Titelkampf – Das JUICE-Cover als Prestige und Politikum // Feature

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Das Cover der JUICE war immer ein Politikum. Der Herausgeber und die Redaktion, die Künstler und Plattenfirmen, die Promoter und Leser – jeder von ihnen wollte ein Wörtchen mitreden. Das führte immer wieder zu hitzigen Diskussionen. Aber die Welt um das JUICE-Cover herum hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert – und damit auch dessen Wert und die Werkzeuge dafür, es zu erkämpfen.

Die JUICE war lange Zeit das wichtigste, und einige Jahre sogar das einzige HipHop- Magazin auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt, galt als Sprachrohr der Szene, objektiver und versierter Berichterstatter aus dem hiesigen HipHop-Kosmos. Was in der JUICE stand, hatte Gewicht – und eine entsprechende Bedeutung hatte deshalb auch das Cover. Es auf die Titelseite der JUICE geschafft zu haben, galt etwas, war eine Art Ritterschlag – und ein erklärtes Karriereziel vieler Rapper. Es bedeutete einerseits eine Relevanzbescheinigung von einer unabhängigen Redaktion aus Bescheidwissern, andererseits aber auch schlichtweg Sichtbarkeit – und damit Werbung in eigener Sache, die im Zweifelsfall bares Geld bedeutete. Denn wenn die JUICE Künstler XY aufs Cover hievte, musste dessen neues Album ja gut sein – und gekauft werden.

Durch die Einbrüche auf dem Printmarkt im Zuge der zunehmenden Digitalisierung schmolz jedoch auch die Bedeutung der JUICE inklusive ihres Covers, flankiert von den wachsenden Möglichkeiten der Selbstdarstellung und -vermarktung für Künstler jeder Couleur via Social Media. Das heißt: Künstlern war es zunehmend nicht mehr so wichtig, in der JUICE stattzufinden – schon gar nicht, wenn man nicht zumindest das Cover bekam. Die eigene Followerschaft der meisten (selbst kleineren) Künstler ist schließlich um ein Vielfaches höher als die verkaufte Auflage der letzten JUICE-Ausgaben. Außerdem kann man als Artist über Insta & Co. alles im eigenen Sinne veröffentlichen und läuft nicht Gefahr, anders dargestellt zu werden, als es der eigenen Selbstwahrnehmung entspricht – oder gar kritisiert zu werden.

Times changed

Die »Macht« der JUICE ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen, zumindest in Bezug auf namhafte Künstler mit starken eigenen Kanälen. War man als Rapper früher noch darauf angewiesen, in der JUICE stattzufinden und so in den Fokus der Szene zu geraten, haben es viele Rapper heute schlichtweg nicht mehr nötig – zumal sich die junge Zielgruppe zur Informationsbeschaffung eh kaum noch zum Zeitungskiosk bewegt.

Allerdings: Das JUICE-Cover blieb bis zum Schluss der letzte Trumpf, mit dem man den einen oder anderen Künstler überhaupt noch zu einem Interview bewegen konnte, und gehörte bis zuletzt auf die Liste der Ziele, die man als gestandener Rapper in Deutschland tunlichst zu erreichen hatte: Nummer-eins-Single, Goldalbum, ausverkaufte Tour, JUICE-Cover – so in etwa musste man sich die durchschnittliche Bucketlist eines hiesigen Rappers vorstellen.

Cover – oder nichts

Viele Promoter meldeten sich daher schon gar nicht mehr wegen eines Interviews mit ihren Künstlern in der Redaktion, sondern nur wegen des Covers, und setzten einem also unverhohlen die Pistole auf die Brust: Entweder Cover oder gar nichts. Das führte bisweilen zu wirklich abstrusen Forderungen. 2017 verlangte eine bekannte Promoterin beispielsweise das Cover für Ferris MC. 2017! Im Heft fand er dementsprechend gar nicht statt. Überhaupt haben wir uns auf solche Erpressungsversuche nie eingelassen, zumindest nicht in meiner Zeit als Chefredakteur – aus Prinzip nicht. Denn die Entscheidung über den Umfang eines Interviews und das Cover ist eine rein redaktionelle und keine, über die Promoter, Labels oder Künstler zu entscheiden haben – auch wenn das dazu führte, dass einige Interviews und Cover, die wir vielleicht gerne gemacht hätten, nicht zustande kamen (lest hier die verschollene Coverstory zu Capital Bra).

