Rappen in Palästina: »Ich glaube, keine Jugendkultur passt besser zur Friedensarbeit als HipHop« // Feature

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Beim morgendlichen Kontrollgang durch die Netzwelt entsteht durchaus mal der Eindruck, HipHop entziehe sich entschieden seiner moralischen Verantwortung. Dabei gibt es durchaus spannende HipHop-Projekte: Eines davon wird vom Zivilen Friedensdienst im Auftrag des Entwicklungsministeriums umgesetzt, indem es durch gelebte HipHop-Kultur eine Perspektive in das Leben vieler Jugendlicher in den Flüchtlingslagern Palästinas bringt – leider bekommen derlei Projekte stets zu wenig mediale Aufmerksamkeit. Rücken wir also das Spotlight auf Kayed Sagalla, den Koordinator des Zivilen Friedensdienstes, und MoTrip, die uns hierzu Rede und Antwort stehen.

Kayed, schildere doch mal kurz die Idee und Historie hinter dem Projekt.
Kayed: Palästina ist politisch und kulturell fragmentiert, doch dem kann man sozial entgegenarbeiten. Wir wollten dort das Wir-Gefühl stärken. Angefangen hat alles als Pilotprojekt im Flüchtlingslager Shu’fat in Ost-Jerusalem mit ersten Workshops für Jugendliche zu DJing, Rap und B-Boying. Abschließend wurde das auf unserem ersten gemeinsamen Festival im Shu’fat Camp präsentiert. Unser Projekt war ein Game-Changer in Shu’fat. Vorher herrschten dort noch Verschlossenheit und Verdruss, doch am Ende konnten wir als Ziviler Friedensdienst der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit einen Projektantrag stellen.

Gut vorstellbar, dass die Anfänge alles andere als leicht waren.
Kayed: Ja. Anfangs hatten wir noch kein Equipment, daher haben wir den ersten Track mit Marteria in einer 1×1 Meter gro­ßen Minisauna aufgenommen – das war vom Schall einfach der trockenste Raum. Wir mussten da komplett improvisieren, überall lagen Kabel, Kleiderbügel, Eierkartons. Heute sieht das anders aus.

Wie hast du die HipHop-Kultur konkret für die Friedensarbeit genutzt?
Kayed: Abgesehen davon, dass es mir als DJ und HipHop-Aktivist ein persönliches Anliegen ist, glaube ich, dass keine Jugendkultur besser zur Friedensarbeit passt als HipHop. Gerade mit den alten Prinzipien peace, love, unity and having fun. Zudem ist Rappen »niederschwellig«. Man lernt es schneller als Singen, außerdem ist es in. Die eigentliche Arbeit beginnt, wenn du erklärst, dass Rap Teil einer ganzen ­Sache ist – eben HipHop. Und dann werden die Jungs zu MCs.

Wie kann man sich die Arbeit vor Ort vorstellen?
MoTrip: In erster Linie habe ich mit meiner Band das Shu’fat Flüchtlingscamp besucht und ein Konzert gespielt. Darüber hinaus habe ich gemeinsam mit meinem langjährigen Rap-Partner JokA, meinem Keyboarder Axel Steinbiss und der von mir sehr geschätzten Produzentin Melbeatz einen Song geschrieben und produziert. Unsere Partner waren das vor Ort ansässige Sawa Sawa Soundsystem. Unseren gemeinsamen Song haben wir einige Tage später in Dortmund beim Out4Fame Festival live gespielt.
Kayed: Fadi, Projekt-Advisor und selbst einer der bekanntesten Rapper Palästinas, und ich spannen die Künstler in unsere Kurse ein, wobei meistens ein gemeinsamer Track entsteht. Aber natürlich lernen nicht nur die Kinder, sondern auch die Künstler. Und genau das ist HipHop: »Each one, teach one.« Das leben und erleben wir mit unseren Kindern in Palästina jeden Tag.

»Der Arbeitsalltag hat viele lustige Momente geboten, aber auch ernste Gespräche über Hoffnung, Zukunft und das Leben in Palästina«

Welchen Eindruck machten die Künstler auf die Kinder?
Kayed: MoTrip war super für die Kids: ein Araber in Deutschland und dort erfolgreich. Außerdem spricht er fließend Arabisch und konnte mit ihnen viel unternehmen. Andererseits hast du mit Marteria gleich die Sympathien der Kinder, weil Marten natürlich auch ein geiler Typ ist. Das ist eine Frage des Vibes. Die Kinder sehen sich im Vorfeld die Tracks der Künstler auf Youtube an, um zu wissen, mit wem sie es zu tun haben, und freuen sich. Es ist vor allem die empfundene Wertschätzung: »Da kommt jemand aus Deutschland, um mit uns zusammenzuarbeiten.« Das löst Euphorie aus.

