VSK: »HipHop ist kein Ort, HipHop ist ein Gefühl« // Interview

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Das Verbale Style Kollektiv (oder VSK, wie sie sich selber nennen), ist eine HipHop-Crew, die es noch genauso real keepen wie in den Neunzigerjahren. Während die aktuelle Boombap Szene den damaligen Style konsequent weiterentwickelt hat, sind VSK as Nineties as fuck. Sie vertreten nach wie vor die Werte der HipHop-Kultur und der Zulu Nation: Love, peace, unity and having fun. Sie geben Respekt an die Breaker, die DJs und an Graffiti. Sie bringen Begriffe zurück wie »fette Beats und fette Reime«. Ihr Style ist dabei so flashig und derbe, dass sie auch neue und eigene Wortkreationen hervorbringen wie »derbig«. Unbestätigten Gerüchten zufolge sollen Mitglieder der VSK-Crew aus Teilen von K.I.Z und Musikern von Nord Nord Muzik Berlin bestehen. Sollte das stimmen, wäre das heftig, heftig, heftig.

Verbales Style Kollektiv, wie kamt ihr auf den Namen?
Flowbotta: Wir sind eben gemeinsam verbal am stylen.
MC Bleistift: Masta Maik hat irgendwann eins und eins zusammengezählt und ist zu dem Schluss gekommen, dass es keinen anderen Namen für uns geben kann.

»Torch ist der Urvater.« (Schreibmaschine MC)

Stellt euch bitte kurz selbst vor. Wer seid ihr und wo kommt ihr her?
Dr. Podwich: Wir kommen alle aus einer kleinen Stadt, deren Name euch nichts sagen wird. Wir sind alle aus demselben Viertel. Ausm Viertel eben.
Schreibmaschine MC: Für uns ist es auch nicht wichtig, wo jemand herkommt, sondern was er macht und wie derbe er stylet.

Wie seid ihr zu HipHop gekommen?
Masta Maik: In der Schule kannte man ein paar ältere Leute, die damals schon Advanced Chemistry gepumpt haben – und das hat man sich halt abgeguckt, weil man genauso cool sein wollte und mit Roxette einfach nicht so viel anfangen konnte.

Was sind eure Einflüsse? Auf wen flasht ihr am meisten?
Streichholz MC: Bei mir auf Platz 1: Die Absoluten Beginner. Die ham sich einfach immer perfekt ergänzt und haben deftigst abgestylet.

Orientiert ihr euch eher an Hamburg- oder Stuttgart-Rap? Und was ist mit Heidelberg?
Masta Maik: Schwierig. Auf unserem Album gibt es Einflüsse aus allen möglichen Ecken.
MC Schreibmaschine: Natürlich gibt es viele coole MCs aus diesen beiden Metropolen, aber uns haben auch Künstler aus dem Ruhrpott oder aus München inspiriert.
Dr. Podwich: Wie gesagt: Es kommt nicht darauf an, wo du herkommst, sondern wie derbe du stylest.
Was ist die Hauptstadt von deutschem HipHop?
MC Bleistift: So was gibt es heute nicht mehr. Früher war dieser Titel immer so eine Art Wanderpokal, der alle paar Jahre weitergegeben wurde, aber heutzutage hat sich das gerade bei den Newschool Artists sehr weit aufgefächert.
Ratzefummel: HipHop ist kein Ort, HipHop ist ein Gefühl.

Euer Cover ist angelehnt an das Cover des HipHop-Films »Wildstyle«. Welche Bedeutung hat der Film für euch und wer hat ihn euch nähergebracht?
Streichholz MC: Ich habe den Film damals durch meinen großen Bruder gesehen und war völlig aus dem Häuschen.
Flowbotta: Wie ne Nacktschnecke! (alle lachen)
Streichholz MC: Das war einfach überwältigend. Gerade die Graffitiszenen waren damals spannender als jeder Actionfilm!
Masta Maik: Das war auch ein Film, der von den Eltern geduldet war. Die Sexszenen waren nur mit Zeichentrickfiguren angedeutet.

