null wird und alles, was vorher war, nicht mehr zählt. Das wollte ich nicht, denn ich habe ja nicht einfach so beschlossen, trans* zu sein. Ich war es ja irgendwie immer, nur habe ich jetzt entschieden, das anzunehmen. Daher hat sich das gar nicht, wie ein Neustart angefühlt. Sicher habe ich jetzt ein paar Follower verloren oder ein paar dumme Kommentare erhalten, aber damit war ja zu rechnen. Es ist ja auch nach wie vor alles sehr frisch, daher kann ich noch gar nicht so viel über meine Erfahrungen damit berichten. Das eigene Geschlecht ist für mich auch ein wichtiges Thema. Sonst hätte ich ja auch sagen können, ich bin eine burschikose Frau, oder eine eher männliche Frau. Aber ich will, dass man mich als Mann wahrnimmt und auch so aussehen. Sonst hätte ich auch dauerhaft das Gefühl, mein Potenzial nicht voll auszuschöpfen, weil ich mich nicht richtig wohlfühle.

»Ich hatte ein bisschen Angst, bei Null anzufangen.«

Wie bist du selbst damit umgegangen vorher?

Das war schon manchmal eine Furcht davor, was in mir steckt. Aber in erster Linie war das ein Schutzmechanismus. Seit meiner Pubertät hatte ich diese Gedanken, so eine Art Vorahnung, dass ich eventuell trans sein könnte. Das war auch manchmal Gedanken wie: »Nein, das kann nicht sein.« Und dann aber: »Fuck, wenn es doch so ist, wer kann mir da helfen?« Ich kannte ja niemanden, der trans war. Ich hatte von dem Thema auch gar keine Ahnung. Ich wusste nur, dass es Menschen gibt, die sich so und so fühlen und eine Umwandlungsoperation machen und eine Tragödie von einem Scheißleben durchmachen. Das ist ja auch für viele nach wie vor die Sicht auf trans*identäre Menschen. Darauf hatte ich überhaupt keinen Bock natürlich. Ein Teil von mir hat auch immer noch nicht mit dem Gedanken abgeschlossen, dieses Tragödien-Life mitmachen zu müssen, auch wenn das gar nicht stimmt. So gesagt: »Ich will nicht trans sein, denn mein Leben wird dann schlimm.« Das muss ja gar nicht meine Realität sein. Als ich aufgehört habe, das trans*ident zu sein zu bekämpfen, habe ich einen anderen Zugang dazu gefunden. Sich mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen hat mir auch eine neue Sicherheit gegeben.

Wofür steht das Pseudonym »Boys Toys« eigentlich? Ich kenne Toyboys.

Ich hatte einen Song namens »Boys Toys«. Das ist aber nicht die Version, die jetzt auf dem Album gelandet ist. Das war ein sehr düsterer Track, den ich selbst produziert und gesungen hatte. Darauf hieß es: »I wanna play with boys toys and I’m 23«. Das war auf die Trans*identät bezogen, denn wer will mit 23 Jahre noch mit Jungsspielsachen spielen? (lacht) Der Song war mir am Ende aber zu dark und entsprach auch musikalisch nicht ganz den Ansprüchen, die ich mir für das Album vorgenommen hatte. Ich fand den Begriff aber cool und habe beim Aufnehmen damit herumgespielt. Außerdem wollte ich immer schon ein Alter Ego haben. Es hat sich gut angefühlt und hat mir auch neue Energie gegeben, als ich beschlossen habe, mich Boys Toys zu nennen. Es hat einen neuen Schwung und neue Perspektive in meine Musik getragen.

Auch visuell macht sich dieser Ansatz bemerkbar. Du sagst auf dem Song: »Holla at me in my newest fit/ Don’t fit in the biz but I stick to it«. Welche Beziehung hast du zu Fashion, warst ein Styler in der Schule?

Ich habe einen engen Bezug zu Fashion. Aber das ist erst später gekommen, auf dem Schulhof hatte ich immer nur Karohemden an eigentlich. Ich war aber schon bekannt dafür, nicht weiblich auszusehen, viel Oversize zum Beispiel. Das sieht man auch an den Sachen, die vor »Boys Toys« von Mavi Phoenix erschienen sind. Dahingehend bin ich schon eher ein Styler gewesen. Es hieß dann auch immer: »Du hast voll deinen eigenen Style.« Dabei war mein Style einfach, nichts weibliches und mädchenhaftes anzuziehen. (lacht) Fashion ist aber wichtig für mich. Ich finde es aber auch unangenehm, wenn Leute sich so übertrieben stylen. Da habe ich das Gefühl, die verstecken etwas. Ich frage mich, ob es dann noch Selbstausdruck oder doch nur eine Verkleidung ist. Ich fühle mich am wohlsten mit Hosen oder Shirts, die auch cool aussehen sollen, aber alles unaufgeregt. Accessoires ist mir zum Beispiel zu viel. 

Inwiefern bist du in deinen eigenen Videoproduktionen beteiligt?

Es kommt darauf an, mit wem ich arbeite. Bei »Boys Toys« habe ich gar nicht so stark Einfluss genommen. Die Regisseurin Elizaveta Porodina ist so eine krasse Künstlerin, der ich wirklich blind vetraut habe und auch einfach ihren Stil mag. Das hat perfekt zu meiner Vorstellung gepasst. Es war auch angenehm, das abzugeben und nicht so stark wie sonst involviert zu sein. Für »Fck It Up«habe ich aber zum Beispiel wieder mehr eingebracht, das ist auch viel kindischer und bunter. Ich habe das zwar in jedem Interview gesagt, aber egal: Tyler, The Creator ist musikalische wie visuell einfach mein Idol, seit ich 16 Jahre alt bin. Der hat anfangs auch richtig darken Shit gemacht, mit seinem Therapeuten geredet und so ehrliche Sachen gerappt, das war einfach offenbarend. HipHop nicht nur als Pose, sondern auch als Gefühl. »Igor«, das letzte Album, ist musikalisch, textlich und visuell für mich auch wieder Top Notch.

»Ich habe den Eindruck, Autotune-Hate kommt eher von unmusikalische Leuten.« – weiter geht’s auf Seite 3

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