
Es ist unmöglich, popkulturell über den Anfang dieses Jahrtausends zu sprechen, ohne dabei die Neptunes zu erwähnen. Ihre Produktionen prägten eine ganze Generation, die gerade vor MTV saß, als die Flugzeuge in die Twin Towers krachten. 2006 war das letzte Großereignis, das entweder mit Chad Hugo oder mit Pharrell Williams zu tun hatte. Obwohl deine Tante da ganz sicher anderer Meinung sein wird.
Fangen wir mit einer leicht überspitzten These an, macht eh am meisten Spaß. Die Probleme folgen später. Die These lautet wie folgt: Wer zwischen 2001 und 2004 weiß, jugendlich und am Wochenende auf Partys war, hatte seinen ersten Trockensexmoment auf der Tanzfläche entweder zu Sean Paul oder den Neptunes, also Pharrell Williams und Chad Hugo. Das Produzentenduo dominierte Anfang der Nullerjahre MTV, die Charts, das Radio, die Party-Playlists – einfach alles, was den durchschnittlichen Teenager von damals mit Musik beschallte. Bei den Grammys 2004 waren die Neptunes mit acht (hallo, acht!!!) Songs vertreten und gewannen die Trophäe als Producer Of The Year.
Die Neptunes waren mehr als nur mal die Produzenten der Stunde oder für eine Zeit die Go-To-Guys, wenn jemand einen Hit brauchte (oder eine ganze Karriere, siehe Ludacris’ »Southern Hospitality«). Sie waren nicht wegzudenkender Teil des Lebenssoundtracks der Generation Endlich-DSL. Und trotzdem haben die Neptunes Rap nicht verändert. Weil danach nichts Vergleichbares kam. Weil niemand etwas Vergleichbares produzieren konnte. Die Neptunes blieben unnachahmlich, sodass niemand davor und auch nicht danach klang wie Pharrell und Chad. »Knock Yourself Out«, »Beautiful«, »Hot In Herre«, »Milkshake«, »Light Your Ass On Fire« – bei wem diese Aufzählung von Tracktiteln nicht eine ganze Bilderflut an Erinnerungen auslöst, der gehört nicht zu der eingangs eingeführten groben Gruppe und dürfte sich demnach nicht weiter für diesen Artikel interessieren.
Wer Assoziationen zu ihnen hat, der hat auch seinen ganz eigenen Bezug zu den Neptunes. Denn es gibt nicht die eine Neptunes-Geschichte, jeder, der jetzt noch liest, dürfte seine eigene haben. Genauso wenig wie es nur einen Pharrell Williams gibt. Es liegen Welten zwischen dem 2001er Schnauzbart-Pharrell und dem 2013er »Oh, welche Hautpflege benutzt der denn?«-Pharrell. Also: Wie erzählt man am besten die Geschichte der Neptunes? Erzählen wir sie, das ist ja nie verkehrt, anhand von Sex.
Pharrell hatte sein erstes Mal mit einer um einige Jahre älteren Kollegin, als er einen Job bei McDonald’s hatte. Aber das nur als funny ass Trivia. Und als Überleitung. Denn natürlich müssen wir diese Geschichte in der Vergangenheit beginnen. Aber erst mal ohne Sex. Wir beginnen in Virginia Beach. Pharrell besucht die siebte Klasse der Independence Highschool und schreibt sich für ein Programm für künstlerisch interessierte Kids ein. Er will Schlagzeug lernen; etwas, das er seiner Oma vor ihrem Tod versprochen hat. Es ist der erste Tag des »Summer Band Camp«, Pharrell setzt sich hinter sein Set und guckt sich im Klassenraum um. Sein Blick bleibt am Jungen mit dem Saxofon hängen. »Ey, den kenn ich doch!«. Er hatte Chad Hugo schon früher kennengelernt, aber dann zogen beide um. Dieser Moment im Band Camp steht für den Beginn ihrer Freund- und direkt auch ihrer kreativen Partnerschaft. Pharrell und Chad fangen an, gemeinsam abzuhängen. Immer bei Chad, denn der hatte damals schon die Casio Keyboards zu Hause. Im Gegensatz zu Pharrell wird sich Chad Hugos Rolle im Verlauf kaum ändern: Er bleibt der Mann im Hintergrund, der Frickler, der durch die Weltgeschichte fliegt, um altes Equipment zu kaufen. Bleiben wir nicht allzu lange in den ganz frühen Tagen. Es gibt noch zu viel zu erzählen. Über Game Changer, Erfolge, Veränderungen und Skandale.
Für den kurzen Abriss der kinderschühlichen Bandgeschichte soll zuerst der zu Wort kommen, den man durchaus als den Entdecker der Neptunes bezeichnen kann: New-Jack-Swing-Produzent Terry Riley. »In the early nineties, Hugo and Williams formed a four-piece R’n’B-type group: the Neptunes – with friends Shay Haley and Mike Etheridge. The Neptunes played – they were a band then. Chad was the DJ, the keyboard player and the saxophone player all at once. It was like R’n’B meets Techno/New Wave/HipHop. It sounds the way they sound now.«
Das war 1992. Zwei Jahre später haben sie ihre ersten Producer-Credits auf dem Debütalbum von Blackstreet. Schon Ende der Neunziger geht es richtig los. Bereits Ma$es »Lookin’ At Me« und Noreagas »Super Thug« sind durchzogen von dem, was für eine ganze Zeit die neptune’sche Sound-DNA bleiben sollte: bissige elektrische Gitarrenriffs und Drums, baby – Drums in allen Ausführungen: schnell, treibend, dominant. Wie die Drums der »Marching Bands« in Virginia Beach. Chad und Pharrell gehörten beide einmal einer an und bewundern bis heute deren Sound. 1999 produzieren die Neptunes ihr erstes komplettes Album, es gilt heute als Klassiker: Kelis’ »Kaleidoscope«.
Und ab hier wird’s endlich sexy. Es scheint zwar irgendwie unpassend, jetzt direkt über Jay-Z zu schreiben, aber geht nicht anders. Okay, Mr. Carter war damals schon einer von Raps Galionsfiguren und beauftragte die beiden. »I Just Wanna Luv U (Give It To Me)« wird der Durchbruch der Neptunes und steht sowohl was die Musik (neben dem archetypischen Neptunes-Instrumental etabliert Pharrell hier auch sein Falsett) als auch was die Themen anbelangt programmatisch für Neptunes-Produktionen der kommenden sieben Jahre. Wo Pharrell und Chad ihre Finger im Spiel haben, wird es von hier an hot. Und es wird auch hot, als aus den süßen kleinen Nerds mit Trommel und Saxofon N*E*R*D wird. Gemeinsam mit Jugendfreund Shaye präsentieren sich die Lauchs von nun an als Rockstars. Pharrell trägt Schnauzer, Tats und Truckercaps und legt den Grundstein für seinen Werdegang als Stilikone.


