Hoe_mies: »Man lernt viel, indem man Fragen stellt« // Interview

-

Eine eurer ersten Gäste ist Hengameh Yaghoobifarah, die u.a. als Buchautor*in und taz-Kolumnist*in, selbst schon breitenwirksam mit diesen Themen gearbeitet hat. Mit dem Ziel der Bewusstseinsschaffung wäre es doch sicher trotzdem spannend Personen einzuladen, die eine andere Sicht auf diese Dinge haben.

Lúcia Lú: Ich weiß nicht, was ich aus einer Unterhaltung in diesem Rahmen ziehen soll mit Menschen, die super gegensätzliche Standpunkte vertreten. Ich denke, dieses Format ist im Mainstream ohnehin schon stark vertreten und populär. Uns geht es eben genau darum, Perspektiven abseits des Mainstreams eine Plattform zu geben. Man könnte ja auch fragen, warum wir eine Folge über Männlichkeit gemacht haben. Darüber wurde 2019 doch schon sehr groß gesprochen, sei es durch den Artikel in der Zeit oder die Gilette-Werbung. Das stimmt zwar, aber die Beteiligten waren meistens weiß und hetero. Bei uns geht es um Menschen mit einem anderen Background und wie sie mit dem Thema Männlichkeit umgehen. Daher: Natürlich ist Hengameh in der aktivistischen Szene sehr präsent. Aber über das Thema Dating wird sie kaum befragt. Sie ist queer, gibt Flirt-Workshops und bietet als polyamourös lebender Mensch einen anderen Einblick, als wenn ich zum Beispiel Lena Gercke dazu befrage. 
Meg10: Es gibt für manche Menschen einfach so viele Plattformen, wo sie gesehen und gehört werden. Es besteht für uns daher eine Notwendigkeit in anderen Richtungen. 

Welche Folge oder welcher Gast ist euch in besonderer Erinnerung geblieben?

Lúcia Lú: Ich glaube, alle Folgen sind recht unterschiedlich. Das kann man so gar nicht festlegen. Es gab immer wieder Momente, wo eine Sichtweise auftrat, die ich selbst so noch nicht bedacht hatte. Klar, über Dating gibt es ganz viele Ratgeber, Talks und Podcasts, aber daran sieht man es ja fast plakativ wie selten Leute dort vorkommen, die nicht weiß, nicht-binär oder nicht hetero sind. Es war auch gar nicht geplant, dass wir eine Sexarbeiterin in den Podcast einladen, die auch noch asexuell ist. Das war Zufall. Wir sprechen in der Folge übers Dating zum Beispiel auch über gesellschaftliche Konstrukte und Konzepte, dass zum Beispiel manche Menschen polyamorös leben und dass eben nicht alle Menschen das Gleiche suchen. Am Ende haben wir uns sogar gefragt, ob der Titel »Dating« überhaupt noch zutrifft, weil die Folge so vielschichtig geworden ist. 

»Es geht nicht darum, verschiedene Identitäten in den Vordergrund zu stellen«

Meg10


Habt ihr keine Bedenken hier etwas zu viel von euch preiszugeben?

Meg10: Naja, wir haben ja die geile Möglichkeit, Sachen hinterher noch rausschneiden zu können (lacht). Diese Gefahr und diese Gedanken schwingen sicher irgendwo immer mit, aber es ist uns wichtiger eine Situation zu erschaffen, in der sich alle Beteiligten inklusive uns selbst sich wohlfühlen können. Lieber eine organische Unterhaltung, als dass das Gespräch total verkrampft wird. 
Lúcia Lú: Es ist auch gar keine Angst, die brandaktuell in der Gesprächssituation aufkommt oder, dass wir nicht zu uns und unseren Erfahrungen stehen. Da spielt viel mehr die Reaktion von außen rein und wie Leute darauf reagieren, wenn jemand von der Norm abweicht. Wir wissen aber, warum wir das machen und wer wir sind. 
Meg10: Erfahrungen mit Trolls haben wir ohnehin. Wir stellen uns schon auch darauf ein, dass nicht alle sich damit identifizieren können, was wir machen. Wenn Leute etwas beschissen finden, werden sie ja gerne besonders laut – gerade im Internet. Das haben wir alles schon durch. Wir machen uns keine Illusion, jeden abzuholen mit »Realtiäter*innen«. Wir haben auch eher Bedenken, dass uns Leute Sachen anders auslegen, als wir sie gemeint haben und dass zum Beispiel AFD-Wähler unsere Aussagen aus dem Kontext für sich instrumentalisieren im schlimmsten Fall. 

