Favorite: »Andere müssen scheißen, ich muss rappen.«

-

Ebenso hast du auf deinem neuen Album auch die Reflexion über private Dinge komplett außen vor gelassen.
Ja, das stimmt. Ich wollte keine politischen Songs oder emotionalen Ausbrüche auf diesem Album, ich wollte nicht kurz mal christlich werden. Das hatte ich auf meinen früheren Alben ja immer wieder, dass ich auf ein paar Songs auch mal »nett« war oder persönlich wurde. Das ist nun verschwunden, stattdessen gehe ich 16 Songs lang nur ab. Ich schweife ab, aber nicht mehr aus. (grinst)
 
In der Wortwahl bist du allerdings schon ziemlich ausschweifend, oder?
Zumindest bin ich wirklich vulgär und darin sehr kreativ, das kann man schon sagen. Das passiert aber einfach so, ich bin so, ich setze mich nicht bewusst hin, um ein vulgäres Album aufzunehmen. Ich habe keine Motive, wenn ich Musik mache, nur damit ihr das versteht. Ich bin unschuldig, sozusagen.
 
Wie ein kleines Kind, das, ohne zu realisieren, was es da tut, mit dem eigenen Kot spielt – um in deiner Sprache zu bleiben.
Genau. Ich bin immer noch das kleine Kind, das es nicht geschafft hat, diese Abnormalität abzulegen. (kichert) Jetzt bin ich raus, wo waren wir stehen geblieben?
 
Wir sprachen über deine Motive dafür, keine »persönlichen« Songs mehr aufzunehmen.
Ach, richtig. Alles, was an meiner persönlichen Vergangenheit interessant ist, habe ich schon erzählt. Ich habe in der Vergangenheit öfters Seelenstriptease betrieben, aber meine Eltern sind seitdem nicht noch mal gestorben. Und meiner Tochter geht es auch gut. Es gibt also nichts »Deepes« zu berichten.
 
Also ist dein Leben momentan ziemlich gut?
Bis auf das mit Elvir ist mein Leben momentan einfach überragend. (lacht) Ich beklage mich ja tatsächlich gern, sofern ich einen Grund habe. Ich verstecke so etwas niemals bewusst, aber momentan gibt es da einfach nichts.
 
Dafür klingt deine Musik allerdings immer noch ziemlich wütend.
Ich bin nun mal die wütende, blonde Bestie. Mein Alltag gefällt mir auch deswegen so gut, weil ich die in meiner Musik rauslasse.
 
Auch die »Blonde Bestie« ist eine Formulierung, die auf Nietzsche zurückgeht und, verfälscht und vereinfacht (siehe auch: »die blonde Herrenrasse«), von den Nationalsozialisten in ihre menschenfeindliche Ideologie eingespannt wurde. Im Video zu Favorites Single »Europas wichtigster Mann« wiederum lässt sich dieser in Originalaufnahmen aus dem Privatleben von Adolf Hitler hineinmontieren. Eine weitere Anspielung auf Favorites Nietzsche-Fimmel? Oder bloße Provokation?
 

 
Hast du dich auch deswegen in dem ersten Video zum neuen Album neben Adolf Hitler gestellt, weil du dich selbst beziehungsweise die Kunstfigur Favorite als genau das siehst: als eine wütende, blonde Bestie?
Dazu muss ich mal sagen: Es gab den Nationalsozialismus, doch der ist mittlerweile tot, und das ist auch gut so. Die haben Krieg geführt, haben verloren, das ist gut und deswegen gibt es eine solche Politik in Europa zum Glück nicht mehr. Aber warum ich im Video trotzdem neben Hitler stehe? Einfach, weil wir das können, und weil ich das witzig finde. Außerdem heißt der Song ja »Europas wichtigster Mann«, und ich bin nun mal leider Deutscher. Außerdem hat mein Rap häufig etwas sehr Herrisches. Wenn ich dann also neben Hitler stehe, um ihn zu verarschen, dann finde ich das gut. Das war auch alles meine Idee. Ich bin unter den Ausnahmen die Ausnahme. (lange Pause)
 
Und was hielt das Label anfangs von der Idee?
(Verstellt die Stimme) »Ja geil, das machen wir. Da regen sich die Leute auf, wir verkaufen Platten und verdienen damit Geld.« (alle lachen) Und dann hatten sie alle Eurozeichen in den Augen.
 
