»Das Tanzen hat mir eine andere Welt gezeigt« // Lunice im Interview

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Der Kanadier Lunice Fermin Pierre II. ist ein umtriebiger Kerl. Als Teenager verbrachte er die meiste Zeit auf Breakdance-Battles im hohen Norden Amerikas, erweiterte durch das ­beinahe altmodisch anmutende Hobby seinen musikalischen Horizont, tauchte eher zufällig auf der heimischen Couch in Montréal in die Welt des Produzierens ein, gelangte in kürzester Zeit in den inneren Kreis der elitären Jungs des Lucky-Me-Kollektivs, chillt seitdem regelmäßig mit Hudson Mohawke, Rustie und Mike Slott im Studio und ist nun dank Diplos Management-Team und ­seiner grundsympathischen Ausstrahlung auf dem besten Weg, selbst ein DJ-Superstar zu werden. Progressive Tüfteleien treffen auf die Swag-Attitüde der neuen Internet-Schule. Kollabos mit Chiddy Bang, Lil B und Wiz Khalifa, aber auch DVD-Abende mit Ramadanman, Ruckazoid und Krystal Klear: Genau diese Mischung und seine energetische Live-Show sorgen dafür, dass Kids weltweit den Verstand verlieren, wenn Lunice im Club seine Auffassung von moderner Rap-Musik präsentiert. So hinterließ er auch im Berliner »Prince Charles« eine durch und durch verschwitzte Meute mit glücklichen Gesichtern.

Du tanzt, produzierst, legst auf. Was ist dein Job?
Schwer zu sagen. Ich bin ein richtiges Rap-Kid. Ich habe mich schon als Kind sehr für Musik interessiert. Ernst wurde es, als ich mich dem Breakdancing widmete und durch das Tanzen mit den unterschiedlichsten Musikrichtungen in Kontakt kam. Das hat meinem Musikverständnis sehr geholfen. Ich habe Breakbeats gehört, alten Funk und Soul, aber auch elektronische Musik, habe mich mit Drum-Breaks und Rhythmen auseinandergesetzt. Davor habe ich fast ausschließlich Busta Rhymes, Wu-Tang Clan und die klassischen HipHop-Standards gehört, wenn man es so nennen mag. Das Tanzen hat mir eine andere Welt gezeigt.

Eine Sozialisation durch Breakdance ist für heutige Generationen ja eher ungewöhnlich.
Auf jeden Fall. Fast niemand in meinem Alter hat etwas mit Breakdance zu tun. Aber in meinem Umfeld sah das anders aus. Ich war auf vielen Battles und Contests unterwegs. Ich habe damals noch gar nicht produziert, sondern einfach beim Training und bei den Proben Unmengen an Musik gehört. Dann kam das Beatboxen hinzu.

Ganz klassisch, wie bei den ­Oldschoolern…
Ja. (lacht) Ich habe bis auf Graffiti alles durchgemacht. Zum Rappen hab ich leider überhaupt kein Talent, damit habe ich ganz schnell wieder aufgehört. Aber Breakdancing und Beatboxing war total mein Ding. Irgendwann hab ich versucht, mit meinem Ohr nur die Drums herauszufiltern, um auf die Hi-Hats zu tanzen. Ich liebe Drums und Rhythmen.

Wenn man YouTube-Videos von deinen Live-Gigs sieht oder dein »Glow«-Video, dann merkt man, dass du das mit dem Tanzen auf jeden Fall ernst meinst.
Ja, Mann. Ich mache das, seit ich zwölf bin, fast jeden Tag. Aber ich bin eher der Footwork-Typ. Ich stehe eher nicht so auf diese ganzen Powermoves und den Akrobatik-Kram, deswegen bin ich auch nicht mehr so viel auf Battles unterwegs. Ich gebe den Jungs ja Props, sie haben viel Kraft, können 300 Liegestütze machen und so weiter, aber mit Tanzen hat das nicht mehr viel zu tun – das ist Bodenturnen. Du bist stark, aber du hast keinen Funk – so sehe ich das. Die Competitions hatten auch viel mit Politik zu tun. Ich wurde oft gedisst, weil ich auf MF Doom getanzt habe und nicht auf Uptempo-Nummern. Jetzt sehe ich es oft, dass Kids auf Songs von MF Doom und Madlib tanzen.