Zum Beispiel?

Lúcia Lú: Wenn wir hier zu dritt gerade über Sexarbeit reden würden, haben wir alle verschiedene Ansichten dazu. Die eine Person kann damit umgehen, eine anderen stört es immens. Gerade in unserer Berlin-Bubble sind bestimmte Diskurse viel stärker Konsens als in Buxtehude. Auch wenn ich es blöd finde, dass Buxtehude immer als Beispiel herhalten muss (lacht).
Meg10: Es geht auch allgemein gar nicht darum, dass wir unbedingt verschiedene Identitäten in den Vordergrund stellen wollen, so nach dem Motto: »Oh, schaut mal, wie anormal die sind«. Es geht mehr darum Repräsentation, zu schaffen. Also jenen, die Ähnliches erleben, zu zeigen, dass sie nicht alleine sind und gleichzeitig aber auch Berührungsängste aufzubrechen, bei allen, für die diese Themen und Perspektiven neu sind. 

Feminismus oder LGBTQ Themen werden in den letzten Jahren immer mehr von Werbung und Marken für sich instrumentalisiert. Stichwort: Woke Washing. Wie steht ihr zu dieser Entwicklung?

Meg10: Es kommt drauf an, würde ich sagen. Klar, wir stehen als DJ-Team für bestimmte politische Wert und dadurch kommen Brands auf uns zu, um es für sich zu nutzen. Wir gehen mit diesem Thema aber immer kritisch um und machen nicht alles mit. Da suchen wir auch immer den Austausch mit unserer Community. In unseren Panels besprechen wir auch oft solche Fragen: Was sind die Herausforderungen zwischen Aktivismus und Business? Wie geht man verantwortungsbewusst mit einer Plattform um? Ich würde mir aber niemals anmaßen, den unterrepräsentiertesten Gruppen wie etwa queeren POCs vorzuwerfen, wenn sie sich für große Brands zur Verfügung stellen. Andererseits ist diese Aneignung auch zu kritisieren, weil es häufig nur bei einem Trend bleibt, der früher oder später von einem anderen abgelöst wird. Auf dem CSD sind alle Brands präsent, aber in den restlichen elf Monaten wird sich kaum um die LGBTQ Community gekümmert. 

Trotzdem trägt es ja dazu bei, dass das Thema populärer wird, auch wenn es nur einmal im Jahr ist.

Meg10: Wenn man bedenkt, dass Fördergelder immer schmaler werden, auch durch die Einflussnahme von AFD und Co, ist eine Brand-Kollaboration häufig ja auch eine akzeptable Option. Man muss in der Lage sein, sich autonome Strukturen zu schaffen. Da sind der Staat oder auch Marken nicht immer eine Hilfe. 
Lúcia Lú: Die Herausforderung ist hier ja auch, wie man diese Markenkooperationen nachhaltig nutzen kann für die Communities. Letztendlich haben viele jetzt dadurch ja auch eine Chance für ihre jahrelange Aufklärungsarbeit im Ehrenamt mal ein bisschen Geld zu verdienen. Die Strukturen dafür müssen aber, wie gesagt, erst geschaffen werden. Die Brands kamen ja auch erst vor ein, zwei Jahren dazu und werden nicht immer da sein. Außerdem wechseln die auch häufig ihren Fokus, weil es eben doch auch als Trend funktioniert. Vor zwei Jahren ging es noch um Female Force, jetzt rücken viele immer mehr in Richtung LGBTQ. Dieses Interesse ist für all diese Communities auch noch neu. Man sollte sich einfach bewusst sein, dass es hier am Ende auch um die Erschließung neuer Kaufkraft geht und sich nicht davon blenden lassen. Daher: Get your coins! Traut euch, mit ihnen zu verhandeln. Marken können durchaus karitative Ansprüche haben und glaubhaft vertreten, aber Kapitalismus ist am Ende immer erstmal darauf aus, Umsatz zu machen.

Fotos: Marlen Stahlhut

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein