Tightill: »Ich schreibe meine Songs im Wahn« // Interview

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Tightill ist Rapper und Punker, eben noch gehetzt am Botten vor der Polizei, ist er im nächsten Song mit romantischen Zeilen voller Emotionen am Start und verweigert sich auch sonst dem, was man die Norm nennt. Zusammen mit seinen Freunden von Erotik Toy Records konnte man seinen experimentellen Sound bereits auf dem dem Label-Sampler »Hafenwind« hören, daneben hat Tightill gemeinsame Alben mit Doubtboy und Donvtello gemacht. Mit »Strassenpop« ist sein zweites Soloalbum erschienen, dessen Sound sich der Neuen Deutschen Welle orientiert. Im Interview erklärt Tightill, warum er nicht stillstehen kann, weshalb ihn die Neue Deutsche Welle fasziniert, wie er in den USA mit The Egyptian Lover zusammengearbeitet hat und warum er seinen Skateplace in Bremen vermisst.

Moin Tightill! Schön, dass wir noch Zeit für ein Interview gefunden haben, wenn auch erst nach dem Release.
Ja, kein Ding. Nach dem Release ist ja auch vor Release.

In deinem Fall habe ich schon das Gefühl, dass du in den letzten Jahren mehr oder weniger ein Release nach dem anderen veröffentlicht hast. Es gab »Ratzen & Rennen« mit Donvtello, ihr habt das Erotik Toy Records-Album »Hafenwind« rausgebracht, dazu deine Quarantäne-Freestyles und jetzt dein zweites Soloalbum »Strassenpop«. Das warst die ganze Zeit busy, oder?
Mega viel, auf jeden. Ich habe mit dem Soloalbum schon vor »Ratzen & Rennen« angefangen und habe nebenbei die ganze Zeit Tracks gemacht. Ich hatte mega Bock auf das Soloalbum und wollte da nicht hetzen. Ich habe jetzt zwei Jahre daran gearbeitet. Jetzt habe ich das erste Mal kein großes Projekt in der Hinterhand, das als nächstes kommt. Das ist ein krasses Gefühl, aber auch ganz schön, um mal zur Ruhe zu kommen und sich zu überlegen, worauf man überhaupt Bock hat.

Mit diesen Projekten kommen ja auch sehr unterschiedliche Sounds zusammen, von Memphis-Rap bis zum experimentelleren Sound auf »Hafenwind«. Ist das so, dass du dort unterschiedliche Moods nutzt, wenn du mehrere Projekte am Laufen hast?
Die Moods kommen durch die verschiedenen Songs und Zeiten. Als nächstes überlege ich mir auf jeden Fall wieder richtig was, worauf ich Bock habe. »Ratzen & Rennen« war der Memphis-Sound, auf den ich Bock hatte und den ich durchziehen wollte. Danach dachte ich aber auch »Jetzt kann ich erstmal keinen Memphis-Track mehr schreiben, ich weiß gar nicht mehr worüber.« Deswegen mache ich wieder etwas Neues. Es ist manchmal schwierig, das alles unter einen Hut zu kriegen. Ich habe viel Lust auf viele Sachen und denke schon manchmal, dass es die Leute doch voll durcheinander bringen muss, wenn ich so viele verschiedene Sachen mache. Ich habe auch schon wieder ganz komische Sachen in der Hinterhand, ich weiß noch gar nicht, wie ich die raushauen möchte.

Ich glaube, dass es für Hörer*innen schon herausfordernd sein kann, weil es so unterschiedlich ist. Auf der anderen Seite ist damit auch für jeden was dabei und man kann sich genauso härtere Tracks mit düsterem Sound wie auch gefühlvolle Songs geben. Das ist dann schon eine Stärke deiner Musik.
Wahrscheinlich. Ich kann das natürlich schwer von außen betrachten. Ich habe jetzt zum ersten Mal den Moment, in dem ich reflektieren und chillen kann. Und auch mal probieren kann, mich von außen anzugucken, das tut ganz gut. Besser als wenn man immer in seinem eigenen Sumpf schwimmt. Man braucht ab und zu ein bisschen Abstand. Ich habe zum Beispiel auch angefangen, Tracks über Graffiti zu schreiben, als ich selber gar nicht mehr so viel Graffiti gemalt habe. Das kommt meist erst im Nachhinein, dass man versteht, was man da eigentlich gemacht hat. Wenn man direkt dabei ist, macht man es einfach.

