Sido: »Selbst kein Image zu haben ist ein Image.«

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Dir war es immer wichtig, Newcomern eine Plattform zu geben: damals Hafti, jetzt sind es Olexesh, Dillon Cooper, Adesse und Estikay.
Das sind Leute, die ich fördern möchte. Ich brauche keine großen Namen, um mein Album zu pushen. Bei dem Westernhagen-Feature auf dem letzten Album sagten viele, ich würde das aus Fame-Gründen machen. Ohne dem Herren zu nahe treten zu wollen, aber: Er hatte von dem Feature wahrscheinlich mehr Vorteile als ich.

Hat denn der Privatmensch Paul Würdig finanziell ausgesorgt?
Weiß ich nicht. Wenn ich früher so viel Geld gesehen hätte, hätte ich gedacht, das reicht für den Rest des Lebens. Heute bin ich mir unsicher.

Viele Luxusgüter, die du dir früher gegönnt hast, brauchst du heute wahrscheinlich nicht mehr.
Wenn es gemütlicher und zeitsparender ist, dann fliege ich auch gerne Privatjet, aber ich brauch das nicht. Ich würde gerne hinten im Flugzeug sitzen und nicht Business- oder First-Class fliegen müssen, weil das rausgeschmissenes Geld ist. Ich muss da nur sitzen, weil so gewährleistet ist, dass meine Familie und ich nicht vollgequatscht werden.

Sind das die Luxusprobleme, die du auf dem Song »Vom Frust der Reichen« thematisiert?
Ja, Probleme der westlichen Welt, über die man sich nicht beschweren sollte. Ich kenne Leute, die sich stundenlang darüber aufregen können, dass ihre Klimaanlage kaputt ist.

»VI« wird als deine »politischste Platte« angekündigt.
Ich finde alle meine Platten politisch. Aber hier geht es erstmals konkret um Politikfragen. Wenn ich jetzt rappe: »Flüchtlinge, die Kurs nehmen auf Garten Eden/Aber nie wieder in ihrem Leben einen Hafen sehen«, spreche ich sehr konkret Probleme an. Das habe ich vorher nie gemacht.

Lag das daran, dass du dich zunehmend politisiert hast, oder eher daran, dass die Krisenherde der Welt näher rücken?
Die Weltlage war ja schon immer abgefuckt. (lacht) Ich habe mich früher nur nicht groß damit beschäftigt. Erst jetzt bin ich gewillt, Einfluss und Verantwortung zu übernehmen.

Du benutzt einige biblische Bilder auf dem Album. Hat sich deine Beziehung zu Gott in den letzten Jahren verändert?
Ich bin nicht religiös im kirchlichen Sinne. Ich weiß nur, dass es irgendetwas Höheres gibt. Die Religionen sprechen immer von einem Schöpfer, davon bin ich ganz weit weg. Ich bin eher ein Verfechter der Prä-Astronautik und kann mir vorstellen, dass Außerirdische vor uns auf der Erde waren. Das erscheint mir am realistischsten.

Du bist mit der Familie raus aufs Land gezogen. War das eine Art Stadtflucht, weil sich dein Berlin zunehmend verändert hat?
Wir haben vorher in Kreuzberg gewohnt, in einem Hinterhof, in den dann einige Agenturen gezogen sind. Das sind Menschen, mit denen ich nichts anfangen kann. Ich komme mit Leuten, die im Viertel aufgewachsen sind, wirklich besser klar als mit so Agenturenmenschen. Ich konnte da nicht mehr wohnen und musste raus. Mein Leben verlief so schnell, und ich hatte nie einen wirklichen Ruhepol. Jetzt kann ich viel unterwegs sein, nach Hause kommen und komplett runterfahren.

Auf »Zu Straße« beschreibst du diese Zwischenwelt in der du lebst: zu sehr Ghetto für die Stadtrandsiedlung, zu reich für die Straße. Wie zeigt sich das in deinem Alltag?
Es gibt direkt angrenzende Nachbarn, die nicht mit mir reden. Die zucken zusammen, wenn sie mich sehen. Wir haben Briefe erhalten, in denen wir als Zigeunerpack, das zurück ins Ghetto soll, beschimpft wurden. Oder Drohungen, dass unsere Hunde vergiftet werden. Als meine Mutter die Briefe sah, wollte sie sofort zurück. Für sie war das Märkische Viertel der sicherste Ort der Welt. Ich nehme aber lieber diese kleinbürgerlichen Auseinandersetzungen mit dem Spießertum auf mich, als dass mein Kind im Viertel aufwachsen muss.

Auf »Gürtel am Arm« rappst du über einen heroinsüchtigen Sohn Christiane Fs. Erinnerst du dich noch an die Hero-Zeiten der Neunzigerjahre?
Klar, im Viertel war das noch lange danach ein großes Thema. In »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« gibt es den Charakter Achim, dessen Sohn ich ganz gut kannte. Er hat Abi gemacht und ist dann krass abgerutscht. Solche Geschichten gab es auch in meiner Familie.

 
Hat sich diese Szene heute zum Kottbusser Tor verlagert?
Die dreckige Hero-Szene, ja. Es gibt aber auch eine High-Society-Heroin-Szene in Friedrichshain, die mit Ketamin angefangen hat und irgendwann an der Spritze endet. Die finde ich sogar viel bedrohlicher als die Junkies am Kotti. Die tun wenigsten niemandem weh.

Nach Peilermann und Kurt Krömer spricht mit dem Teddy-Comedy-Charakter Antoine wieder ein Komiker das Intro auf »VI«. Woher kommt eigentlich deine Vorliebe für Interludes?
Das Rödelheim Hartreim Projekt hatte immer super Skits. Es gab da eins, in dem sie Michi Becks Mutter verarschten. Der Tobi und Das Bo haben das auch immer lustig umgesetzt. Und selbst bei den frühen Berliner Untergrund-Tapes, von Westberlin Maskulin bis zur Sekte, wurde immer viel Wert drauf gelegt, ein Album durch so Komiker-Momente lustig zu halten.

Gibt es denn auf der Entertainer-Ebene noch eine Stufe, die du erreichen willst?
Ich will ins Stadion. Aber das habe ich mir schon lange abgeschminkt. Wenn die Tour jetzt gut läuft, ist das schon besser als alles, was ich mir je erträumt hätte: Lanxess Arena, Max-Schmeling-Halle. Das ist für mich der Höhepunkt meiner Karriere, damit muss ich mich abfinden. Chartplätze interessieren mich schon lange nicht mehr. Ich weiß auch, dass »VI« nicht auf die Eins gehen wird, weil Helene Fischer am selben Tag kommt.

Was waren denn die verrücktesten Angebote, die du von Medien bekommen hast?
Fernsehsender haben immer beschissene Ideen: Den Jakobsweg laufen zum Beispiel. Ich hätte schon eine Dakar-Ralley durch die Wüste fahren sollen. Eine Kontinenterkundung in Süd­amerika oder den Führerschein vor laufender Kamera machen – also alles so RTL-Formate. Man sieht mich ja schon oft genug im Fernsehen, ich lehne aber bestimmt 95% aller Anfragen ab. Früher hätte ich viel mehr gemacht: Promi-Dinner, Wok-WM. Ich fand das geil. Heutzutage denke ich: Ohne Kamera wäre es viel schöner. Den Jakobsweg würde ich auch gerne laufen, aber dann ohne Öffentlichkeit. ◘

Fotos: Press/Universal Music
 
Dieses Feature erschien in JUICE #169 (hier versandkostenfrei nachbestellen).JUICE_Cover_169
 

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