»Sobald ein bekannter Schwarzer im UK irgend­etwas macht, egal ob Entertainer oder Sänger, wird er sofort als Rapper bezeichnet.« // TY im Interview

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Gerade in England entstehen neue musikalische Trends gerne mal binnen weniger Wochen und hinterlassen Musiker, die von ihrem eigenen Hype überrollt ­wurden und in der künstlerischen Bedeutungslosigkeit stranden. Gestern 2Step und Grime, heute Dubstep und UK Funky, morgen Wonky, Aquacrunk oder Chiptune. Es brodelt an allen Ecken und Enden, für klassischen HipHop made in England bleibt da wenig Platz. Die Konkurrenz aus den Staaten ist groß und das Interesse auf der Insel traditionell eher gering. Dennoch gibt es eine Handvoll erfolgreicher britischer Rap-Artists, die auf eine langlebige Karriere zurück­blicken können. Ty ist einer von ihnen. Seit Tag eins sieht er sich in der Tadition der Native ­Tongues und geriet nie in Gefahr, auf den nächsten kurzlebigen Trend aus einem Hinterhof Sheffields ­aufzuspringen. Während Grime-MCs wahlweise das Mic an den Nagel hängen oder plötzlich über Four-to-the-Floor-Riddims spucken, veröffentlicht Ty nach zehn Jahren im Spiel sein viertes Soloalbum »Special Kind Of Fool«. Offensichtlich zahlt sich ein langer Atem manchmal doch aus.

 

Im Pressetext zu deinem Debüt »Awkward« hieß es: »Der Titel steht für den Charakter eines Künstlers, der alles andere als normal ist und sich selbst treu bleibt, wo ihn das auch immer hinführen mag«. Das klingt ein wenig wie die Beschreibung eines »Special Kind Of Fool«.
Wenn man die Musik beiseite lässt und nur auf meinen Charakter eingeht, hast du vielleicht Recht. Meine Sichtweise auf Musik hat sich kaum geändert. Was die Musik selbst angeht, muss ich aber entschieden widersprechen. Zwischen meinem ersten und meinem letzten Album gibt es keinerlei Zusammenhang. »Awkward« war ein Sammelsurium verschiedener Produktionsstile, »Special Kind Of Fool« ist aus einem Guss. In den letzten zehn Jahren hat sich die Szene radikal verändert. Heute spielt Rap aus dem Dirty South eine große Rolle. Es ist mehr denn je angesagt, in seiner Musik wenig oder gar nichts auszusagen. Ich fühle mich daher immer noch wie ein Rebell, weil ich mich all die Jahre kommerzieller Musik verschlossen habe. Um mir selbst treu zu bleiben und mich nicht zu verraten, muss ich mich vom Mainstream abgrenzen und eigene Wege gehen.

 

Du hast Musikmachen einmal als eine Form der Kommunikation mit deinen Zuhörern beschrieben. Wie hat sich diese Kommunikation über die Jahre verändert?
Als ich angefangen habe, Musik zu machen, hatte ich eine bestimmte Sicht auf die Dinge. Oder sagen wir’s so: Ich hatte eine bestimmte Lebenserfahrung und ein bestimmtes Wissen. Über die Jahre wurde ich als Mensch offener, zugleich habe ich viel dazugelernt und eine klarere Sicht entwickelt, wo ich als Produzent hin will. Vor allem wollte ich viel mehr Kontrolle über die ­Produktionen auf meinen Alben. Bei meinem ersten Album habe ich mit vielen Produzenten gearbeitet, bei der zweiten Platte habe ich das schon nicht mehr gewollt. Also habe ich mich mit einem Produzenten zusammengetan, und seither verfolge ich genau diesen Weg. Ich habe über die Jahre gelernt, all meine Erlebnisse in meiner Musik zu verarbeiten. Heute kommuniziere ich sowohl über die Beats als auch die ­Lyrics. Der Zuhörer bekommt alle Aspekte meiner Persönlichkeit durch die Musik ­vermittelt. Dadurch, dass ich mit Tony Allen auf Tour war, kam dieser Afrobeat-Aspekt in meine Musik. Auf »Upwards« und noch stärker auf »Closer« kam auch ein gewisser Broken-Beat-Ansatz zum Tragen. Auf der neuen Platte ist dieser Einfluss wieder verschwunden. Ich habe einfach gelernt, wann ich Ja und wann ich Nein sagen muss. Viele Leute haben bestimmte Erwartungen an mich. Sie wollen, dass ich mehr Elemente des neu aufkommenden afrikanischen HipHop in meine Musik integriere. Ich habe keine Problem damit, afrikanischer ­Herkunft zu sein und mag Broken Beats. Aber ich bin ein Künstler. Wenn ein Maler ein Bild malt, hat er ­manchmal auch keine Lust, bestimmte Farben zu benutzen. Meine Alben waren immer der Soundtrack meines aktuellen ­Lebensgefühls. Das ist bei dieser Platte wieder so, und da spielen eben die ­verschiedenen Elemente, die dieses Mal nicht vorhanden sind, eben keine Rolle.

