Erotik Toy Records – Hafenwind // Review

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Wertung: Fünf Kronen

Manche Releases sind eng mit dem Ort ihrer Entstehung verbunden. »Krocha Tape« von Yung Hurn war so eins, »Büdchen Tape« von Veedel Kaztro ebenso und irgendwie auch »Spieler der Liebe« von Skinny Finsta. Weil Einflüsse, Zeitgeist, Lokalkolorit und Momentaufnahmen hier zu einem Gefühl zusammenflossen, das über Bezirks- und Stadtgrenzen hinausgeht. Dann entstehen Sehnsuchtsorte. Im Falle des Kollektivs ETR bestehen die Zutaten aus Pop, Graffiti, Haake Beck und Bremen. Als Young Meyerlack, Jay Pop, Doubtboy, Skinnyblackboy, Tightill und ihr musikalisches Mastermind Florida Juicy vor drei Jahren von Bextown aus, den deutschen Rap zu unterwandern beginnen, kehrt etwas zurück, das im Zeitalter der Selbstdarstellung fast vergessen schien: das Kollektiv. »Hafenwind« ist zwar das erste Album als Gruppe dieser so unterschiedlichen Solokünstler, letztlich aber nur die Konsequenz einer ehrlichen Freundschaft, die mit Weser-Wasser gewachsen wurde. Es ist diesem Zusammenhalt und vor allem dem Playlist-bedingten Post-Genre-Gedanken verschuldet, dass auf diesen 15 Liedern Grenzen nicht mal mehr eingerissen werden, sie existieren hier überhaupt nicht. Florida Juicy hat im bandeigenen Atelier-meets-Bar-meets-Studio »Zum blauen Manfred« einen musikalischen Spielplatz für diesen liebenswerten Chaotenhaufen produziert, in dem Discokugel-NDW, Hausbesetzer-Punk, Proberaum-Trap und Kaugummi-Techno gleichberechtigt stattfinden. Nennt es Guerilla-Pop. Seemannsgarn, Schenkelklopfer und Selbstreflexionen stapeln sich hier minutiös in den Membranen: »Wir sind für dich da wie ein Sexspielzeug/ Endlich wieder Rap auf deutsch«, heißt es etwa auf dem Posse-Cut »Original«. »Zum letzten Mal verliebt« stellt im Mantel von cheesy XTC-Trap sogar völlig unironische Frage: »Kennst du das Gefühl/ Wenn das Herz dir explodiert? « Es ist ein Album, das Sexismus und andere Ekelhaftigkeiten aus dem D-Rap-Alltag bewusst ausspart, sich vor sensitiven Emotionen wie Freude und Verliebtsein nicht scheut, doch eben auch zu keiner Zeit so tut, als läge die Bremer Discomeile nicht in einer sogenannten »waffenfreien Zone«. In hanseatischer Herzlichkeit aus Hafen-Melancholie, Skaterboy-Habitus und Lebemann-Attitüde resultiert »Hafenwind« zu einem detailverliebten Manifest für Freiräume und Fantasie (was auch durch die clevere, an die Kneipenterroristen-Doku angelehnte Mockumentary »Stadtmusikbande« verbildlicht wurde). Mit ETR darf deutscher HipHop wieder träumen.

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