Eine Gruppe Arbeiterklassenkinder, beeinflusst von asiatischer Philosophie, nimmt für weniger als 500 Dollar ein gemeinsames Album auf, das sie weltweit zu Superstars aufsteigen lässt – und die weitere Musikgeschichte beeinflussen wird. Und diese Band (Nein, nicht die Beatles) ist vor zwanzig Jahren schon dem Leitsatz gefolgt: »Wu-Tang Forever«.
Zwei Dekaden später nun mal wieder ein neues Album von RZA, Raekwon, Meth & Co. Doch auch wenn dieses Mal Clan-DJ Mathematics die musikalische Federführung innehatte, ist das siebte Album des achtköpfigen Rap-Monsters Wu durch und durch. Der Clan ist zeitlos, seine Geschichte unendlich und das neue Album konnte dementsprechend nicht anders heißen als: »The Saga Continues«.
Wie habt ihr alle Clan-Mitglieder für dieses Album zusammenbekommen?
RZA: Durch Mathematics Beats. Die meisten Wu-Tang-MCs stehen auf die spezielle Energie von Oldschool-Beats – wie die von Math. Dadurch wollten die meisten automatisch mitmachen, ganz ohne finanzielle Absichten oder dass man sie hätte überreden müssen. Bei »8 Diagrams« oder »A Better Tomorrow« musste ich manchen erst noch das Konzept erklären, bevor sie überzeugt waren. Mathematics hat hier aber allen freie Hand gelassen. Das hat es bedeutend einfacher gemacht. (lacht)
Mathematics: Natürlich musste ich Sachen orchestrieren und dirigieren, aber ein guter Produzent kennt die Stärken seiner Musiker und gibt ihnen die Möglichkeit, diese zu entfalten.
»The Saga Continues« klingt wie ein klassisches Wu-Album mit modernen Nuancen. Wie hast du das umgesetzt?
Mathematics: Ich habe »Enter The Wu-Tang (36 Chambers)« von vorne bis hinten studiert – das neue Album konnte daher nur nach Wu-Tang klingen. Für die Produktionsphase habe ich aber auch »Chronic 2001« von Dr. Dre unter Gesichtspunkten analysiert, die ich mir vorher nicht bewusst gemacht hatte. Der Sound unseres Albums ist nun also ein Schmelztiegel aus diesen zwei Meisterwerken: die Roughness von »36 Chambers« kombiniert mit dem Perfektionsanspruch von »2001«. Dafür habe ich zum Beispiel meinen ersten Sampler herausgeholt, den Ensoniq ASR-10. Ich produziere viel digital, aber manchmal klimpere ich auch auf meinem Yamaha-Motif-Keyboard herum oder spiele mit Plug-Ins. Am Ende habe ich alle Spuren nochmal durch den ASR-10 gejagt, bevor sie wieder in den Computer gingen. Das war die Basis.
RZA: Als Künstler hast du im Grunde nur zwei Optionen: Entweder du vermeidest Einflüsse, um so eigenständig wie möglich zu sein, oder, wie in Mathematics Fall, du arbeitest mit Referenzen. Als Filmemacher schaue ich mir auch viele Filme an, bevor ich an meine eigenen gehe – das gibt Anhaltspunkte. Mathematics ist durch dieses Album also quasi zu einem Regisseur geworden. (lacht)
So ein Ansatz führt zwangsläufig zur Frage: Was haltet ihr von der Producer-Diskussion »analog vs. digital«?
Mathematics: Schwierig. Der ASR-10 ist analog, aber am Ende läuft ja trotzdem alles durch den Computer – ist also wieder digital.
RZA: Man muss aber bedenken, dass der ASR-10 ein digitaler Sampler ist, auch wenn einige ihn für analog halten. Man vermischt das heutzutage automatisch. Aber das war schon immer so: Selbst Sly & the Family Stone oder Lalo Schifrin haben mit Drumcomputern gearbeitet, also mit digitalen Produktionsmitteln. Seit den Siebzigern existieren eigentlich keine reinen Analogproduktionen mehr.
Mathematics: So gesehen hat Stevie Wonder das erste Mal so etwas wie Autotune benutzt! Bei seinem Auftritt in der »Bill Cosby Show« habe ich das erste Mal einen Keyboard-Sampler wie den ASR-10 gesehen, als er die komplette Familie aufgenommen und dann auf den Tasten mit ihren Stimmen gespielt hat. (singt) »Jammin on the one, jammin, jammin on the one«.
Der Streit um den veränderten Konsum von Musik ist ähnlich, Streamingzahlen wachsen, und dem gegenüber steht der Vinyl-Boom. Habt ihr aus diesem Grund 2014 eine andere Strategie für den Release eures Albums »Once Upon A Time In Shaolin« gewählt, RZA?
RZA: Damit wollten wir Musik ihre Wertschätzung zurückgeben. Chance The Rapper und alle neuen Leute konzentrieren sich aufs Streaming, das Publikum bekommt die Musik umsonst. Wenn du jetzt so etwas wie »Once Upon A Time In Shaolin« veröffentlichst, von dem es nur eine Kopie gab, die wir für eine Millionen Dollar verkauft haben, erfährt es eine ganz andere Wertschätzung – denn es ist limitiert.
Hattet ihr Einfluss darauf, wer es kauft?
RZA: Nein, das war eine anonyme Auktion. Dass es der amerikanische Hedgefondsmanager Martin Shkreli wurde, der vor allem Medikamentengeschäfte macht, habe ich auch nur durch die Nachrichten mitbekommen. (lacht) Damals war er aber noch nicht bekannt dafür, den Preis für Aids-Pillen erhöht zu haben. Das ist später passiert. Aber lass uns doch mal ehrlich sein: Nenne mir eine der bösesten Personen der Geschichte.
Adolf Hitler.
RZA: Okay, du bist aus Deutschland, natürlich sagst du Adolf Hitler. (lacht) Guck: Hitler war zwar böse, aber er war immer gut gekleidet, nicht? (Gelächter) Den Anzug muss er ja irgendwem abgekauft haben. Diese Person hatte bestimmt nicht gleich Hitler im Kopf, als sie beschloss, einen Laden zu eröffnen und Geld mit Anzügen zu verdienen.
»Hitler war zwar böse, aber er war immer gut gekleidet, nicht?«(RZA)
In einem Geschäft hängen aber mehrere Anzüge, während ihr nur ein Einzelstück verkauft habt.
RZA: Es ist doch dasselbe mit Shkrelis Kunstsammlung, für die er unser Album gekauft hat. Wir hatten zwar die Chance, das Angebot zurückzuziehen, aber damals war die Situation um ihn eine andere. Er hat es als Kunstsammler gekauft.
Ihr habt eine Strophe des 2015 verstorbenen Sean Price auf dem Album. Wie werdet ihr ihn in Erinnerung behalten?
Mathematics: Damn, Sean war ein guter Freund, ein Bruder. Wenn ich alte Bilder sehe, muss ich immer an die Lebensfreude denken, die er ausgestrahlt hat. Er war ein superlustiger Typ, hatte Comedian-Qualitäten. Aber er war auch ein begnadeter Rapper – einer der besten aller Zeiten!
RZA: Sean, man. Der war immer am Lächeln, hatte eine positive Ausstrahlung und war saucool. Er kam ja auch aus Brownsville, so wie ich. Das war eine harte Gegend, und das ist es immer noch. Wir alle haben Sean geliebt. Sein Tod ist ein großer Verlust – auch für HipHop. Rest in Peace.
Foto: Jonathan Weiner
Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #184 (hier versandkostenfrei nachbestellen).