»Ich brauche auch mal einen Arschtritt, da bin ich keine Ausnahme.« // Harris im Interview

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»Alter, jeder mag Harris!« rappte Marteria einst in seiner ironischen »Todesliste«. Er war mit den Spezializtz stilprägend für die deutsche Rap-Geschichte, spielt in seiner Radiosendung »Der Patriot« ausschließlich deutschsprachigen Rap, hat als DJ Binichnich noch jede Party zum Kochen gebracht und ist Dein Lieblings Rapper. Ein Energiebündel und eine Frohnatur – lustig, sympathisch, immer jut druff. Auch auf dem diesjährigen Splash!-Festival bewies er es wieder: 15 Typen auf der Bühne, darunter Marteria samt ­Entourage, Hammer & Zirkel und einige weitere Atzen. Eine Bar inklusive herumwirbelndem Barkeeper, Produzent KD-­Supier an der Gitarre, und ein Publikum voller schöner Menschen, das begeistert mit Harry feierte. JUICE-­Autorin Sherin Kürten traf das Berliner HipHop-Urgestein direkt nach seinem Auftritt, um über sein neues ­Projekt zu sprechen: sein Soloalbum »Der Mann im Haus«.

 

Im Pressetext steht: »Bewegung und nie stehen bleiben – das ist Harrys Devise!« Wie schaffst du es, diese Power aufzubringen? Gibt es nie Tage, an denen du keinen Bock mehr hast?
Doch, natürlich habe ich auch solche Tage. Die Power ziehe ich aus meinen Kindern und meiner Frau, daraus, dass die Sonne draußen scheint, und aus der Musik. Besonders auch aus der Kultur an sich, sei es jetzt auflegen, rappen, im Studio sein. Ich brauche auch mal einen Arschtritt, da bin ich keine Ausnahme. Ich lasse mich gerne ablenken, aber es muss eben weitergehen. Zum Glück mache ich das, was ich liebe.

Irgendwann kommt eben der Punkt, wo einem klar wird: Ich mache das, weil ich es liebe und nicht, um reich zu werden.

Genau. Reich zu werden ist zwar ein sehr ­netter ­Nebeneffekt, hat aber auch einen faden Bei­geschmack, vor allem das Berühmtsein. Das ist ja ein großer Unterschied. Wenn die Leute dich im Fernsehen sehen, denken sie, du bist reich. Das war schon immer so. Ich war mal bei »Fett MTV«, also bin ich reich. Man hat es mir nie geglaubt, wenn ich sagte, dass ich kein Auto habe. Mittlerweile habe ich zwar eins, aber ich habe meinen Führerschein erst mit 30 gemacht, was auch definitiv besser war. (lacht)

 

 


Kürzlich kam im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine Folge einer Krimiserie, in der es um ­Graffiti ging und in der Songs von dir, Savas, Franky ­Kubrick und Sido liefen.
Ja, »Soko XY«, super mit HipHop und so, wa? War ja eigentlich gar nicht so richtig HipHop, es ging eher um Milieu und Graffiti. Um Welten besser als der »Tatort«, in dem ich mitgespielt habe. (lacht) Gerade der Soundtrack. Die Story habe ich nicht mal mitbekommen, weil ich mich so gefreut habe, dass so coole Songs liefen.

Dein »Tatort« hieß »Fette Krieger«. Das war vor fast zehn Jahren. Was war damals eigentlich der große Aufreger?
Na ja, schon dieses Spiel mit den typischen HipHop-Klischees. Nach zehn Jahren kann ich die Story ja auch mal endlich erzählen: Ich wurde dafür genommen, weil ich viel gekifft habe und das auch ­jeder wusste. Ich sollte dann auch am Set richtig viel ­rauchen, was ja auch gar nicht das Problem war. (lacht) Dann hieß es plötzlich, ich solle nicht mehr ­kiffen, weil sie auf einmal nicht mehr wollten, dass man Kiffen und HipHop direkt in Verbindung bringt. Damals habe ich mich mit Drehbüchern nicht so auseinandergesetzt, also ich habe nur meine Sachen gelesen. Als die Aufnahmen schon liefen, habe ich dann gesehen, wie dieser Typ voll auf Kokain irgendeine Olle wegfickt, mit Waffen rumhantiert und die ganze Zeit was von Umbringen labert. Und ich dachte so: »Hä? Ich darf nicht kiffen und der geht hier voll ab?« Der Aufreger war eben, dass alles so cheesy war. Das war auch nicht HipHop. Es gab sogar einen Typen, der Realness in das Ganze bringen sollte. Aber wie soll ein Typ, der selbst nicht zur Kultur gehört, da Realness reinbringen? Der hat dann auch seine Vorurteile.

