Hoe_mies: »Man lernt viel, indem man Fragen stellt« // Interview

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Lúcia Lú und Meg10 vom DJ-Duo Hoe_mies haben sich binnen der letzten zwei Jahre vom Berliner Szene-Geheimtipp zum nationalen Tastemaker hochgeschwungen. Ob mit ihrer inklusiven Partyreihe »hoe_mies«, ihrem Sieg beim Red Bull Culture Clash 2018 oder nur durch ihre geschmeidigen DJ-Mixes aus Trap, RnB, Dancehall oder Baile Funk – Gizem Adiyaman und Lucia Luciano öffnen nicht nur Türen, sie reißen sie ein. Stets im Auftrag ewiger Diversität und Glückseligkeit, trifft ihr politischer Ansatz, Räume für marginalisierte Gruppen im HipHop schaffen zu wollen, ein Bedürfnis, das lange verborgen blieb. Jetzt haben sich die zwei HipHop-Akivist*Innen mit Spotify zusammengetan, um im Podcast »Realitäter*Innen« über Lifestyle-, Politik- und Gefühlswelten mit Menschen zu sprechen, die der weißen, männlichen, heteronormen Weltsicht nicht entsprechen. Feministisch, queer, bunt, dope.

Euer neuer Podcast heißt »Realitäter*Innen«. Als Deutschraphörer ist die Assoziation zu »Identitäter« von Chefket nicht weit.

Meg10: Ich muss sagen, wir sind gar nicht bei allem so sehr informiert, was die Deutschrap-Szene angeht. Wir orientieren uns, auch als DJs, viel am internationalen Geschehen. Der Name hat also gar nichts mit Chefkets Album zu tun. Das ist aus einem Brainstorming entstanden. Wir wollten keine Anglizismen verwenden, weil es ja ein Spotify Original für den deutschen Markt ist. Der Name sollte auch nicht zu ausschließend sein. Das war eine kleine Herausforderung, weil wir mit sehr viel Anglizismen um uns schmeißen und auf English vieles auch einfach cooler klingt. Irgendwann haben wir uns die Grundsatzfrage gestellt: Worum geht es in diesem Podcast? Es geht um verschiedene Realitäten, vor allem abseits des Mainstreams. Das bedeutet zum Beispiel, nicht in binären Kategorien zu denken, was Geschlechter angeht. Unser Umfeld bringt diese Realität auch schon mit. Der Titel mag in erster Linie kompliziert klingen, auch mit diesem zusätzlichen »Täter«-Wortspiel. Damit kommunizieren wir auch, dass es um aktive Teilnahme geht. Häufig wird ja nur über gewisse Gruppen gesprochen, aber nicht mit ihnen. Hier wird ein Diskurs aktiviert. In dem Namen steckt also einiges drin.

Eurer Themenfeld dreht sich um Sexismus, Rassismus, Feminismus und andere sozialpolitische Aspekte. Wie würdet ihr den Podcast labeln? Ist „Realitäter*Innen“ ein Info-, Lifestyle- oder Musikpodcast?

Meg10: Wir sind natürlich ein Crime-Podcast (lacht). 
Lúcia Lú: Mir fällt gar keine Kategorie ein dafür. Das liegt auch daran, dass ich Kategorien prinzipiell ablehne, schätze ich. Es ist anfangs sicher hilfreich, weil Labels ja auch Orientierung bieten. Ich will »Realitäter*innen« gar nicht in eine Schublade gesteckt haben. 

Der Podcastmarkt wächst sehr schnell und wird immer unübersichtlicher. Woher kam die Motivation, „Realitäter*Innen“ zu starten?

Meg10: Durch unsere Arbeit als DJs und Veranstalter*Innen sind wir sehr viel unterwegs, kürzlich ja auch auf Tour. Wir haben im Laufe der Zeit dadurch sehr viele Menschen kennengelernt und uns mit vielen Themen auseinandergesetzt. Im Zuge all dieser Unterhaltungen mit so vielen unterschiedlichen Menschen haben wir extrem viel gelernt und oft auch sogenannte »Aha«-Momente erlebt. Es lag für uns nahe, das man das auch mit einem größeren Publikum teilen sollte und ein Podcast bot sich dafür an. Das ist auch eine bequeme Möglichkeit, du kannst zu Hause sitzen und loslegen. Zufälligerweise kam wenig später Spotify auf uns zu und hat uns gefragt, ob wir einen Podcast machen wollen. Da mussten wir denen einfach nur noch unser Konzept vorlegen. Wir hatten uns auch schon Themen überlegt und wussten, dass es um Perspektiven von marginalisierten Gruppen gehen soll, der Rest hat sich fast von allein gefügt.

