Afrika Bambaataa gilt, zusammen mit Grandmaster Flash und Kool DJ Herc, als Gründervater der HipHop-Kultur. Zuerst ein Gangmitglied der Black Spades, gründete er 1973 die Universal Zulu Nation – eine Organisation als Alternative für die Straßengangs. Die Mitglieder der Zulu Nation hatten strengen Regeln zu folgen, sollten sich moralisch wie persönlich weiterentwickeln und etwas für die Gemeinden tun. Berühmte Zulus sind HipHop-Größen wie Nas, Q-Tip und KRS-One. Sehr viele Ideen, Werte und Regeln der Zulu Nation sind Grundlagen der HipHop-Kultur, die Anfang der Achtzigerjahre um die Welt getragen wurde, und um die bis heute ausgiebig gestritten wird. Und auch wenn vielen jungen Anhängern der HipHop-Kultur der Name Afrika Bambaataa nichts sagt: Dieser Mann und seine Organisation haben einen entscheidenden Anteil daran, dass HipHop ein so globales Phänomen geworden ist.
Umso erschütternder ist es, dass gegenüber Afrika Bambaataa seit März 2016 Anschuldigungen wegen Kindesmissbrauchs erhoben wurden. Ron Savage, ein Mitglied der Zulu Nation, erklärte in einem detailreichen Interview, dass Bambaataa ihn 1979 sexuell missbraucht habe – damals war er gerade mal 15 Jahre alt. Im Anschluss meldeten sich zwei weitere Männer mit ähnlichen Anschuldigungen. Auch Bambaataas ehemaliger Bodyguard gab an, Zeuge solcher Situationen geworden zu sein und die Zulu Nation davon unterrichtet zu haben – doch die hätte nicht reagiert.
Sie alle geben an, dass die Pädophilie Bambaataas seit Jahren bekannt ist. Gerüchte darüber habe ich bereits in den Neunzigern gehört, damals aber als Unsinn abgetan. Heute sagen die Opfer: Die Zulu Nation habe jahrzehntelang Vertuschungsarbeit geleistet und sei dabei auch nicht vor Schweigegeldzahlungen und Morddrohungen zurückgeschreckt.
»heute sagen die opfer: Die Zulu Nation habe jahrzehntelang Vertuschungsarbeit geleistet.«
Wie aber reagierten die prominenten Zulu-Nation-Mitglieder darauf? KRS-One schlug sich auf die Seite von Bambaataa: »Jeder, der ein Problem mit ihm hat, sollte mit HipHop aufhören.« Leute wie Rakaa Irie Science von den Dilated Peoples, 9th Wonder und Talib Kweli distanzierten sich indes von der Zulu Nation – vor allem wegen ihres unsensiblen Umgangs mit den Kindesmissbrauchsopfern. Hinter den Kulissen der Zulu Nation gab es derweil hektische Bemühungen, das Problem einzudämmen. Hohe Funktionäre der Organisation riefen Ron Savage und die anderen Opfer an, um sie einzuschüchtern. Diese Telefonate sind dokumentiert. Es drängt sich daher der zwingende Verdacht auf, dass hinter den Kulissen bereits jahrelang versucht wurde, sämtliche Gerüchte über Bambaataas Kindesmissbrauch zu zerstreuen. Was besagte Telefonate leider auch belegen: Der Zulu Nation ging es in erster Linie darum, ihre finanziellen Interessen zu wahren. Für mich klingt diese ganze Geschichte so unglaublich, dass es mir sehr schwer gefallen ist, das alles einzuordnen, bis die Zulu Nation eine Mitteilung veröffentlicht hat, in der sie Ron Savage als »geistig behindert« und die Vorwürfe als eine von der Regierung finanzierte rassistische Kampagne gegen HipHop bezeichnet. Afrika Bambaataa selbst behauptet, Savage nicht zu kennen, was nachweislich falsch ist. Im Anschluss war die Zulu Nation um Imageschadensbegrenzung bemüht: Einen Monat nach Savages Vorwürfen ließ man verlauten, dass Bambaataa sowie all diejenigen, die sich den Opfern gegenüber unrühmlich verhalten haben, nicht mehr Teil der Zulu Nation sind. Noch ein paar Wochen später entschuldigte sich die Nation bei Savage und den anderen Opfern für die Angriffe auf ihren Ruf. O-Ton: »Wir möchten uns zutiefst aufrichtig bei den vielen Menschen entschuldigen, die durch Afrika Bambaataas Taten verletzt worden sind. Es tut uns leid, was Sie ertragen haben. Und wir danken denjenigen für ihre Tapferkeit, die diese Sache ans Licht brachten, der wir uns traurigerweise nicht bewusst waren.«
»Was bedeutet ‚Keep it real‘ noch, wenn man versucht, die Realität zu unterdrücken?«
War die Zulu Nation also zur (späten) Vernunft gekommen? Mitnichten. Der als echt verifizierte Leak einer internen Telefonkonferenz zeichnete ein anderes Bild. In dem fast zweistündigen Audio-File, das auf Youtube zu finden ist, diskutieren hohe (auch internationale) Funktionäre der Zulu Nation darüber, wie sie die Situation unter Kontrolle bekommen können. Auch hier kann man sich leider nicht des Eindrucks erwehren, dass andere Interessen im Fokus stehen als die Zerstreuung der Vorwürfe. Als Krönung des Ganzen wird am Ende ein aggressiv wirkender Afrika Bambaataa zugeschaltet, der die Anwesenden anfährt, sie sollen sich nicht wie Bitches verhalten. Er sei es leid, ihr Klagen darüber zu hören, mit welchen Problemen sie als Zulu-Chapter-Führer konfrontiert sind. Als Beispiel führt er Bill Clinton an, der schließlich auch nicht zurückgetreten sei, als Vorwürfe gegen ihn laut wurden. O-Ton: »Ist Bill Clinton damals eingeknickt und zurückgetreten, als er durch seine Art der Schande ging? Ich suche nicht nach Leuten, die einfach nur HipHop sein wollen. Wir brauchen Leute mit Geschäftssinn, die wissen, wie man andere führt – nicht solche, die nur kommen, weil sie HipHop kennen und HipHop machen wollen.« Er sagt auch, dass er die Zulu Nation als »religiöses Business« aufstellen möchte, und stellt klar: »Ich werde nicht verschwinden.«
Die ganze Geschichte wirft viele Fragen auf: Wie kann es sein, dass Afrika Bambaataa damit rund vierzig Jahre durchkommt? Welche Motive sorgen dafür, dass geschwiegen wird? Hat die Schweigekultur der Hood, die auch im HipHop herrscht, einen Anteil daran? Und: Was bedeutet das ganze »Keep it real«-Gerede noch, wenn man versucht, die Realität zu unterdrücken, sobald es darauf ankommt?
Text: Falk Schacht
Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #178. Back-Issues im Shop versandkostenfrei nachbestellen.