Wie nahmen die verschiedenen Künstler ihre Aufgaben wahr? MoTrip, durftet ihr euer Konzept frei gestalten?
MoTrip: In der Konzeptionierung des Workshops waren wir frei, doch schnell wurde klar, dass der vor Ort herrschende Zeitgeist Thema sein würde. JokA und ich rappten auf Deutsch, während unsere Kollabopartner sehr gut gereimte Texte auf Arabisch schrieben. Inhaltlich bewegten wir uns weitestgehend auf einer Wellenlänge. Der Arbeitsalltag hat viele lustige Momente geboten, aber auch ernste Gespräche über Hoffnung, Zukunft und das Leben in Palästina.
Kayed: Bei MC Rene und Figub Brazlevic haben wir eine Schule gemietet, da waren an die hundert Kinder, und mit denen haben wir dann Fußball gespielt und Trainer ausgebildet. Mit etwa zwanzig Kindern haben wir Rap-Kurse veranstaltet. Mit Max Herre und Megaloh hingegen war das eher ein »Train the trainer«-Programm. Sie trainierten die Jungs vom Sawa Sawa Soundsystem, die wiederum eigene Jugendgruppen haben und ihr Wissen an die weitergeben.

»Es ist vor allem die empfundene Wertschätzung: ‚Da kommt jemand aus Deutschland, um mit uns zusammenzuarbeiten.‘ Das löst Euphorie aus.«

An welche Augenblicke erinnert ihr euch bis heute?
Kayed: Einmal stelle sich uns ein kleiner Junge vor und wollte Rapper werden. Ultrageiler Flow, aber inhaltlich total scheiße, weil er davon redete, Leute abzustechen. Daraufhin gaben wir ihm einen Beat und ein Mikrofon, nahmen den Song auf, hörten ihn genau einmal, löschten ihn und sagten: »Das gehört jetzt der Vergangenheit an.« So fing die Arbeit mit ihm an, und heute rappt er über sein Umfeld. Natürlich frontet er auch mal, aber seine Songs sind nun reflektiert und nicht mehr voller Gewalt. Es hat eine Transformation stattgefunden. Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Respekt.
MoTrip: Ich erinnere mich an Mahmoud, der den Refrain auf unserem gemeinsamen Song gesungen hat. Ich erzählte ihm, wie schön der Ausblick von unserer Unterbringung aus war, woraufhin er antwortete, dass er dieses Gebiet noch nie betreten hat, weil ihm dazu die nötigen Dokumente fehlten. Daran muss ich bis heute sehr oft denken.

Wie verliefen das Festival und die ­Präsentation eures Songs?
MoTrip: Der Auftritt verlief im Großen und Ganzen reibungslos. Die Kinder waren sehr begeistert von Rap, und ich stellte mit großer Freude fest, dass sehr viele Kinder und Jugendliche im Camp rappten – einige sogar ziemlich gut. Das Außergewöhnlichste war wohl die kurze Pause, die wir mitten im Auftritt einlegten, als der Muezzin ertönte.

Kayed, dieses Jahr seid ihr mit dem Sawa Sawa Soundsystem wieder auf dem Out4Fame vertreten – als eigener Act. Was folgt außerdem?
Kayed: Ende März haben wir unseren ersten Sawa-Sawa-Sampler in einer 5.000er-Auflage fertiggestellt, mit Tracks von Max Herre, Megaloh, MoTrip, Marteria, MC Rene und Melbeatz. Auch Videos wird es dazu geben. Besonders interessant ist, dass der Sampler mehrsprachig ist: Auf Deutsch, Englisch und Arabisch. Im Spätsommer dieses Jahr wollen wir von Sawa Sawa einen Stagetruck mieten und quer durch Palästina verschiedene Shows spielen – erstmals auch in Gaza. Außerdem wird wieder ein hochinteressanter MC aus Deutschland dabei sein.

Text: Edoardo Rossi

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