»Man neigt manchmal dazu, mehr dem zuzuhören, der brüllt« // Yassin im Interview

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Vor einigen Wochen hat Yassin sein 2012 veröffentlichtes Tape »Altlasten«, eine Sammlung zusammengewürfelter Songs aus alten Tagen, von seinem Spotify-Account verbannt. Niemand soll sein im Januar erscheinendes Album »YPSILON« mit dem »alten Solo-Kram« vergleichen und in plumper Nostalgie schwelgend vom »alten Yassin« schwadronieren, der noch nie derart persönliche Einblicke in seine Lebens- und Gedankenwelt zugelassen hat, wie in diesen Tagen.

Die Reaktionen auf deine erste Auskopplung »Abendland« waren sehr zwiegespalten. Wie ist dein Umgang mit dem Vorwurf, dass du dich »echt voll verändert« hast?
Ob man will oder nicht, wird die Entwicklung, die man als Künstler über seine Karriere hinweg genommen hat, ständig von allen möglichen Leuten ausgewertet, im positiven wie im negativen Sinne. Persönlich sehe ich das sehr kritisch, versuche das auch bei anderen Musikern nicht zu machen. Wenn ein neues Album rauskommt, höre ich mir das an … Und selbst, wenn ich vielleicht ein älteres Album desselben Künstlers mehr mag, versuche ich die Bewertung seiner aktuellen Sachen nicht davon abzuleiten, was er in der Vergangenheit gemacht hat. Wenn du willst, dass am Ende des Tages alles gleich klingt und über einen langen Zeitraum die exakt gleiche Linie hält, ist Rap vielleicht einfach das falsche Genre für dich. Außerdem darfst du, wenn du behauptest, dass das Album deines Lieblingsrappers von vor fünf Jahren besser war als ein aktuelleres, niemals vergessen, dass du zum Zeitpunkt des alten Albums auch einfach fünf Jahre jünger warst und selbst eine andere Lebensphase durchlebt hast. Wenn mich Leute für meine Entwicklungen kritisieren, empfinde ich das also schon manchmal als lästig. Der Grund, warum ich Musik mache, ist nicht der Heißhunger auf die Bewertungen von Leuten, die wollen, dass alles beim Alten bleibt. Wenn man einen Künstler wirklich schätzt, sollte man ihm auch den Respekt erweisen, sich auf neue Motive einzulassen. Gerade in meinem Fall hört es sich manchmal so an, als würden die Leute denken, dass ich bestimmte neue Stilmittel aus Versehen zum Einsatz bringe. In Wahrheit weiß ich genau, was ich da mache.

Verunsichern dich negative Kommentare unter Youtube-Videos?
Ich weiß natürlich, dass ein paar negative Kommentare nicht die gesamte Hörerschaft repräsentieren und das ein besonderer Schlag Mensch ist, der es für nötig erachtet, so etwas zu schreiben. Als die erste Single kam, ist mir aber schon nochmal anders bewusst geworden, wie weit ich mich diesmal persönlich geöffnet habe: Ich habe gemerkt, dass mich der eine oder andere Kommentar mehr angegriffen oder getroffen hat, als ich gedacht oder gehofft hätte. Zu sagen, dass es mir völlig egal wäre, wie die Sachen ankommen, wäre daher letztendlich nicht wahr. De Facto ist es aber so, dass das positive Feedback überwiegt und ich darüber auch sehr glücklich bin. Man neigt einfach manchmal dazu, mehr dem zuzuhören, der brüllt. So oder so werden ein paar Kommentare aber nicht meine Musik verändern.

Du hast seit 2009 fast ausschließlich gemeinsame Projekte mit Audio88 veröffentlicht. Seit wann hast du mit dem Gedanken gespielt, ein Soloalbum in Angriff zu nehmen?
Eigentlich schon seitdem ich angefangen habe zu rappen und noch in Darmstadt gelebt habe. Heute bin ich ganz froh, dass ich das 2003 nicht durchgezogen habe. 2007 bin ich dann nach Berlin gezogen. Nachdem ich Audio kennengelernt hatte, stand ein Soloalbum für mich dann lange Zeit gar nicht mehr zur Debatte. Am Ende war er es, der hartnäckig versucht hat, mich dazu zu motivieren. Ich hab’ dann zwar immer wieder Sachen aufgenommen, aber war nie so richtig zufrieden und habe mich deshalb irgendwie davor gedrückt, ein Soloprojekt zu priorisieren. Erst letztes Jahr habe ich festgestellt, dass es ein paar Songs gibt, mit denen ich auch noch mehrere Wochen nach ihrer Entstehung zufrieden war und an denen ich gerne weiterarbeiten wollte. Parallel dazu ist mein Umfeld immer weiter gewachsen: Produzenten wie Farhot oder Phillip Schwär haben das Ganze ja schon auf ein neues Level gehoben. Die meisten Sachen sind dann tatsächlich in den letzten zwölf Monaten entstanden.

