Die besten 20 Instrumental-Alben // Liste

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Fuck Dance, Let’s Art

HipHop war ursprünglich mal ein instrumentales Phänomen. Als Kool DJ Herc und seine Nachahmer Mitte der Siebziger damit begannen, bestimmte Passagen auf ihren Lieblingsplatten zu loopen, waren die MCs nicht mehr als Animateur-Clowns in Disco-Anzügen. 20 Jahre später war diese Rollenverteilung freilich Geschichte und der DJ zum ­Bühnenstatisten degradiert, während sich der MC zum eigentlichen Star der Kultur gemausert hatte. Gleichzeitig ­begannen einige DJs, Sound-Tüftler und Produzenten, abseits des Rap-Mainstreams ein ganz eigenes, instrumentales ­HipHop-Subgenre zu erfinden. Dank Compilations wie »Headz« auf Mo’ Wax, Madlibs »Beat Konducta«- und MF Dooms ­»Special Herbs«-Reihe, aber seit kurzem auch dem »Hi-Hat Club« auf MPM, hat sich eine weltweit vernetzte Beatnerd-Szene entwickelt. JUICE hat die 20 besten instrumentalen Alben der HipHop-Geschichte zusammengestellt.

01 DJ Cam – Underground Vibes (Street Jazz, 1994)

Was auch immer die damals im Trinkwasser hatten, die Welt könnte mehr davon vertragen. Philippe Zdar, Boom Bass, DJ Deep, Étienne de Crécy, Daft Punk, Alex Gopher, DJ Gregory, Nicolas Godin und Jean-Benoît Dunckel von Air, Dimitri From Paris, I:Cube, der spätere Ed-Banger-Boss Busy P, die späteren Bösewichte David Guetta und Bob Sinclair, dessen Partner bei The Mighty Bop, DJ Yellow, und eben DJ Cam: Sie alle gehörten im Paris der frühen neunziger Jahre jener bourgeoise anmutenden Bubenclique an, die in Ermangelung ernsthafter Ausgehoptionen die Plattenregale ihrer Väter nach Fönk, Söul, Jäzz und cooler Filmmucke durchforstete und daraus im heimischen Musikzimmer ihren eigenen, charakteristischen Sound entwickelte. Der ist heute arg ausgefranst, changiert von barockem Zitatpop zu präpotentem Bratzterrorismus. Damals aber war alles eins, House, HipHop und »Heads« flossen mit immer noch erstaunlicher Selbstverständlichkeit ineinander. Der gelernte Turntablist Laurent Daumail operierte am HipHop-Ende dieses Spektrums. Und traf mit seinem frühen Meisterstück »Underground Vibes« dennoch die goldene Mitte. Seine Beat-Collagen saßen mit selbstverständlicher Eleganz zwischen der leistungssportlichen Sample-Schau eines DJ Shadow und dem oftmals etwas plumpen Hinterzimmer-Rave der Briten. Sie speisten sich, natürlich, aus dem Geist amerikanischer Vorbilder wie Pete Rock und Prince Paul, und genügten sich dennoch auf eine eigentümliche Weise selbst – ganz so, als wäre es das Normalste auf der Welt, den Rapper einfach wegzulassen. Den nahezu perfekten Einklang aus staubtrockenen Drums und heimeligen Basslines (und die damit einhergehende Gefahr der groovy groovy jazzy funky Beliebigkeit) konterkarierte Cam mit markanten Samples, sparsamen, aber punktgenau gesetzten Scratches und Vocal-Fetzen von unter anderem Jeru Tha Damaja, beispielhaft vorgeführt auf dem programmatisch betitelten Instrumentalklassiker »Free Your Turntable And Your Scratch Will Follow«. Dass die Suckers in der Heimat das nicht spielen wollten, versteht sich von selbst; DJ Cam nahm die gleichgültige Rezeption seiner Landsleute mit einem Songtitel von störrischem Gleichmut vorweg. Es bedurfte erst der Außenperspektive, um der Pariser Nicht-Szene zu Aufmerksamkeit zu verhelfen und loszutreten, was Cam in seinem Albumintro als »Abstract Era« bezeichnete: die zweite große Phase der DJs als wahre Architekten des HipHop. Mad blunted jazz.
Davide Bortot

