»Wir haben Drogen verkauft und genau davon wollte ich erzählen« // Raekwon im Interview

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Sein letztjähriges Album »Only Built 4 Cuban Linx… Pt. II« wurde mit überwältigender Mehrheit von den JUICE-Autoren und -Mitarbeitern zum US-Album des ­Jahres 2009 ­gewählt. Selbst das renommierte »Time Magazine« berücksichtigte den Nachfolger des ­legendären Coke-Rap-Meilensteins von 1995 in seinen Jahres-Top-10. Raekwon The Chef ist aus der ­zweiten ­Formationsreihe des Wu-Tang Clan an die vorderste Front getreten – ein Fußsoldat, der zum ­Anführer ­geworden ist. Weil er verstanden hat, dass Rapper seiner Generation sich nicht an Teenager-Trends und Swagger-­Magger ­anbiedern sollten, sondern mit verlässlichem Throwback-Sound auf qualitativ höchster Stufe viel mehr ­erreichen können. JUICE traf ­Raekwon in Los Angeles, um das aufregende letzte Jahr Revue passieren zu ­lassen und etwas über die anstehenden Projekte im Wu-Kosmos zu erfahren.

Du wirst als Lyricist respektiert, weil du es schaffst, vor dem inneren Auge des ­Hörers ­Bilder entstehen zu lassen. Was ist dein ­Antrieb, diese Geschichten zu erzählen?
Ich hatte immer schon eine Vorliebe für Texte mit Storys. Wenn ich Slick Rick und Rakim zuhörte, dann sprachen sie über Themen, die mit meinem Leben zu tun hatten. Ich hörte »Children’s Story« und dachte daran, wie wir vor der Polizei fliehen mussten. Wir sahen das »Follow The Leader«-Video und konnten uns damit identifizieren. Von daher wollte ich immer so etwas machen. Ich war nie ein Battle-MC, ich war nie der flyeste Punchline-Nigga. Wir haben Drogen verkauft, weißt du, und genau davon wollte ich erzählen.

Das erste »Cuban «-Album liegt 15 Jahre zurück. Kannst du nochmal genau erklären, warum du einen Nachfolger dazu aufnehmen wolltest?
Ich wollte der Welt beweisen, dass ich es immer noch drauf habe. Es war nicht ganz einfach, weil einfach andere Zeiten herrschten und alle auf einem komplett anderen Film waren. Und ich wollte ja niemanden dabei aufhalten, sein Geld zu verdienen und seine Miete zu bezahlen, nur damit ich meinen Punkt beweisen kann. Von daher habe ich immer wieder das erste Album angehört und mir überlegt, was es eigentlich ausmacht. Ein wichtiger Punkt war der Sound – wir brauchten diese großartigen Beats, die die Menschen immer noch hören wollen. Ich wollte die Menschen nicht zum Tanzen bringen, sie sollten zu der Musik einfach chillen können. Gleichzeitig war mir klar, dass sie diesen Sound nicht im Radio spielen würden. Ich habe dann entschlossen, das einfach in Kauf zu nehmen. Ich habe das Radio ignoriert und dafür das Internet als neuen Freund gewonnen. Und am Ende war das ­Internet viel einflussreicher.

Wie fühlt es sich an, wenn sogar das »Time Magazine« das Album für eines der besten des vergangenen Jahres hält?
Das ist, als wenn der Präsident persönlich vorbeikommt, um mir einen Besuch abzustatten. (lacht) Offensichtlich kümmern sich die Redakteure dort noch um authentische Musik. Meine wichtigste Waffe war ja, dass ich mich von diesem A&R-Zirkus und der Industrie ferngehalten habe, während ich das Album produzierte. Ich habe mich auf mein Bauchgefühl verlassen. Und die Menschen haben das offensichtlich gespürt, als sie das Ergebnis gehört haben. Weißt du, bevor das Radio die Kontrolle übernahm, hörte man neue Platten zuerst auf der Straße. Das Radio, die Zahlen, die Ratings, die Votings, das hat mit HipHop und der Kultur nichts zu tun. Im Radio geht es ums Geldverdienen, bei HipHop geht es um Talent und Herz. Natürlich, es ist ein Business, und man muss das respektieren. Aber für mich macht es keinen Sinn mehr, das Spiel auf diese Weise zu spielen.

Mit welchen Künstlern würdest du künftig gerne zusammenarbeiten?
Mit allen, die ich als Männer respektiere. Typen wie The Game oder Big Boi, die sind aus meinem Holz geschnitzt. Mit denen kann ich auch abseits der Musik gut reden. Aber man muss am Boden ­bleiben. Manche Niggas sitzen den ganzen Tag mit ihrer verdammten Sonnenbrille da. Ich rede mit ­keinem Nigga, der seine Sonnenbrille nicht ­abnimmt, wenn er mit mir spricht. Ich versuche immer, respektvoll und bescheiden zu sein. Real recognize real. Ich bin so, wie ich bin, und ich habe Respekt vor den ­Typen, die vor mir da waren und mir den Weg ­geebnet haben.