 

Auf dem neuen Album hat man oft den Eindruck, dass du dich direkt an deine Zuhörer wendest.
Definitiv. So wie sich bei mir die Dinge entwickelt haben, spreche ich bei meinen Touren und Konzerten einfach am meisten Leute an. Meine Botschaften und Musik werden so am besten verständlich. Ich hatte das Gefühl, dass ich vor allem ihnen gegenüber verpflichtet bin. Ich will niemanden mehr beeindrucken. Ich weiß, was ich vermitteln will, weil ich völlig im Einklang mit mir selbst bin. Vermutlich ist »Special Kind Of Fool« aus diesem Grund auch meine beste Platte.

 

Du hast einen sehr ­eigenen, rhythmischen Ansatz zu rappen.
Ich wusste immer, dass ich ein rhythmischer Rapper bin, der nicht so sehr auf Silben oder Metaphern Wert legt. Dego von 4hero hat das am ­besten beschrieben. Wir haben den Song »Hey There« gemacht, und er meinte während der Aufnahmen: »Ty, genau aus diesem Grund mag ich deine Musik so sehr«. Ich wusste nicht, was er meinte. Also zeigte er mir ein paar ­Stellen, in denen ich genau zwischen die Pausen der Drums gerappt habe und einige andere Stellen, in denen ich ganz genau auf den Rhythmus des Beats gerappt habe. Er meinte, dass ich eine sehr musikalische Art zu rappen habe und sehr tief in dem Beat rappe.

Wieso hast du bei »Special Kind Of Fool« auf jedem Track einen Gast?

Die Features auf diesem Album sind keine Features im klassischen Sinne. Du darfst sie nicht in einem HipHop-Zusammenhang sehen. Das hat eher etwas mit meiner Arbeitsweise zu tun. Ich habe bei dieser Platte Menschen eingeladen, deren Beiträge ich für bestimmte Songs als passend empfand. Es geht nicht um Gäste, die bei einzelnen Tracks mitwirken, sondern darum, dass ich eine Vision für die ganze Platte hatte und mir von den Leuten genau das geholt habe, was ich für die einzelnen Stücke von ihnen brauchte. Bei »Heart Is Breaking« brauchte ich eine schrille Stimme, also habe ich Roses Gabor angefragt, weil ich wusste, dass sie genau das bringen konnte. Ich brauchte Sarina Leah und Anthony Mills für die Adlibs bei »I Am ­Living« weil ich einfach wusste, dass ihre Stimmen dem Track das geben, was noch fehlt. Shaun Escoffery kam, um bei einem Song mitzuarbeiten, doch als wir seine Aufnahmen beendet ­hatten, bat ich ihn, noch an einem anderen Song mitzuarbeiten, weil ich ihn einfach darin gehört habe. Es ging nicht um Egos, die in einen Raum kommen, den Beat anhören und dann entscheiden, ob sie ihn mögen oder nicht. Sondern es war viel mehr wie bei einer Miles Davis-Platte.