Hast du den »Tatort« in letzter Zeit noch mal ­gesehen?
Der lief neulich, als ich nach einem Gig besoffen ins Hotel kam, aber ich habe dann ausgeschaltet. Ich bereue das nicht, weil ich dadurch andere Rollen ­bekommen habe. Es war eine Erfahrung und ich habe gelernt, dass ich Drehbücher komplett lesen sollte – was ich jetzt auch mache. (lacht)

2006 hast du im Spielfilm »Kopf oder Zahl« neben Afrob mitgespielt. Wäre Schauspielerei generell eine Berufsoption oder machst du das nur aus Spaß?
Es wäre auch eine Option, aber ich mache das nur, weil ich wirklich Spaß dabei habe und glaube, dass ich das auch ein bisschen drauf habe. Ich bin kein krasser Schauspieler, der das gelernt hat, aber ich kann von Natur aus gut lügen. (lacht) Ich kann Leuten gut was vorspielen und sie für eine Sekunde verarschen, so dass sie mir das wirklich abkaufen. Aber ich verfolge das jetzt nicht so stark, dass ich mir einen Agenten ­suche. Ich mache es so, wie es kommt.

Wie sähe die perfekte Rolle für Harris aus?
Mit einer stereotypen HipHop-Rolle als Rapper, DJ oder Dealer habe ich kein Problem, aber ich nehme auch gerne die Rolle des Anwalts oder Psychopathen. Ich habe ein paar Angebote, aber man rennt mir auch nicht die Tür ein. Ich mache hin und wieder bei Kurzfilmen mit, einfach auch um Erfahrungen zu sammeln. Es ist eigentlich mehr ein Hobby.

Du bist DJ, Radiomoderator, bildest mit Sido Deine Lieblings Rapper, machst deine ­Soloprojekte und schauspielerst. Was denkst du, was den Künstler Harris ausmacht?
Wenn man es ganz mies aus der Sicht eines Dritten sehen müsste: Harris ist ein Produkt, das man so vermarkten kann, dass er eigentlich alles macht, worauf er Bock hat. Und das beinhaltet eben rappen, schauspielern, Partys machen, modeln oder was auch immer. Habe ich alles schon gemacht. Vieles auch nur aus Spaß. Wenn ich dann damit auch noch Geld machen kann, um so besser. Ich bin da ehrlich: Viele Sachen mache ich auch nur wegen des Geldes.

 

Bestehen die Spezializtz als Band eigentlich noch? Irgendwie hat man das Gefühl, dass du und Dean überhaupt keinen Kontakt mehr habt, weil man euch nicht mehr zusammen sieht. Kennt ihr euch denn noch?
(lacht) Na klar, wir kennen uns noch. Wir sehen uns hin und wieder und haben auch immer noch ein sehr gutes Verhältnis. Wir gehen zusammen zur Fanmeile und gucken Fußball. Oder er kommt mal, wenn ich auflege. Wir rufen uns an, wenn wir können. Er macht genauso wie ich sein Business. Aber auf ein Comeback von den Spezializtz sollte man jetzt nicht mehr warten. Diese Zeit war sehr schön, die Musik wird es ja auch für immer geben. Aber wenn ich mit Dean jemals wieder Mucke mache, dann wird es ganz anders, mit Einflüssen aus Reggae, Electro oder spanischer Musik. Auf jeden Fall sehr verspielt und multilingual, eher nicht auf Deutsch. Bei einem neuen Projekt ­würden wir wohl eher global denken.

Es heißt ja auch, dass du mit Sido am zweiten Lieblingsrapper-Album arbeitest.
Wir waren im Studio und hatten auch schon einige Tracks zusammen, z.B. »Siggi und Harry«, der dann aufs »Aggro Berlin«-Album von Sido kam. Ein anderer Song ist »Stell dir mal vor«, der nun auf meinem Album ist. Wir haben jetzt noch vier oder fünf Songs übrig. Aber nach seinem Album und seiner Tour meinte Sido, dass er erst mal ein bisschen Pause braucht. Ich denke, nächstes Jahr gehen wir das wieder an. Es dauert auf jeden Fall noch ein wenig.

