Deichkind: »Einfach Hits schreiben, das können wir gar nicht« // Titelstory

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Bude voll People

2019 werden Deichkind ihr siebtes Album »Wer sagt denn das?« auf die Bühne heben. Ich war natürlich noch nicht da. Aber Deichkind werden sicher keine wirr zusammengeklebten PVC-Reste tragen, sondern aufwändige Kostüme wie Smartphone-Anzüge, LED-Tetraeder-Helme oder YumYum-Nudelsuppen-Hosen. Zu Deichkind gehört heute eine eigene Werkstatt, in der die Live-Requisite gebastelt wird. DJ Phono kann damit mal eben zwei ganze Jahre verbringen; ungefähr so lange, wie Deichkind auch an der Produktion eines Albums sitzen. Wenn im Februar dann die kuriosen Kreationen durch die Sparkassen Arena in Kiel oder die Westfalenhalle in Dortmund springen, werden tausende Menschen da sein. Jeden Abend. Sie werden sich verkleiden. Und sie werden Bier trinken, viel Bier. So ein Event war früher mal Rocksternchen vorbehalten, aber nicht Rappern. Man kann das gut vergessen, weil Deichkind schon lange nicht mehr für den klar einzuordnenden Rap-Entwurf stehen, für den sie früher einmal standen, aber: Vielleicht legten die Hamburger vor bald fünfzehn Jahren auch die Grundlage dafür, dass Deutschrap noch mal eine ganz andere, eine viel größere Bühne bespielen durfte. Ob die Generation um Marteria und Casper heute in Fußballstadien rappen würde, wenn Deichkind nicht ein paar Jahre zuvor die Türen aufgestoßen hätten, ist zumindest einen Gedanken wert. Vor allem aber haben Deichkind über all die Jahre eines bewiesen: Man kann auch mit Rap gut altern – wenn man sich denn nur traut. Deichkind ist vielleicht die einzige Band ihrer Generation, die in keinem Moment desillusioniert oder verkrampft wirkt. Im Deutschrap eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.

»Als Deichkind das Ende der reinen HipHop-Phase erreicht hatte, wollten wir das Ganze ja an die Wand fahren« – DJ Phono

Kryptik Joe: Coolness ist natürlich ein Thema für uns. »Wer sagt denn das?« ist unser siebtes Album, und wir sind erwachsene Menschen. Wir haben diesmal auch Songs übers Alter angefangen, aber das Selbstmitleid war uns immer zu präsent. Das klingt dann nach alten Typen, die über ihr Alter reden wollen. Wir machen lieber Songs über Themen.
Porky: So bleibst du mit deinen Audiobildern auch zeitlos. Wenn MC XY versucht, schon im Style mit Rin oder Yung Hurn zu konkurrieren, aber graue Koteletten hat und schwabbelt, ist das natürlich schwer auf Modus Mio mitzuhalten. Auch wenn er mit seiner Attitüde früher rasiert hat. Wir rappen aber nie über uns. »Knallbonbon« ist jetzt eine Nummer, mit der ich mich mal ein bisschen abfeier, aber ansonsten haben wir Themen, über die wir rappen. Da müssen wir nicht unsere Charaktere nach vorne pusten.
Phono: Mir persönlich ist das auch völlig egal, ob andere meine Musik gut finden. Klar, Deichkind zielt darauf ab, dass viele Menschen zu einer Show kommen, und am Ende sollen die auch rumhüpfen. Aber die Musik zielt nicht von vornherein darauf ab, zu gefallen. Die Themen kommen zuerst, und dann wird versucht, das handwerklich so gut aufzuarbeiten, dass die Themen in einem riesigen Raum resonanzfähig sind.
Kryptik Joe: Das liegt auch in der DNA von Deichkind: Sich das Leben nicht zu einfach zu machen. Einfach Hits schreiben, das können wir gar nicht. Wir wurden immer mal im Studio darauf angesprochen, ob wir nicht in die Schlagerbranche einsteigen wollen, weil man da richtig Platten verkauft. Wir haben uns dann an ein paar Schlagernummern probiert, aber ich kann das gar nicht. Den Sound musst du auch leben, und das tun wir nicht.
Phono: Mich hat’s schon immer gereizt, Dinge anders zu machen als alle anderen. Wenn mir von außen empfohlen wird, wie wir etwas machen sollen, regt sich bei mir sofort der innere Widerstand, und ich habe richtig Lust, das genaue Gegenteil zu machen. Das ist für mich das Deichkind-Experiment: Die Lücke zu finden, anders zu sein und trotzdem in dem Pop-Rahmen zu funktionieren. Wie weit kann man gehen, und am Ende haben trotzdem noch zehntausend Leute eine gute Zeit?
Porky: Ey, nach jedem Album habe ich in meinem Umfeld gespürt, dass es hieß: Deichkind ist weg vom Fenster! Ich find’s geil, die Leute immer wieder zu stoken. Wenn’s noch knistert, wenn die sagen: »Geil, ihr schafft’s noch!« Ein Stadion auszuverkaufen fühlt sich halt schon geil an. Für mich als MC auf der Bühne geht’s sehr um Bestätigung. Ohne Selbstzweifel fängst du den Job ja gar nicht erst an. Das ist ne Flucht nach vorne in die Extrovertiertheit. Ich gehe da an Grenzen, und darin bestätigt zu werden, ist mir enorm wichtig. Die Fans tragen uns ja auch. Bei »Befehl von ganz unten« haben wir ein Testkonzert auf einer Riesenbühne vor zwanzig Journalisten gespielt. Am Ende haben die ein bisschen geklatscht, und die ganze Energie ist einfach verpufft. Ich hab mich gefühlt wie ein leerer Ayran-Becher, der ausgequetscht in die Ecke geworfen wurde. Für mich wär’s das Schlimmste, Opernsänger oder Pianist in der Elbphilharmonie zu sein. Wo soll denn da die ganze Energy hin? Der hat doch auch Lampenfieber. Der muss wahrscheinlich onanieren oder ausgepeitscht werden zum Ausgleich.
Kryptik Joe: Ich werde immer wieder zurückgeholt und denke, was mach ich hier eigentlich mit meinem Leben? Wenn ich das mal meinem Vater erklären würde, der Maschinenbauingenieur war … der versteht überhaupt nicht, was ich da eigentlich mache, kreativ mit dem Kopf zu arbeiten. Wenn wir an ein Album gehen, nehmen wir uns ein Jahr Zeit, um erst mal zu schreiben und zu produzieren. Dieses Herumexperimentieren ist zunächst sehr einfach: Hier nen Synthie ausprobieren, da ne Strophe, da nen Titel. Wenn es sich dann destilliert und ein richtiges Album entstehen soll, fängt die harte Arbeit an. Auf den Punkt kommen kann echt schwer sein. Da hast du für ne Hook vier Zeilen, und wenn eine scheiße ist, war’s das. Das sind die Momente, in denen ich gerne Tischler wäre.
Porky: Oder Gabelstaplerfahrer. Da machst du die Palette hinten in den Container rein, und dann ist Feierabend. Bei so ner Platte lässt du echt Späne. Du feuerst die ganze Zeit raus und musst dein kreatives Potenzial an deinem inneren Richter vorbeisteuern. Wenn du dich dann aber mit nem neuen Song ins Auto setzt und der ist einfach geil, dann fühlt sich das unglaublich an. Am Morgen war der Song noch nicht da, und plötzlich hat das Universum was Neues, Kreatives ausgespuckt. Ich darf die Antenne sein für einen Song, der ein Eigenleben hat. Das ist ein geiles Feeling – ganz ohne Weed, Bier oder Koks.
Kryptik Joe: Und am Ende soll es ja auch so klingen, als ob es Spaß macht. (lacht)

Text: Wenzel Burmeier
Foto: Tim Bruening
Location: Alsterhaus

Dieses Feature erschien zuerst in JUICE #194. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Onlineshop bestellen.

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