Wie lange ging denn dieser Hustle ohne Entspannung und Runterkommen für dich? Und wie siehst du deine Entwicklung und die von Erotik Toy Records in den letzten Jahren?
Ich glaube, ich habe diese Pause noch nie gehabt, seit ich angefangen habe Musik zu machen. Ich habe das auch nicht als wichtig betrachtet, sich diese Zeit zu gönnen, um alles mal zu checken. Aber jetzt dachte ich, dass es doch wichtig ist. Und wie ich die Entwicklung sehe? Wir sind schon einen steinigen Weg gegangen. Deshalb ist es sehr schön, wie es jetzt ist. Dass Leute die Musik feiern, dass sie sich meine Platte kaufen. Die Nachrichten, die ich bekomme, sind teilweise total sweet und dann hat es sich schon gelohnt, finde ich. Und natürlich, dass ich gerade nicht mehr arbeiten oder probieren muss, irgendwie Geld zu bekommen. Das ist ein wichtiger Teil davon.
Ansonsten will ich immer irgendwas machen, ich habe so eine Ader, dass immer etwas aus mir raus muss. Selbst wenn es einfach Memes sind oder irgendwelche dulligen Videos schneiden. Das kommt so aus mir raus.

Man hört man bei »Strassenpop« auch raus, dass du gar keinen »normalen«, geregelten Alltag möchtest, aber gleichzeitig auch ein getriebener Mensch bist, der anscheinend kaum zu Ruhe kommt. Das lässt sich mit dem Alltag als Künstler wahrscheinlich am besten vereinbaren, oder? Immerhin hat man dort mehr Freiheiten als in den meisten anderen Lebensentwürfen.
Auf jeden Fall. Wenn ich sonst im Café oder auf der Baustelle gearbeitet habe, habe ich immer auf dem Klo gesessen und irgendwelche Texte in mein Handy getippt. Oder mit jemandem gechattet, der noch einen Track von mir Mixen musste. Selbst wenn ich andere Arbeiten gemacht habe, habe ich mir die Pause nicht zum Chillen gegönnt. Es ist schon sehr getrieben und im Wahn gewesen.

Ich schreibe meine Songs im Wahn. Ich habe »Strassenpop« auch im Wahn geschrieben. Beziehungsweise, was heißt eigentlich im Wahn. Ich habe eben Ideen zusammengetragen, die zusammengeschrieben, zack in fünf Minuten, und dann aufgenommen, wenn ich die Idee und die Reime fertig hatte. Dann kommt das  am ehrlichsten und locker easy aus der Hüfte. Das lässt sich so am besten vereinen. Ich habe richtig Angst davor, wieder arbeiten zu müssen und eine 40-Stunden-Woche zu machen. Es ist natürlich trotzdem anstrengend und belastend, dass das Künstler-Sein so unsicher ist. Aber es ist auf jeden Fall der Lebensentwurf, der am besten dazu passt.

»Ich habe das Gefühl, es findet alles nur im Internet, in meinem Handy statt, das ist gar nicht mehr echt. Ich vermisse es krass, die Musik mal rauszutragen.«

Tightill über Releases während der Pandemie

Ich wollte eh fragen, ob das quasi der Masterplan war, als du mit Musik angefangen hast?
Es war am Anfang nicht der Masterplan.  Früher habe ich noch Geld vom Staat gekriegt und war safe. (lacht) Als ich dann das erste Mal eine Festanstellung hatte, gab es den Moment, wo ich dachte: »Warte mal. Du musst irgendetwas anders machen, das geht so nicht.« Ab dem Moment habe ich mir vorgenommen, es mit der Mukke zu schaffen und es ist mega, dass ich das jetzt geschafft habe. Es geht dabei nicht um fett Money machen, ich bin happy, wenn ich mein Geld easy im Monat kriege und dafür nicht arbeiten muss. Es geht mir auch nicht darum, Über-Fame zu sein, das kann auch belastend sein. Es geht darum, kreativ zu sein und dafür bezahlt zu werden. Das ist mein Ziel, gerade klappt das und in der Zukunft geht es hoffentlich so weiter.