 

 

Für mich ist »Special Kind Of Fool« das Album, auf dem du die größte musikalische Bandbreite in deiner Karriere abdeckst.
Das trifft es. Wenn du die LP genau anhörst, stößt du auf alle möglichen Elemente: Progressive Rock, Achtziger-Sounds, Hardcore-HipHop oder auch Soul. Ich habe bei dieser Platte die Kontrolle nie aus der Hand gegeben. Bei »Upwards« war ich zwar schon mit Drew zusammen für die Produktion ­verantwortlich, aber ich ließ bestimmte Sachen noch zu, ohne mir Gedanken darüber zu machen. Dieses Mal habe ich jeden einzelnen Beat bei mir zuhause angefangen zu produzieren. Wenn ich das Gefühl hatte, dass etwas in die falsche Richtung läuft und nicht zu meiner Vision passt, habe ich das sofort unterbunden. Heute bekommen Leute zu viel Respekt dafür, dass sie eigentlich HipHop machen, aber es als etwas anderes labeln. Sie fühlen sich beleidigt, wenn ihre Musik als HipHop bezeichnet wird. Aber tatsächlich kennt HipHop keine Schranken. Flying Lotus ist für mich Instrumental-HipHop. Wir loben Leute, die aus den gängigen ­Mustern ausbrechen und den ­gewohnten Sound variieren. Aber HipHop nennen wir das nicht mehr. Ich versuche nicht, etwas anderes zu machen. Ich will HipHop machen.

 

Ist das nicht auch ein ganz ­spezielles Problem in England, wo UK-Rapper neben US-­Künstlern oder Hypes wie Grime kaum ­Aufmerksamkeit bekamen?
Überhaupt nicht. Ich glaube nicht, dass die UK-HipHop-Szene zusammengebrochen ist. Das, was wir früher als HipHop bezeichnet haben, hat sich weiterentwickelt und existiert immer noch in vielen verschiedenen Formen. Mittlerweile gibt es unzählige Genres, aber vor allem jüngere Leute denken oft, sie würden etwas ganz anderes als wir machen. Dizzee Rascal sagt manchmal, dass er ein Rap-Artist sei, dann wieder nicht. Ich sage: Natürlich macht er Rap. Das Problem ist, dass dem klassischen UK-Rap ein Stigma anhaftet, das die Presse erfunden hat. Deshalb bezeichnen sich junge Künstler im UK nicht als Rapper, sondern geben ihrer Musik andere Namen. Aber wenn du dir meine Karriere und vor allem meine Musik ansiehst, wirst du ohnehin feststellen, dass ich die UK-HipHop-Szene nicht mehr repräsentiere. Ich bewege mich auf ­internationalem Parkett. Ich mache globalen HipHop, wenn du so willst.

 

Auf deiner Platte sagst du: »We ­celebrate dumbness and denigrate smartness«. Ist das nicht eine grobe Verallgemeinerung?
Nein, ich sehe dieses Problem wirklich überall. Vor allem in den Massenmedien kommt das zur Genüge vor. Sobald ein bekannter Schwarzer im UK irgend­etwas macht, egal ob Entertainer oder Sänger, wird er sofort als Rapper bezeichnet. Das ist absurd. Ich dachte am Anfang, das sei reiner Zufall, aber es kommt so häufig vor, dass es wirklich ein eigener Begriff in den Mainstream-Medien geworden ist. Wenn jemand schwarz ist und sich daneben benimmt, ist er ein Rapper. Dieses Stigma wird dem HipHop angeheftet und damit wird eine ganze Musikrichtung negativ dargestellt. Ich finde es auch mittlerweile offensichtlich, dass wir sehr viel dumme Musik abfeiern und wirklich intelligente Lieder eher meiden, weil uns das zu anspruchsvoll ist. Es ist wirklich hart für clevere Künstler, eine Plattform in den Medien zu bekommen. Es fängt doch schon in der Schule an: Die schlauen Kinder werden ausgelacht. Intelligent zu sein, ist nicht in Mode und cool. Ich selbst behaupte nicht, schlau zu sein. Das ist etwas anderes. Aber schon mein Verhalten reicht aus, dass mich Menschen meiden, weil sie lieber einen dummen Rapper vor sich haben. Das Problem ist nur: Wenn wir dumme ­Musik machen, verdummen wir die Menschen. Schau dir mal an, wie die Charts in den Sechzigern und Siebzigern ausgesehen haben. Es gab damals Progressive Rock-Gruppen, die in den Charts waren.