Wie kamst du dann zum Produzieren?
Das fing mit 16 an. Ich hing mit Freunden auf der Couch rum und wir haben geträumt: »Was machen wir wohl, wenn wir mal über 20 sind?« Das Produzieren reizte mich, aber ich dachte, dass ich für das Equipment tausende Dollar investieren muss. Dann habe ich Fruity Loops ausprobiert und seitdem ist eigentlich alles gleich geblieben. Ein PC, tausende Plug-ins und gute Boxen. Ich habe noch eine MPC und einen Yamaha-Synthie, mehr brauche ich gar nicht. Mein erster Beat war auch richtig scheiße, ich hatte einfach nur Spaß an der Sache. Ich habe dann immer weitergemacht. Erst vor einem Jahr habe ich gemerkt, dass ich anscheinend wirklich im Musikbusiness tätig bin: »Oh, ich habe ja 40 Bookings pro Jahr, es gibt Artikel über mich, also bin ich wohl Musiker.« (lacht) Das kam ganz automatisch.

Du arbeitest mit Hudson Mohawke und den Jungs von Lucky Me, spielst auf Electro-Festivals wie dem »Sonar«, produzierst aber auch klassischen Boombap für die Jealous Guys und deine Sets eröffnest du gerne mit Lil B-Tracks.
Ich mag das halt alles. Meine Schwester hat mir früher immer Erick Sermon, Redman und Wu-Tang Clan vorgespielt. In der Highschool hab ich mit meinen Freunden hauptsächlich Neunziger-Tunes gehört, da steckt mein Herz drin, deswegen verwende ich auch heute noch relativ viele Jazz-Samples. Ich gehe aber auch gerne in Clubs, wo Waka Flocka und Lil B laufen. Gleichzeitig interessiere ich mich für neue Produktionstechniken und tausche mich mit Rustie und Hudson Mohawke aus. Ich mache einfach, was ich will.

Wie kam der Kontakt zu Mad Decent?
Das war verrückt. Ich hatte in Montréal mit Lucky Me einen Support-Gig für Major Lazer. Ich hab mein Ding gemacht, die Kids sind durchgedreht und Diplo hat mich während der Show beobachtet. Er hat mich sogar fast eine halbe Stunde länger spielen lassen. Jeder, der Diplo kennt, weiß, dass er das nie macht. Er hasst es, zu spät anzufangen. Ich habe das gar nicht gemerkt, da ich total betrunken war. Anschließend habe ich mein Equipment zusammengepackt, bin hinter die Bühne und dort gab mir Diplo Props. Wie gesagt, ich war total voll und bin einfach weiter, nachdem ich kurz »Danke« gesagt habe. Am nächsten Tag schrieb er mir eine E-Mail, ich schickte ihm ein paar SoundCloud-Links und ein paar Stunden später fragte er, ob ich mit ihm den »Helicopter«-Remix für Deerhunter zu Ende machen möchte. Total verrückt. Das hat innerhalb von einem Tag mein ganzes Leben verändert. Seitdem bin ich in seinem Management-Team, denn wie es der Zufall wollte, hatte ich mich gerade von meinem damaligen Manager getrennt.

Wie läuft das seitdem mit den Diplo-Kontakten?
Das ist verrückt. Ich würde gerne mal das Adressbuch in seinem Handy sehen. Er weiß auf jeden Fall, mit wem man sich weltweit in den Großstädten treffen muss. Er kennt jeden, vom Major-Artist bis zum verrücktesten Underground-Dude. Doch das läuft ganz entspannt, ich habe da keinen Druck. Außerdem muss ich mir vieles weiterhin selbst erarbeiten, das gefällt mir. Natürlich ist es schon sehr hilfreich. Vor allem kennt er alle halbseidenen Veranstalter und warnt mich vor den falschen Leuten. Das ist sehr wichtig. (lacht)

Und im Studio?
Es hat mich entspannter gemacht, mit ihm zu arbeiten. Auch Typen wie Diplo oder Hudson Mohawke kochen schließlich nur mit Wasser. Letztlich arbeitet jeder gleich. Es gibt zwar ein paar Tricks, doch am Ende muss man sich einfach locker machen. Es geht nur noch um die Idee, die Umsetzung bekommt man schon irgendwie hin.