02 DJ Krush – Strictly Turntablized (Mo’ Wax, 1994)

DJ Krush war der Legende nach ein abtrünniger Yakuza-Lehrling, der 1983 durch »Wild Style« mit HipHop in Berührung kam. Zehn Jahre später veröffentlichte der Tokioter DJ sein Debütalbum »Krush«, ein instrumentales Experimentalwerk aus Breaks und Loops, das irgendwie in die Hände von James Lavelle geriet. Dieser gerade mal volljährige DJ aus Oxford, UK, hatte sich gerade von Freunden ein wenig Geld geliehen, um ein Label namens Mo’ Wax aufzuziehen. Es sollte sich im Spannungsfeld zwischen HipHop, Jazz und Jungle positionieren, abgeschaut hatte Lavelle sich das bei Gilles Peterson und dessen Talking-Loud-Label, das die mittlerweile schon wieder abgeebbte Acid-Jazz-Welle begleitet hatte. Eine der ersten Veröffentlichungen auf Mo’ Wax wurde »Strictly Turntablized«, Untertitel: »Excursions into the hip-hop avantgarde«. In damaligen Reviews wurden tatsächlich Referenzen von DJ Premier bis Musique ­concrète bemüht, das stilsichere Artwork von Futura 2000 tat sein Übriges, damit Krush in der Folge die Streetwear-Boutiquen, Graffiti-Vernissagen und Skateboarding-Events der westlichen Hemisphäre beschallen durfte. Musikalisch bestand das reduktionistische Werk aus brachialem Boombap mit etwas aufwändigeren Drum-Figuren als im üblichen HipHop-Beat, düster dahinwabernden Basslines, extralautem Vinylknistern und verlorenen Melodiebruchstücken. Krush war vor allem gelangweilt von den ewigen James-Brown-Loops seiner amerikanischen Kollegen und griff zu komplett neuen Mitteln: Für »Kemuri« etwa samplete er eine Steel Drum, die unter Wasser gespielt worden war. Der Journalist und Buchautor Ulf Poschardt schrieb 1995 in seiner Doktorarbeit »DJ Culture«, dass die Platte »mit ihrem streng modernistischen HipHop-Essentialismus an die großen ­Meisterwerke der DJ-Musik von Grand­master Flash und Gang Starr anknüpft.« Und lässt sodann Lavelle selbst sprechen: »Was Mo’ Wax will, ist vor allem experimentieren. Es gibt kein Schema, keine Regel. Wir machen so rum und versuchen, ein paar Köpfe zu verwirren.« Mission erfolgreich.
Stephan Szillus

03 Spectre – The Illness (WordSound, 1995)

Anfang der Neunziger entstand im Brachland von Williamsburg im Nordwesten Brooklyns eine lokaler Musikstil namens Illbient. Das Viertel war freilich weit vom heutigen Gentrifizierungsstand entfernt. Beeinflusst von dem starken Weed, das die lokalen jamaikanischen Dealer verkauften, der apokalyptischen Umgebung und dem düsteren Boombap der Gravediggaz-Ära, produzierten ein paar Kids im Studio des Soundtüftlers Bill Laswell ultrafiesen, ­Dub-beeinflussten, instrumentalen HipHop. Ihre Namen waren DJ Olive, DJ Spooky, Dr. Israel oder Spectre. Letzterer hieß bürgerlich Skiz Fernando Jr. und leitete die folgenden Jahre ein Label namens WordSound, das sich mangels Alternativen zu einer Keimzelle der winzigen Szene entwickelte. Auf seinem Debütalbum »The Illness« erschuf Spectre eine Dystopie, die keinesfalls als Fluchtpunkt aus der trostlosen Realität in Brooklyn taugte: Auch hier lauerte hinter jeder Ecke ein gemeines Stick-up-Kid oder zumindest ein irrer »Psycho Priest«. Inspiriert von RZA, Lee »Scratch« Perry und alten Horrorfilmklassikern, klangen seine Beats mehr nach Industrial und Dub als nach altem Funk und Soul. Die Zutaten: Tonnenschwere Breakbeats, spinnerte Hall-Effekte, grollende Basslines und Marihuana-induzierte Paranoia. Illbient war keine langlebige Subkultur, die kurze Periode verarbeitete Spectre später in dem selbstgedrehten Low-Budget-Streifen »Crooked«, in dem der Protagonist hauptsächlich Weed tickt, bei Open-Mic-Sessions herumhängt und mit dem ehemaligen Jungle-Brothers-MC Sensational so abseitige Musik macht, dass sie selbst den Untergrund-DJs zu untergrundig ist. Heute schreibt Fernando übrigens sri-lankische Kochbücher und lebt in Baltimore, weil ihm Williamsburg zu teuer geworden ist.
Stephan Szillus