»WIR HABEN ALS DJs und Veranstalter*Innen sehr viele ‚aha‘-Momente erlebt«

Lúcia Lú

Welche Erfahrung habt ihr während der Produktion gemacht? Sonst werdet ihr ja immer interviewt, jetzt müsst ihr moderieren und Fragen stellen.

Meg10: Dadurch, dass wir unsere Gäste auch häufig schon kennen, ist die Atmosphäre meist etwas lockerer. 
Lúcia Lú: Ich muss aber zugeben, dass es mir manchmal nicht so leicht gefallen ist, gerade am Anfang. Ich hatte kaum Moderationserfahrungen, diese Situation war für mich etwas sehr neues. Man muss sich ja auch erstmal an ganz banale Dinge gewöhnen, wie zum Beispiel, sich selber reden zu hören (lacht). Auch die Vorstellung, dass das Gesagte eventuell sehr viele Menschen erreicht, war auch mit Aufregung verbunden. Es hat dahingehend geholfen, dass die meisten Gäste Freunde oder Kollegen sind.
Meg10: Man lernt aber auch einfach viel, in dem man Fragen stellt, die einen auch persönlich interessieren und die sich andere Leute vielleicht auch gar nicht trauen zu fragen. Es ist in jedem Fall bereichernd, die Geschichten und Erfahrungen anderer Menschen zu hören. 

Wie findet die Themenauswahl statt?

Lúcia Lú: Wir haben uns ja schon durch unsere Partys in jenen Gesellschaftsteilen befunden, denen wir mit »Realitäter*innen« eine Plattform geben wollen. Nach unseren Gigs haben wir uns häufig noch mit anderen Leuten ausgetauscht und unterhalten, da haben sich Themen fast von selbst ergeben. Der wichtigere Anspruch im Podcast ist eher gewesen, Brücken zu schlagen zum Mainstream und den Gesellschaftsteilen, die sich nicht so viel damit befassen. In einigen Ecken sind Diskurse schon sehr weit fortgeschritten, der Mainstream hat diese Themen aber nicht mal richtig erschlossen oder beleuchtet sie nur aus einseitiger Perspektive. Wir wollen den Diskurs für alle zugänglicher machen. 
Meg10: Wir orientieren uns bei dem Podcast auch an englisch-sprachigen Formaten wie »Cut« oder »Jubilee«. Da kommt auch Inspiration her, natürlich aber auch in Musik. Wir sind ja schließlich auch DJs und beschäftigen uns mit den Lebensrealitäten und Texten der jeweiligen Künstler, die wir buchen oder auflegen. Der Podcast ist ein Mischmasch aus dem, was unseren Alltag ausmacht und was uns beruflich wie privat interessiert.

»Realitäter*innen« möchte ein Bewusstsein für Erfahrungen mit  Sexismus, Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit und andere gesellschaftliche Strukturen schaffen. Das sind Diskurse, die oft in links-intellektuellen Kreisen besprochen werden, aber den Rest der Gesellschaft oft nicht erreichen. Worin liegt die Ursache dafür und wie wollt ihr bei »Realitäter*innen« damit umgehen?

Meg10: Ich gehe ein Stück mit dir mit, dass bestimme Diskurse bei uns eine gewisse Awareness voraussetzen. Das ist aber nicht immer der Fall. Außerdem wirken wir dem entgegen, in dem wir diese Themen beispielsweise auf Instagram begleiten und Zusammenhänge, Begriffe und Konzepte nochmals erklären. Auf Social Media findet darüber auch ein Austausch statt. Für uns persönlich geht es auch nicht darum, die breite Masse von etwas zu überzeugen, wofür sie gar nicht offen ist. Natürlich wollen wir Leute erreichen, die bereit sind, etwas dazu zu lernen und sich für andere Perspektiven interessieren. Wir wollen zum Beispiel auch kein Podcast sein, der wie so eine klassische Talkshow funktioniert, in dem man zwei gegensätzliche Meinungen gegeneinander antreten lässt. Es soll nachvollziehbar bleiben und auch nicht zu akademisch werden. Es geht uns darum, Empathie zu schaffen und ums Zuhören. 

»Es geht nicht darum, verschiedene Identitäten in den Vordergrund zu stellen« – Im zweiten Tiel geht es um Internet-Hater, Lena Gercke und Sell-Out-Vorwürfe.

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