Zu diesem Teil zählt im Normalfall ja auch das Tourleben, mit dem man die Songs einerseits unter Leute bringt und damit im besten Fall auch noch Geld verdient, wenn genug zur Show kommen. Du warst ja sowohl mit der ETR-Crew als auch mit Donvtello unterwegs, wie war das für dich?
Das zusammen Rumhänge auf der Tour ist natürlich wichtig, denn das sind ja alle gute Freunde von mir. Das macht einfach mega Spaß. Was krass ist, das habe ich während der Pandemie bemerkt, ist dass ich nie den Moment hatte: »Ich habe Bock auf ein geiles Konzert und will jetzt unbedingt auf der Bühne stehen.« Natürlich macht das Spaß, aber am besten war es, neue Sachen zu kreieren. Sich zum Beispiel Videos zu überlegen oder eben einen Track fertig zu machen. Ich merke jetzt aber, dass ich es total vermisse, dass es meine Musik im echten Leben gibt. Die gibt es gerade nicht im echten Leben und das fehlt extrem. Ich habe das Gefühl, es findet alles nur im Internet, in meinem Handy statt, das ist gar nicht mehr echt. Ich vermisse es krass, die Musik mal rauszutragen. Es ging mit Doubtboy zusammen los, dass Leute unsere Texte kannten. Das ist ein mega schönes Gefühl, davon fühlt man sich geehrt. Es fehlt, dass Leute sich damit identifizieren können, beziehungsweise es einfach fühlen. Und was auch fehlt, ist die Leute persönlich zu sehen, rumzualbern und nach dem Konzert einen zu Saufen. Oder schon während dem Konzert. (lacht)

Klar. Als Hörer*innen fehlt dann natürlich auch der Gegenpart dazu, wenn man sich nicht mehr zu Konzerten verabreden kann oder sich neue Musik gemeinsam im Part anhört und dabei ein Bierchen trinkt. Jetzt teile ich maximal einen Song in der Insta-Story.
Ich hätte auch Bock auf eine Releaseparty mit dem Album gehabt. Selbst nur vor 50 Leuten, das hätte gereicht und wäre nice gewesen.

Wenn du meinst, dass du eh gerne kreative Projekte und Videos machst, dann zählt dazu ja bestimmt auch die mittlerweile legendäre Dokumentation, die ihr über euch als »Stadtmusikbande« gedreht habt. Wer hatte die Idee dazu?
Ich natürlich. (lacht) Zusammen mit Hannes Rademacher, der viele Video mit uns zusammen macht. Ich habe das Drehbuch geschrieben und wir haben zusammen Regie geführt. Wir waren da sehr streng, deswegen ist es auch so gut geworden. »Nein, das muss eine Jeanshose sein. Du musst dich glatt rasieren, wenn dann nur einen Schnauzer.« Wir haben sehr auf alle Kleinigkeiten geachtet, das hat sehr viel Spaß gemacht. Mir macht es hinter der Kamera generell Spaß, ich schneide auch viele meiner Videos selber. Ich war dann sowohl vor der Kamera, als auch dahinter und war bei diesem Dreh mit meinem Kopf echt überall. Gleichzeitig davor und dahinter zu stehen, war dann vielleicht etwas viel. Aber über das Produkt bin ich natürlich mega happy.

Es ist wirklich stark und man sieht, dass es mehr ist, als nur ein Nachahmen von früheren Dokus.
Viele kennen natürlich Dokus wie »Youth Wars«, aber wir hatten den Anspruch, etwas eigenes mit reinzubringen. Bremen mit reinzunehmen, Graffiti stattfinden zu lassen und uns ein bisschen selber auf die Schippe zu nehmen, unsere Subkultur. Das war die Krux dahinter.

Man sieht dort auch den »Blauen Manfred«. Kannst du an der Stelle erklären, was genau das eigentlich ist?
Am Anfang haben wir da private Veranstaltungen gefeiert, haben dort ein paar Konzerte gemacht. Das erste, dass wir wegen der Pandemie absagen mussten, war die Releaseparty zu Skinnyblackboys Projekt zusammen mit KitschKrieg. Da ging es gerade los, keiner wusste genau, was jetzt los ist und ob wir das Konzert jetzt wirklich absagen müssen. Das war der Moment, wo ich mich das erste Mal bei Corona reingelesen und gecheckt habe, dass wir das wirklich nicht durchziehen sollten. Eine oder zwei Wochen später gab es dann den Lockdown.

Ich habe dort mein Album aufgenommen, wir haben da unser Studio und einige Videos dort gedreht. Das ist unser Kreativ-Space / Spaß-Space. Früher habe ich meine Texte noch im Schlafzimmer aufgenommen, ein Studio oder so habe ich mir eh nie gemietet. Als ich in Bremen gewohnt habe, war der Blaue Manfred fünf Minuten entfernt, das war perfekt. Ich gehe da den ganzen Tag hin, mache mir richtig ‘nen Lenz, ganz in Ruhe, und nehme dann meine Tracks auf. Das war richtig geil. Gerade ist leider alles gecancelt, wegen der Pandemie, deswegen gibt es aktuell weder Partys noch Aufnahme-Sessions.