Natürlich, Hitler zieht hierzulande immer, zielt man auf die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Andererseits ist der Drops eigentlich längst ausgelutscht. Aber auch wenn sich Favorite im Interview kein tiefergehendes Motiv anmerken lässt, muss (insbesondere jetzt, Anfang 2015) auch für ihn gelten: Humor und Satire dürfen keine Grenzen haben. Oder?
 
Hat dein Humor also Grenzen? Wo liegen die?
Natürlich hat er die. Wen fragst du jetzt? Favorite, den Künstler, oder den Mensch Christoph? Der Christoph, der lacht natürlich nicht darüber, wenn ein Kind in Palästina erschossen wird. Wenn im arabischen Raum Dreijährige aufgrund von Verletzungen durch Bombenangriffe im Rollstuhl sitzen, dann ist das überhaupt nicht witzig. Aber für Favorite gibt es im Prinzip nichts Witzigeres als solches Leid. Der labt sich daran sogar. Ich bin also nicht nur Favorite, ich bin auch dessen Gegenteil.
 
Erst mal einen Moment lang durchatmen: Ja, wir sind erneut an die Grenze der Kunstfigur Favorite gelangt. Das ist tatsächlich noch wer anders hinter der Maske.
 
Zur selben Zeit?
Ich bin nicht schizophren, natürlich nicht. Das eine ist ganz klar Kunst, das andere ist der Mensch.
 
Dein Karrierebeginn ist nun knappe zehn Jahre her. Damals war dieser derbe Humor, den neben dir auch K.I.Z. populär gemacht haben, etwas Neuartiges.
Das stimmt. K.I.Z. sind allerdings viel »witziger« als ich, bei denen merkt man die Ironie meistens sehr schnell. Bei mir ist der Unterton ein anderer.
 
Mittlerweile gibt es mit Karate Andi, den 257ers und Trailerpark, um nur ein paar zu nennen, mehr Künstler, die auf harten, schwarzen Humor setzen.
Trailerpark, das sind ja auf jeden Fall meine Kinder. Ich hinterlasse irgendwo Keime, dann wachsen die heran, und irgendwann entstehen aus Einzellern diese Rap-Gruppen.
 
Wenn Karate Andi das gemeinsame Kind von dir und Kollegah ist, dann sind ­Trailerpark logischerweise die Zöglinge von dir und K.I.Z., oder?
Absolut. Trailerpark ist auf jeden Fall eins von diesen Kindern, auf die man als Elternteil nicht stolz ist. Man hat die halt, aber soll man die jetzt deswegen umbringen? Das ist auch okay, dass es die gibt. Es wäre ja ein Diss gegen mich, wenn es keine Rapper gäbe, die ich beeinflusst habe. Guck dir mal Laas Unltd. an: Der hinterlässt nichts, niemand will sein wie der. Warum? Na, weil er scheiße ist. Ende.
 
Von wem lässt du dich beeinflussen?
Von niemandem. Ich genüge mir selbst. Ein bisschen »Gay Rap« habe ich allerdings von Eminem übernommen. Als ich den Song schrieb, war ich auf jeden Fall ein Stück weit von seinem letzten Album beeinflusst. Der hat so witzige Sachen über das Schwulsein geschrieben, dass ich mir dachte: Schwul sein, das muss jetzt auch mal jemand in Deutschland. Er hat das aber sehr zart gemacht, also beanspruche ich das für mich jetzt volle Kanne. Und noch besser wäre es, wenn ich Eminem jetzt nicht in diesem Interview erwähnt hätte. (kichert)
 
Was würdest du Eminem sagen, wenn du ihn kennenlernen würdest?
Du bist dumm, Junge. Warum hast du mich nicht gefeaturet? Wie kann es sein, dass du mich nicht kennst? Obwohl, du kennst mich sogar, ne? Warum sagst du das dann nicht? Bruder, geh kurz auf die Knie, dann darfst du mich auch featuren. Eminem ist einfach ein übertrieben krasser Künstler, das soll also kein Disrespekt sein. Das, was er geschaffen hat, war revolutionär, Musik für die Ewigkeit und große Rap-Geschichte. Wenn ich also Späße über Eminem mache, dann mache ich die mit viel Liebe. Ich bin kein Chandala, ich bin keine Gefahr für die Gesellschaft. Im Gegenteil: Ich schaffe sie mit – denn ich liebe die Menschen sehr. Ich bin ein Hurensohn, aber ich bin nicht asozial.
 

