»HipHop ist für mich ein Lifestyle und keine Doktrin« // DJ Rafik im Interview

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Hat sich einmal ein Bild medienwirksam etabliert, gibt es so gut wie kein Zurück mehr. Zwangsjacke Corporate Design. Gina Schaffrath, Blanko Pooth und Co. ­lassen ­grüßen. Assoziative Verkettungen, die nur eine Facette zeigen – wie die von DJ Rafik mit seinem Titel als DMC World Champion. Sie sind nicht ganz falsch, aber auch alles andere als wahr; und vor allem zeichnen sie ein beschränktes Bild. Mit Gerüchten ist es ähnlich: Einmal im Umlauf, verlieren sie zunehmend ihr wahres ­Gesicht. Wer nun denkt, ein gnadenlos erfolgreicher Battle-DJ könne nur auf einer Hochzeit tanzen, der denkt falsch. Und wenn einer Props von so verschiedenen Instanzen wie Azad, Aphroe und Questlove ­bekommt, dann zeigt das nicht zuletzt, dass er irgendetwas richtig macht. Ein Gespräch über den Niedergang des ­Turntablism, Lupe-Fiasco-Remixe und Vivaldi-Interpretationen mit dem Plattenspieler.

Zwar sind aller guten Dinge drei – aber nur drei zahlende Gäste bei der letzten IDA in München sind wenig. Ist Turntablism in Deutschland so tot wie Auto-Tune?
Dass es so schlimm war, wusste ich nicht. Erstmal hört sich das furchtbar an, aber heutzutage ist es ­so eine Sache mit Turntablism. Es ­verschwindet immer mehr und das hat ­verschiedene Gründe. Das heißt nicht, dass es keine Leute gibt, die das nach vorne treiben. Ich bin selbst Fan davon. Aber es findet einfach ­weniger statt, sowohl in den Medien als auch in der Musik.

In einem Interview hast du ­gesagt, insbesondere das Viacom-­Musikfernsehen hätte Schuld ­daran, dass Turntablism in den Untergrund zurück musste.
Das war mehr ein Witz als ernst gemeint. Natürlich hat das eine Menge verändert, aber alles darauf zu schieben, wäre zu kurz gedacht. Vielleicht hat es mehr mit Evolution zu tun. Deutschland ist ein Land, das Trends folgt. Wenn Turntablism plötzlich weniger präsent ist, bekommen Kinder von heute es nicht mehr so vorgesetzt wie die Kinder aus meiner Generation. Deswegen scheint es eher unwahrscheinlich, dass heute eine Zahl, riesengroß wie um 2001, einer relativ schwierigen Geschichte nerdig hinterher läuft. Dass du ein Finale hast mit 2.000 Gästen. Dass Vorausscheidungen stattfinden, weil zu viele DJs am Start sind. Ich tue mich schwer damit, weil für mich ist und bleibt Turntablism nach wie vor eine krasse Leidenschaft. Ich gucke mir das an, ich verfolge das noch. Es ist einfach kleiner geworden, aber dadurch verliert es für mich nicht an Bedeutung.

Du hast die 2.000 Gäste ­angesprochen, die 2001 beim ITF-Finale in der Muffathalle waren. Was ­haben Szenefremde vor ein paar Jahren noch verstanden und heute nicht mehr?
Meiner Meinung nach hat es weniger mit Verständnis zu tun als mit Konditionierung. Ich versuche, ein Pendant zu finden. Nehmen wir mal Skateboarding, da schwappt eine Menge aus den USA rüber, das dann hier als der neue Scheiß gehandelt wird, weil er einfach nicht von hier ist. Deswegen ist die Szene intakt. Was auch nicht uninteressant ist, ist die Platte an sich – ihr Stellenwert. ­Platten werden nicht grundlos rar, und sie sind nun mal das Handwerksinstrument. Aber das sollte nur ein Vergleich sein. Vielleicht klingt das jetzt schräg, aber ich bin auch ein bisschen raus aus dem ganzen Ding.

Es gibt auch die Grabenkämpfe zwischen Realkeepern und Innovatoren. Wie wird die IDA wieder für mehr als drei Leute attraktiv?
Schwierig. Natürlich geht es weltweit zurück, aber dass nur drei Leute bei der IDA waren, ist tatsächlich ein deutsches Problem. Was müsste passieren? Veranstalter sollten weniger Geld verbrennen, wenn sie solche Events hosten. (lacht) Langsam wird es echt hart, diese Sachen durchzuziehen, weil das Feedback gleich null ist. Alles, was mir dazu einfällt, ist, dass die Leute weiterhin ihren Kram machen sollten. Vielleicht kommt dann Turntablism eines Tages zurück, wie Vinyl gerade. Viel entscheidender ist für mich, ob dieser Wettbewerbsgedanke im Jahr 2009 wirklich noch so wichtig ist. Das ist ja die einzige Ausdrucksform, die man hat. Wenn man Turntablist ist, geht man zu Battles. Kennst du noch »Tableturns«? Das war eine VHS-Kassette, die rauskam, als auch die Invisibl Skratch Piklz-Videos groß waren. Es gab da einen Event namens 5th Platoon. Das war einfach eine Jam mit DJs, die immer gut besucht war – und das ganz ohne Battles. Wenn ich etwas für die Szene tun würde, würde ich kein Battle veranstalten, sondern so etwas.

In Frankreich und Polen soll mehr gehen. Wieso?
In Frankreich und Spanien ist die Szene noch recht stark. Die Leute sind anders drauf und das ist da auch viel mehr verwurzelt. HipHop ist in Frankreich mehr wie in den Staaten. Für mich war das immer eine Art Lifestyle, in den man reinwächst, während es dort schon ruffe Hoods und ­Sachen wie IAM gab. Ich finde, dass das zwei Welten sind.

Bedeutet eine kleinere Szene ­höhere Qualität?
Nein, ich sehe den Unterschied zwischen Crowd und Akteuren. Als wir damals mit Lordz Of Fitness international zum ersten Mal die deutsche Flagge hissten, haben viele Akteure gesehen, was da geht, einen anderen Zugang gefunden und sind mittlerweile sogar Weltmeister. Ich denke, das war in sich eine Mob-Geschichte, während die Crowd da leider nicht mitgezogen ist. Wir kriegen kaum Support für eigene Sachen. So hat es nicht gereicht, einen Hype zu kreieren. Aber darin sind die Deutschen ja besonders gut. (lacht) Und apropos höhere Qualität: Ich halte permanent die Augen offen, aber wenn ich mir angucke, was im Moment passiert, muss ich mir das auch nicht geben. Die DMCs dieses Jahr (stöhnt) – auf jeden Fall nichts für mich.

Und wieso nicht?
Um das jetzt mal auf eine nerdige Ebene zu bringen: Die letzte Bewegung im Turntablism war diese Dubplate-Sache bzw. Euro-Schiene, an der Netik, ie.Merge, Fly und ich beteiligt waren. Die Idee dahinter war, Kompositionen technisch möglichst anspruchsvoll umzusetzen. Das war cool für mich, weil ich gemerkt habe: Geil, hier kann ich mich so richtig kreativ austoben! Der Move hat definitiv Licht in den dunklen Raum geworfen, ist aber jetzt gerade alt und langweilig geworden. Dennoch wird die gleiche Schiene sehr eindimensional weitergefahren. Alle benutzen Hardcore-Sounds, weil Le Jad soundmäßig die Weichen gestellt hat. Nur klingt das Ganze jetzt nach einer ­unendlichen Thunderdome-goes-Dubstep-­Geschichte. Und obwohl ich Nerd bin, langweilt es mich. Mir fehlt im Moment der DJ Noize-Typ. Jemand, der ankommt – wie DJ Noize es 1996 tat – und alles auf den Kopf stellt. Oder eben jemand wie UnKut, der das, was wir die letzten Jahre gemacht hatten, auf ein unglaubliches Level gepusht hat.

Du ziehst dich zunehmend ­zurück, aber braucht die Szene nicht ­gerade einen wie dich?
Turntables und Mischpult sind für mich wichtig wie eh und je. Wenn ich Scratch-Videos mache oder Web 2.0-Sachen angehe, halte ich meine Fahne hoch. Per Internet kann man fast die ganze Welt erreichen und weder ich noch irgendwer anders geht mit geknicktem Ego nach Hause. So sollte der Style sein. Natürlich versuche ich auch, Scratches einzubringen, wo es nur geht – nur eben nicht mehr auf DJ-Battles. Ich gehe nach wie vor judgen, auch wenn es mir ­keinen Spaß macht, jemanden zu kränken. Es ist ja nicht so, dass ich der Szene komplett den Rücken zugedreht habe. Nur finde ich es einfach wichtig, sich weiterzuentwickeln.

Du bist nicht angetreten, um ­deinen DMC-Titel zu ­verteidigen. Hatte es sich damals schon ­ausgebattlet?
Ach. (seufzt) Wenn ich ehrlich bin, sympathisiere ich seit 2003 mit der Idee, mit Battlen aufzuhören. Was mir nicht gefällt, ist eben dieser Wettbewerbsgedanke. Mit der DMC habe ich mir einen Traum erfüllt. Das war wichtig für meine Karriere und hat der ganzen jahrelangen Arbeit die Krone aufgesetzt. Ich hatte ein riesengroßes Ziel erreicht und plötzlich fragte ich mich: Was will ich überhaupt? Zuerst dachte ich, ich kann da noch mal mitmachen, aber im Endeffekt wäre es wieder der gleiche Druck gewesen. Wenn du als Favorit gehandelt wirst und dir jeder erzählt, dass du alle wegknockst – du aber weißt, dass das nicht für lau ist – ist das richtig Pressure. Echter Nervenstress. Ein bisschen Lampenfieber auf der Bühne kann man immer haben, aber das muss nicht sein. Ich mache das, weil ich das liebe und nicht weil ich mich psychisch terrorisieren will. Sechs oder sieben Titel – ist es das wirklich wert? Ich weiß es nicht. Es gibt diverse Sachen, die ich in der Zeit machen will, die mir zur Verfügung steht. Da setze ich die Prioritäten jetzt anders und nehme einfach das Gute aus acht Jahren Battle-Erfahrung mit, um Musik zu machen. Ehrlich gesagt, bin ich sehr happy damit. Wenn ich jetzt noch mal eine Routine mache, dann mache ich ein Video wie zu »Gold Steel«, anstatt damit bei einem Battle aufzukreuzen.

Mal abseits vom Nervenstress, war dem Musiker in dir der Battle-DJ-Stempel nicht irgendwann zu dominant?
Total, du triffst es voll auf den Punkt. Manchmal ist es ein Segen, manchmal ein Fluch. Ich denke, ich bin relativ vielfältig, was meine Fähigkeiten anbelangt. In erster Linie bin ich immer DJ gewesen und nicht Turntablist. Vorher habe ich fünf Jahre gemixt. Ich bin cool, wenn Leute im Club Mucke hören, mit dem Flow gehen oder sich einfach nur totfeiern. Aber von Zeit zu Zeit kommt es eben vor, dass Leute sich direkt vor mir hinstellen – anderthalb Stunden lang – und mich angucken wie ein Auto, weil die nicht raffen, warum da jetzt Four-to-the-Floor-Kickdrums aus den Speakern dröhnen.

Titel sind nicht alles, Anerkennung gibt es auch anders. Angeblich hast du sogar mal Questlove derart ins Staunen versetzt, dass er dich gleich für ein Projekt einspannen wollte. Was ist dran?
Er war auf jeden Fall geflasht. ­Irgendwas hat er kurz überlegt, aber in meiner Variante reicht es mir, dass er mir Props gegeben hat und wollte, dass ich das nochmal mache. Und ja, es gab Gerüchte, die ich jetzt nicht bestätigen will, dass er kurz überlegt haben soll, ob man mich nicht irgendwie einspannen könnte, weil The Roots damals gerade auf Tour ­waren. Daraus hat sich nichts ergeben, aber nicht schlimm. Vielleicht ist das so ähnlich wie mit der Q-Bert-Story. ­Alles stimmt zu 80 Prozent, aber die restlichen 20 werden durch stille Post addiert. (lacht)

