Die Brüder Ademo und N.O.S. von PNL haben nur wenige Monate und zwei Alben gebraucht, um zum neuen Phänomen der französischen Rap-Szene zu werden. Mit »Le Monde Chico« [deutsch: »Die Welt Chico!«, ein Tony-Montana-Zitat aus De Palmas »Scarface«; Anm. d. Red.] stehen PNL [Peace and Lovés, französischer Slang für Frieden und Geld; Anm. d. Verf.] an der Spitze der französischen iTunes-Verkaufscharts. Die sozialen Netzwerke sind Feuer und Flamme, und die Presse spricht begeistert vom Beginn einer neuen Ära des französischen Rap. Während also die ganze Welt über die Brüder aus dem berüchtigten Problemviertel Les Tarterêts spricht, geben sie sich selbst sehr diskret und geheimnisvoll und lehnen jegliche Interviewanfragen ab. Man weiß also nicht viel über sie – und vielleicht beruht ihr Erfolg auch zum großen Teil auf diesem selbstkreierten Mysterium.
Angefangen hat alles im März 2015, mit dem ersten PNL-Album »Que La famille« [deutsch: »Nur die Familie«; Anm. d. Verf.]. Man denkt sofort an »Only The Family« von Lil Durk – Hommage oder einfache Übersetzung? Aber die Frage stellt sich im März noch nicht, PNL sind noch weit davon entfernt, das nächste große Ding des französischen Rap zu werden. Richtig los geht es erst mit der Onlineveröffentlichung des Clips »Le Monde Ou Rien« [deutsch: »Die Welt oder nichts« vom Album »Le Monde Chico«; Anm. d. Verf.], gedreht in Neapel, im Stadtteil Scampia und in ihrer Heimatstadt Les Tarterêts. Mehr als zehn Millionen Youtube-Aufrufe setzen die Maschine in Gang, und die Journalisten beginnen mit der Analyse des Phänomens. Aber die Blogosphäre gibt sich damit nicht zufrieden. Alles an PNL wird ausführlich im Netz analysiert und auseinandergenommen wie zeitgenössische Kunst. Das Schweigen der beiden Rapper befeuert das Ganze nur. Die Natur fürchtet die Leere, die Journalisten ebenso. Also fabulieren sie, entschlüsseln Texte, Kleidungsstil, Haarschnitte – PNL sind schon nicht mehr Herr ihrer selbst, die Band wird innerhalb kürzester Zeit zum Mythos. Und angesichts von so viel Lob machen sich bei uns Journalisten erste Zweifel breit.
Dabei hatten PNL es durchaus geschafft zu fesseln: Die erste französische Rap-Formation, die Autotune wirklich beherrscht, die es endlich wie ein Instrument eingesetzt und ihre Flows und Texte an Beats angepasst hat, die aus dem Internet zusammengetragen wurden. PNL haben ihren Landsleuten auf Französisch das gegeben, was diese bisher nur von den Amis kriegen konnte: Sie ließen einen die Texte vergessen und rückten eine bestimmte Atmosphäre in den Vordergrund; eine Atmosphäre, die sich auch in ihren Clips wiederfinden sollte. Es schien, als habe es zum ersten Mal eine französische Band geschafft, die neuen, von jenseits des Atlantiks stammenden Codes vollkommen ins Französische zu übersetzen. Und: Französischer Rap bewies endlich, dass er traurig, melancholisch, depressiv sein konnte, ohne die sonst unvermeidlichen und bis ans äußerste totgenudelten Piano-Samples zu verwenden.
Als »Le Monde Chico« dann Ende Oktober dieses Jahres endlich erschien, ließ es die Klick-Zähler in nur wenigen Tagen in die Höhe schnellen. Überall herrschte restlose Begeisterung. Die französische HipHop-Welt war sich einig, dass PNL den französischen Rap grundlegend verändern würden. Doch spätestens hier war Skepsis angebracht. Einer alten zähen Gewohnheit folgend fällt es eben manchmal schwer, den Rap zu schätzen, der jenen gefällt, die eigentlich keinen Rap hören. Möglicherweise gehen PNL mit ihrem auf Mainstream gebürsteten Soundentwurf zu weit. Tatsache ist: Bild und Sound, also die Videos der Band und ihre Musik, bilden eine untrennbare Einheit. Die Clips sind schön, die Kulissen niemals zufällig ausgewählt. Man verliert sich in den Bildern, man lässt sich treiben. Aber das alles ist fast ein bisschen zu sauber, zu geleckt. Es hat etwas von Fauve, aber mit einem Hauch von Ghetto – sowohl in den Texten als auch in der Attitüde. Den Möchtegern-Bohemiens wird sie gefallen, diese Gangsterromantik und die Melancholie und das Unbehagen, die sie begleiten. Musikalisch gesehen sind PNL in der Tat weit vorne, die Genre-Codes werden eingehalten. So gesehen machen PNL ihren Job gut. Aber muss man deshalb gleich von Genies sprechen, wie einige französische Medien nicht müde werden zu betonen?