Wie bist du im »212«-Video von Azealia Banks gelandet?
Das war Zufall. Das Video wurde in Montréal gedreht, wir haben gemeinsame Freunde. Azealia war für zwei Monate vor Ort und hat in Studios von meinen Freunden aufgenommen, unter anderem auch »212«, weswegen das Video auch in meiner Heimatstadt spielt. Das war eine super Zeit. Sie hat auch ein paar Skizzen von mir, bis jetzt ist leider noch nicht viel passiert. Aber sie wird ihr Ding durchziehen. Ich denke schon, dass sie richtig groß werden kann.

Du meintest mal, dass du dich Europa sehr verbunden fühlst.
Ich bin aus Montréal und dort ist es generell sehr europäisch: die Architektur, aber halt auch der französischsprachige Teil der Stadt. Ich mag auch die Open-Mindedness hier in Europa und besonders in England, deswegen toure ich hier auch öfter als in den Staaten. Die gesamte UK-Bass- und UK-Funky-Szene hat mich sehr beeinflusst. Die amerikanische Rap-Kultur und die Sounds aus England, das ist genau mein Ding. Dazwischen habe ich meine Lücke gefunden.

Was hältst du vom aktuellen Stand der Rap-Musik?
Zur Zeit ist es super. Was ich interessant finde, ist, dass Genres hinfällig werden. Es gibt natürlich noch Unterschiede im Sound, aber es ist nicht mehr wie früher, dass man die Musik in Westcoast, Eastcoast und Dirty South unterteilen kann. Natürlich gibt es lokale Strömungen, die wichtig sind. Egal ob Odd Future, A$AP Rocky, Lil B oder Drake – alle sind Kinder des Internet. Da schließe ich mich selbst auch nicht aus. Ich hab Rustie über das Internet gefunden, A$AP Rocky hat die Houston-Sachen sicher auch auf irgendwelchen Blogs entdeckt. Bei Space­GhostPurrp könnte ich mir vorstellen, dass er wirklich einen Kassettenspieler mit alten Memphis-Tapes zu Hause stehen hat – der ist so verrückt. (lacht) Man kann doch ohnehin nichts komplett Neues mehr machen. Alles war schon da. Selbst bei Dubstep, einer neuen Musikrichtung, gibt es eine »Old School« und viele meinen sogar, das Genre sei tot. Es geht halt alles so schnell. Die Zeit des Lokalpatriotismus ist vorbei. Sobald ein Stil im Netz angesagt ist, machen Leute am dem anderen Ende der Welt das Gleiche.

Wie bewertest du diese Entwicklung?
Ich bin mir nicht sicher. Es ist beängstigend, aber gleichzeitig super. Die Freiheit ist großartig, jeder kann alles machen. Aber die Originalität geht verloren, vieles wirkt recht hilflos und beliebig. Für manche Künstler ist es großartig, die in kürzester Zeit weltweit bekannt werden. Aber es geht mir manchmal auch zu schnell. Schau, letztes Jahr war Odd Future das Riesending, für sechs Monate. Jetzt ist es total normal, wenn Tyler wild rumspringt und alle stürzen sich auf A$AP Rocky, nach nicht mal einem halben Jahr. In vier Monaten wird A$AP von einem anderen abgelöst, zum Beispiel von Joey Bada$$ und dann ist Chief Keef sicher schon oldschool. (lacht) Ich beneide die A&Rs bei den Plattenfirmen nicht! Für Leute wir mich ist es schon schwer, immer am Ball zu bleiben, aber wenn du versuchst, den nächsten Jackpot zu signen, wirst du verrückt. Doch meckern bringt nichts. Eigentlich sollte es genau so sein, wie es jetzt ist.