Ein anderes Video, dass ich samt Musik sehr spannend fand, ist das zum Song »Vulkan« featuring The Egyptian Lover. Dafür warst du in den USA, wahrscheinlich vor der Pandemie, oder?
Ja, das war 2019.

Wo bist du langgereist? Ich glaube ein Hotel aus Las Vegas habe ich erkannt.
Ja, ich war bei meiner Schwester in Chicago, dann sind wir zu The Egyptian Lover nach L.A. geflogen, waren dort im Studio und sind dann noch nach Las Vegas gefahren. Das war mega geil, mit ihm einen Song zu machen. Wir haben den Beat zusammen im Studio geschraubt, die Lyrics habe ich separat aufgenommen. Mega der Film, bei ihm im Studio zu sitzen, überall waren goldene Platten, zum Beispiel von Snoop Dogg und N.W.A., ein legendäres L.A.-Studio.

Hast du ihn einfach angeschrieben, ob er Bock hat?
Ja, ich habe ihm dazu ein paar Sachen von mir geschickt und er meinte: »I like it, it’s badass.« Bei Amis ist es immer so, dass man ein bisschen was bezahlt, aber danach gehört einem der Track auch. Davon wird dann Studiomiete bezahlt, außerdem saß er dort mir vier Leuten, die am Beat rumgeschraubt haben. Er hat es auf jeden Fall gediggt und dann haben wir es fertig gemacht. Er und die Leute dort feiern diesen 80er Kraftwerk-Sound und die deutschen Texte. Deshalb haben sie es gefeiert, dass ich auf diese Schiene gehe.

Hast du früher schon viele Neue Deutsch Welle-Sachen gehört oder war das besonders im Albumprozess eine Inspiration?
Ich habe das früher schon gehört, viel Punk auch, was zum Teil Hand in Hand geht. Deshalb auch der Titel »Strassenpop«: Eine Mischung aus Rap, Punk und NDW. Durch das Album habe ich diese Musik noch mehr gediggt. Das ist auf jeden Fall meine liebste deutschsprachige Musik, zusammen mit Punk. Das passt meiner Meinung nach am besten zur deutschen Sprache.

Hast du dich dann versucht textlich daran zu orientieren oder ist das eh hinfällig, weil die Musik intuitiv und »im Wahn« entsteht?
Ja, es ist ziemlich intuitiv. Bei manchen Songs habe ich schon probiert, nicht zu viele Anglizismen zu benutzen, damit es nicht so nach Rap klingt. Bei »Alles« habe ich mir zum Beispiel Rio Reisers Song »Für immer und dich« als Vorbild genommen. Ich habe mir die Reimstruktur reingezogen, er wechselt ja nur einzelne Wörter, und habe versucht, das ähnlich hinzubekommen.

Wie hast du es mit der musikalischen Begleitung, sprich Beats, gehalten? Hast du dann genau die Leute angeschrieben, von denen du dachtest, dass sie deine Vision am besten umsetzen können?
Die Produzenten sind alles Freunde von mir. Bei den meisten habe ich mich mit ihnen zusammen ins Studio gesetzt und die Songs gemacht. Es ist viel Gitarre drauf, Kai Kampf hat die Songs damit richtig veredelt. Generell habe ich sehr nah an den Produzenten gearbeitet und einen Song auch mal liegen lassen. Gerade, wenn man Sachen im Wahn macht, ist es geil, die Dinger liegen zu haben und einen Monat später nochmal draufzugucken. Dann sieht man es mehr von außen. Das war für mich neu, denn normalerweise bin ich schlecht darin, die Sachen zurückzuhalten und nicht direkt rauszuhauen. Da musste ich Geduld lernen, aber im Endeffekt war das cool. So ein Riesen-Album mache ich so schnell wohl nicht nochmal. Es ist schon anstrengend, so lange auf Sachen zu sitzen. Der Egyptian-Lover-Song war seit 2019 fertig.

Die Gitarren sind mir auch aufgefallen und die sorgen für einen starken Vibe, der die Punk-Elemente mit Synthesizern zusammenbringt.
Das war auch die Krux. Ich wollte einfach mit den Originators zusammenarbeiten. Ich habe sogar Anette Humpe angeschrieben, die ein mega OG ist und viele Sachen, unter anderem für Rio Reiser produziert und geschrieben hat. Sie hat zumindest geantwortet, aber meinte, dass ihr Herz gerade nicht so bei der Popmusik ist. Aber wenigstens habe ich eine Antwort bekommen, dass ist schon ein Blessing. Ich habe ihr geschrieben, dass ich früher auch im Rauch-Haus gewohnt habe, wegen Rio Reiser usw., und meinte, dass das mein Erbe ist, das ich jetzt antreten möchte. Ich war auf jeden Fall stolz, eine E-Mail von ihr zu haben. Das war auf jeden Fall eine Orientierung für das Album.

