El-P & Killer Mike: »Wenn wir das Zeug nehmen, arbeiten wir wie Gestörte« // Interview

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Killer Mike und El-P haben das Konsens-Album der aktuellen Spielzeit aufgenommen – zwei Ü-30 Rapper, die schon vor Jahrzehnten mit ihrer Dungeon-/Def Jux-Family das Verständnis von ­alternativem Rap auf ihre eigene Weise mitdefinierten; Grammy-prämierte Underground Kingz und Boiler Room-Gäste zugleich. Dass Jamie und Mike erst im hohen Alter als Odd Couple zueinander ­finden, verdanken sie einem gemeinsamen Freund beim Comedy-Netzwerk Adult Swim. El, der ­gerade »Cancer 4 Cure«, ein posttraumatisches Album, auf dem er den Tod seines besten ­Freundes verarbeitet, fertigstellt, findet in Mike einen geistesverwandten Studiopartner und Brudi fürs Leben. Im Stile eines klassischen Produzenten/MC-Duos entsteht 2012 das unterschätzte Album »R.A.P. ­Music«, auf dem El-Producto die düster-verzerrte Effektkulisse für Mikes politisches Manifest ­inszeniert. Ein ATLien landet auf Def Jux – für Zeitzeugen ein popkulturelles Großereignis.

»Run The Jewels« erscheint ursprünglich schon im Juni 2013 kostenlos im Internet. Clever anti-vermarktet von Fool’s Gold, thematisch für die wettessende Blogo­sphäre aber nur schwer verdaulich, baut sich in der realen Welt ein gesunder Hype auf. »Run The Jewels« wächst mit jedem Hören, schwillt bedrohlich zu einem Tumor an, entlädt sich in weiten, fast Stadion-artigen, verzerrten Refrains und vereint so ziemlich alle Elemente, die einen Klassiker ausmachen. Jamie und Mike zitieren die 80er und brüllen »Do Dope Fuck Hope« anstatt »You Only Live Once«. Trotz aller Zeitgeist-Verweigerung, findet sich der zynische Grown Men Rap am Ende des Jahres in allen relevanten Bestenlisten wieder. Und sogar das ­deutsche Feuilleton bemüht sich mit Brecht-Zitaten und schreibt fälschlicherweise vom besten Album des neuen Jahres. Wenn man die kulturelle Reichweite und Langlebigkeit von »Run The Jewels« ­bemisst, mag das gar nicht so falsch sein: »So you should pump this shit, like they do in the future!«

Bei der Entstehung von »R.A.P. Music« sollen psychedelische Pilze eine große Rolle ­gespielt haben. Mit welchen Substanzen habt ihr diesmal experimentiert?
El-P:
Mike trinkt für gewöhnlich nicht. Wenn er aber einmal damit angefangen hat, kann er seine Grenzen nicht einschätzen. Ich musste ihn einige Male zurückhalten. Wohingegen ich eher der bewusste Trinker bin. (Gelächter) Die Kunst des Marijuana-Rauchens hat er jedenfalls perfektioniert. Den krassesten Mushroom-Trip hatten wir wohl während einer Session, bei der ein Großteil der Platte entstand – wir befanden uns in einer Art kreativem Delirium. Mikes Part auf »No Come Down«, der unfassbar ist, entstand komplett high. Ich denke, das hört man. Kein Mensch in nüchterner Verfassung könnte so etwas schreiben.
Killer Mike: Das kann ich nur bestätigen. Die Pilze haben uns umgehauen. Besonders die bei besagter Session. Ich habe mich davor wirklich kaum mit psychedelischen Drogen beschäftigt. Jetzt hat es sich zu unserem Ritual entwickelt. Wenn wir das Zeug nehmen, arbeiten wir wie Gestörte.

Ihr bezieht euch offensichtlich auf legendäre Rap-Duos wie EPMD oder Eric B & Rakim und stellt den Crew-Gedanken in den Vordergrund. Warum?
Killer Mike: Weil Rap in den letzten Jahren zu einer verdammten Ego-Veranstaltung verkommen ist. Für Leute aus unserer ­Generation war es immer eine Posse-Ding. El und ich sind mit der Kultur geboren worden. HipHop feierte gerade seinen 40. Geburtstag, wir sind nur unwesentlich jünger. Als wir aufwuchsen, gab es kaum Solo-Künstler. Rap lebte durch die Dynamik einer Crew und das Zusammenspiel verschiedener Charaktere. Dieses Gefühl hat mir die Musik schon lange Zeit nicht mehr vermittelt. Für die heutige Generation ist es wichtig zu erfahren, dass man nicht immer nur im Mittelpunkt stehen muss.