Du hast mit DJ Maxxx das Mixtape »Der Patriot« gemacht, ihr habt eine gleichnamige Radiosendung auf Jam FM. Was ist das Konzept dahinter?
Die Sendung an sich ist keine neue Erfindung und wir haben auch das Rad nicht neu erfunden. Wir hatten einfach die Motivation, im Raum Berlin Deutschrap zu repräsentieren. Ich habe dann dieses Angebot von Jam FM bekommen. Wobei: Natürlich wollten die keine Deutschrap-Sendung von mir. (lacht) Die wollten eine Sendung, von Harris moderiert, tiefe Stimme, krasser Typ und so. Ich wollte aber eine Deutschrap-Sendung. Da waren sie sehr skeptisch und wollten es erst einmal für drei Monate ausprobieren.

Ist Nico Bielefeld, der »JAMs Rapublik« gemacht hat, vorher gegangen?
Gut, dass du das fragst. Ja, Nico ist vorher gegangen. Ich habe ihm seinen Job nicht weggenommen. Ich habe ihn angerufen und gefragt, ob alles cool ist, weil ich nicht wollte, dass irgendwas zwischen uns steht. Wir wollten nie »JAMs Rapublik« nachmachen. Wir machen ja auch keine Interviews, sondern legen einfach nur Mucke auf. Daneben haben wir ein Mixtape und eine Tour gemacht. Wir waren in vier großen Städten: Wuppertal, Dresden, Hamburg und Ingolstadt. Bei diesen Städten waren wir der Meinung, dass Deutschrap dort am besten läuft. Und wir haben auch wirklich den ganzen Abend nur Deutschrap gespielt. An alle DJs, die sich immer noch weigern: Es geht auch! Es gab ja immer schon DJs, die Deutschrap-Sets aufgelegt haben: DJ Mixwell, DJ Stylewarz, DJ Mad oder DJ Shusta zum Beispiel.

Gibt es aktuell talentierte neue Künstler aus dem deutschsprachigen Raum, die du feierst? Einer stand ja eben bei dir auf der Splash!-Bühne.
Marteria finde ich wirklich sehr geil, und auch Hammer & Zirkel finde ich gut. Nate57 ist ganz pervers. PCP finde ich gut und Charnells neue Sachen finde ich ganz krass. Ich begrüße es sehr, dass Manuellsen ­wieder Mucke macht. Es gibt eine neue Gruppe von Alpa Gun, die B.E.K. heißt. Davon werdet ihr noch ­hören. Alpas neues Album ist auch sehr gut. Fard finde ich überkrass, das »Talion«-Album mit Snaga habe ich rauf und runter gebrettert! Überhaupt, Snaga & Pillath, dieses ganze Ruhrpott-Ding mag ich sehr.

 

 

Dein neues Album wurde fast komplett ­produziert und arrangiert von KD-Supier, der ­früher mit Megaloh gearbeitet hat. Was macht seine Beats so besonders?
Er macht sich extrem viele Gedanken, bevor er für jemanden einen Beat produziert. Auch mitten in der Studio-Session. Mir gefällt auch, dass er sehr ­abwechslungsreich ist. Oft habe ich ihm gesagt, was ich gerade brauche oder was ich fühle. Er kann dir einen Eastcoast-Banger, aber auch einen Westcoast-Banger oder einen typisch deutschen Beat machen, ob melancholisch, happy oder was auch immer. Er weiß einfach ganz genau, was er machen muss, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Diese Fähigkeiten haben viele andere nicht – ich glaube, das kann ich sagen. Ich habe immerhin auch genug Songs bei ­anderen Producern aufgenommen.

Die Songs handeln von allgemeinen Themen wie Familie, Freundschaft, Liebe, Beziehungen, Eifersucht, Integration oder Jugend. Was war das Konzept dahinter, wen wolltest du ansprechen?
Ich hoffe, dass das Album etwas für jeden Mann und jede Frau ist. Gerade dadurch, dass ich so allgemeine Themen anspreche, müssten sich ja die meisten Erdenmenschen angesprochen fühlen. Ich habe mir überlegt, welche Themen mich persönlich als »Der Mann im Haus« ansprechen. Das ist eben meine Familie, und da kommt dann ein Song wie ­»Familie« mit Muhabbet raus. Oder »Freunde« mit Bintia, wo ich davon erzähle, dass jeder Mensch, der älter wird, sich manchmal auch von gewissen Freunden trennen muss, weil man eben nicht mehr die gleichen Ansichten teilt. Trotzdem hängt man ja dran und will wissen, wie es dem anderen geht. Und zum Thema Liebe: Klar, ich liebe meine Frau, und das versuche ich ihr immer wieder zu sagen. Streit gibt es in jeder Beziehung, da braucht man nicht auf heile Welt machen. Meine Frau ist ein eigener Mensch mit eigenem Kopf, und das ist nicht mein Kopf, das kannste glauben. (lacht) In »Es tut so weh« mit She-Raw geht es um Trennungsschmerz, was mich zwar nicht selbst betrifft, was ich aber bei Freunden mitbekommen habe, die langjährige Beziehungen hatten und nicht loslassen konnten. Im Video dazu werde ich mit meiner happy Visage auch nicht zu sehen sein, sondern zwei Schauspieler, die man auch kennen sollte.

