Tua – TUA // Review

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(Chimperator)

Wertung: Fünf Kronen

Es zieht und zerrt an Tua. Und an »TUA«. Obwohl die zwölf neuen Songs eine Einheit bilden und um einen gemeinsamen thematischen Kern kreisen, treibt die Zentrifugalkraft sie zugleich immer weiter nach außen. Diese innere Zerrissenheit ist schon im Opener »Vorstadt« deutlich zu spüren, weil Text und Musik genau gegenläufige Bewegungen vollziehen – in völlig verschiedenen Geschwindigkeiten. Der Text reist in Tuas Vergangenheit, »mit drei km/h« fährt das Orsons-Mitglied an Orten seiner Jugend und Adoleszenz vorbei, mit der Frage im Kopf: Wenn ich nicht mehr hier bin, wo bin ich dann heute zu Hause? Die Musik antwortet: Zwischen den Stühlen. Denn »Vorstadt« rast vom klassischen Boombap-Sound in viereinhalb Minuten zum angesagten Jetzt-Sound (inklusive Bausa-Feature), ohne den einen gegen den anderen Stil auszuspielen oder sich musikalisch irgendwo anzubiedern. In »Bruder II« sind es gegensätz­liche Lebenswege, die zwei Menschen immer weiter auseinandertreiben, die sich eigentlich sehr nahestehen. Im Hintergrund hallt noch die Bassmusik der gemeinsam durchzechten Nächte nach, doch während der eine mit der Geburt der Tochter eine neue Lebensphase einläutet, bleibt der andere in einem ewigen Kreislauf aus Haftstrafe, Entlassung und erneuter Verurteilung gefangen. Eine noch größere Lücke reißt der Tod, wenn sich Menschen nicht einfach nur ­auseinanderleben, sondern ein Leben abrupt endet. »Vater« beschreibt in schmerzhaft detaillierten Bildern diesen Moment des Abschieds; ein Song, vor dessen emotionaler Wucht man sich bei jedem Durchlauf des Albums von neuem fürchtet. Spätestens hier zeigt sich, dass die entgegengesetzten Kräfte, die an »TUA« zerren, dem Album nicht zum Nachteil gereichen – ganz im Gegenteil. Denn nachdem »Vater« uns ganz tief nach unten, in die dunkelsten Abgründe gezogen hat, holt uns »Tiefblau« anschließend zurück an die Oberfläche. Der wobbelnde Post-Dubstep-Bass mag noch nach lichtloser Tiefsee klingen, doch der brüchige Falsett-Gesang und die klaren Klavierakkorde treiben wie Luftbläschen der sonnendurchfluteten Wasser­oberfläche entgegen. Wenn Tua hier an James Blake erinnert oder in der abschließenden Ballade »Wenn ich gehen muss« nur von einer Akustikgitarre begleitet singt, zeigt das auch, dass seine Musik mit dem Etikett »Rap« nur sehr unzutreffend beschrieben ist. Wie schon vor zehn Jahren bei »Grau« und den anschließenden EPs bleibt Rap zwar der Fixpunkt, von dem sich die Songs aber in immer weiteren Umlaufbahnen entfernen und dabei neue Galaxien erforschen. Die Frage nach Genre-Schubladen verstellt aber sowieso nur den Blick für die Reise, auf die uns Tua mitnimmt; eine Reise, die mit »Vorstadt« tief in der Vergangenheit beginnt und nach knapp fünfzig Minuten mit einem Ausblick in die Zukunft endet, manchmal aber einfach nur im Hier und Jetzt sein will. Auf »FFWD« mit RAF Camora haben die Zweifel und die Introspektive der übrigen Songs Pause, unter den Blitzen des Stroboskops und im Adrenalin-kick kurz vor dem ersten Faustschlag sucht der Song den ekstatischen Rausch der Gegenwart. Obwohl das Album uns anschließend ganz woanders­hin führt, beschreibt der Song die Intensität, mit der man »TUA« durchlebt.

Text: Daniel Welsch

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