»Wir als Dozenten. Eine Vorlesung über die verschiedenen Gesellschaftsmodelle und im Hörsaal ungefähr 200 hübsche Chicks. Das wäre dope!« // N.E.R.D. im Interview

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Irgendwie hört sich das nach einem arg konstruierten Griff in die Schublade mit den fantasievolleren Promo­phrasen an. Das neue Album sei wie eine Droge, es werde den Hörern dabei helfen, in neue Galaxien einzutauchen. Das Hippieleben werde darauf im ­französischen Sinne interpretiert, da Flowerpower zu einseitig sei und wir doch letztlich alle vom Fisch abstammen. Kurzum: schon recht ­krudes Zeug, was Mastermind Pharrell Williams während der Listening-Session zum neuen N.E.R.D.-Album »Nothing« da vom Stapel lässt. Glücklicherweise klingt die Musik dann ganz anders als seine blumigen Ausführungen. Da erwarten einen eher Richie Havens und Sly & The Family Stone als wie befürchtet Simon & Garfunkel oder gar Donovan. In Sachen Produktion hat sich beim Rock-Rap-Trio aus Virginia einiges getan: Disco-Feeling, abartige Basslines, formvollendete Melodien und mit Pharrell ein Sänger, der einen kleinen Quantensprung im Stimmvolumen hinter sich gebracht hat. Während des Gigs im Rahmen einer »Tony Hawk’s Skateboarding«-Sause in Berlin bewiesen die nicht mehr ganz so jungen Jungs, dass sie es mittlerweile im Schlaf beherrschen, jede Art von Crowd binnen weniger Minuten in einen wilden Moshpit zu verwandeln. JUICE-Autor Ndilyo ­Nimindé traf Pharrell und Shay im Rahmen der Berliner Modemesse Bread & Butter zum Gespräch.

Ihr sagt, dass ihr den Hörern die Möglichkeit ­geben wollt, aus der Realität zu entfliehen. ­Warum sollte man das wollen?
Shay: In Amerika geht es dem Großteil der Bevölkerung darum, ein Haus in der Vorstadt zu besitzen, dazu eine große Garage mit zwei Autos und einen Garten mit europäischem Rasen. Wir wollen ihnen zeigen, dass es noch mehr da draußen gibt, wofür es sich zu leben lohnt. Es klingt zwar abgedroschen, aber wir finden, es lohnt sich, wenn man das tut, was man liebt.
War die Musik der Sechziger und Siebziger schon immer euer Ding?
Shay: Wenn du wie wir in den Achtzigern groß ­geworden bist, dann waren die Siebziger stets ­allgegenwärtig. Und sei es nur dadurch, dass es ­gewisse Gegenbewegungen gab. Ich hoffe, dass den älteren Hörern diese Referenzen gefallen und dass die ­jüngeren Hörer dadurch inspiriert werden.

Pharrell, als du am »Despicable Me«-Soundtrack gearbeitet hast, wolltest du dafür den Neptunes-Trademark-Sound ablegen. Sind dadurch auch neue Inspirationen für dieses Album entstanden?
Pharrell: Ja. Das direkte Mitwirken am Soundtrack war eine neue Herausforderung für mich, weil ich nicht einfach einen Haufen Songs abgeben sollte, sondern die Sounds direkt an jede Szene angepasst wurden. Außerdem hab ich mit Hans Zimmer gearbeitet, der eine echte Soundtrack-Legende ist. Meine Sound-Library hat sich erweitert, und mein Umgang mit Studio­technik hat sich verändert. Dadurch bin ich auf neue Ideen gekommen. Wir haben teilweise Stücke mit einem 150-Mann-Orchester aufgenommen – richtiger Luxus-Shit! Universal Studios ist eine sehr gute Adresse, was so etwas angeht. Außerdem wird »Despicable Me« die Komödie des Jahres werden. Soundtracks machen mir generell sehr viel Spaß und ich arbeite auch schon an dem nächsten Projekt in dieser Richtung.

Habt ihr für das Album auch alte Geräte benutzt, um den ­damaligen Sound zu imitieren?
Pharrell: Nein, eigentlich nicht. Dank der heutigen Technik braucht man das gar nicht. Bei Logic braucht man fast gar keine eigenen Sounds, da die Library so riesig ist und man alle Sounds nach Belieben verändern und bearbeiten kann. Die Songs sind fast ausnahmslos am Computer entstanden, bis auf die Parts, die mit Live-Instrumenten eingespielt wurden. Drums haben wir im Laufe unserer Karriere ohnehin genug gesammelt und editiert. Ich habe genug Drum-Sounds auf meinem Rechner, um ein paar Jahre lang nur noch Drums zu hören. (lacht)