In meiner Anfangszeit als Chefredakteur war ich recht resolut, was die Anforderung und Umsetzung (im Rahmen begrenzter monetärer Möglichkeiten) eines Covers anging – und habe dafür durchaus Lehrgeld bezahlt. Das Autorisieren von Interviews, also mögliche Eingriffe seitens der Künstler in das verschriftlichte Gespräch vor Veröffentlichung, habe ich grundsätzlich abgelehnt und als Eingriff in die Pressefreiheit verstanden. Ich war der Meinung: Erzählt halt nur das, was ihr auch im Interview lesen wollt! Fotofreigaben, also das Einholen des Einverständnisses eines Künstlers über die Veröffentlichung von Bildern, fand ich Quatsch. Schließlich war ja auch uns daran gelegen, die abgelichteten Acts bestmöglich aussehen zu lassen.

Dass ich dahingehend so entschlossen war, hatte seine Gründe: Denn aufgrund der oben erwähnten Entwicklungen wuchs die Einflussmacht der Künstler. Viele von ihnen haben ein JUICE-Feature lediglich als weiteres Promo-Tool verstanden, bei dem sie sich bestmöglich präsentiert und keinesfalls kritisiert sehen wollten. Einige Künstler wollten genau bestimmen, wie viele Seiten eine Titelstory zu haben hat, welche Fragen dafür gestellt und welche Fotos benutzt werden. Aus Künstlersicht bis zu einem gewissen Grad sicherlich nachvollziehbar, aber eben nicht immer mit unseren Vorstellungen einer JUICE-Titelgeschichte vereinbar – denn reinen Wohlfühl-Journalismus wollten wir nie betreiben.

Furore und Entsetzen, Zünd- und Gesprächsstoff

Im Laufe der Zeit habe ich allerdings gemerkt, dass man nicht umhin kommt, sich bei einer Titelstory in sämtlichen Belangen mit der Künstlerseite abzustimmen – auch wenn das stets kräftezehrend ist und auch nicht zwangsläufig zum besten Ergebnis führt, geschweige denn: alle Seiten zufriedenstellt. Manch einer hat sich über die eine oder andere Cover-Entscheidung sicherlich auch mal gewundert. Dazu sei gesagt: Entscheidend für ein Cover war nie einzig und allein die vermeintliche Relevanz eines Künstlers, deren Einschätzung zudem sehr subjektiven Kriterien unterliegt. Es spielte immer auch eine Rolle, wann ein Künstler eine Platte veröffentlicht und welche Konkurrenz zeitgleich releast. Manch einem Rapper wurde mal ein Coverwunsch abgeschlagen, weil ein »stärkerer« Rapper zur gleichen Zeit eine Platte rausgebracht hat. Manch ein vermeintlich kleiner Act ist hingegen auf dem Cover gelandet, weil im fraglichen Zeitraum kein Big Name verfügbar war – oder weil eine Titelgeschichte kurzfristig mal geplatzt ist.

Auch die Frage, welches Cover wohl die meisten Hefte verkauft, galt es stets zu stellen. Denn nicht jede Zielgruppe eines erfolgreichen Rappers ist auch deckungsgleich mit der vermuteten Leserschaft der JUICE.

Festzuhalten bleibt: Mehr als zwanzig Jahre lang hat das JUICE-Cover regelmäßig für Furore und Entsetzen, Zünd- und Gesprächsstoff, Zerwürfnisse und Verbrüderungen gesorgt – und jede Menge Mythen. Mehr kann man als Medium von der Szene für die Szene wohl nicht verlangen.

Text: Daniel Schieferdecker

Dieses Feature erschien zuerst in JUICE 195. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Onlineshop bestellen.

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