Jamie, wie bist du die Produktion, im Vergleich zu euren vorherigen Projekten, angegangen?
El-P: Mir ist es wichtig, das all meine Arbeiten eine eigene Identität besitzen. Für »R.A.P. Music« nutzte ich andere Elemente, weil es nur um Mike ging und darum, seine Welt abzubilden. »Cancer 4 Cure« hingegen war deutlich musikalischer und behandelte intimere, privatere Themen. »Run The Jewels« sollte mehr Ecken und Kanten haben und die Stimmung sollte zerstörerischer sein. Ich habe all das verwendet, was gerade verfügbar war: Samples, ­Synthesizer, Gitarren. Und alle Sounds verzerrt, also dekonstruiert. Die Musik ist flächig, hat genug Platz zum Atmen und lässt uns mehr Freiraum. Ich habe versucht, den Rahmen zu schaffen, in dem Mike und ich uns die Bälle zuspielen können. Ich wusste, dass ­unsere Interaktion, verschiedene Betonungen – ganz einfach die Styles – im Mittelpunkt stehen sollen.

Neben Big Boi hörte man zuletzt auch T.I. und Bun B auf Beats von El-P. Rapper, die man vorher mit Jamies Sound wohl weniger in Verbindung gebracht hätte. Hat Mike das erst ermöglicht?
El-P: Oh, Bun kenne ich schon seit Ewigkeiten. Ich bin ja offensichtlich ein großer Fan all dieser Künstler. Für mich als Produzent ist es großartig, das erleben zu dürfen. Mike und ich haben eine Art Brücke zwischen den Welten gebaut, und das kommt der ganzen Kultur zu Gute. Das sind Kollaborationen, die wichtig sind und die ich selbst gerne hören würde. Mikes Freundschaft zu ihnen ist ehrlich. Sie vertrauen ihm und somit auch mir.
Killer Mike: Die meisten meiner Freunde sind Rapper, die man durch ihre Auszeichnungen wohl als durchaus erfolgreich ­ansehen würde. Wenn wir aber im Studio sind und zusammen arbeiten, entsteht das alles organisch. Als Tip und Bun vorbeikamen, ging es nur um die Liebe zur Musik. Sie wollten unbedingt auf die Beats. Da steckt keinerlei Kalkül dahinter. Tip, der gerade an seinem nächsten Album arbeitet, hat sich auch ein paar El-P-Beats eingesteckt. El ist ganz bestimmt einer der Top-5 Produzenten der letzten 20 Jahre. Wenn ich es möglich machen kann, dass er für Südstaaten-Legenden produziert, dann macht mich das stolz.

Ihr wechselt euch häufig innerhalb der ­Strophen ab. Back-n-Forth – läuft so auch euer Schreibprozess ab?
Killer Mike: Wir sind in erster Linie Freunde, hängen ganz normal ab, reden die ganze Zeit Unsinn und hören uns endlos lange dazu Beats an. Wir schreiben größtenteils wirklich unter Einfluss von Alkohol und Psychedelischem, das hat natürlich auch Auswirkungen auf den Prozess. Wenn wir auf einem Beat hängenbleiben, finden wir immer sofort ein Thema, das uns beide beschäftigt. Gemeinsam aufzunehmen erzeugt eine spezielle Atmosphäre, weshalb wir viel Wert darauf legen, immer zusammen im Studio zu sein. Ich denke diese Energie ist es, die unsere Zusammentreffen für die Leute so besonders macht.

Ich habe gelesen, dass die Tracks speziell für die Bühne konzipiert sind. Wie setzt ihr das Projekt live um?
El-P: Im Normfall mit einem DJ und zwei Mics. Bei meinen Solo-Sachen habe ich eine Live-Band aus befreundeten Multi­instrumentalisten dabei, mit denen ich auch auf der Platte gearbeitet habe. Im Rahmen bestimmter Events sind wir als Run The ­Jewels auch schon so aufgetreten. Aber zum Konzept des Albums passt wohl eher das klassische Format mit DJ.

