Stefflon Don: Real Ting // HipHope

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»The Boss is tired!«, raunt mir Stefflon Dons Manager zu, als ich den Raum betrete. Sie ist zum ersten Mal auf Tour. Interview-Marathons ist die Britin mit jamaikanischen wurzeln noch nicht gewohnt. Aber unter der getuneten Oberfläche sieht man ihr die Erschöpfung nicht an.

Stefflon Don weiß sich ins rechte Licht zu rücken und die Aura eines Superstars zu erzeugen – auch wenn die Newcomerin bis vor kurzem außerhalb der britischen Szene noch kaum jemand auf dem Schirm hatte. Fake it ’til you make it. Oder bis Coach K mit seiner Talentschmiede Quality Control zuschlägt. Wer die nächste große Rap-Diva werden will, muss nicht nur früh aufstehen, sondern auch die richtigen Leute im Rücken haben. Musikalisch stellt sich Stefflon Don selbst keine Hürden in den Weg.

Ihr kleiner Durchbruch war im Dezember 2016 das eklektische Mixtape »Real Ting«. Obwohl Karibik-Pop und Patois seit jeher Einflüsse der britischen HipHop-Kultur sind, drehten sich bei einem straighten Dancehall-Tune wie »16 Shots« einige Köpfe. Daneben stand ein bösartiger Rap-Representer wie »Real Ting«, und diese stilistische Vielfalt macht den Stefflon-Don-Sound weniger spezifisch britisch als den, sagen wir, der Section Boyz und ermöglicht dadurch internationale Kollaborationen: Auf »Better« bereicherte sie das Debüt des neuen Label-Kollegen Lil Yachty, im Video tritt Dancehall-Star Popcaan auf. Für die jüngste Single »Hurtin’ Me« mit French Montana verlässt sie sich ausschließlich auf ihre Gesangsarbeit, die auf ein Soca- und Afrobeats-inspiriertes Instrumental trifft. Mit dem kreolischen Einschlag und einer Intonation, die an die singenden Rapperinnen ihrer Kindheit angelehnt ist – Missy Elliott und Lil Kim –, klingt Stefflon Don förmlich transkulturell und eignet sich hinsichtlich der Vermarktung für ein amerikanisches Publikum. »Ich habe das Gefühl, der Dancehall-Sound und das Patois sind immer sehr universell gewesen«, erklärt sie. »Man kann jedes Land der Welt besuchen, und die Menschen wissen, was Reggae und Dancehall sind, kennen aber keinen Grime. Dass ich diese Einflüsse habe, erlaubt mir, diese Menschen zu erreichen.« Die erste US-Show steht zum Zeitpunkt unseres Interviews hingegen noch aus. »Erst wenn ich dort bin und sich der Einfluss von Quality Control vergrößert, werde ich überhaupt realisieren, wie sich meine Karriere gerade entwickelt«, prognostiziert sie.

Trotz der verschiedenen Einflüsse macht sich Stefflon Don keine Sorgen um ihre Brand: »Ich habe eine markante Stimme und eine markante Art, Dinge zu betonen. Ich könnte auch über einen House-Beat gehen, und man würde mich erkennen.« Die Stimme ist der Schlüssel, und den schleift sie Zeit ihres Lebens. Schon mit neun Jahren stand sie das erste Mal in einer Gesangskabine, um einem vergessenen Musiker den Refrain zu liefern. »In etwa wie das Mädchen, das man auf ‚Hard Knock Life‘ von Jay-Z singen hört«, sagt sie. Womit wir zum (DJ Khaled-Voice) zweiten Major Key gelangen: Dem Commitment! Einen anderen Vollzeitjob als die Musik hatte die Britin nie. Mitunter schnitt sie Haare oder dekorierte Torten für kleine Nebeneinkünfte, genug Zeit im Studio musste aber immer abfallen. Sie hält das rückblickend für elementar. »Wer nur 50 Prozent reinsteckt, bekommt auch nur 50 Prozent raus. Wer aber 100 Prozent reinsteckt, wird mindestens 99 rausbekommen.« Solange dabei Zeit zum Schlafen bleibt, werden die Prozente, die Stefflon Don zählt, in naher Zukunft nur noch Tantiemen sein.

Text: Mathis Raabe

Dieses Feature erschien in JUICE #184. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Online-Shop bestellen.

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