Kommen wir zur Q-Bert-Story. Er war nicht weniger begeistert und bestellte dich in die Staaten. An der »Scratchlopedia ­Breaktannica« hast du mitgewirkt, was ist sonst noch in San Francisco ­passiert?
Q und ich sind ja befreundet. In einer Phase, in der ich nicht genau wusste, wo es mit mir hingeht, dachte ich spontan: Komm, ab in die Staaten! Du bist lieber in San Francisco als in Düsseldorf-Unterbach. Leider ist dann die Finanzkrise dazwischen gekommen. Mit Q hat das übrigens nichts zu tun, das Ganze ist an einer dritten Person gescheitert. Es gab Business-Pläne, die nicht aufgehen konnten, weil eben Letzterer von heute auf morgen wie vom Erdboden verschluckt war. Im Anschluss habe ich mir dann gesagt: Bis hierhin war es cool. Geh jetzt, bevor du dich ärgerst, dass hier nichts geht, Leute in Europa dich buchen wollen und du auf San Franciscos Mietkurse klarkommen musst. Und das war eine gute Idee, in der Zwischenzeit bin ich hier richtig happy geworden. Mit Artist Alive! habe ich ein Team bzw. ein funktionierendes Netzwerk aus verschiedenen Musikgenres, Streetart und Streetwear gefunden, wo ich mittlerweile sogar bezweifle, ob das drüben in der selben Form möglich gewesen wäre.

Q-Berts »Rapper’s Delight«-Routine bringt ironischerweise das auf den Punkt, was HipHop-DJs seit eben diesem Track fehlt: eine Stimme. Drückt sie ihre ­Koexistenz in die Electro-Szene?
Komischerweise sind ein paar Leute den Weg gegangen: Clever, A-Trak, die Ed Banger-Leute, Kid Fresh und ich. Dadurch, dass Turntablists elektronischen Sounds nie abgeneigt waren, kam die Verbindung zustande. Und jetzt denken viele Leute mit Luft für ein Alternativ-Aka getreu dem Motto: (in Roboterstimme) Damit kann man noch – was reißen. Ich werde jetzt – Electro-DJ. Aber ich glaube nicht, dass die alle wirklich einen Bezug zur Techno- oder Electro-Szene haben. Mir ist egal, wo es herkommt, denn dieses Club-Movement, das sich seit Jahren aufbaut, aber gerade etwas orientierungslos wirkt, ist wie für mich geschaffen. Nun scheint der Ed Banger-Hype vorbei, und alles fragt sich: Ist es weiterhin Knarz-Rave? Ist es Indie? Oder UK Funky? (lacht) Egal! Hauptsache, elektronischer und ­möglichst eklektischer Clubsound.

Hier machst du einen Lupe ­Fiasco-Remix, dort feierst du grimmigen Electro-House à la Proxy. Wirst du weiterhin ­mehrgleisig fahren?
Primär konzentriere ich mich auf Dance, Rock und HipHop im Mash­up. Eklektik, das ist genau meine Schiene. Ich feiere auch kompletten Untergrund-HipHop, nur muss ich das portionieren. In meinen Turntable Jazz-Zeiten habe ich oft versucht, auf Partys Farbe zu bekennen, aber das funktioniert nicht, z.B. ist der Lupe Fiasco-Remix eine reine Liebhabersache, gehört aber nicht in den Club. Andersherum verpasse ich jetzt keinen Guilty Simpson- oder Black Milk-Release, nur weil ich Electro auflege. Ich hatte immer gedacht, das könne man nicht unter einen Hut bringen, aber wenn ich den Stinkefinger hochhalte und einfach das mache, worauf ich Bock habe, fahre ich am besten. HipHop ist für mich ein Lifestyle und keine Doktrin. Und bei den Künstlern, die für mich relevant sind, ist dieses primitive Zwei-Klassen-Denken in keiner Weise kognitiv ausgeprägt, z.B. bei Medaphoar, mit dem ich touren konnte.