RZA hat den Sound für das letzte Wu-Tang-Album »8 Diagrams« in eine ganz andere ­Richtung gelenkt, als es auf »Cuban Linx II« der Fall war. Woran lag das?
Weißt du, RZAs Beat-Tapes sind eine ­Überraschungstüte. Für jeden Beat, den ich mag, spielt er mir auch einen vor, den ich nicht mag. Es ist wie bei Jelly Beans – der eine mag die schwarzen nicht, der andere liebt gerade die schwarzen. Ich hasse die schwarzen. Aber er hat auch genau die Beats, die Niggas wie ich brauchen, nur wird er damit niemals zu dir kommen und sie dir anbieten. Man muss zu ihm gehen und diese Dinger rauskramen, weil er sie nicht freiwillig rausrückt. Seine ­Philosophie ist es nicht, immer wieder das Gleiche zu machen – er will der größte Produzent aller Zeiten werden, und das ist cool, aber gleichzeitig brauchen wir diese klassischen Beats von ihm. Genau deswegen hatten wir damals unsere Probleme. Auf »8 Diagrams« ging er musikalisch so weit, dass wir ihm nicht mehr folgen konnten. Trotzdem hat er auch die Beats gemacht, die dann auf »Cuban Linx II« gelandet sind. Ich meine, wir waren richtig angepisst über »8 Diagrams«, aber wir haben das hinter uns gebracht. Es ist, als wenn man ein hässliches Kind zur Welt bringt. Man akzeptiert es. (lacht)

Wenn du dir HipHop im Jahr 2010 anschaust, was sind deine Gedanken über die Zukunft der Kultur?
Die Typen aus meiner Generation werden auf jeden Fall ein Problem bekommen. Die einzige Überlebenschance, die wir haben, ist, unser Ding zu ­machen, und die junge Generation ihr Ding machen zu lassen. Wir sollten sie unterstützen, wir müssen ihre Musik nicht immer mögen, aber vielleicht kann es eine Beziehung wie zwischen großem und kleinem Bruder geben. Ich werde jedenfalls weiterhin das machen, was ich am besten kann. Ich mache keine Musik für Zwölfjährige, ich werde nicht bei »106 & Park« ­eingeladen. Und das ist auch in Ordnung so. Ich gebe ­niemandem die Schuld, und ich will auch nicht über den ­aktuellen HipHop jammern. Das Einzige, was mich ­wirklich stört, ist die Tatsache, dass ­Glamour heute wichtiger als Skills ist. Nur Skills führen zu ­echten Klassikern. Und wenn diese Generation das nicht beherzigt, wird sie keine bleibenden ­Klassiker ­produzieren. Weißt du, ich höre zu Hause hauptsächlich The Temptations, The O’Jays, The ­Whispers, diese alten Soul-Gruppen. Die haben Alben ­gemacht, bei denen die Hörer etwas ­fühlen. Das fehlt heute. Wir brauchen nicht nur Spaß, ­sondern auch Kreativität und Emotionen.

Du hast »Cuban Linx II« über dein eigenes ­Label Ice H2O Records veröffentlicht. Welche Pläne hast du mit der Firma?
Das ist mir sehr wichtig, weil ich mich heute als Künstler und Geschäftsmann sehe. Die Industrie hat lange genug an mir verdient, jetzt sitze ich am ­anderen Ende des Tisches. Ich stolpere ständig über gute Musik, nicht nur HipHop, und jetzt habe ich eine Möglichkeit, diesen Künstlern gewisse Chancen zu bieten. Ich habe eine tolle Sängerin aus Neuseeland, ich habe einen elfjährigen Rapper, ich probiere alles Mögliche aus. Weil ich Musik liebe. Und dann habe ich CNN gesignt – ja genau, ­Capone und Noreaga, alte Freunde von mir. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, Millionen von Dollar zu verdienen und niemandem zu helfen. Man will doch von glücklichen Menschen umgeben sein, und anderen dabei zusehen, wie sie ihre Ziele ­erreichen und ihre Träume wahr machen. Loyalität ist das Wichtigste für mich.

Für dieses Jahr sind weitere Alben mit deiner Beteiligung angekündigt, u.a. ein ­gemeinsames Album von Ghostface Killah, Method Man und dir.
Genau! Jetzt wo ich weiß, was die Fans von mir wollen, bleibe ich der Formel treu. Wir werden wieder klassischen Hardcore-Wu-Stoff produzieren, das ist unsere Spezialität, das ist das, was wir am besten können. Das »Shaolin vs. Wu-Tang«-Album wird stark, so wie ein altes Wu-Tang-Tape. Ich will, dass Alben sich wieder so anfühlen wie Tapes. Das ist der Plan. Wir machen Musik für die erwachsenen Rap-Fans. Das ist unsere Herausforderung, und ich bin mehr als bereit, sie anzunehmen.

Text & Foto: Jorge Peniche

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