Seit unserem 20. Jubiläum im vergangenen Herbst veröffentlichen wir unter dem Hashtag #20JahreJUICE in unregelmäßigen Abständen alte Features und Interviews aus zwei Dekaden JUICE erstmals digital. Heute lest ihr anlässlich des 10. Jubiläums der Veröffentlichung von »Hin zur Sonne« Caspers Interview aus JUICE #106 (April 2008).
Wer sich in den vergangenen 24 Monaten nicht gerade in Erdlöchern versteckt hielt, der wird kaum an einem Bielefelder Rapper namens Casper vorbeigekommen sein. Kein Wunder, hat Benjamin Griffey doch für viele das Potenzial, 2008 zu seinem Jahr zu machen. Zwei Jahre in Folge auf der Bühne des splash!-Festivals und Touren mit Prinz Pi und Kollegah liegen hinter ihm. Diese Namen finden sich dann auch auf der Gästeliste seines Anfang Mai erscheinenden Debütalbums »Hin zu Sonne« wieder. Auf Produzentenseite waren Gambit Entertainment, Firebyrdz, Riff, Emonex, Cyrus und Shuko mit von der Partie, wobei Letzterer nicht nur 50 Prozent der musikalischen Unterlagen beigesteuert hat, sondern auch durch seine Position als Executive Producer eine wichtige Rolle einnimmt. Von Bielefeld hinaus in die Welt.
Auf der letzten JUICE-CD war ein Track mit deinem ehemaligen Kinder-des-Zorns-Partner Abroo zu finden. Zusammen mit Separate habt ihr 2004 einen Untergrundmeilenstein namens »Rap Art War« erschaffen. Wieso bist du nicht bei Buckwheats geblieben?
Ich bin quasi ein großer Teil von Buckwheats, ohne jemals Teil von Buckwheats gewesen zu sein. Aus privaten Gründen habe ich mich aus dieser Konstellation gelöst, um mich anderen Dingen zuzuwenden. Ich denke aber auch, dass die Sache jetzt oft genug thematisiert wurde. Fakt ist, dass ich mit Abroo eigentlich immer wirklich cool war und wir nie ein großes Problem miteinander hatten.
Dein Streetalbum »Die Welt hört mich« wurde im Netz ziemlich gefeiert…
Irgendwie war das alles ziemlich Verrückt. Als wir »Kippenpause« umsonst ins Netz gestellt hatten, gab es einen Schneeballeffekt und plötzlich einen Internethype. Natürlich war das eine schöne Zeit, aber definitiv auch keine leichte, denn danach begann ein Tauziehen um meine Person. Sämtliche Verlage haben sich gemeldet und mit Summen um sich geworfen, zig Leute wollten mein Manager werden, und bis auf ein paar Labels haben alle Indies und Majors angeklopft. Was mich natürlich sehr gefreut hat, aber es war dennoch stressig. Es war schwierig, sofort in so ein Becken gestoßen zu werden, ohne dass man vorher wirklich Ahnung von diesen ganzen Business-Komponenten gehabt hätte. Das ist eben auch ein Grund, warum es so lange gebraucht hat, bis mein Album nun kommt. Ich wollte erst einmal alles langsam und sicher aufbauen, und da konnte mir eigentlich niemand etwas Besseres bieten, als ich schon bei meinen Jungs von 667 hatte. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich auch ohne künstliche Hypes und ausgeklügelte Strategien, einfach nur durch gute Musik überzeugen kann.
Gibt es ein Konzept hinter Casper?
Natürlich! Da zerbrechen sich in unterirdischen Bunkern nahe der russischen Grenze Philosophen und Mathematiker ihre Köpfe und arbeiten an Plänen für meinen Erfolg. So wie bei den Fraggles (lacht). Nein, es geht einfach nur um gute Musik. Warum fragst du?
Man hat dir ja schnell ein gewisses Emo-Image angehängt weil du zum Beispiel emotionale Songs wie »Lippenlesen« oder »Rasierklingenliebe« veröffentlicht hast, aber auch natürlich wegen deinem Erscheinungsbild. Wie stehst du dazu?
Natürlich ist es auf der einen Seite gut, wenn Leute einen in eine Schublade stecken. Denn wenn sie das tun, dann haben sie über dich nachgedacht und sich mit dir befasst. Lästig wird es aber, wenn es beleidigend wird. Wenn Leute auf Konzerten penetrant nerven. Aber ich finde dieses Emo-Rapper-Image weder glücklich noch unglücklich, denn ich sehe es halt nicht so.
Als was siehst du dich denn?
Im Endeffekt sehe ich mich einfach nur als authentischen Künstler. Ich will einfach mein Leben zeigen, denn es macht gar keinen Sinn, mich hinzustellen und zu erzählen, dass ich ein riesiges Waffenarsenal im Zimmer lagere, eine Uhr für eine Million Euro trage und jeden Abend in den Puff gehe. Das wäre Quatsch, und damit kann sich auch niemand identifizieren. Ich möchte halt schon eine Hörerschaft anziehen, die mitdenkt und die sich ihrer eigenen Situation und Umwelt bewusst ist. Ich stand schon immer auf die depressiven Sachen: New Order, The Smiths, Modern Life Is War, Coldplay. Aber es ist ja nicht so, dass ich aus dem Emo- oder Punkbereich komme und jetzt plötzlich Rap mache. Meine Kindheit habe ich in den USA verbracht, und bereits als ich vier Jahre alt war, habe ich durch meinen Stiefvater die ersten HipHop-Platten gehört. Als ich elf war, sind meine Mum, meine Schwester und ich aus familiären Gründen nach Deutschland zu meiner Oma geflohen, weil mein damaliger Stiefvater uns sehr schlecht behandelt hat. Dann bin ich erst einmal auf Metal, später dann auf Punk hängen geblieben und habe erst mit 17 durch die »Sport«-EP von Eins, Zwo wieder HipHop für mich entdeckt. Abseits davon denke ich, dass ich durchaus eine Technik habe, die sich sehen lassen kann und ich mich auch in einer Battle-Situation behaupten kann.
»Ob nun Conscious-Rap, Elektro-Techno-Rap oder Atzenpop das neue Ding wird, bleibt abzuwarten.« (Casper)
Momentan zerbrechen sich alle den Kopf darüber, wie es mit deutschem HipHop weitergeht. Wie siehst du den momentanen Stand der Dinge?
Ich denke, dass die Szene zur Zeit sehr positiv ist. Man spürt diese Aufbruchstimmung, die gerade herrscht. Die Leute suchen nach etwas Neuem, etwas Authentischem, etwas, das kreativ und anspruchsvoll ist. Denn wir wurden in den letzten zwei, drei Jahren mit diesen Schnellschuss-Mixtapes bombadiert, und auch dieses Punchline-Ding war ja das Nonplusultra. Aber außer zwei, drei Künstlern, die das auf einem sehr hohen Level machen, hat nichts davon überlebt. Auch Straßenrap wird langsam eintönig, und die Leute sieben gerade aus, was Bestand hat und was nicht. Ob nun Conscious-Rap, Elektro-Techno-Rap oder Atzenpop das neue Ding wird, bleibt abzuwarten. Aber man merkt, dass sich die Leute nach etwas sehnen, womit sie sich identifizieren können. Was auch den Erfolg von K.I.Z. erklärt. Die Jungs machen nicht gekünstelt auf hart, sondern sind authentisch. Genau wie Prinz Pi, der mit sozialkritischen Sachen Aufmerksamkeit auf sich zieht, oder Dendemann, der vielleicht nicht mehr so angesagt ist, aber trotzdem richtig große Konzerte spielt. Man merkt, dass die Leute wachsen wollen. Sowohl an sich selbst, wie auch an der Musik.
Du hast zuletzt über dein Album gesagt, dass es nicht experimentell oder ausgefallen wird, aber vielleicht trotzdem genau das hat, worauf die Menschen warten. Sprichst du da ebenfalls von Authentizität?
Das Album ist dermaßen unausgefallen, dass es schon wieder ausgefallen ist (lacht). Ich glaube_ viele haben erwartet, ich würde viele Songs mit Bands einspielen oder verrückte Schreiparts haben und einen experimentellen Sound präsentieren. Aber es ist ein straightes HipHop-Album geworden, das bis auf zwei, drei Produktionen sehr in die Boombap-Richtung geht. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass es das deutsche Saigon-Album ist. Denn es ist irgendwie retro, aber auch genauso im Hier und Jetzt. Es ist ernst, aber auch locker und schlussendlich ein rundes, authentisches Album.
Wie viel Anteil am Ergebnis hat Shuko als Executive Producer?
Alleine schon dadurch, dass Shuko das gemacht hat, ist für mich ein Traum in Erfüllung gegangen. Denn für mich ist Shuko der beste Produzent Deutschlands und fast schon weltweit, wenn da nicht noch ein Just Blaze wäre. Aber der hat in letzter Zeit auch nachgelassen, daher hat Shuko schon gute Chancen (lacht). Shuko hat einfach Ahnung von dem, was er macht. Der produziert Untergrundsachen wie »Hustle On« von Keith Murray, aber auch sehr hochrangige Sachen. Und abgesehen davon, dass ich ihn schon lange kenne und seine Sachen auch seit langem feiere, hat er mir einfach geholfen, ein stringentes Album zu machen. Denn ich wollte von Anfang an ein Album, dass ich genau in der Track-Reihenfolge auch live spielen könnte. Das Album macht daher vom Inhalt, von der Abfolge und vom Klang her Sinn – ein komplettes Paket. Das war unter anderem auch ein Grund, warum es so lange gedauert hat, denn ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, und dabei hat Shuko mir sehr geholfen.
Wie darf man sich eure Zusammenarbeit vorstellen?
Ich bin mit allen Beats bei Shuko vorstellig geworden und habe mir natürlich noch Tracks von ihm gepickt. Und dann haben wir zusammen die verschiedenen Songs in eine sinnige Reihenfolge gebracht und an Themen gearbeitet, so dass die Platte nie langweilig wird. Wenn ich etwas geschrieben hatte, hat er mir schon auch mal gesagt, dass etwas vielleicht nicht so geil war. Und was die Beats anbelangt, hat Shuko einen unglaublich hohen Output. Die Beats von »Feiertag« und »Die Welt steht still« sind wirklich Beats, wie ich sie schon immer gesucht habe. Und die hatte er da einfach liegen. Das war ein Traum.
»Viele haben erwartet, ich würde viele Songs mit Bands einspielen oder verrückte Schreiparts haben und einen experimentellen Sound präsentieren.« (Casper)
Was glaubst du: Wo wird dich »Hin zur Sonne« hinbringen?
Natürlich auf Tour, aber du meinst, was Zahlen anbelangt? Erfolg wird heute ja oft an den Charts gemessen. Wenn man die Hintergründe kennt merkt man zwar, wie albern das eigentlich ist. Den-noch wäre es natürlich der Hammer, wenn ich mit so einem Album charten würde. Und man weiß ja nie. Wenn das tatsächlich klappt, wäre es einfach eine Sache für die Ewigkeit. Dann würde ich mir die Chartposition, außer es wäre die 88, auf den Arsch tätowieren und die Wohnungstür offen stehen lassen, so dass jeder zum Feiern vorbei kommen kann. Und ich würde einmal über den Jahnplatz rennen. Nackt (lacht).
Text: Amadeus Thüner
Dieses Feature erschien erstmal in JUICE #106 (April 2008). Back-Issues können versandkostenfrei im Shop nachbestellt werden.