Ein DJ-Part auf der neuen Platte schreibt euch folgende Rolle zu: ­»Erschüttert die Nation, echter HipHop, die ­Reinkarnation.« Warum Reinkarnation?
Dr. Podwich: Eine halbe Million Klicks auf unserem allerersten Video? Wenn das nicht die Nation erschüttert, was dann?
Masta Maik: Das mit dem echten HipHop ist natürlich etwas überspitzt. Auch das, was heutzutage angesagt ist, ist echter HipHop.
MC Schreibmaschine: Aber es ist einfach nicht mehr der Style, den wir geliebt haben: 90 BPM, ein deftiges Sample und lustige Vergleiche, untermalt mit Kopfnicker-Drums.
MC Bleistift: Ja, dieser Style ist größtenteils ausgestorben. Deswegen ist unser Album die Reinkarnation des guten alten Vibes.
Ihr sprecht davon, dass Rapper sich an die Industrie verkaufen. Inwiefern?
Masta Maik: Man sieht einfach vielen sogenannten MCs an, dass sie ferngesteuert sind. Es tut mir weh, zu sehen, wie hier Style-Potenzial vergeudet wird.

Ist Geld für Leute heute der Hauptmotivator zu rappen?
Streichholz MC: Auch früher haben Leute die Musik als Weg gesehen, um damit Geld zu verdienen – aber früher war es halt noch nicht so lukrativ zu rappen. Da haben die Leute andere Popmusik gemacht. Heutzutage ist Rap jedoch die angesagte Musikrichtung, und deswegen gibt es dort jetzt mehr Mitläufer, die das Ganze des Geldes wegen machen.

Was ist eure Motivation zu rappen?
MC Bleistift: Dieselbe wie immer: Es geht darum, den derberen Reim und Flow zu finden. Das ist einfach eine Sucht.

Was kritisiert ihr mit den Zeilen: »Rapper wissen nicht, was gestern war wie eine Eintagsfliege/Oder was Wortspiele sind ohne die Eimsbush Tapes/Doch ich war da, ich hab es live erlebt.«
Schreibmaschine: Ich würde das jetzt nicht Kritik nennen. Ich finde es nur schade, wie viele Rapper es sich in diesem Haus gemütlich gemacht, aber vergessen haben, wer es gebaut hat.

Soll die Platte den Zweck des »Each one teach one« erfüllen?
Dr. Podwich: Wir haben uns das nicht auf die Fahne geschrieben, sondern wollen in erster Linie abstylen. Die Platte soll Spaß machen.
Flowbotta: Trotzdem können Nachwuchs-MCs und -DJs sicher auch etwas lernen. Und bestimmt kann auch der eine oder andere gestandene Künstler erkennen, dass er etwas vom rechten Weg abgekommen ist.

Was soll das Album auslösen?
Alle gleichzeitig: Peace, Love Unity and havin fun!

Der Song »One Love« ist der einzige Song auf der Platte, der für mich etwas verbittert klingt. Seid ihr traurig über die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre?
MC Schreibmaschine: Nein, dafür sind wir eine viel zu positive Crew.
Streichholz MC: In dem Song wollen wir der jüngeren Generation lediglich den Vibe der guten alten Zeit näherbringen.

In dem Stück ist auch die Rede davon, dass man sich früher entscheiden musste, zu welcher Mannschaft man gehört: Zu den Rödelheimern oder den Fantas. Für wen habt ihr euch warum entschieden?
Flowbotta: Für uns gab es immer nur ein Team – und das hieß HipHop!

Ihr erzählt von einer Zeit, in der Rap eine Außenseitermusik war. Wenn man Teil der Kultur sein wollte, war das mit Aufwand verbunden – das ist heute anders. Wie findet ihr das?
MC Bleistift: Klar, früher war man auf Jams eine eingeschworene Gemeinschaft. Aber wer HipHop wirklich liebt, muss sich doch darüber freuen, wenn seine Anhängerschaft wächst.
Ratzefummel: Aber es ist schon nervig, wenn die Leute von Tanzflächen gehen, wenn man mal zehn Minuten scratcht.

Glaubt ihr, dass sich dieselben Jugendlichen, die sich damals für HipHop interessiert haben, heute auch für HipHop interessieren würden?
Masta Maik: Es ist natürlich schwierig, sich da hineinzuversetzen, aber ich denke: Es wäre heut nicht, wie es ist, wär es damals nicht gewesen wie es war.

Im Song »Unsere Kultur« wird der Zusammenhalt der HipHopper weltweit beschrieben. Rührte der Zusammenhalt früher daher, dass alle zusammen für die Anerkennung von HipHop gekämpft haben?
MC Bleistift: Das ist heute nicht anders als früher. Ich habe auch in den letzten Jahren in fremden Ländern spontane Cyphers erlebt. Und unsere Graffiti-Kollegen sind nach wie vor in der ganzen Welt vernetzt.