Es scheint jedoch, als wäre Deutschrap für dich eher eine Randerscheinung. Wie kam es also zu den Kollabos in letzter Zeit?
Da RAG meine Deutschrap-Phase einläuteten, war es für mich eine Ehre, Aphroe kennen zu lernen und mit ihm zu arbeiten. Stellvertretend für Aphroe verkünde ich jetzt einfach mal, dass ich sein Live-DJ bin. Wenn es der Terminplan zulässt, stelle ich mich mit Leib und Seele für ihn an die Decks, denn das war meine Zeit, und ich identifiziere mich komplett damit. Da denke ich mir: Geil, Alter! Jetzt kannst du den Fader runterziehen und dann brüllen alle: »Kopf! Stein! Pflaster!« (lacht)

Du hast aber auch für Azad sein »Azphalt Inferno« gemischt.
Das hat sich einfach so ergeben. Als »Leben« rauskam, habe ich noch im Plattenladen gearbeitet und hatte dadurch automatisch mehr mit Deutschrap zu tun. Ich war wirklich Fan von ihm, er ist ja auch DJ. Dass er so krass scratchen kann, hat mich total geflasht. Damals war er besser als ich, muss ich ehrlich zugeben. Als dann die Connection kam, ist es genau derselbe Vibe gewesen wie bei Aphroe. Wenn ich im Club auflege, Scratches für Azad oder einen Beat für Afrob mache, dann sind das für mich ganz verschiedene Paar Schuhe. Dass ich auf so vielen Hochzeiten tanze, ist schon ein gewagter Spagat. Aber mir geht es besser, seitdem ich mir da keinen Kopf mehr mache.

Was für Projekte stehen sonst noch bei dir ins Haus?
Obwohl ich bekennender Web 2.0-Fan bin, habe ich mit meinem Output bisher gegeizt. Es liegt einfach daran, dass ich traditionell sehr selbstkritisch bin. Aber ich bin jetzt auf einem Level angelangt, wo ich denke, es ist an der Zeit, damit rauszugehen. Wenn man so will, habe ich gerade meine erste Offensive vorbereitet, bestehend aus einem Mix und zwei Tracks – elektronisch, housy, mit Einflüssen von der Seite, so würde ich das mal grob beschreiben. Ansonsten verbringe ich viel Zeit im Studio, weil ich meinen Output unbedingt nach vorne bringen will. Ich produziere Stücke bei mir im Hausstudio vor und tweake die dann regelmäßig mit Pitchben aka M-Tech in München. Wir sind alte Freunde und das passt gut zusammen, weil er in Bezug auf Mixdown und Business-Politics extrem fit ist. Was ich auch noch seit längerem vorhabe, ist ein Blog. Der Gedanke dahinter war, von den ganzen Hochzeiten, auf denen ich tanze, regelmäßig Updates zu liefern. Das Gute an Blogs ist ja, dass die Leute selbst filtern können, was sie interessiert.

Wird es auch einen physischen Release geben?
Das lasse ich mir erstmal offen. Ich will einfach Sachen raushauen. Wenn sich Deals mit Labels ergeben – wieso nicht? Aber bei den Sachen, die ich jetzt droppe, ist es mir einfach wichtig, dass sie verfügbar sind. Sample-Clearance hin oder her. Webkram, Gigs und Produktion – das ist für mich das Wichtigste im Moment.

Für einen Mix wolltest du Kid Fresh ins Boot holen, der sitzt aber in Hongkong. Wie ­funktioniert das?
Wir sind noch sehr gut connectet, wir leben ja in einer vernetzten Welt. Ich könnte jederzeit mit ihm quatschen wie früher, nur muss man jetzt den Zeitunterschied beachten. Außerdem kommt er einmal im Jahr auf Europatour und ich mindestens einmal im Jahr nach Hongkong. Es ist schon ­lustig, dass man an zwei verschiedenen Enden der Welt wohnt und überhaupt nicht Gefahr läuft, sich aus den Augen zu verlieren. Da er gerade busy bis zum Abwinken ist, muss ich wohl noch ein bisschen Überredungsarbeit leisten, um ihn für die Mix-Geschichte zu begeistern. Aber prinzipiell wäre es überhaupt kein Problem, ­Global-Pingpong-Style eben. (lacht)