Im Vorfeld war zu lesen, dass ihr 27 Songs im Kasten hattet, diese allerdings nicht perfekt genug waren. Was macht einen Song für euch perfekt?
Pharrell: Lass mich das erklären. Wir haben knapp eineinhalb Jahre an den Songs gearbeitet und dabei viel herumexperimentiert. Am Ende haben wir uns alles angehört, aber es hat uns nicht umgehauen. Die Lieder waren gut, allerdings nicht gut genug für ein Album – jedenfalls nicht für ein N.E.R.D.-Album. Deswegen haben wir alles verworfen und von vorne begonnen. Aber um deine Frage zu beantworten: Es gibt kein richtiges Konzept für den perfekten Song, außer du machst einen klassischen Popsong mit vier Akkorden, das funktioniert fast immer. Aber wenn nicht, dann hörst du einfach, wann er ­perfekt ist. Dr. Dre hat mal gesagt, dass er weiß, wenn ein Beat perfekt ist, weil er es halt weiß. Genau so ­einfach ist es.

Kanye West sagte mal, dass ein guter Song mindestens drei verschiedene Hooks haben muss. Als Paradebeispiel nannte er seinen eigenen Song »Gold Digger«.
Shay: Klar, »Gold Digger« ist super. Aber welche Hooks meinte er?

Die von Jamie Foxx gesungene Hook, die »Gold Digger«-Hook von ihm selbst und dann noch ­diese »We want pre-nup«-Zeile in der Strophe.
Pharrell: Ah, ich sehe seinen Punkt. Das stimmt schon. Man braucht mehrere Elemente, die dich an den Song erinnern und dich jedes Mal wieder packen. Das kann die Bridge sein, die Melodie, die Hook oder was auch immer. Gerade heute ist es so, dass die Leute ein Lied von Anfang bis Ende mitsingen wollen, weil sich jeder für einen Musiker hält. (lacht) Kanye hat mir mal gesagt, dass man einen Song so gestalten muss, dass ihn ein Fünfjähriger und ein 80-Jähriger gleichermaßen verstehen. So sollte man an einen Song herangehen. Aber man muss auch einfach gut sein in dem, was man macht.

Ihr habt diesmal sehr aufwändige Horn-­Arrangements. Wie sind die entstanden?
Pharrell: Mit Quincy Jones. Nein, Scherz. Wir haben alles am Rechner programmiert und dann von jemandem im Studio einspielen lassen, damit es tight klingt. Mit den Horns bin ich sehr zufrieden.

Du hast in einem Interview gesagt, dass du zwar ein Hippie bist, aber trotzdem Ferraris mit ­goldenen Felgen kaufen willst.
Pharrell: Ja, das ist schwer zu erklären. Es geht um diesen Widerspruch. Was hast du für eine politische Einstellung?

Ich würde mal grob sagen: eher links.
Pharrell: Wie weit links?

Na ja, ich stehe schon noch auf Privatbesitz.
Pharrell: Siehst du, genau so ist es bei mir auch. Die Nachrichten machen mich krank, und ich versuche wirklich, ein guter Mensch zu sein. Trotzdem lass ich es mir gerne gut gehen und haue auch mal auf die Kacke. Wir versuchen, diesen Widerspruch in jedem Song einzubauen. Das hört man auch in den Texten.

Wie sagte Common einst: »If I’m an intellectual – does it mean I can’t be sexual?«
Pharrell: Ganz genau. Nun bin ich alles andere als ein Intellektueller, aber das stimmt einfach. Es muss immer diese leichte Spannung in den Songs geben.

Ihr sagt, man könne euer Album als Gespräch über die heutige Gesellschaft verstehen. Ein Gespräch, das zwischen euch und einer Horde Frauen stattfindet.
Pharrell: Als Männer wollen wir naturgemäß eine ­Verbindung zu den Frauen herstellen, weil Frauen etwas haben, das wir nicht besitzen: den femininen Motor, der durch die richtigen Signale angeworfen wird und einfach übernatürlich ist. Wir haben ­versucht, ­diese Signale zu senden und diesen Motor ­anzutriggern. Einen heterosexuellen Mann anzu­turnen ist ja relativ einfach. Dafür brauchst du nur große ­Brüste und einen schönen Arsch. Natürlich gibt es auch mehr oder weniger universelle Schönheitsideale, die einen Mann für Frauen attraktiv wirken lassen, aber was gibt es noch, um eine Frau horny zu machen? Charakter und Humor jetzt mal ausgenommen.

Es lässt sich schon häufig beobachten, dass Frauen neben einem Sixpack auch auf Geld, Ruhm und Macht abfahren.
Shay: Das stimmt. Vielleicht sind Geld und Macht die männlichen großen Brüste.
Pharrell: Da brennt bei vielen Frauen tatsächlich eine Sicherung durch. Aber weil wir Musiker sind, wollten wir Songs schreiben, die bei Frauen diese gewisse Reaktion hervorrufen. Denn ich glaube, dass die Mädels das extrem vermissen. Nenn mir mal einen Song, der wirklich sexy ist und die Mädchen verrückt macht.