Es gibt eine relativ gesunde Underground-Szene, in der Rapper die Neunzigerjahre-Boombap-Flagge hochhalten: Morlockk Dilemma, Hiob, die Sichtexot-Leute, AzudemSK etc. Wie reiht ihr euch da ein?
Schreibmaschine MC: Wir feiern Neunzigerjahre-Boombap jeglicher Richtung. All diese Künstler haben ihren eigenen, derben Style. Unser Entwurf ist etwas mehr Spaß-Rap. Bei uns geht es viel um Party & Bullshit.

Es gibt auch eine Szene von jungen Rappern, die sich sehr stark an der Berliner Schule der späten Neunziger orientieren: Westberlin Maskulin, Savas etc. Wieso orientiert ihr euch als Berliner genau nicht an dieser Schule?
Flowbotta: Wir sind ja gar keine Berliner. Wir kommen ausm Viertel. Aber das ist einfach nicht so unser Ding mit den ganzen Schimpfwörtern. Wir wollen lieber positive Messages verbreiten und ein gutes Vorbild für die junge HipHop-Generation sein.

Was bedeutet Torch für euch?
Schreibmaschine MC: Torch ist der Urvater. Wir sind ihm unendlich dankbar für all die Pionierarbeit, die er und Advanced Chemistry geleistet haben. Wisdom, knowledge and understanding!

Angelehnt an eine Zeile aus dessen Song »Kapitel 1«: Wisst ihr, wer Gawki war?
Flowbotta: Äh, nee.

Wie steht ihr zu der früheren Diskussion um die Alte Schule und deren Nachfolgegeneration, der Klasse von 95?
Dr. Podwich: Ich kann da beide Seiten verstehen. Es ist immer schwierig zu sehen, wie der eigene Style verändert wird oder abgelöst wird. Aber man sollte sich auch neuen Strömungen gegenüber nicht aus Prinzip verschließen, sondern anerkennen, wenn etwas fresh ist.

»Unser Album ist die Reinkarnation des guten alten Vibes.« (MC Bleistift)

Seht ihr euch auch mit einem Generationen­konflikt konfrontiert?
MC Bleistift: Natürlich. Aber wir sind nicht verbittert, sondern machen einfach unser Ding weiter und haben vielleicht ab und zu ein Augenzwinkern Richtung New School. So von wegen: »Aber nicht vergessen, wo das alles angefangen hat, Leute!«

Es gibt Menschen, für die ist alles, was nicht Neunzigerjahre-Boom bap ist, der Teufel – nicht real. Wie seht ihr das?
Streichholz MC: Man sollte stets open minded bleiben. Ich find’s zum Beispiel cool, wie Tatwaffe das so macht: Er bleibt seinem alten Rapstyle treu, hat aber trotzdem New-Schoolige Trap-Beats. Vielleicht machen wir irgendwann auch mal nen Trap-Song …

Ko Lute von LSD hat mal in einer »Wordcup«-Folge über Gang Starr gesagt, dass alles nach 1992 kein real HipHop mehr wäre, weil seitdem so gut wie keine Sechzehntel-HiHats mehr eingesetzt wurden. Wie steht ihr zu dieser Aussage? Denn genau genommen spricht sie eurem Style weitgehend die Realness ab, oder?
Masta Maik: Das ist das Gegenteil von open minded: ziemlich unsmooth.

Im Song »An alle MCees da draußen« fällt die Zeile: »Heutzutage wissen Rapper nicht mal mehr was ne Crate ist/Kennen Platten nur von ihrem fetten Mercedes.« Was stört euch an der ­heutigen Zeit?
MC Schreibmaschine: Bei vielen Rappern hört man einfach raus, dass sie nicht viel Liebe für die Musik haben. Die setzen sich nicht mit der Materie auseinander, hören sich keine alten Platten an. Aber das gilt nicht für alle. Es gibt auch heutzutage einige Leute, bei denen man merkt, dass sie ihre Dues gepayt haben und wissen, woher das kommt, was sie tun.

Verfolgt ihr, was klassische Rapper aus den Neunzigern heute machen?
Dr. Podwich: Es gibt einige Künstler von damals, die auch heute noch freshes Zeug machen. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass sie noch besser werden, wenn sie die Mucke nur noch aus Spaß an der Sache machen und der kommerzielle Druck raus ist. Much Love an dieser Stelle!