 
Du liebst und hasst die Menschen zugleich?
Ich hasse die Menschen überhaupt nicht. Selbst wenn ich sie verachte, dann tue ich das aus Liebe. Ich bin selbst Mensch, ich bin Teil dieser Menschheit. Deswegen muss ich an sie glauben. (verstellt die Stimme, quietscht beinahe) Und was ist mit den Walen? Und mit den Delfinen? Die interessieren mich nicht, die brauche ich nicht. Aber Mensch bin ich, deswegen muss ich die Menschen lieben.
 
Du bezeichnest dich als Mensch, aber nennst dein Album »Neues von Gott«. Warum?
Damit meine ich jedenfalls nicht mich. Auf einem Song rappe ich: »Früher war der Geist Gott, später dann Philosoph/Bis vor kurzem war er noch Pöbel, jetzt geht es wieder hoch«. Das soll sagen, dass dein Geist, die perfekte Intuition, Gott ist. Wenn Mohammed über Gott redet, dann ist sein Geist komplett befreit, und dadurch hat er das Menschsein überwunden. Erst so versteht er, was Gott zu ihm spricht. Das ist eigentlich Religion.
 
Also ist dein Album Religion?
Ja, das ist richtig. Ich bin nicht Gott, aber ich bin göttlich.
 
Kann dieser »göttliche Funke« auf deine Fans überspringen, wenn sie »Neues von Gott« hören?
Mit Sicherheit. Genau das ist auch meine Verantwortung als Künstler. Ich muss mit meiner Musik Menschen dazu erziehen, dass sie irgendwann auch die Chance haben, diesen göttlichen Funken in sich zu tragen. Warum sollte ich mich mit weniger zufriedengeben?
 
Wir sind erneut abgeschweift. So langsam wird es Zeit, dieses Gespräch ausklingen zu lassen. Vielleicht mit dem letzten Versuch einer persönlichen Annäherung an Christoph Alex?
 
Verspürst du Stolz auf das, was du als Musiker in den letzten zehn Jahren erreichst hast?
Ich bin natürlich nicht ohne Grund hier, ich habe viel dafür getan. Ich stand damals, vor über zehn Jahren, vor einer großen Entscheidung: Soll ich nun rappen oder was »Vernünftiges« machen? Ich entschied mich für Rap, und diese große Entscheidung war die richtige. Zehn Jahre später ist mir natürlich immer noch bewusst, wie schlecht, wie scheiße ich am Anfang war. Wie könnte ich da mittlerweile nicht stolz sein? Natürlich stolziere ich nicht durch Rap-Deutschland und klopfe mir die ganze Zeit deswegen auf die Schulter oder binde das jedem auf die Nase. Ich bin ruhig geblieben, aber man sieht mir meine Zufriedenheit an.
 
Seit der Veröffentlichung von »Christoph Alex« und in den darauffolgenden Jahren hat sich in deinem Privatleben einiges getan. Du bist zum Beispiel Vater geworden. Bist du darauf auch stolz?
Ich bin sehr stolz auf meine Tochter. Sie ist gesund, das ist das Wichtigste. Außerdem sehe ich, sie macht sich. Meine Tochter zu bekommen war das Schönste, was ich in meinem bisherigen Dasein erleben durfte.
 
Aber deine Musik beeinflusst das nicht?

Ich rappe ab und zu über Lia, so heißt meine Tochter, aber immer nur abwertend. Genauso wie bei Eminem tue ich das vor dem Hintergrund, dass ich als echter Mensch, als verantwortungsvoller Vater in Wahrheit wahnsinnig stolz bin, sie zu haben. Aber als Künstler muss ich das quasi verneinen und stelle das Gegenteil von dem dar, was ich tatsächlich glaube. Das ist Favorite.
 
Das ist Favorite. Ein guter letzter Satz. Und die beste Erklärung für den künstlerischen Ausdruck dieses Provokateurs, die wir heute aus ihm rausbekommen werden. Wir verabschieden uns. Das war Favorite. ◘
 
Fotos: Laion
 
Dieses Interview erschien als Titelstory in JUICE #165 (hier versandkostenfrei nachbestellen).
U1_JUICE-165-2

 

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein