Cam’ron: »Lass mich dir eines sagen: Ich war der Erste« // Feature

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Business-Drama erscheint von Zeit zu Zeit ja das essenziellste Element der HipHop-Kultur überhaupt am sei. Kaum ein erfolgreicher Artist kommt umhin, sich zumindest einmal in seiner Karriere mit seiner Firm so richtig zu überwerfen. Bei Cam’ron kommt dieser Moment im Jahr 2000. »Sports, Drugs, Entertainment«, sein zweites Album, geht unter wie ein Stein. Nach dem Ende von Untertainment wechselt Cam zu Epic und gerät dort laut eigener Aussage in die Mühlen der Major-Industrie. Das unspektakuläre Album wird unspektakulär promotet und selbst die noch halbwegs erfolgreiche Single »What Means The World To You« rettet die Platte nicht mehr. 330.000 verkaufte Einheiten sind nach deutschen Maßstäben natürlich immer noch eine ganze Menge, zu jener Zeit waren in den USA Zahlen im siebenstelligen Bereich aber quasi an der Tagesordnung. Es folgt eine monatelange Auseinandersetzung mit dem Label. »Wir haben die Situation für Epic so ungemütlich wie möglich gemacht«, so lautet die offizielle Version zur Trennung. Kursierend heißt es, Dame Dash und Jimmy Jones hatten unter Zuhilfenahme diverser »Straßenmaßnahmen« eine weitere Kooperation zwischen Epic und Cam’ron unmöglich gemacht. Der selbe Damon Dash steht jedenfalls nach der Freigabe durch Epic umgehend mit offenen Armen vor Cams Haustür, um den frischen Free Agent in das Roster von Roc-A-Fella einzugliedern.

Der Weggang von Epic bringt für Cam’ron eine völlig neue Situation mit sich. Bei Roc-A-Fella ist er von Anfang an nicht nur Künstler, sondern zum ersten Mal in seiner Karriere auch in die geschäftlichen Belange mit einbezogen. Mit Diplomat Records steht ihm ein eigenes Sublabel zur Verfügung und Damon Dash bietet Cam sogar den Posten eines Vice CEO beim Roc an. Die beiden kennen sich seit frühester Kindheit und planen gemeinsame ihre goldene Zukunft durch. The Roc ist allerdings mehr als nur Dame Dash, und gerade in der Anfangszeit erscheint vor allen Dingen die Beziehung zwischen Jay-Z und Cam’ron relativ problematisch. Jigga fühlt sich ganz offensichtlich nicht wohl im Umgang mit dem Emporkömmling Cam’ron, und zum ersten Mal in der Geschichte dieses einzigartigen Familia-Betriebs hält Unruhe unter der Belegschaft Einzug. Aus seinem Frankreich-Urlaub im Jahre 2002 lässt Jay-Z verkünden, Cam’ron sei beileibe noch nicht vollständig in die Geschäftsführung des Labels mit einbezogen, Cam’ron dagegen insistiert bis heute, er habe ein gütiges Angebot auf dem Tisch gehabt, das er aber aufgrund zu geringer Bezahlung abgelehnt habe. Trotz aller Konflikte erscheint 2002 mit »Come Home With Me« Cams bis dato erfolgreichstes Album. Mit den Single-Slammern »Oh Boy«, »Welcome To New York City« und »Hey Ma« wird die Hood angewarmt, mit dem Album wird sie abgefackelt. Über eine Million verkaufte Exemplare, und das trotz deutlich ruckläufigen Konjunkturentwicklungen in der Musikindustrie, sprechen eine mehr als deutliche Sprache. Cam’ron hat einen neuen Look, einen neuen Rapstyle, eine neue Crew. The boy is back.

Mit »Come Home With Me« etabliert Cam’ron nicht nur seinen eigenen »claim to fame«, auch seine Crew, die Diplomats, bekommt zum ersten Mal im großen Stil eine Plattform eingeräumt. Juelz Santana (der genau wie Jim Jones bereits auf »S.D.E.« gefeaturet worden war) rappt nicht auf einem, sondern auf allen drei großen Hits des Albums; ein Crew-Album (»Diplomatic Immunity«) wird binnen zehn Monaten nachgeschossen. Eine auch nur halbwegs so absurde Rap-Crew hat die Welt bis dato noch nicht gesehen: Eines der vier Mitglieder rappt überhaupt nicht, ein weiteres selbst vom neutralsten Standpunkt aus gesehen unfassbar schlecht. Man kleidet sich in Pink und Purpur, trägt Diamantohrringe und veröffentlicht alle vier Wochen fröhlich hingerotzte Mixtapes, die nichts mehr mit dem ursprünglichen Konzept zu tun haben, sondern im Wesentlichen Alben sind, die jegliche Regel für die Produktion von Alben konsequent ignorieren. Und: Man ist damit wahnsinnig erfolgreich. Cams Crew erscheint wie ein fröhlicher Freundeskreis, der zufällig den Jackpot gewonnen hat.