Mikes letzte Platte beschäftigte sich explizit mit politischen Inhalten. »Cancer 4 Cure« war ein bedrückend persönliches Album. War »Run The Jewels« jetzt wie ein willkommener Ausgleich dazu?
El-P: Es ist schon ein anderer Zustand und eine ganz bestimmte Stimmung, in die wir uns begeben haben, und daher mit den Solo-Alben nicht zu vergleichen. Mit Run The Jewels schaffen wir uns einen eigenen kreativen Freiraum. Eine Basis, auf der wir aufbauen und die wir in die Zukunft tragen können. Das Projekt sollte eine eigene Persönlichkeit annehmen, da Mike und ich als Solo-Rapper in einem anderen Kontext stattfinden und andere Inhalte transportieren, die uns persönlich beschäftigen. Ich sehe »Run The Jewels« als ein Debüt-Album einer neuen Crew an. Wir haben damit Türen eingetreten. Für mich persönlich war die Entstehungsphase eine großartige Zeit. Mein letztes Album entstand unter deutlich anderen Umständen. Ich verarbeitete den Tod enger Freunde und befand mich in einer schwierigen Phase meines Lebens.
Killer Mike: Als Rapper muss ich mich jedes Jahr neu motivieren und gewissermaßen neu erfinden. Mit Jamie zusammenzukommen hat in mir neue Energie entfacht. Jeder Rapper will doch eigentlich Teil einer Crew sein. Egal ob du mit Mobb Deep, EPMD oder UGK aufgewachsen bist. Es gibt nichts schöneres, als gemeinsam erfolgreich zu sein und etwas Großes im Studio zusammen zu erschaffen. Ich könnte das mit El noch zehn Jahre lang so durchziehen.

Wie seid ihr bei Fool’s Gold gelandet? Wart ihr mit der Arbeit des Labels vertraut?
El-P: Natürlich, wir würden nie bei Leuten unterschreiben, die wir nicht kennen. Es war sogar so, dass ich mich an A-Trak gewendet habe. Ich respektiere zutiefst, was die Fool’s-Gold-Jungs in ihrer Welt geleistet und erreicht haben. Ich kenne A-Trak, seitdem er mit 16 Jahren die DMCs gewann, als er noch der kleine Wunder-DJ war. Mike und ich hatten das Album komplett selbstfinanziert und fertiggestellt. Als es dann darum ging, die Musik zu veröffentlichen, war uns klar, dass es umsonst ins Internet erscheinen müsse. Ich bin dann auf Fool’s Gold zugegangen, weil ich die Leute dort menschlich schätze und sie mit Danny Browns Album »XXX« gute Erfahrungen mit Free-LPs gemacht haben. Das ist ein Label, das unser »Produkt« und unseren Style versteht. Es gab auch größere Firmen, denen das Album gefiel, die aber nicht im Geringsten verstanden, wieso wir es umsonst veröffentlichen wollten.

Das Album erscheint jetzt nachträglich auf Vinyl. War das eine Herzensangelegenheit für euch?
Killer Mike: Wenn du Musik von Herzen liebst, wirst du dir früher oder später Vinyl zulegen, dazu musst du kein Produzent sein. Viele Kids heutzutage wissen dieses Gefühl wieder zu schätzen – ein Stück auch physisch zu erfassen. Selbst ich als CD-Sammler kaufe mir mittlerweile meine Lieblingsalben auf Schallplatte. Als Künstler sein eigenes Vinyl in den Händen zu halten und das Artwork bestaunen zu können ist ein unbeschreibliches Gefühl.
El-P: Was wir erreichen wollten, waren zwei Dinge: die Musik an den Mann zu bringen und ein wundervolles Stück Vinyl zu ­erschaffen, das die Fans auch kaufen können. Es gibt wirklich viele Leute, die es lieben, ihren Künstler zu unterstützen und ein physisches Produkt zu besitzen. Wir sind damit aufgewachsen. Mir war es wichtig, dass alle in die Arbeit eingeschlossen werden, ein stylisches Rundumpaket entsteht und besonders viel Liebe in die Details gesteckt wird.

Ihr wart in allen relevanten Jahresbestenlisten vertreten. Wie wichtig ist euch diese Art der Wertschätzung?
El-P: Listen interessieren mich eigentlich nicht. Ich bin froh, nicht über Musik urteilen zu müssen. Aber klar, darin genannt zu werden, ist schon etwas Besonderes.
Killer Mike: Dieses Listen-Ding ist ja schön und gut, aber wir wollen etwas Bleibendes hinterlassen: einen Rap-Klassiker eines Rap-Duos, mit dem sich die Kids verbunden fühlen. Vielleicht kennen sie El-P nicht als Solo-Künstler und »Run The Jewels« haben sie nur als den neuen Hype mitbekommen. Wenn uns neue Hörer erst als Gruppe wahrnehmen, beschäftigen sie sich bestimmt auch mit unseren früheren Sachen. Und so können wir wiederum als Solo-Künstler mehr Leute erreichen.

Nicht nur Raphörer verschiedener ­Generationen feiern euch, ihr scheint vor allem ein Genre-übergreifendes Publikum anzusprechen.
El-P: Ich sah mich in erster Linie immer schon als Musiker und Fan von Musik im Allgemeinen. Wenn du dich aktiv an der HipHop-Kultur beteiligst, ist es sowieso sehr wahrscheinlich, dass du einen Haufen anderer Genres liebst. Das sind letztlich die Einzelteile, aus denen sich unsere Kultur zusammensetzt. Ich kann mich glücklich schätzen, Freunde zu haben, die anderen Szenen angehören, und dadurch andere Einflüsse mitzubekommen. Ich denke, jeder Musiker sollte auch außerhalb seines Genres nach Inspiration suchen, um die Musik ­lebendig zu halten. Umso mehr wissen wir es zu schätzen, dass wir von unserer ­Community und in alternativen Kreisen respektiert werden. Dieses ganze Barriere-Denken ist sowieso veraltet.

Erklärt sich so auch das Feature mit Until The Ribbon Breaks?
El-P: Das ist mittlerweile ein guter Freund von mir, den ich über Motherfuckin’ Exquire kennenlernte – ein großartiger Songschreiber und Sänger. Wir waren beide bereits gegenseitig Fans unserer Musik und später dann zusammen in London im Studio. Die Ästhetik seiner Stimme passte perfekt auf den Beat.
Wird euer nächstes Projekt »R.A.P. Music 2« oder ein zweiter Teil von »Run The Jewels«?
El-P: Erst ein zweites »Run The Jewels«, dann die Fortsetzung von »R.A.P. Music« und dann setze ich mich wieder an ein Solo-Album.
Killer Mike: Wir werden also das ganze Jahr lang aufeinander rumhängen.

Ihr beide habt im Studio und auf Promo-Tour viel Zeit gemeinsam verbracht. Wisst ihr mittlerweile auch, wann man den anderen lieber in Ruhe lässt?
El-P: Wir funktionieren beide nach einem simplen Prinzip. Wenn du wissen willst, wie es Mike geht, musst du ihn zwei Dinge fragen: Hast du dein Weed geraucht? Und: Bist du hungrig? (Gelächter)
Killer Mike: Jamie braucht seine Zigaretten und eine Tasse Kaffee, sonst funktioniert er nicht. Es gibt schon einen Haufen Dinge, über die wir uns die ganze Zeit streiten, aber das passiert auf familiäre Art und Weise. Ich bin das gewohnt, ich bin mit fünf Schwes-tern aufgewachsen. Ich kann mich die ganze Zeit mit ihm streiten, trotzdem liebe ich ihn wie meinen Bruder.

Es gibt auf der Platte einige ­Querverweise zu »Watch The Throne«, die manche als Disses ­interpretiert haben. Mich hat das ­gewundert, da Mike bereits mit Jay Z zusammenge­arbeitet hat.
Killer Mike: Danke dafür, dass endlich mal jemand schlau genug ist, darauf hinzuweisen.
El-P: Ich verstehe auch nicht, wieso Leute uns mit den beiden irgendwie in Verbindung bringen wollen. Ich musste schon lesen, wir seien das Anti-Watch-The-Throne. Was soll diese Scheiße bedeuten? Ich bin nicht Anti-Irgendwas. Ich bin nur pro Jamie und Mike. Ich war sogar ein Fan des Albums. Wir stehen für etwas komplett anderes – mag sein. Aber unsere Existenz definiert sich nicht dadurch, gegen etwas zu sein, oder irgendeinen Gegenpol zu bilden. Das schöne an The Throne und uns ist, dass wir die Ära der großen Rap-Duos zurückgebracht haben. Die junge Hörerschaft kennt die legendären Crews gar nicht mehr. Als wir aufwuchsen gab es quasi nichts anderes. Wenn du uns also mit Eric B & Rakim vergleich willst – gerne. EPMD? Auf jeden Fall. Aber Mike und ich haben unsere ganz eigenen Vorstellung von Moral. Eigene Ideen und Herangehensweisen – und die sind momentan einfach doper als die der anderen.

Text: Carlos Steurer
Foto: Presse

Dieser Artikel ist erschienen in JUICE #157 (hier versandkostenfrei nachbestellen).

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