Letztlich haben PNL in erster Linie einen langanhaltenden Blick über den großen Teich geworfen, sich das Know-How aus Übersee angeeignet und adaptiert, sprich: Sie haben nichts Neues erfunden. Aber: Sie haben in der französischen Rap-Szene einen neuen Trend gestartet, ein altes neues Genre etabliert, indem sie als erste, mit einem kleinen Vorsprung vor anderen europäischen Ländern, etwas nachahmen, was – wie so oft – in den Staaten entwickelt wurde. Ihr Verdienst besteht in erster Linie darin, diese Entwicklung gut zu kopieren – ganz nach dem Vorbild eines Booba. Und so wie es nur einen Booba geben konnte, kann es auch nur ein PNL geben. Von einer neuen Ära, wie sie derzeit häufig herbeigeschrieben wird, ist man in Frankreich jedoch nach wie vor weit entfernt.
Text: Joram Vuille
Dieses Feature erschien in JUICE #172 (Back Issues hier versandkostenfrei nachbestellen).
killa
„etwas nachahmen“ nur weil man autotune benutzt oder was? An welchem amerikanischen Künstler haben die sich bitte orientiert? Deren außergewöhnlicher style ist ihr Key.
Hey Mosh, es ist schon richtig, dass die Jungs „etwas nachahmen“. Das mag negativ konnotiert sein im ersten Moment, ist es aber im Grunde überhaupt nicht. Denn, wie du schon richtig sagst, die Jungs haben ihren individuellen Style und Sound daraus entwickelt. Eine Nische gefüllt, die es vorher so nicht gab. Es hat einzigartigen Wiedererkennungswert und hebt sich somit ab und wird nicht gleichgestellt.
Das Problem des „Nachahmens“ ist in der deutschen Raplandschaft mMn schon deutlicher zu erkennen. Es ist keine „Eigenleistung“, kein eigener Charakter und einfach kein eigener Style auf Anhieb erkennbar. Dank Acts wie RAF, 187, Nimo, Yonii und teilweise sogar KMN hat diese Stilrichtung (und auch verwandte Stilrichtungen wie Afro- und Arabesque-Trap) einen deutschen Beigeschmack dazu gemischt bekommen ohne die Hauptzutaten großartig zu ändern.
Zusammengefasst haben wir hier zwei Richtwerte, die man als Konstant setzen kann:
1. USA setzt Trends und leistet des öfteren Pioniersarbeit. Frankreich „europäisiert“ das ganze und mischt zusätzlich noch weitere kulturelle, sprachliche Zutaten bei (hauptsächlich aus Afrika, aber auch Naher Osten). Deutschland übernimmt viele Elemente aus Frankreich und gibt diesem (irgendwann) einen eigenen Charakter, dass sich „alleingestellt“ anfühlt und anhört, im Gegensatz zum französischen.
2. Deutsche Sprache hört sich einfach zu rigide und nicht schön an. Einem Muttersprachler fällt sowas gar nicht so ohne Weiteres auf. Es gehört nämlich eine gewisse Distanz zu Sprache dazu, sich vorzustellen, wie die eigene, vertraute Sprache in fremden Ohren, gewissermaßen von außen wahrgenommen klingen mag. Französisch ist da ganz anders. Das Stichwort ist einfach „Sprachmelodie“. Gewagte Hypothese denkt man sich jetzt, aber vergleich mal einfach wie viel mal häufiger Acts in Deutschland ihre Wörter anders und teilweise sogar undeutlicher aussprechen, um die Sprachmelodie des deutschen dadurch signifikant zu ändern und anzupassen. Wenn man sich mal die Mühe machen würde und sämtliche Tracks mit solch einem Merkmal aussortieren würde, diese Daten über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren auftragen würde, dann würde man einen deutlichen, statistischen Aufwärtstrend wahrnehmen können.
Paix sur vous!
Ohne groß rumzulabern, QLF niques alle Rues von Deutschland bis Frankreich über Belgien. Es gibt keine besseren für mich persönlich man lebt zu der Musik es ist eine Sünde sie einfach nur zu hören.
So auf den Punkt gebracht. Ehrenmann❤️❤️