Jim Jones ist das Herz dieses neuen Spielplans. Der 27-Jährige, gebürtig in der Bronx und im zarten Alter von elf Jahren zu seiner Großmutter nach Harlem abgeschoben, fungiert als CEO. Mit merkwürdig verwachsenem Bart und samoanisch anmutenden Zöpfen wirkt er wie Räuber Hotzenplotz im Gucci-Fach-Geschäft, ein Pfadfinder mit heißen Whips und unfassbaren Outfits. Gemeinsam mit Cam’ron hat er Diplomat Records, das Roc-A-Fella-Sublabel, aufgebaut, und sieht sich dabei in der Tradition anderer großer Geschäftsführer der letzten Jahre. Als MC ist Jones ähnlich talentiert wie Baby oder Master P, trotzdem erscheint dieser Tage sein erstes Album »On My Way To Church«. Ein fröhliches Großmaul mit alles andere als sauberer Vergangenheit. Freekey Zeekey ist die Steigerung dieser Absurdität ins Unermessliche: Auch er hat eine Vergangenheit jenseits des Legalen und sitzt derzeit in Riker’s Island die Dummheiten seiner Jugend ab. Ansonsten gibt Zeke den Hypeman im feinen Zwirn mit völlig ungeklärter Funktion innerhalb des Dipset-Gefüges. Seine Appearances beschränken sich auf Background Vocals und gelegentliches Repräsentieren in Videos, und auch auf Nachfrage kann keiner eine befriedigende Antwort auf die Frage erteilen, warum er eigentlich im Team ist. Seine Crew hart auf den Namen »Taliban«, als Losung gibt er gerne »Shout out to all the ignorance, it keeps the bars coming!« aus. Der letzte Diplomat ist Juelz Santana, jung und tatsächlich talentiert. Nach unzähligen Mixtape-Appearances war Santana auch der einzige Diplomat neben Cam, der es zu einer Major-Veröffentli-chung als Solo-Artist brachte. »From Me To U« war mit nur 300.000 verkauften Einheiten zwar beileibe nicht so erfolgreich wie dieses Monster von einer Single namens »Dipset (Santana’s Town)« nahelegte, Potenzial lässt sich dem Jüngling aber nicht absprechen. Darüber hinaus führt er in Harlem den Laden »Santana’s Town« und ist als Merchandise-Manager der Diplomats mit dem Vertrieb von Shirts, Mixtapes und Bandanas betraut.

Die Familie der Diplomats wächst allerdings auch jetzt noch weiter. Mit Purple City Productions und Taliban Records sind im Umfeld des Dipset gleich zwei weitere Labels entstanden, die zumindest entfernt mit dem Mutterhaus affilliert sind. Hypemen wie »The Emperor« Shiest Bub oder Luca »Maximus« Brazi veröffentlichen auf diesen Plattformen absurdeste Zusammenstellungen junger New Yorker Artists und bedienen sich einer merkwürdigen, an das alte Rom angelehnten Ästhetik. Zwischen diesen Perlen der Geisteskrankheit finden sich aber auch talentierte Artists wie »Don Bishop« Agallah, der unter dem Namen Eight Off schon auf dem Indie Circuit einiges Interesse auf sich ziehen konnte. Aktuell scheint der 18-jährige J.R. Writer die Rolle von Cam’rons Lieblingsprotege eingenommen zu haben, und auch Un Kasa und Hell Rell halten den Verbf-Veröffentlichungsflow des Camps hoch.

Mixtapes, das waren früher Kassetten, bei denen kompetente DJs Lieblingsplatten ineinander mischten. Das war vor den Diplomats. Mittlerweile sind Mixtapes (Artist-)Compilations auf CD, die ausschließlich mit Exklusivmaterial gefüllt sind. Begonnen hat diese Metamorphose mit DJs wie Kay Slay und Clue, die, sollten sie jemals Skills besessen haben, selbige vor der Tür ließen, um möglichst viel hottes Material zusammenzutragen und sich auf das Ankündigen der einzelnen Tracks zu beschränken. G Unit und die Diplomats gingen irgendwann einfach den nächsten konsequenten Schritt: Der DJ blieb gleich draußen vor der Studiotur, und eine Gruppe von Artists gestaltete alleine die 75 mehr oder weniger spannende Minuten. Bis heute ist das Mixtape-Business sehr undercover und sehr steuerfrei geblieben – die Verkaufskurven weisen allerdings steil nach oben. Auch wenn Cam’ron und Co. mittelfristig nur Zweite hinter dem großen G bleiben werden: There’s some money to be made in this. »Von jedem neuen Tape verkauft ein Mittelsmann 5.000 Master an diverse Leute auf der ganzen Welt zu einem Stückpreis von zehn Dollar«, erklärt Cam’ron sein Geschäftsmodell. »Diese Master können dann beliebig kopiert und verkauft werden, daran verdienen wir keinen Cent mehr. Es geht bei den Mixtapes ja auch einfach darum, immer mit aktuellem Material draußen zu sein, um bei einer großen Gruppe von Leuten präsent zu bleiben. Ich glaube, dass wir von keinem unserer Tapes weniger als 300.000 Stück verkaufen [Andere, wohl realistischere Quellen sprechen von eher 50.000; Anm. d. Verf.]. In Zukunft werden wir auch mit diesem Business über reguläre Kanäle arbeiten. Wir haben gerade mit Koch einen Deal abgeschlossen, bei dem wir an jedem Tape sieben Dollar verdienen.«

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