Zum Jahresstart sah es so aus, als ob es im UK einen schlichten Beef zwischen zwei Rappern geben würde. Der »Godfather of Grime«, Wiley hatte auf Twitter gegen die Grime-Größe Stormzy gestichelt und schließlich den Disstrack »Eediyat Skengman (Stormzy Send)« veröffentlicht, auf dem er Stormzy unter anderem vorwirft, Grime nur zu benutzen, um Bekanntheit zu erlangen. Stormzy schickte seine musikalische Antwort in Form von »Disappointed«, hielt sich nicht weniger zurück als sein Konkurrent und brachte einen Beef ins Rollen, der nicht nur einen musikalischen Mehrwert und Emceeing auf höchstem Niveau mit sich brachte, sondern seither die britische Popkulturlandschaft in Atem hält. Dabei entstehen nicht nur Memes und Disstracks von Math-Rock-Bands, stattdessen bieten die mittlerweile fünf Disstracks der Rapper einen Einblick in das Rap-Subgenre Grime, seine Ursprünge, seine Protagonisten und die Veränderungen der letzten Jahre.
Der Kick-Off
Dass es überhaupt zu einem Beef zwischen Wiley und Stormzy kommt, kann auf den ersten Blick verwundern. Immerhin widmete Stormzy auf seinem aktuellen Album »Heavy is the Head« der Grime-Ikone den Track »Wiley Flow«, auf dem er den Verdiensten des Genre-Vorreiters Respekt zollt. Wiley hat trotzdem ein Problem mit Stormzys Musik und hielt mit dieser Meinung nicht zurück, als er, ebenfalls auf Twitter, giftige Zeilen gegen Rapper Jaykae verfasste. Der hatte Wiley zuvor auf einem Track gedisst, Wileys Fans erwarteten eine Antwort. Wiley verwies nur schlicht darauf, dass Jaykae gemeinsame Sache mit Stormzy und Ed Sheeran mache (alle drei sind auf dem Track »Take Me Back To London (Remix)« von Ed Sheeran zu hören) und betrachtete das offenbar als Affront.
Daraufhin meldete sich allerdings auch Stormzy selbst zu Wort, der schon mehrfach mit Popsänger Ed Sheeran zusammengearbeitet hat, und ihn auch als Featuregast auf »Heavy is the Head« holte. Doch die Disstracks sind nur ein Resultat einer ganzen Reihe von Irrungen und Wirrungen der Szene auf der Insel. Der Konflikt der beiden ist mittlerweile mehr als eine kleine Auseinandersetzung. Denn er zeigt, wie sich das Genre Grime seit dem Durchbruch in den Mainstream verändert hat. Mit Wiley ist ein Veteran früher Zeiten vertreten, mit Stormzy ein jüngeres musikalisches Schwergewicht, dessen Singles auf der Eins charten.
Alt gegen jung / Untergrund gegen Mainstream
Wiley hat bisher drei Teile seiner »Eediyat Skengman«-Disse veröffentlicht, die auf Stormzys »Wicked Skengman«-Freestyle-Reihe Bezug nehmen, und greift in jedem einzelnen Song Stormzys Interpretation von Grime an. Seinen Titel des »Godfather of Grime« hat Wiley sich durch musikalischen Output seit den frühen 2000ern verdient, wo er neben eigenen Songs unter anderem auf Dizzee Rascals Album »Boy In Da Corner« vertreten war, das als Schlüsselalbum gilt, mit dem Grime in den Mainstream vordringen konnte. Obwohl Wiley zu Karrierebeginn seinen Garage- und 2-Step-beeinflussten Rap-Entwurf lieber »Eskibeat« nannte, wird ihm manchmal sogar die Erfindung des Begriffs »Grime« zugeschrieben, was allerdings Quatsch ist. Als gesichert gilt aber, dass Wiley das Genre entschieden geprägt hat.
Mehr als fünfzehn Jahre später gelten Rapper wie Skepta (einstmals Mitglied der Crew Roll Deep, zu der auch Wiley gehört) oder eben Stormzy die Aushängeschilder des Genres. Grime berücksichtigt nun nicht mehr nur die rohe Realität Londoner Straßen, sondern erobert die Charts. Stormzys große Erfolge wurzeln zu einem nicht unwichtigen Teil auch in den Erfolgen des Pop-Superstars Ed Sheeran, der als einer der meistgestreamten Musiker der Welt eine große Fangemeinde hinter sich weiß.
