»Wann geht es um die Frauen?« – Shahak Shapira, Fler und die Rap-Community // Kommentar

Der Comedian Shahak Shapira hat die Nachricht einer jungen Frau öffentlicht gemacht, die angeblich von Fler belästigt wurde. Danach stand das Internet Kopf.

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Der Comedian Shahak Shapira hat vergangenen Freitag die Nachricht einer jungen Frau im Internet öffentlich gemacht, die von Fler belästigt wurde. Danach hagelte es Drohungen, Vorwürfe und Beleidigungen aus allen erdenklichen Bubbles und Himmelsrichtungen. Am Ende stand eine irritierende Diskussion um Kunstfreiheit, HipHop-Kultur und Mainstream-Medien. Unsere Kolumnistin Jane fragt sich derweil: Wann geht es um die belästigten Frauen?

Es gibt diese Blase von halbcoolen Gymnasialbengeln, bürgerliche Kinder aus liberalen Häusern, die auf der einen Seite eine dystopische Faszination für Rap, speziell für Straßenrap verspüren, aber auf der anderen Seite in jeder Minute klarmachen müssen, dass sie sich moralisch, sozial oder bildungsfaktorisch überlegen fühlen. Kritik an der HipHop-Community aus dieser Ecke ist nervig bis ärgerlich, stinkt nach Oliver Pocher und will eigentlich keiner haben.

Wenn Leute mit so einem Mindset auf einmal als aufdeckende Ehrenritter glänzen, die sich trauen, wie kein anderer zuvor Täter zu benennen, dann schmerzt das eingefleischte »echte« Rapfans. Aber da muss die Community jetzt durch.

So ähnlich geschehen ist etwas am letzten Freitag, den 28.Februar 2020, als Comedian Shahak Shapira eine Sprachnachricht, die er von Fler bekam, veröffentlichte. Fler beschimpft und bedroht Shapira in einer Instagram-Sprachnachricht. Shapira twittert dazu:

Während ich noch nach den im Tweet beschriebenen Screenshots oder der jungen, bedrohten Frau suche, werden zig Kommentare gepostet, die Fler verspotten oder entrüstet sind über seinen vulgären Wortschatz und den sog. »Fick«, den er auf das deutsche Rechtssystem gibt. Viele fühlen sich in ihrem HipHop-Weltbild bestätigt. Einige halluzinieren von irgendwas, das früher einmal besser gewesen sein soll. Es hagelt Bildungschauvinismus, Unterschichthass, Mitleidsbekundungen an Shapira. Nach der Frau fragt kaum jemand in den Kommentaren. In den Nächsten 24 Stunden sollte sich ein Mehrfrontenkrieg entwickeln, bei dem es bisher nur Verlierer gab.

Shapira will die von Fler gegen ihn gerichteten Bedrohungen anzeigen – erfolglos. Die Polizei Berlin schreibt dennoch witzige Tweets dazu, Tom Schreiber will sich dem persönlich annehmen. Fler bedroht mittlerweile eine weitere Frau, setzt 2000 Euro Kopfgeld auf sie aus. Ganz Twitter diskutiert währenddessen, was Kunst darf, ob der Künstler vom Werk zu trennen ist, ob Rap überhaupt Kunst ist, wer HipHop nicht verstanden hat und was ein realer Rapper ist. WAS. ZUM .FICK?

Wann geht es eigentlich um die Frauen?

Weiter geht’s mit Spekulationen, warum Shapira, der alberne H00nd, immer nur auf Fler, dem peinlichen Asi, rumhakt, aber z.B. mit Kollegah ins Studio geht. (Ich fand mich selbst in einer Diskussion darüber wieder, dass ich Shapira für einen berechnenden Heuchler halte, der, wie viele, Gewalt gegen Frauen nur instrumentalisiert, wenn es aktuell in den Kram passt. Schließlich hatte er mal einen Account von mir geblockt, weil ich ihn wegen einer sexistischen Pointe ein wenig, naja provozierte.) Die beiden Herren lieferten sich weiter ein persönliches, sehr maskulines und emotionales Online-Battle. Kurzzeitig dachte ich, Fler dreht komplett durch und Shapira sah mittlerweile eine Kampagne gegen sich laufen. Es gab dann noch mehr Beleidigungen und Bedrohungen. Die Kommentare darunter waren entweder Gewaltrelativierungen oder boomereskes Herabschauen auf Rapmusik. Beide Bubbles waren intensiv miteinander beschäftigt und ich möchte lieber nicht wissen, was sich alles in den DM-Fächern der beteiligten Frauen abspielte. Die Frauen. Wann geht es eigentlich um die Frauen?

