Battle Of The Ear: Childish Gambino – 03.15.20 // Review

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(Sony)

PRO

Wertung: Viereinhalb Kronen

Childish Gambino ist ein Allrounder. Der Schauspieler, Comedian und Musiker war schon zu Mixtape-Tagen vor rund zehn Jahren derart vielseitig, unberechenbar und enthusiastisch-kreativ, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er endlich jene Album-Großtat vorlegen würde, die trotz okayer Hits und Ideen weder »Camp« noch »Because The Internet« so richtig waren. Hunger hatte Gambino immer, nur eben Zeit, die hatte Glover in seinem Leben bisher kaum. Spiderman-Rollen hier, etwas »Star Wars«-Sidehustle da und den einen oder anderen Emmy galt es ja auch abzugreifen. Dazwischen schoss der »Atlanta«-Serien-Schöpfer 2016 dann aber trotzdem noch »Awaken, My Love« aus der Hüfte, was sich heute durchaus als Befreiungsschlag auslegen lässt. Denn der geschmeidige Pfirsich-Hintern-Funk zwischen Parodie und gleichzeitiger Hommage an Prince stand Glover so gut zu Gesicht, dass es am Ende sogar einen Grammy gab. Bei »This Is America« wurde das College-Kid-turned-HipHop-Lexikon dann plötzlich zu einer waschechten Autoritätsperson, die sogar Brandreden zu Pop-Songs machen kann. Ohne all diese Zwischenschritte hätte es »03.15.20« nie geben können. Zum ersten Mal in seiner Laufbahn hat Childish Gambino eine Ambition, einen »body of work«, ja ein Ziel. Corona hin, Donald Trump her, es geht darum, den Zeitgeist zu bündeln. Zwischen entrückten Synthiebögen, heruntergelassenem Sonnenschein-Funk und leichtfüßigen Indie-Anleihen jazzt sich Childish durch sein Talent-Palette. Er rappt, kreischt, zersetzt und singt über die Gefahren und Gebrechlichkeiten der modernen Gesellschaft mit der klaren Botschaft, dass wir uns langsam mal echt zusammenreißen sollten. »I’m hoping that this world will change/ But it just seems the same«, heißt es etwa auf »Feels Like Summer«, das Gambino (wie die anderen Songs auch) am Ende nur mit Nummern betitelt hat, um sie als Teil eines großen Ganzen darzustellen. »Everything Is Everything«, sagte schon Lauryn Hill. Glover konnte nicht ahnen, dass er mit diesem strahlenden Ideen-Kosmos von Album den derzeitigen Pandemie-State-Of-Mind treffen und damit die Welt, aber auch Rap ein bisschen retten würde. Das kam überraschend. Die viel größere Überraschung ist aber, dass Childish Gambino endlich Mut zur Eindringlichkeit, Emotion und künstlerischer Entscheidung hat. Ein perfekt-unperfektes Referenz-Album. Vielleicht macht es Childish Gambino zur Stimme einer Generation. Album des Jahres ist es safe.

CONTRA

Wertung: Zweieinhalb Kronen

Es gibt so Alben, die sind nicht einfach nur gewöhnliche Releases, wie sie dir dein Streamingdienst jeden Freitag auf dein Handy kotzt. Es gibt Alben, die sind gott-verdammte Happenings. »DAMN« war so eins, »Blonde« auch, und »The Life Of Pablo«. Dann wiederum gibt es Alben, die großspurig als Happenings angelegt werden, aber auf Langstreckenläufen erhebliche Mängel aufweisen. »KOD« war zu langatmig, »Everything Is Love« zu kurzatmig und »Ye«, ja, was war eigentlich »Ye«?! Ihnen allen gemein ist aber, sie waren Suprise-Releases. Auftritt, »3.15.20«, das vierte Album von Donald Glover. Drei Jahre nachdem er mit »Awaken, My Love« sein musikalisches Talent unter Beweis gestellt hat, steht Gambino vermutlich kurz vor dem Zenit seiner Karriere. Die Welt erwartet nach der Polit-Großtat »This Is America« nicht weniger als einen Klassiker. Leider ist Bino nicht im Stande diesen abzuliefern, denn in erster Linie ist »03.15.20« eine prätentiöse Frechheit. Das fängt schon mit dem Versuch an, sich am längst gescheiterten Konzept des Playlist-Albums zu probieren. Kanye lacht. Denn ähnlich wahnsinnig wie sein Geistesburder »The Life Of Pablo« holt Glover nämlich einfach Ariana Grande und 21 Savage (ohne Creditangabe) vors Mic, addiert ein paar Gospel-Momente hinzu und denkt, der Algoritmus wird’s richten. Klar, spätestens seit »Awaken, My Love« weiß Gambino den Prince rauszuholen (»19.10«), den Lenny Karvitz kann er mittlerweile ebenso (»24.19«), hat offenbar nicht nur nur Szenisches Schreiben, sondern auch Besserwisserei auf Bono-Level studiert (»Feels Like Summer«) und beherrscht eine recht amüsante Zack-De-La-Roca-Parodie (»53.29«). Das wäre alles nicht schlimm, wenn Gambino uns obendrein seine verwirrten Plug-In-Experimentals und so ein Effekgerät-Chaos nicht auch noch als Konzept verkaufen würde. Kanye schüttelt den Kopf. »Ideenreichtum« kann man das nennen. Oder Orientierungslosigkeit. Wenn es Mensch gegen Maschine geht, dann hat die Maschine bei »03.15.20« gewonnen.

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