 

 


Der Song »Augenblick« ist in seiner Grundaussage kontrovers, denn du kritisierst darin die mangelnde Anpassungsbereitschaft von ­Ausländern in Deutschland. Ich möchte dir zunächst die Gelegenheit geben, die Aussage selbst zu erklären.

Es gibt eigentlich keine Aussage, sondern der Song wirft Fragen auf. Alle Aussagen in diesem Track basieren auf Erfahrungen, die ich selbst gemacht, miterlebt, gesehen, gehört und erlebt habe. Das ist in meinem Leben wirklich passiert! Mir ist vollkommen bewusst, dass ich damit anecke und dass es Diskussionen geben wird. Ich bin auch teilweise bereit dafür. Ich verstehe aber nicht, warum ich diskutieren muss, weil gerade die Leute, bei denen ich gedacht habe, dass ich anecke, den Song feiern. Aber ich habe einfach keinen Bock mehr, denn ich sehe diese Probleme. Ich sehe, dass es auch anders geht. Ich sehe, dass viele doch stolz darauf sind, hier geboren zu sein – in bestimmten Momenten. Fußball ist zum Beispiel so ein Moment. Weißt du, ich sehe mich als Deutschen. Klar, mein Vater ist Amerikaner, also bin ich für viele irgendwie auch Amerikaner. Da fängt es doch schon an. Als Mischling ist es nicht cool zu sagen, dass man Deutscher ist – egal, ob man nun amerikanische, türkische, arabische oder afrikanische Wurzeln hat. Aber ich komme aus diesem Land. Mit Amerika habe ich nichts am Hut. AuchHipHop sehe ich eher als globale Bewegung.

Aber hast du dir keine Gedanken darüber ­gemacht, wer die Aussagen in diesem Song für sich instrumentalisieren könnte? Da gibt es Slogans, die durchaus vom rechten CSU-Flügel stammen könnten. Ich befürchte, dass eben diese Leute deinen Song hören und sagen: “Schaut mal, sogar der sagt es.”
Aber das liegt doch auch nur daran, dass das Thema totgeschwiegen wird. Nur weil es ein Tabuthema ist, haben die falschen Leute die Möglichkeit, Angst zu schüren und dadurch Kraft zu bekommen. Dann heißt es eben: Ich habe Angst, dass der rechte Flügel der CSU das für sich benutzen kann. Ja, das habe ich verdammt noch mal auch! Aber alleine die Diskussion über diesen Song zeigt mir, dass das Thema trotzdem wichtig ist.

In der Hook rappst du: »Ich kenn die Scheißblicke auch, aber das ist nicht Deutschland, das ist nur ein Augenblick.« Da zeigst du ja dann auch die andere Seite.
Genau. Ich kenne diese Sachen ja auch und habe auch so gedacht und vieles erlebt. Ich bin doch keiner, der sagt, man solle hilflose Ausländer ausweisen. Ich bin gegen vieles, was hier in der Politik passiert. Aber ich bin auch für das Logische und Menschliche, was ich sehe. Ich komme viel herum in der Welt. Wenn dann jemand über Deutschland meckert, denke ich eben oft: »Dicker, sei froh, dass du hier bist!« Ich finde einfach, dass man sich zu benehmen hat, wenn man als Gast in ein anderes Land geht. Man sollte einfach keine Scheiße bauen. Darum geht es. Wenn manche Ausländer dann sagen, Deutschland sei scheiße, alle Deutschen seien »Kartoffeln« und Nazis, dann ist das für mich nicht akzeptabel. Versteh mich nicht falsch: Jeder kann stolz auf seine Herkunft sein. Ich will doch gar nicht, dass du die Deutschlandflagge hisst, wenn du aus einem anderen Land kommst und dich damit mehr verbunden fühlst. Aber wenn du hier lebst und dein Geld machst, dann sei einfach cool, nett und höflich – genau so, wie du es auch von anderen ver­langst. Und das gilt absolut für beide Seiten, für Ausländer und Deutsche. Natürlich ist der Song extrem krass, denn ich spiegle die eine Seite viel extremer als die andere wider und zeige die andere Seite nur in wenigen Zeilen. Dessen bin ich mir bewusst. Aber ich musste das machen, damit der Song funktioniert.

Text: Sherin Kürten

 

 

 

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