Kommt ein Großteil des Inputs, auf den die Platte aufbaut, denn nicht sowieso aus früheren Jahren deines Lebens?
Auf dem Album findet eine Menge Vergangenheitsbewältigung statt und natürlich basiert meine Lebenseinstellung auf vielen Erfahrungen, die schon länger zurückliegen. Aber es gab trotzdem Ereignisse, durch die ich einen anderen Bezug zu bestimmten Themen bekommen habe. Songs wie »Ypsilon« oder »Nie so« mit Mädness resultieren zum Beispiel enorm aus dem sehr bewegenden Lebensabschnitt »Halleluja«. Und der Drogen-Track »Junks« ist nur deshalb so wie er ist, weil ein guter Freund erst kürzlich den Entzug geschafft hat … Das hat die ganze Thematik für mich in ein völlig anderes Licht gerückt.

Hat »YPSILON« in der Entstehung mehr Nerven gekostet als die vorangegangenen Kollabo-Alben?
Ja, zumindest war der Weg zum fertigen Album aus emotionaler Sicht intensiver. Ich musste zum ersten Mal ganz alleine entscheiden, an welchem Punkt die Sachen gut genug sind. Wenn ich Gegenstände in Texten verarbeitet hatte, die mir wichtig waren, musste ich jedes Mal selber bestimmen, ob ich die bestmöglichen Worte dafür gefunden hatte … Auch aus Respekt vor dem jeweiligen Thema. Ich spreche ja auch durchaus Dinge an, die, wenn ich sie falsch ausgedrückt hätte, vielleicht kitschig oder unglaubwürdig wirken würden. Davon abgesehen wollte ich auf musikalischer Ebene Sachen ausprobieren, die ich vorher noch nicht gemacht hatte. Das konnte ich nicht einfach aus dem Ärmel schütteln. Insofern war die Arbeit am Album auch handwerklich anstrengender.

Bislang hattest du deine eigene Vergangenheit nur wenige Male und wenn überhaupt indirekt in deiner Musik thematisiert. Wie ist es zu erklären, dass du sie auf einmal so ungeniert offenbarst?
Meine unveröffentlichten Solotexte waren schon immer relativ persönlich. Ich glaube, das liegt unter anderem daran, dass ich schon sehr früh von Moses Pelham und den anderen Künstlern bei 3P geprägt wurde … Die haben ja auch sehr krisenbehaftete Musik gemacht und sich häufig mit den eher unschönen Seiten der eigenen Psyche beschäftigt. Der Punkt, der mich dazu motiviert hat, jetzt auch öffentlich in Songs über solche Problematiken zu sprechen, waren Gespräche mit Freunden, die mir gezeigt haben, dass ich nicht der Einzige bin, der über solche Dinge nachdenkt. Die Erfahrungen, die ich gemacht habe, kennen anderen vielleicht auch oder können sie zumindest mit eigenen Erlebnissen assoziieren.

Mich hat überrascht, dass du in deiner Ausdrucksweise fast vollständig auf Sarkasmus verzichtest. Sind die Themen diesmal einfach zu ernst?
Ich bin grundsätzlich kein zynischer oder resignierter Typ. Meine Lebenssituation könnte man sicherlich auch mit Sarkasmus betrachten, aber danach war mir irgendwie nicht. Nebenbei finde ich, dass die Notwendigkeit eines Yassin-Soloalbums rapide sinken würde, wenn es sich anhören würde, wie eine Audio88-Yassin-Platte ohne Audio88.

Vielleicht hatte ich deshalb das Gefühl, dass »YPSILON« die ausgedehnte Fortsetzung deines Solotracks »Jammerlappen« von 2016 ist, der ja auch schon sehr selbstreflexiv war. Worauf spielst du an, wenn du sagst, »durch die Musik« Seiten an dir zu kennen, die »weniger berauschend« sind?
In erster Linie geht es da um einen gewissen Narzissmus. Der ist einerseits gut, weil er mir die Gewissheit gibt, dass da irgendwo in der weiten Welt Leute sind, die meine Geschichten interessieren. Aber dieser Narzissmus kann auch umschlagen: Als Musiker erfährst du zum Teil übermäßig viel Aufmerksamkeit und Zuspruch und vergisst dadurch manchmal, dich zu hinterfragen. Insgesamt vermischst du eine schwierige wirtschaftliche Situation mit einem hohen Maß an Emotionalität … Gerade wenn du das Privileg hast, das hauptberuflich machen zu können. Und das offenbart auch deine Schattenseiten, besonders dann, wenn du gerade an einem Release schraubst und für dein persönliches Umfeld phasenweise ungenießbar wirst. Die Line spielt natürlich auch auf einen gewissen Lebensstil an, in dem Alkohol und Drogen eine wichtige Rolle spielen. Auch das geht mit dem Musikerleben einher.

