Verschiedene Dinge: Warum gruselt es HipHop vor Ghostwritern? // Kolumne

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In der Rapszene wird zur Zeit sehr viel über Ghostwriter diskutiert; Rapper, die im Geheimen Texte für andere Rapper schreiben. Aber warum ist das so ein empfindliches Thema, dass diese Rapper versuchen, es zu verbergen? Offensichtlich herrscht Angst vor dem möglichen Zorn der Fans. Eine allgemeingültige Antwort über die Gründe gibt es nicht, deshalb ist das hier der Versuch, ein paar Perspektiven aufzuzeigen.

Im Musik-Business spricht man von Autoren und Interpreten. Ein Autor denkt sich die Texte aus, ein Komponist die Melodie. Dann wird das Ganze von einem Interpreten, nun ja, interpretiert. Die Kunst des Interpreten besteht darin, die Musik und den Text auf seine Art und Weise umzusetzen. Sämtliche Urheber werden in den Autoren-Credits für jeden ersichtlich ausgewiesen. Manche Lieder sind so erfolgreich, dass sie von verschiedenen Künstlern interpretiert werden. Der fast neunzig Jahre alte Song »Over The Rainbow« ist zum Beispiel einer der meistaufgenommenen der Musikgeschichte, von dem unzählige Cover-Versionen exis­tieren – von Judy Garland über Marusha bis Helge Schneider. Und jede Version klingt anders.

Cover-Versionen gibt es auch von Rapsongs – aber nur wenige, und in den meisten Fällen werden diese einem anderen Genre zugeschrieben. Die Band Callejon hat beispielsweise eine Heavy-Metal-Variante von Sidos »Mein Block« kreiert, in der die Wirkung des Stücks eine vollkommen andere ist. Rapper selbst hingegen covern so gut wie nie die Songs anderer Rapper. Die Hintergründe dafür dürften ähnliche sein wie die, einen Ghostwriter geheimzuhalten: Es besteht offensichtlich kein großer Mehrwert darin, den Song eines anderen Rappers neu zu interpretieren. Ich gehe davon aus, dass Rapper nicht mal auf die Idee kommen, darüber nachzudenken. Vielleicht liegt es daran, dass es in anderen Genres um so viel mehr geht als den Text, der nur ein kleiner Teil eines Gesamtpakets ist. Denn in anderen Genres geht es auch um die Frage, ob man eine Stimme hat und die Töne trifft. Kann man tanzen? Beherrscht man ein Instrument? Bei Rapmusik dagegen geht es nicht um Oktaven oder darum, ob man ein Instrument beherrscht. Es geht für viele Fans wortwörtlich um das, was der Rapper sagt.

»Vielleicht liegt es daran, dass es in anderen Genres um so viel mehr geht als den Text.«

Und trotzdem scheinen die Interpretation und das damit einhergehende Image eines Rappers wichtige Faktoren zu sein. Wie soll man sonst erklären, dass ein Rapper, der Texte eines anderen Rappers vorträgt, zum Star wird? Dass die meisten Ghostwriter möglicherweise deshalb Ghostwriter sind, weil ihnen selbst das Potenzial fehlt, Star zu werden?

Das Kunstwerk ist nicht der Künstler

Der Text steht im Rap zwar im Zentrum, ist letztlich aber nur ein Bestandteil eines großen Ganzen. Auch das Image eines Künstler ist im HipHop extrem wichtig – selbst wenn immer gesagt wird, es gehe nicht um Images. Der normale Rap-Fan sieht das anders. Denn wenn das Image wirklich nicht wichtig wäre, dann könnten mehr Rap-Fans das Kunstwerk vom Künstler trennen.

Vor ein paar Jahren habe ich zum ersten Mal mein Idol NAS zum Interview getroffen. Leider stellte sich heraus, dass NAS – vorsichtig formuliert – nicht die angenehmste Persönlichkeit ist. Viele Kollegen und ich waren an dem Tag ziemlich abgefuckt von ihm. Danach hat mir seine Musik erst mal keinen Spaß mehr gemacht. Irgendwann habe ich mich aber gefragt, ob das logisch ist. Und natürlich ist es das nicht! Die Musik ist ja nicht schlechter geworden, nur weil der ­Künstler und ich nicht miteinander klargekommen sind. Da habe ich begriffen, dass auch ein Arschloch großartige Kunst erschaffen kann. Denn: Das Kunstwerk ist nicht der Künstler. Übertragen auf Ghostwriting bedeutet das: Wer den Text geschrieben hat, ist eigentlich egal. Es zählt lediglich, ob am Ende ein guter Song dabei herauskommt. Diese Trennung hinzubekommen, ist aber offensichtlich schwierig für viele Rap-Fans. Und deshalb ist das Image von Rappern sogar noch wichtiger als das von Pop-Künstlern – was wiederum das Phänomen erklären könnte, warum stundenlange Interviews mit Rappern geführt und konsumiert werden. Denn das gibt es in keinem anderen Musikgenre. Offensichtlich wollen die Fans wissen, wer die Personen am Mikrofon sind und ob sie wirklich so sind, wie sie sich darstellen. Und daher kommt auch das Gefühl, dass es im Rap nicht mehr um die Musik geht, sondern nur noch um das Drumherum. Denn je mehr Drumherum ich checken kann, desto besser kann ich mir ein Bild – also ein Image – von der jeweiligen Person machen.

»Rappen kann jeder«

Vielleicht könnte es aber auch einen anderen, bisher unbewussten Hintergrund geben, dass viele Hardcore-Rap-Fans verlangen, dass Rapper ihre Texte selbst schreiben. Im Gegensatz zu Pop-Acts wird das DIY nämlich immer als Stärke herausgestellt. Versucht man sich damit argumentativ auf künstlerische Augenhöhe mit Gesangskünstlern zu bringen? Gibt es vielleicht einen unbewussten Minderwertigkeitskomplex unter Rap-Fans?

Fakt ist, dass das gesellschaftliche Ansehen von Rap nicht nur wegen der Inhalte häufig schlecht ist, sondern auch aufgrund der künstlerischen Anerkennung. Die vorherrschende Meinung ist: Rappen kann jeder. Schließlich ist Rap doch nur »gesprochenes Wort«. Nur so kann ich mir erklären, dass die Mitarbeiter von Edeka oder der Sparkasse ohne Skrupel sofort bereit sind, vor einer Kamera zu rappen, aber eben nicht zu singen. Wenn die Kunst zu rappen dieselbe Anerkennung genießen würde wie Gesang, dürfte es wesentlich weniger solcher peinlichen Videos geben.

Könnte es also sein, dass der Sinn der Aussage »Rapper schreiben ihre Texte wenigstens selbst« darin liegt, sich gegenüber Gesangskünstlern aufzuwerten?

Text: Falk Schacht

Diese Kolumne erschien erstmal in JUICE #181 (Backissues versandkostenfrei im Shop bestellen).

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