 

Du hast »Emotions« als erste Single ausgekoppelt. Im Rap kann man sich jedoch keine allzu große Bandbreite an Emotionen leisten, weil man sonst als Schwächling gilt.
Ja. Ich bin vielleicht der Typ, der von allen ausgelacht wird und nichts zu entgegnen hat. Der Schwächling unter all den ­harten Jungs. Aber ich werde der sein, der zuletzt lacht. Das ist einfach nur eine Frage der Zeit. Trotzdem ging es mir auch um etwas anderes. Als jemand, der sich sehr intensiv mit Rapmusik auseinandersetzt, fiel mir vor längerer Zeit auf, dass ich vielen Künstlern ihre Emotionen einfach nicht mehr abkaufe. Den Zorn in ihren Tracks, den nehme ich ihnen nicht mehr ab. Sie machen nur das, was ihnen andere vorgemacht haben. Die Reaktionen, die ich im UK auf den Song bekomme, sind herausragend. So etwas ist mir noch nie passiert. Ich stoße da in eine ­Lücke. ­Speziell hier im UK haben wir nur noch diese leere Tanzmusik. Die Leute freuen sich daher, dass jemand in einem Song mal etwas aussagt. Es geht noch nicht mal um große Zusammenhänge, sondern um Kleinigkeiten, die viele ­Menschen zwar denken, aber niemals offen aussprechen.

Du hast vor kurzem eine BenefizShow für die Opfer der Erdbebenkatastrophe in Haiti gespielt. Wie genau verfolgst du, was aus dem Geld wird, das in oder mit deinem Namen eingenommen wird?

Ich vertraue den Leuten, die solche Veranstaltungen organisieren, zu 100 Prozent. Ich bin mir sicher, dass jeder Cent dem richtigen Zweck zugeführt wird. Du musst verstehen, dass die Leute, die solche Veranstaltungen ausrichten, so etwas wie das Rückgrat unserer Szene sind. Meine Aufgabe ist es, bei diesen Shows meinen Beitrag zur guten Sache zu leisten und nicht zu hinterfragen, was mit dem Geld passiert. Ich finde, es wirkt gierig, wenn ich bei solchen Events misstrauische Fragen stelle. Es geht um die gute Sache, nicht so sehr ums Geld. Mir geht es darum, ein Zeichen zu setzen und den ­Fokus auf Haiti zu richten. Denn mittlerweile ist dieses Thema wieder von den ­Titelseiten und aus den Nachrichten verschwunden. Wenn ich mit meinem Namen dafür sorgen kann, dass es wieder für kurze Zeit ins Gedächtnis der Menschen gerückt wird, ist das schon jede Mühe wert.

Auf deinen Alben tauchen oft Künstler auf, die Rap-Fans weitgehend unbekannt sind. Ich denke zum Beispiel an Tony Allen.
Wir leben in einer Zeit, in der Geschichte gerne umgeschrieben wird, damit sie denjenigen passt, die gerade am Ruder sind. Helden werden vergessen. Ich möchte, dass jede meiner Platten ein Zeitdokument ist. Wenn du durch die Credits auf meinen Platten gehst, wirst du immer Menschen finden, die im Hintergrund die Fäden gezogen haben. Andere versuchen uns totzu­schweigen. Sie sprechen uns ab, dass wir eine Berechtigung haben, in den Charts zu stehen und im Radio zu laufen. Mit »wir« meine ich alle Menschen, die für meine Art von Musik stehen und kämpfen. Die Medien konzentrieren sich ausschließlich auf Major-Artists oder Menschen, die mit ihnen in Verbindung stehen. Ich möchte mit meinen Alben gewisse Hinweise für Musikliebhaber geben, nach dem Motto: Wenn du meine Musik magst, dann hör dir mal die Leute an, die auf der Platte mitgearbeitet haben.

 

Text: Julian Gupta

 

 

 

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