An anderer Stelle beschreibst du dich als »ersten Kanaken, den Kanaken nicht feiern«. Ist das nicht ein bisschen zu stumpf formuliert?
Sicherlich klingt das überspitzter als es gemeint ist. Worauf ich anspiele, ist, dass um Audio und mich über die Jahre eine Fanbase entstanden ist, die relativ begrenzt ist. Wir würden gerne auch von anderen Leuten gehört werden, aber die erreichen wir anscheinend nicht. Wir haben das nie elitär gemeint, aber in der Außenwahrnehmung machen wir nunmal straighten Studentenrap. Nicht, dass ich das besonders schlimm fände … Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass ich bei Konzerten der einzige Mensch im Raum bin, der keinen biodeutschen Nachnamen hat. Die Zeile geht ja außerdem weiter: „Und bin bald die erste Kartoffel an einem Galgen in Bayern.“

»Ich bin grundsätzlich kein zynischer oder resignierter Typ«

Dein Schicksal als deutscher Bürger mit nichtdeutschem Nachnamen in einer sich zuspitzenden gesellschaftspolitischen Situation wird über das Album hinweg immer wieder angeschnitten. Beschäftigt dich dieses Thema stärker als früher?
Ja, schon. Einfach, weil ich mich öfter damit konfrontiert sehe. Alltäglicher Rassismus nimmt immer weiter zu, das bekomme ich sowohl auf dem Amt als auch im Straßenverkehr zu spüren. Ich fühle mich schon angegriffen, wenn ich aufgrund meines Aussehens oder meines Nachnamens wie jemand angesprochen werde, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Ich habe das Gefühl, mir plötzlich Gedanken machen zu müssen, ob ich Deutscher bin oder nicht, obwohl ich zu keinem Zeitpunkt einen Identitätskonflikt mit diesem Land hatte. Meine Mutter stammt aus Deutschland, mein Vater ist aus Algerien eingewandert, aber ich bin in Deutschland geboren worden. Ich musste genau genommen noch nicht einmal integriert werden. Wenn überhaupt fehlt mir ein Bezug zu meiner Heimat in Algerien, weil ich dort für lange Zeit nicht hin konnte. Rassistische Stereotype scheinen so tief in der Denke vieler Leute verankert zu sein, dass sie offensichtlich nur darauf warten, sie endlich wieder aussprechen zu können … Wie eine gedankliche Säule, die sie lange verheimlichen mussten. Ich unterstelle nicht jedem Deutschen, dass er so denkt. Aber ein mulmiges Gefühl wächst definitiv.

Besonders Songs wie »Deutschland« oder »Abendland« bündeln viele Facetten der bedenklichen Tendenzen unserer Zeit. Im Vergleich zu älteren Liedern wie »Schellen« muten die neuen Tracks eher resigniert an.
»Abendland« berichtet aus meiner ganz persönlichen Perspektive auf die Situation. Ich empfinde die Lage nicht als hoffnungslos, aber ich muss schon zugeben, dass mich die Angst lähmt. Wenn ich mir ausmale, was die Konsequenzen all dieser Entwicklungen sein könnten, dann ist das für mich nicht traurig, sondern in erster Linie bedrohlich. Und zwar nicht nur für mich, sondern für meine ganze Familie. Um sicher zu gehen, im Alltag vor Anfeindungen gefeit zu sein, müssten wir mindestens unseren Nachnamen ändern. Und vor dieser gesamtgesellschaftlichen Zuspitzung sollten eigentlich alle Menschen Angst haben … Das versuche ich in »Abendland« ja auch zum Ausdruck zu bringen: Der Feind steht nicht neben dir, sondern wenn überhaupt über dir. Das Resultat, das die Leute erwarten, sei es Sicherheit oder Wohlstand, wird weder durch diese Politik noch durch diese Denkweisen eintreten. Im Endeffekt wird es allen schlechter gehen, besonders denen, die jetzt schon nicht zu den Gewinnern dieser Gesellschaft zählen. Ich glaube, dass viele Leute instinktiv wissen, dass es keine wirkliche Alternative ist, die AfD zu wählen. Diese Partei bietet nur ein anderes neoliberalistisches Ausmaß derselben Politik an. Würden sich die Leute genauso aufopfernd dem Klassenkampf widmen, wie sie sich derzeit der Xenophobie hingeben, wären wir bestimmt schon ein bisschen weiter.

Text: Alex Barbian
Fotos: V.Raeter

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #190. Die aktuelle Ausgabe gibt’s versandkostenfrei im Shop.

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