Plötzlich meldete sich eine Betroffene öffentlich zu Wort.

https://twitter.com/magdaphileo/status/1233934999419748352

Ok Schwester, machen wir jetzt.

Die Kampagne #unhatewomen (ja, hiphop.de, so wird’s geschrieben) ist eine Initiative von Terre des Femmes gegen frauenverachtende Hate Speech und für mehr Respekt gegenüber Frauen. Was das mit Deutschrap zu tun hat, wird spätestens im Kampagnen-Video klar, in dem Frauen frauenverachtende Textzeilen von mehreren etablierten Rappern vorlesen. Die Zahlen und Fakten zu dieser Gewalt gegen Frauen sind abstoßend und beängstigend und die Frage, wie es sein kann, dass so etwas ein normalisiertes und gängiges Stilmittel in dem Genre ist, muss sich jede Person, die irgendwie mit dem Sujet verwoben ist, gefallen lassen. Leider egal, von wem sie kommt.

Aber wo fangen wir an? Wir alle wissen, dass es nicht »nun mal so« ist. Dass es halt doch »nun mal so« ist. Dass es nicht nur im Rap »nun mal so ist«. Dass es fast überall »nun mal so« ist?

Wir alle wissen, dass es nicht »nun mal so« ist. Dass es halt doch »nun mal so« ist. Dass es nicht nur im Rap »nun mal so ist«.

Was‘ Kunstfreiheitsdebatte? Es stinkt nach Müll und alle tun, als sei es Rosenduft.
Die HipHop-Szene in Deutschland sehe ich seit jeher als riesigen Nudelsalat, der mittlerweile vor sich hingammelt, weil er seit zwanzig Jahren die gleichen Typen in allen möglichen Strukturen hat, die nur Leute in deren Kreise holen, mit denen es gut und bequem weiterläuft. No new friends. Manchmal ändert sich ein bisschen was zum Guten, aber meistens bleibt es wie es ist oder wird schlimmer.

Ich kann keine falkschachtistischen Statements von »unserer« Kultur, »unserer« Szene machen. Das ist schon seit 2009/2010 nicht mehr meine Kultur, falls ich das je so pathetisch aus Identitätszwecken sagen wollen würde. Gangstermängster, Rückenmücken, Zuhälter-Rap, Leute, die entweder auf einem extremen islamistischen Film oder auf einem merkwürdigen Lokalpatriotismus hängengeblieben sind, Hardcore-Porno-Rap, Bling-Bling-Rap usw. usf. Jeder profitiert von irgendeinem Hundesohn, der unter anderem Frauenverachtung multipliziert und wird so selbst zu einem Hundesohn oder toleriert zumindest die anderen Hundesöhne. Tendenz steigend. Und dann das ganze Geld. Da bekommen eklige Typen mit beschissenen Wertesystem auch noch wirklich Macht.

Spätestens, wenn du von einer jungen Frau hörst, die in einem Festival-Backstage Unfassbares erlebt haben soll und mitbekommst, wie alle davon wissen und damit arbeiten und brav ihre Schnauze halten – ciao! Das mag alles kaum noch schockieren seit den Bill Cosbys, R. Kellys, Weinsteins, Polanskis und Epsteins dieser Welt und macht auch noch mal deutlich, dass wir hier von keinem »szene-spezifischen«, sondern einem globalen und klassen-übergreifenden Problem sprechen.

2020 sind die erfolgreichsten Rapper mittlerweile auch nur erz-neoliberale Turbokapitalisten. Oder umgekehrt. Unterdrücker sind für sie nur solange schlecht bis sie selbst welche sind.

Produzenten, andere Rapper, Promoter, Journalist*innen, alle können unterdrückt werden. Dass es in der angeblichen Nische HipHop-Journalismus kaum Leute gibt, die sich aus verschiedensten Gründen selten trauen, mal richtig nachzufragen, kritisch zu sein, dagegen zu sein, mag ich kaum zum Vorwurf machen. Anwälte können kommen und dann entscheidet eine Frage der Finanzen, wie frech man sein darf oder eben nicht. Wenn dann eventuell jemand dein Leben oder deine Familie bedroht, klar, bringst du dann eine andere Story.