»Meine Mutter meinte immer, wenn es richtig heiß war: „Geh‘ doch mal an den See.“ Aber ich war so: „Nö, ich geh‘ jetzt Skaten.“«

Ein anderes Thema, das neben Graffiti eine Rolle in deinen Songs spielt, ist das Skaten. Auf »Strassenpop« findet das vor allem auf dem Song »Plaza« statt, was ist das überhaupt für ein Ort?
Das war unser Skatepark direkt am Bremer Hauptbahnhof. Da kommt noch ein Video mit raren, alten Aufnahmen. Es war unser Skatespot und mit seiner Lage ziemlich legendär. Da saßen dreißig Junkies neben uns und es ging die Post ab. Es war ein sehr aufregender Ort, an dem viele Menschen durcheinander gekommen sind. Nebenan ist die Disko-Meile, die auch berühmt-berüchtigt ist, dann sind dort irgendwelche Geschäftsmänner, die von A nach B gehen und Kaffee saufen. Einfach mega durcheinander. Alle sind dort umher gelaufen und wir waren den ganzen Tag in der Mitte, auf dieser Insel, und haben uns das gegeben. Wir haben dort auch nachts rumgehangen, ich war früher nur da. Meine Mutter meinte immer, wenn es richtig heiß war: »Geh‘ doch mal an den See.« Aber ich war so: »Nö, ich geh‘ jetzt Skaten.« Am Hauptbahnhof, zwischen den ganzen Abgasen. Deswegen beginnt der Song auch mit »Abgase in der Lunge«, denn man ist den ganzen Sommer auf einer Verkehrsinsel mit Asphalt. Aber es war mein Feel-Good-Ort, weil man dort ankommen konnte und weiß, dass jemand da ist, man muss niemanden anrufen. Jeden Tag ist etwas los, man braucht nichts zu planen. Ich hatte das erste Mal einen gebrochenen Fuß und musste sechs Wochen Gips tragen und war trotzdem jeden Tag dort und hab rumgehangen.

Mittlerweile gibt es den nicht mehr, richtig?
Der Platz war eh als Überganglösung gedacht, weil sie dort einen Investor finden wollten, was aber keiner interessant fand. Jetzt gibt es dort aber ein Einkaufszentrum, was am Bahnhof Sinn macht, und ein paar Büros darüber. Es war aber vorher, das ist so richtig Bremen, der größte Fahrradständerplatz Europas. Und das war so widerlich, denn es hat so heftig nach Pisse gestunken, wenn man dort langgekommen ist. Selbst auf dem Skateplatz hat es noch so gestunken, man musste sich einfach daran gewöhnen, aber bei den Fahrradständern war es viel heftiger. Dadurch war es so ein Nicht-Ort vor dem Hauptbahnhof. Dann gab es noch den Vorschlag eines Künstler, dort die Bremer Space-Stadtmusikanten hinzubauen, irgendwelche Skulpturen. Aber zum Glück haben wir die Zusage für den Skatepark bekommen und nicht diese Kunst. Immerhin etwas, mit dem man etwas anfangen kann.

Was ist jetzt mit den Leuten passiert, die dort normalerweise rumgehangen haben?
Viele von den Junks hängen immer noch an der Haltestelle rum. Skaten kannst du immer überall, aber dieser Ort war echt einzigartig. Aber die Leute, die da jetzt hingehen, werden nie so viel mit dem Platz verbinden, wie wir das getan haben. Ich finde es immer so scheiße, dass so etwas weichen muss, nur weil da Geld im Spiel ist. Das ist die Legitimierung, damit das urbane Leben und Subkulturen sich verpissen müssen. »Ah, jetzt wird hier Geld verdient.« Und alles so: »Ja, ok, das macht Sinn. Tschüss!« Aber eigentlich macht es keinen Sinn, finde ich. Weil das eigentlich viel wichtiger ist und es das in der Stadt viel weniger gibt als Orte, an denen Geld verdient wird. Selbst die Leute, die die den Platz geliebt haben, finden das normal. Dabei ist es gar nicht normal, wenn man das aus einem anderen, einem antikapitalistischen Blickwinkel betrachtet.

Ich denke viele haben einen Platz oder Lieblingsort schon auf ähnlichen Wegen in ihrer Stadt verloren.
Genau dafür ist der Song da. Damit dieser Platz in Erinnerung bleibt.

Interview: David Regner
»Strassenpop« ist am 19. März über Erotik Toy Records erschienen.