In den Lyrics von Ninetees-Rap ging oft über den besonderen Style, den man hat. Geht es darum heute auch noch?
Flowbotta: Ein besonderer Style ist immer noch wichtig.
Streichholz MC: Aber heutzutage wird auch häufig sehr dreist gebitet. Natürlich kann man bei so gut wie jedem Künstler heraushören, welche anderen Künstler ihn beeinflusst haben. Aber es gibt zurzeit wieder vermehrt Rapper, die Rapstyles, Flows und sogar ganze Songs eins zu eins biten.
Masta Maik: Solche Leute gab es früher auch, aber da wurde schnell von der Szene durchgegriffen. Heutzutage kommen die Leute einfach damit durch, das interessiert niemanden mehr.

Was habt ihr empfunden, als damals Aggro Berlin auftauchte?
Dr. Podwich: Das war schon eine ziemlich aggressive Nummer. Da hab ich mir echt ein bisschen Sorgen um die Kids gemacht. Aber auch das ist HipHop.

Charlie Chill rappt: »Achtung, Achtung. HipHop ist in großer Gefahr, denn statt fette flows zählt halt nur noch Modegeschmack, statt Rucksack nur Bauchtasche, Party und Drogen.« Ging es in den Neunzigerjahren nicht auch darum, fresh und fly auszusehen? Und darum, Party zu machen und Weed zu rauchen?
Flowbotta: Na klar! Das wollen wir auch nicht verteufeln und rappen auch selbst gern darüber. Wir haben bloß oft das Gefühl, dass die Leute, die sich kaum Mühe bei der Musik geben, ununterbrochen von Drogen und Markenklamotten reden. Verbringt vielleicht etwas mehr Zeit im Studio und etwas weniger auf Shoppingtour am Ku’Damm, Leute. (grinst)

Ich hätte mehr fette Beats und fette Reime im DJ-Premier-Stil erwartet. Wer waren eure Produzentenvorbilder?
MC Schreibmaschine: Unser Haus- und Hofproduzent Fanta Yokai ist ein schüchterner Zeitgenosse. Deswegen heute nicht anwesend. Aber ich weiß, dass er ein wandelndes HipHop-, Reggae-, Funk- und Soul-Plattenregal ist und unzählige Einflüsse hat.

Auf dem Album hört man auch Westcoast-Einflüsse.
Streichholz MC: Fanta ist ein großer G-Funk Fan, und natürlich hat ihn da Dr. Dre stark beeinflusst. Aber ich höre auch hier und da eine Prise Eric Sermon.

»Wir sind traditionsbewusst und open minded zugleich.« (Dr. Podwich)

Habt ihr »SP12- und S900-Image Pflege« betrieben oder nutzt ihr moderne Geräte?
Dr. Podwich: Die MPC darf natürlich nicht fehlen. Aber wir verschließen uns nicht vor technischen Neuerungen. Wir sind traditionsbewusst und open minded zugleich.

Was sind eure wichtigsten Slangs?
MC Bleistift: Deftig, leck mich fett, derbe, derbig, am Platz, habt ihr Böcke, ach ich könnte noch stundenlang weitermachen. (alle lachen)

Ihr habt auch einen sehr eigenen B-Boy Track auf dem Album, der von der Rock Steady Crew inspiriert ist. Wie steht ihr zu 80s-HipHop?
Masta Maik: Großen Respekt an diese Pioniere! Ohne euch wären wir heute nicht hier, um dieses Interview zu führen.
DJ Ratzefummel: Und die Roland 808 hat uns aus dieser Zeit bis heute begleitet – und dominiert immer noch die HipHop-Musik.

Hat Rap über Rap 2018 noch eine Chance?
Flowbotta: Natürlich. Es gibt immer noch einige Heads, die unser Album diggen werden.
Streichholz MC: Wir rappen außerdem nicht nur über Rap, sondern auch über Party, Freshness, Ladys etc. Da ist gar nicht so eine große Distanz zu vielen Newschool- und Trap-Artists wie man denkt.

Ist HipHop für euch alle immer noch ein Lebensgefühl?
Dr. Podwich: Na klar! Es gibt nichts Schöneres, als an einem schönen Sommertag mit der Crew eine Hall zu malen und dabei ein bisschen Golden-Era Shit-aus dem Ghettoblaster zu pumpen.

Text: Falk Schacht

Dieses Interview erschien erstmals in JUICE #188 (hier versandkostenfrei nachbestellen).

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