Doch Stormzy kann eben nicht nur schnelle Verse spucken, sondern auch singen und fühlt sich mit diesen scheinbaren Gegensätzen sichtlich wohl: »They say that I’m pop, I don’t mind that (Yeah)« und »They hate when I sing but give ‚em time/Number one in this thing of mine/That’s what makes me the king of grime«, rappt Stormzy auf »Disappointed« und unterstreicht damit, dass er ein anderes Verständnis von Grime-Kultur hat als Wiley. Der kontert, dass Stormzy sich an dieser Kultur bereichert hätte und jetzt wie ein Popstar agiert, der zu seinen Ursprüngen keinen Bezug mehr hat. »I know Stormzy’s good and that/Yeah, I know he came from the hood and that/But if the vibes that we built were drugs and we packed/We’d be stacking, and he come along and took all that« und »This is grime, my bruv, it’s not four to the floor/Before you was trying to bread and come across like a nutter/Now you’ve gone soft like butter« sind Vorwürfe, mit denen Wiley klar machen will, dass Stormzy für ihn kein echter Grime-MC mehr ist. Selbst den Beat, den Stormzy auf »Disappointed« nutzt, nimmt er genau unter die Lupe und sieht darin zu viele Einflüsse von UK Drill.
Wiley macht den Beef auch zu einem Kampf der Generationen und sieht sich selbst in der Position darüber zu urteilen, was im Grime okay ist und was nicht. »You weren’t on the roads when Dizzee made ‚I Luv U’/Back then, you must’ve been about 4« erklärt der 40-jährige Wiley dem 26-jährigen Superstar Stormzy, der da immerhin schon neun Jahre alt war. Dabei ist Grime längst kein Nischengenre mehr, sondern gelangt von großen Spotify-Playlists genauso auf die Straße wie in bürgerliche Wohnzimmer, in denen sonst »Shape Of You« von Ed Sheeran läuft. Grime ist ein wichtiger Bestandteil britischer Musikkultur und teilweise Aushängeschild dieser geworden, was sich nicht zuletzt an der Rezeption des Beefs zeigt.
Memes und Math Rock
Die Auseinandersetzung erregte nicht nur in der Grime-Szene und bei namentlich genannten Rappern Aufmerksamkeit, sondern wurde schnell zum landesweiten Unterhaltungsprogramm, das von YouTube-Kommentaren, Memes und dem Einmischen von Unbeteiligten lebt. Schon Stormzys Auftritte in seinen Videos, jeweils mit einer Tasse Tee und Joint in der Hand, wurden zum Gesprächsthema und zu Memes. Die einen sahen darin die typisch englische Teatime, die anderen meinten, er habe so schnell auf Wileys Disstracks geantwortet, dass sein Tee immer noch heiß sei.
Auch völlig unbeteiligte Personen bekamen ihre, teilweise ungewollte, Aufmerksamkeit. Der britische Sänger Peter Andre (»Mysterious Girl«), der heute als Reality-TV-Promi bekannt ist und unter anderem in der englischen Version des Dschungelcamps zu sehen war, wollte sich schlichtend in den Streit einmischen und twitterte, dass beide Rapper großartige Artists seien und ihre Familien aus dem Beef heraushalten sollten. Unabhängig davon, dass wohl niemand nach seiner Expertise gefragt hatte, taggte er zusätzlich noch die falschen Accounts und wurde selbst zum Memeobjekt.
Auch musikalisch wurde sich in den Beef eingemischt, allerdings nicht nur von Rappern, sondern auch von der Math-Rock-Band black midi, die für ihre experimentellen und komplexen Songs gefeiert wird und durchaus das Gegenstück eines Ed Sheeran darstellt. Black midi scheinen sich auf Wileys Seite gestellt zu haben, machten den Grime-War zum Thema von Rockmusik und veröffentlichten den Track »ded sheeran (ed sheeran send) part 1« mit folgenden Zeilen: »Ed Sheeran sucks/ You sellout ginger prick/ Your music is doodoo, believe me man we don’t need you«.
Für die Kultur
Egal, welchen Teil des Beefs man betrachtet, von penibel recherchierten Familiengeschichten in den Lyrics, über die musikalische Umsetzung mit Beats von teilweise 2005 bis zu sauber ausgearbeiteten Meme-Patterns – Wiley und Stormzy haben der Popkultur einen Gefallen getan. Die Disstracks und alles, was rundherum um diese passiert, zeigen die kontrovers zu betrachtende Entwicklung von Grime in der britischen Musikkultur lebendiger auf, als es eine Chronik je könnte.
Denn die Aufarbeitung findet mit Musik selbst statt, wird von Protagonisten der Szene betrieben und zieht Verbindungen zu vielen weiteren wichtigen Figuren. Am Ende ist es nicht entscheidend, auf wessen Seite man sich stellt, denn man kann genauso wenig einen Schlussstrich unter die Argumentation der Rapper ziehen, wie man es unter die Entwicklung von Grime kann. Stattdessen sollte man dankbar für diese Form der Unterhaltung mit all ihren kleinen Details sein, in denen sich so viel Wissen über die HipHop-Kultur befindet.