04 DJ Shadow – Endtroducing (Mo’ Wax, 1996)

»This album consists entirely of samples. No live instruments, drum machines or keyboards were used.« So steht es in den Liner Notes dieser folgenschweren Platte. Galt Sampling weithin noch als Spinnerei oder Sachbeschädigung und fand lediglich dank Portishead, den Wiener Kaffeehaus-Jüngern oder Malcolm McLaren den Weg in die Feuilletons, war es mit DJ Shadow ausgerechnet ein HipHop-Geek, ein fanatischer Nerd in weiten Hosen, der das Schichten von Sounds auf der Akai MPC 60 als echte Kunstform etablierte. »Endtroducing«, diese beispiellose Platte voller surrealistischer Klangwelten. HipHop als musikalische Erneuerung, mehr als nur sozialer Protest und Aufschrei gegen das Establishment, sondern als vielseitigste Musikrichtung auf dieser bornierten und schöngeistigen Dreckswelt voller Indie-Duckmäuser in ihren beschissenen Elfenbeintürmen mit Singer-/Songwriter-Tapeten an den Wänden. Der 23-jährige DJ Josh Davis hat das Beste aus »Paul’s Boutique«, »Dummy«, »It Takes A Nation Of Millions…« und allen Flohmärk­ten dieser Erde eingepackt und mit der Lässigkeit des kalifornischen Lebensgefühls Filmmusik im wahrsten Sinne des Wortes geschaffen. »Building Steam With A Grain Of Salt« mit dem hypnotischen Piano-Loop, George Marshs Einleitung über seine Skills als Schlagzeugvirtuose und dann diese knüppelharten Drums, die dich sofort in einen Trance-Zustand versetzen. Diese Platte ist anders. »Endtroducing« ist »Illmatic«, »Blueprint«, »Hoes, Flows, Moneytoes«, »Super Fly«, »What’s Going On«, Isaac Newtons Entdeckung der Schwerkraft und die Erfindung der Erdnussbutter in einem. Speed-Metal-Breaks treffen auf Südtiroler Komponisten und britische Progressive-Rock-Bands, rennen mit Blade Runner um die Wette, springen in den Moshpit zu KRS-One, setzen sich zu Country-Sängern auf die Veranda, trinken mit verstorbenen Comedians ein Bier, essen mit Psych-RockBands Pasta in Neapel und fachsimpeln mit dem weltersten Synthesizer-Ensemble über die richtigen Frequenzeinstellungen. Und das alles auf nur einem einzigen Song namens »Stem/Long Stem«. Das weitschweifige »Organ Donor« mit fulminantem Durchdreh-Finale, das himmlische »Midnight In A Perfect World« mit den Wahnsinns-Vocals und den perfekt gesetzten Cuts, das freejazzige »Napalm Brain/Scatter Brain«, auf dem alleine neun komplett weltfremde Samples zu einer wummernden Einheit zusammenfinden. »What Does Your Soul Look Like«? Gute Frage. Jeder Song ein Meisterwerk. Auf die Frage, wieso HipHop im Jahre 1996, der heiligen Zeit vieler Ewiggestriger, einer Zeit ohne Pein und Leid, am Boden liegt, hatte DJ Shadow ebenfalls die passende Antwort: »It’s The Money.«
Ndilyo Nimindé

05 DJ Vadim – U.S.S.R. Repertoire (Ninja Tune, 1996)

1990 gründeten Matt Black und Jonathan Moore, zusammen bekannt als das legendäre Londoner DJ-Duo Coldcut, ein eigenes Plattenlabel. Damals ein richtig guter Move. Ninja Tune sollte zu den Vorreitern des von Journalisten als »TripHop« gebrandmarkten neuen Movements werden und bis heute dort ganz vorne mitspielen, wo es um innovative gebrochene Beats geht (so zuletzt beim Schulterschluss mit der Brainfeeder-Blase). Der in London aufgewachsene Exilrusse DJ Vadim veröffentlichte mit »U.S.S.R. Repertoire« eines der Schlüsselalben der ersten Periode des Abstract HipHop. Seine große Kunst bestand vor allem im Weglassen, all der überflüssige Kitsch und Mumpitz, der seine große Liebe entstellt hatte (im Booklet heißt es in einem Anflug von Melodramatik: »I will always love h.e.r.«), wurde systematisch entfernt, bis nur die nackte Seele übrig blieb. Hier wurde schon mal ein ganzer Beat aus dem Knarren einer alten Holztür gebaut. Die Drums schleppten sich steil bergauf voran und stolperten urplötzlich den halben Weg wieder herunter. Aus dem Nichts tauchten heruntergepitchte Stimmen auf, die existenzielle Fragen stellten: »Who the hell am I?« Das Album sticht auch deshalb aus der Masse an instrumentalen HipHop-Platten der Jahre 1996/97 heraus, weil Vadim ein Musiker ist, der niemals die Essenz vergisst, nämlich die, Achtung: ­Castingshow-Expertendeutsch, Emotion. Und so finden sich unter diesen 26 Skizzen eben auch Tunes, die all das transportieren, was wir an Frühneunziger-Boombap so liebten, aber uns durch dämlich-weichgespülte Lyrics und bescheuertes Proll-MC-Gehabe madig gemacht worden war. »U.S.S.R. Repertoire« verneigt sich nicht trotzdem, sondern genau deshalb vor dem echten HipHop. Headz still ain’t ready.
Stephan Szillus

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