Als Deutschraps neuer Popstar ist er eine der prägendsten Figuren, die das Genre 2018 zu bieten hat. Wer Rins Erfolg verstehen will, muss ihn in Bietigheim-Bissingen besuchen.
2017 war ein gutes, nein, ein sehr gutes Jahr für Rin: Legendäre Festivalauftritte beim splash! und Frauenfeld, eine ausverkaufte Tour und ein polarisierendes LP-Debüt, für das er drei Monate nach Veröffentlichung die 1Live Krone in der Kategorie »Bestes Album« gewann. Keine Frage: 2018 hat der Bietigheimer das Momentum auf seiner Seite. Statt auf Autopilot zu schalten, folgt nun ein gewagtes Manöver: Rin will den Sommer mit »Planet Megatron« dominieren – einem Mixtape.
Kurzer Rückblick auf meine erste persönliche Begegnung mit Renato Simunovic, wie Rin bürgerlich heißt: Berlin-Köpenick, November 2016. Als einer von sieben aufstrebenden Künstlern haben wir ihn zum Covershooting für unser Freshman-Cover, das später unter dem Hashtag #DeutschrapsZukunft hohe Wellen schlägt, in ein Fotostudio in den Randbezirk der Hauptstadt bestellt. Rin hat damals zwar mit »Bianco« einen waschechten Sommerhit und mit »Genesis« eine starke Debüt-EP auf der Habenseite, doch die Taschen sind leer: »Bro, hast du vielleicht bisschen Kohle? Wir wollten eben Weißwein holen«, fragt er und hält die Hand auf. Es ist halb zwölf Uhr morgens an einem Mittwoch, als ich einen Zwanni aus meinem Portemonnaie krame. Glücklich stapft Rin gemeinsam mit Chima Ede über die Straße Richtung Discounter, um wenig später mit vier Flaschen Bianco im Schlepptau zurückzukehren.
Bietigheim-Bissingen, Mai 2018: Ziemlich genau anderthalb Jahre später lässt das tiefe Brummen der Subbässe des soeben erschienenen Playboi-Carti-Albums meinen Blick vom Smartphonedisplay hochschnellen. Es ist kurz vor halb drei Uhr nachmittags, ich sitze in einer Kneipe unweit der kurzen Ladenzeile im Stadtkern des schwäbischen Provinznests. Der einzige weitere Gast trinkt Kristallweizen und blättert in der lokalen Tageszeitung, im Hintergrund plätschert das Geplapper einer griechischen Seifenoper vor sich hin. Die Holzvertäfelung ist in die Jahre gekommen, ein paar Novoliner flimmern, die elektronischen Dartscheiben stehen so früh noch auf Standby. Bis auf wenige Details wirkt der Raum, als hätte man in den späten Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts die Zeit angehalten. Nur die zuckenden Hi-Hats und touretteartigen Adlibs aus »Die Lit« vergewissern mir, dass mich kein Glitch in der Matrix fünfzig Jahre zurückgeworfen hat, ehe Rin den Raum betritt. Zum Termin ist er stilecht in seiner neuen S-Klasse erschienen. »Eine Woche nachdem ich die Krone gewonnen hatte, haben die sich bei mir gemeldet.« Leasing bei Mercedes-Benz zu VIP-Konditionen – wieso nicht? »Neu kostet der 140.000 Euro. Hätte ich auch nicht gemacht, wenn ich das nicht von der Steuer absetzen könnte.« Schwäbische Sparsamkeit trifft auf das inhärente Rapper-Bedürfnis, Statussymbole zu besitzen.
Natürlich ist die Luxuslimousine für Rin alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Seine Eltern sind Gastronomen, betreiben ein Lokal im benachbarten Ludwigsburg. Auf der Speisekarte steht neben zahlreichen schwäbischen und kroatischen Spezialitäten das »Kalbsschnitzel Renato« mit Zitronensauce, Kroketten und Salat. Während seiner Kindheit zieht die Familie von Frankfurt mit Zwischenstopps in Ulm, Karlsruhe, München, Augsburg und Ludwigsburg schließlich nach Bietigheim. Auch innerhalb der Städte wechselt man oft die Bleibe. Rin schätzt, dass er bis heute zwei Dutzend Male umgezogen ist. Das Geld bleibt immer knapp, die Eltern ständig im Lokal – zwei Insolvenzen erlebt Renato im Laufe seiner Kindheit mit. »Ich liebe meine Eltern, die haben mir alles gegeben«, sagt er später, als wir nach einer Spritztour durch die Stadt wieder vor der Kneipe sitzen und Bier trinken, »aber ich bin größtenteils allein und unabhängig aufgewachsen. Deswegen bin ich auch so heimatverbunden und rappe so oft darüber, wie wichtig meine Jungs für mich sind.« Als die Familie nach Bietigheim zieht, geht Renato in die fünfte Klasse. »Im Endeffekt habe ich hier den Hauptteil meines Lebens verbracht und so vieles erlebt – vom Chatten mit der ersten Freundin bei ICQ bis hin zu den ersten Jungs, die jetzt heiraten und Kinder kriegen.« Nach der Realschule macht er sein Fachabitur auf dem Berufskolleg. Es folgt eine dreijährige Phase der Arbeitslosigkeit, ehe Renato im benachbarten Stuttgart ein Studium der Medientechnik beginnt.
Dass er sich trotz der erfolglosen Jobsuche nach dem Schulabschluss nicht in Drogen, Alkohol oder Spielsucht verliert, ist natürlich Resultat von Rins intaktem sozialen Umfeld – aber auch seine Liebe für HipHop spielt eine zentrale Rolle. Eine Infrastruktur oder Szene fehlt in Bietigheim. Doch wie so oft ist es der Mangel an Möglichkeiten, den Rin im Laufe seiner Karriere als kreativen Treibstoff nutzt. »Wir waren ein kleiner Kreis an Kids, für die es keine Partys gab – man musste einfach alles selber machen«, sagt er und lässt seinen Blick Richtung Enz schweifen. Wir sitzen mittlerweile auf den Bänken im Japangarten unweit der Altstadt – dort, wo mit ersten Freestyles im Freundeskreis alles angefangen hat. »Man sitzt immer nur oben«, weist er mich in die Gepflogenheiten seiner Jungs ein, als wir auf den Parkbänken Platz nehmen. »Ich weiß noch, wie ich vor Autotune stand und gar keine Ahnung hatte. Immer musste mir Bausa bei den Einstellungen helfen. Erst mithilfe von irgendwelchen Piano Classes auf Youtube habe ich das gelernt«, erinnert er sich an seine ersten Gehversuche mit der Tonhöhenkorrektur-Software. 2015 schickt er das Splitvideo zu »Ljubav/Beichtstuhl« an Marcus Staiger und Falk Schacht. Als Letzterer den Track auf seiner Facebook-Seite postet, hat Rin direkt erste Anfragen aus der Szene im Postfach. Neben Casper meldet sich der vor allem für seine Alles-oder-Nix-Produktionen bekannte Produzent The Breed. Eine gemeinsame EP, die anschließend in dessen Heimatstadt Chemnitz entsteht, wird aufgrund künstlerischer Differenzen jedoch nie veröffentlicht.
King-Shit