Aber ein Großteil der Deutschrap Journalist*innen haben schlichtweg von vornherein keinen Bock darauf unbequem sein. Sie wollen cool sein mit den Rappern und gemocht werden. Das Klischee des Hofberichterstatters, es ist nicht nur gelogen.

wer Gewalt gegen Frauen hier nicht als zu behandelndes Problem sieht, ist selbst ein Teil des Problems.

16Bars.de schreiben in ihrer Instagram-Story die Frage: »Shahak Shapira: Wie sagen wir Dir nett, dass du die Fresse halten sollst?« Spürt ihr noch was? Keiner mag Shahak Shapira, ok. Aber, wer Gewalt gegen Frauen hier nicht vordergründig als zu behandelndes Problem sieht, ist selbst ein Teil des Problems.

Haltet eure Fressen! Ich sag das, so lieb ich kann. Es ist peinlich und nicht nur aus journalistischer Perspektive grob fahrlässig, dass ihr euch an so einem Strohmann abarbeitet. Immerhin habt ihr jetzt auf eurer Startseite »Fler schlägt RTL-Kameramann und bedroht Reporterin«. So weit, so Springer. Die HipHop-Bubble ist empört, wenn jemand fachfremdes HipHop kritisiert, aber selbst will offenbar keiner konkret werden. Reflexionsvermögen anyone?

Vielen Dank auch für das romantisch-verklärte Community-Gelaber. Das reflexhafte verteidigen der ominösen Idee einer ach so schützenswerten Kultur, die unantastbar, jeder Kritik auf ewig erhaben ist, könnten wir aber zum Beispiel denen überlassen, die darauf bestehen, das N-Wort sagen zu dürfen (oh, da gibt es ja auch so paar Rapper, aber das ist ein anderes Problem). Das ist alles sehr reaktionär und stumpf. Ihr macht euch selbst zu Kompliz*innen, die akzeptieren, dass sich Sexismus, Homo-Feindlichkeit oder Rassismus zu Deutschraps dominanten Kernkompetenzen bilden. Es ist von allen Seiten verpasst worden, rechtzeitig zu widersprechen.

Es ist von allen Seiten verpasst worden, rechtzeitig zu widersprechen.

Das immer wieder durch die »Community« legitimierte sexistische Grundrauschen sorgt nun für ein akustisches Klima, das nur für wenige erträglich ist. Diese Hippie-Idee a là »wir müssen denen nur erklären, was richtig ist«, ist wohl bei den meisten vergebene Liebesmüh. Das gilt auch für Fans, Produzenten oder Booker, die mit diesen Rappern zusammenarbeiten. Bildung ist grundsätzlich ein guter Ansatz, aber Veränderungen in den Strukturen werden kaum erreicht durch Workshops, zu den keiner gehen will. Die wissen, was sie machen und sie wollen das. Sexismus ist eine Ideologie mit vielen Jüngern. Da hilft keine Toleranz und Verständnis. Ich werde noch einmal herunterbeten, dass die Rap-Community dieselben Schwächen aufweist wie der Rest der Gesellschaft auch. Rapmusik ist mittlerweile auch nur eine Industrie, die nach klassischen kapitalistischen Mechanismen funktioniert und Sexismus ist auch hier, wie überall, ein wichtiges Vermarktungsstandbein.

Rap ist nur ein wenig unverblümter als der Rest Gesellschaft. Wenn ihr unbedingt wollt nur ein Spiegel dieser, ja ja. Vielleicht ist es ein Geheimnis, aber Sexismus ist auch ein kleiner Helfer von Faschismus und ja, man, genau dieses Fass mach ich hier auf. Und dann lass ich es einfach so offen…

Wenn es Rap sein soll, dass sich Nazis auf einem Finch-Asozial-Konzert wohlfühlen, weil akzeptierter Frauenhass einfach einen gemeinsamen Nenner darstellt, dann scheiß ich auf diesen Rap. Klar, nichts hat mit nichts etwas zu tun, aber mir ist am Ende egal, ob mich Menschen verachten, weil ich Kanakin oder weil ich Frau bin. Und ob das nur ironisch und künstlerisch gemeint ist. Ich hoffe, der Raum wird immer knapper für all jene, die nur sich und ihren Leuten ein gutes Leben gönne. Es gibt genug, die sich denen entgegenstellen. Leute, die den Arschlöchern die Räume nehmen.

Text: Jane