Le Jad, Cosmic Delivery, ­Turntable Jazz – du arbeitest gerne im ­Kollektiv. Mit welchen ­Künstlern würdest du gerne noch ­zusammenarbeiten?
Ich arbeite gerne im Kollektiv, aber ich bin auch gerne mal alleine. (lacht) Q-Bert wäre immer noch ein Traum, oder M.I.A. und Santigold. Jemanden zu finden, der mir den absoluten Overkill verpasst, der Musik macht, die ich noch nie gehört habe, aber nach dem ersten Takt komplett raffe, das wäre killer. Auf meinem Schreibtisch liegen Sachen, die schon konkreter sind, aber bevor die Gerüchte so crazy abgehen wie mit San Francisco und Questlove, hüte ich lieber meine Zunge. Eine Kollabo ist aber sicher: Scheinbar hatte Mr. Mixx meinen Kram auf dem Schirm, und dass die 2 Live Crew für mich kein unbeschriebenes Blatt ist, versteht sich von selbst. In welche Richtung das gehen wird, steht noch nicht fest. Wir werden sehen, er ist ja jetzt relativ viel in Deutschland unterwegs.

Bei der Releaseparty von Boys Noize warst du auch mit von der Partie. Ist Nu Rave eine Richtung, in der du dich wohl fühlst?
Diese Schiene weist eine Menge Parallelen zur Rock-Szene auf. Ich habe früher selbst Schlagzeug in einer Hardcore-Punk-Band gespielt, und daher komme ich auch hervorragend auf den etwas härteren Electro-Sound klar. Die Leute, die auf so eine Veranstaltung kommen, feiern einfach richtig krass. Was da abgeht, findest du nirgendwo anders. Genauso bekommst du auf einem Auftritt von Georgia Anne Muldrow etwas, was du bei Boys Noize nicht kriegst. Man kann das jetzt für verrückt halten, aber ich höre so was wirklich gerne. (lacht)

Auf Gigs trägst du Shirts von Mr. T, auf deiner MySpace-Seite stechen ein Ghettoblaster mit Tapedeck und ein grauer Gameboy ins Auge. Kann man gleichzeitig nostalgisch sein und digitale Setups uneingeschränkt lieben?
Ich stehe generell auf Kombinationen aus Alt und Neu. Ich bin ein Fan von Innovation, und mit dem digitalen Stuff bekomme ich unzählige Gimmicks mehr, um kreativ zu flippen. Natürlich ruft das immer die Debatte »real oder fake«, »Save the Vinyl« und Co. auf den Plan. Mit digitalem Auflegen ist es wie mit den Dubplates damals im Turntablism. Es verschafft dir Möglichkeiten, die du unter gewohnten Umständen – sprich: zwei Plattenspieler und ein Mischpult auf Phono-Basis – nicht hast. Vor allem Effekte sind auf dem Vormarsch. Ich lege ja mit Traktor von Native Instruments auf. Als Turntablist fordert man die Technik ziemlich krass heraus und dann will man natürlich das haben, was am meisten standhält. Und das ist meiner Meinung nach Traktor. Da hast du Effekte, die man unendlich kreativ nutzen kann. Du hast eine Präzision fast wie bei Vinyl, und auch der Sound findet langsam auf den Weg.

Obwohl die Birdy Nam Nams noch nicht mal Noten lesen können, behauptet Need, Turntables seien das mächtigste, universalste ­Instrument überhaupt.
Ja. Ein Turntable ist nackt. Erst mit deiner Auswahl bestimmst du ihn zum Instrument. Ein Turntable lässt sich in jedes andere Instrument verwandeln, ohne seine Charakteristik zu verlieren. Du hörst einfach, dass es ein Turntable ist. Ein Turntablist ist auch immer Live-Sampler und -Sequencer in einem, insofern würde ich die Aussage unterschreiben. Das bringt mich auf ein anderes neues Projekt von mir: Mein Vater ist Konzertmeister bei den Düsseldorfer Symphonikern, und mit ihm werde ich eine Vivaldi-Geschichte neu interpretieren. Turntable und Geige, Hand in Hand. Es ist abgefahren, dass das funktioniert. Nur die Leute, die das initiiert haben, haben noch keine Ahnung, was sie erwartet. Die sind cool damit, wenn ich scratche. Dass jemand mit einem Turntable einfach Musik macht, das haben sie noch nicht mal in ihren kühnsten Träumen für möglich gehalten.

Text: Michael Stein

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