Arbeitest du gerade auch mit MCs und Sängern?
Ja, da ist zwar noch nichts spruchreif, aber die Richtung werde ich jetzt einschlagen. Ich will weg von den reinen Instrumental-Tunes und DJ-Tools. Im Studio jammen, Songs ausproduzieren, mit den Rappern am Arrangement schrauben – genau das will ich machen! Ich bin da total offen. Gerade kommen viele Anfragen von Major-Labels und ich höre mir alles an. Selbst wenn es der poppigste Scheiß der Welt ist, schaue ich, was ich daraus machen kann. Die Labels und Künstler lassen mir alle Freiheiten und sagen: »Mach was du willst, mach einen Lunice-Track draus.« Ich bin der Überzeugung, dass eine Verweigerungshaltung heute nichts bringt. »Ich hasse Skrillex, ich hasse David Guetta.« Klar, ich kann den Scheiß auch nicht ausstehen, aber ich höre es mir an und versuche es dann für mich zu verarbeiten. Das vergessen viele. Wenn Skrillex mich fragt, gehe ich mit ihm ins Studio und sorge dafür, dass der Scheiß dope wird. Wenn Justin Bieber fragt genauso. Taylor Swift? Drauf geschissen. Ich mache es. Dann wird es eben der erste dope Taylor-Swift-Song. Selbst wenn mich meine Freunde dann anschnauzen. »Yeah nigga, I work with Taylor Swift, I love Taylor Swift.« (lacht)

Was kommt denn in naher Zukunft von dir raus?
Mit Hudson Mohawke kommen ein paar Tracks, auf Lucky Me kommt mein erstes Soloalbum, damit bin ich schon zur Hälfte fertig. Und auf Mad Decent bringe ich eine EP raus. Alles Weitere ist leider noch geheim.

Wer wird im Rap deiner Meinung nach groß werden?
Joey Bada$$ wird einschlagen, das ist ein sehr guter MC aus Brooklyn. Chief Keef würde ich es gönnen, da ich ein Riesenfan bin. Nur Young Chop hat durch seine Heulerei einiges an Credits verloren. Der sollte sich wirklich nicht darüber aufregen, dass Kanye seinen Beat bearbeitet hat. Erstens war es ein Remix, der sollte ohnehin anders klingen als das Original, und zweitens ist er ein unbekanntes Kind aus Chicago – er sollte froh sein, dass Kanye ihn schlagartig bekannt macht. Sein Trademark »Young Chop On The Beat« ist sogar noch zu hören. Ich verstehe das nicht. Kanye hat auch den Song von Hudson Mohawke und mir für seine Modenschau in Paris benutzt, da habe ich mich geehrt gefühlt, obwohl ich es erst auf der »Complex«-Homepage gesehen habe. Wenn Kanye dich erwähnt, wissen sofort Millionen von Menschen, wer du bist. Besser geht es nicht. Aber um auf das ­nächste große Ding zurückzukommen: Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn Paranoia-Rap in die Charts kommt. (lacht) Ich hab mir die ganze Zeit gesagt, dass es jemanden mit einem New York State of Mind geben müsste, der wie die Dudes aus Memphis und Houston rappt. Auf einmal gab es A$AP Rocky, der ist der Shit. Aber es müsste noch paranoider gehen als sein Zeug.

SpaceGhostPurrp?
Ja, so ähnlich. Der macht das schon super, da er noch tiefer in der Memphis-Geschichte diggt als A$AP. Es müsste aber gleichzeitig auch popkompatibel sein. Ein Typ, der so irre ist wie Koopsta Knicca, Brotha Lynch Hung, Gangsta Pat und Carmike, aber das müsste das Pathos der Maybach Music Group haben. Jemand, der die ­Paranoia richtig abfeiert, riesengroß produziert und in Szene gesetzt. Also eine Steigerung von A$AP Rocky und Space­GhostPurrp. Das wäre der Wahnsinn. Es gab so was mal in den ganz frühen Neunzigern, den Song »Load My Clip« von Lil Noid auf seinem »Paranoid Funk«-Tape. Den Vibe müsste es haben, bloß eben im Maybach-Music-Style. Es wäre witzig, wenn man das Thema in richtige Hits umwandeln könnte.

Text: Ndilyo Nimindé

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