Lenny Williams hat einige im Repertoire. »Let’s Talk It Over« zum Beispiel. Ich glaube, dass ihm seine Frau danach sogar verziehen hätte, wenn er etwas mit ihrer Cousine, der Schwester und der Mutter gleichzeitig gehabt hätte.
Pharrell: (lacht) Oh ja, der Song ist von einem ­anderen Stern. Aber er ist auch recht alt. R. Kelly ist meiner Meinung nach der letzte Sänger, der das wirklich komplett drauf hat. Auch wenn ich ihn nicht wirklich zu den Inspirationen für das neue Album zählen muss, ist er der absolut Beste, was das angeht. Er kann den Mädchen das Höschen aus­singen. Er setzt zum Song an, der Tanga geht runter und die Chicks wissen gar nicht, wie ihnen ­geschieht. Genau das streben wir auch an.

Seht ihr dieses Potenzial auch bei jüngeren Künstlern?
Pharrell: Bei Drake, nur singt er noch nicht gut genug. Ich finde es aber super, wie er Schimpfworte in die R&B-Parts einbaut: (singt) “Take those fucking heels off, it’s worth it, girl.” Das zeigt, dass auch er diesen Widerspruch lebt.
Shay: Ich finde auch Trey Songz super. Allerdings stehen eher die ganz jungen Mädchen auf ihn. Aus dem Alter sind wir raus, wir wollen die erwachsenen Frauen.

Habt ihr denn auch recherchiert, was diese ­Signale angeht, von denen ihr gesprochen habt?
Pharrell: Auf jeden Fall. Wir hatten jede Menge Frauen und Mädels im Studio und haben mit ihnen diskutiert. Wir haben uns dabei auch Notizen gemacht und ich habe sehr aufmerksam zugehört. (wartet kurz) Sagte ich Mädchen? Mit Mädchen meine ich natürlich solche, die 21 Jahre und älter sind. Wenn wir Mädels ins Studio einladen, dann sind die immer mindestens 21 Jahre alt. Das wird sehr streng ­überprüft und da gibt es auch keine Ausnahmen.

Als ich das Albumkonzept las, hatte ich ­folgendes Bild vor Augen: ihr als College-­Dozenten vor einem Hörsaal voller Frauen.
Pharrell: Shit, das wäre ein dopes Video. Oder, Shay?
Shay: Ja Mann, ich würde mich gerne als College-Dozent sehen.
Pharrell: Wir als Dozenten. Eine Vorlesung über die verschiedenen Gesellschaftsmodelle und im Hörsaal ungefähr 200 hübsche Chicks. Das wäre dope!
Shay: Wäre auf jeden Fall mal was anderes als die ­obligatorische Frau auf der Motorhaube.
Pharrell: Hey, nichts gegen Frauen auf Motorhauben! Aber die Idee ist super. Die Mädels im Hörsaal könnten alle nackt sein, aber das Video wird dann so gefilmt, dass es trotzdem im Fernsehen gezeigt werden kann. Und die Frauen machen sich Notizen, melden sich, bringen sich in die Vorlesung ein. (überlegt) Ich mein’s ganz ernst: Das werde ich dem Label als erstes Video­konzept vorschlagen. Du bekommst dann eine ­Widmung am Ende des Clips.

Cool. Ich weiß übrigens, dass du großer Alice Coltrane-Fan bist. Das passt, weil sie Esoterik und Hippietum in den Jazz eingeführt hat.
Pharrell: Oh ja, sie war richtig dope. Wie sie Harfe gespielt hat. Ihre Arrangements. Eine sehr große ­Inspiration. Songs zum Wegfliegen.

Kennst du ihren Neffen Flying Lotus?
Pharrell: Nein, aber sein Künstlername ist der Shit.

Ich hätte gedacht, dass dir seine Produktionen gefallen könnten.
Pharrell: Habe leider noch nichts von ihm gehört. Mann, ich beneide die Typen immer, die so krasse Namen haben. Bei dir ist ja sogar der bürgerliche Name super. »What the dealy, yo?« (lacht) Jeder Rapper hat deinen Namen schon mal gesagt! Ich konnte mir einfach keinen coolen Namen ausdenken. Aber weißt du was? Ich habe einen Wu-Tang-Namen. Er lautet Golden Bones. Ohne Scheiß! Raekwon hat ihn mir gegeben. Ich bin ja riesiger Wu-Tang-Fan und traf ihn irgendwann mal auf einer Party. Er meinte, dass ich Golden Bones aka Magneto heißen würde, falls ich mal ein Wu-Tang-Mitglied werde. Ich bin jetzt so etwas wie ein Ehrenmitglied. Ich darf nicht mit in die ­Chamber, bekomme aber ab und zu einen Newsletter.

Weitere Einflüsse für euer neues Album sollen Gorillaz und Passion Pit gewesen sein.
Shay: Ja. Passion Pit sind sehr gut, was die ­Arrangements angeht. »Sleepyhead« ist einer der ­besten Songs der letzten Jahre. MGMT muss man auch immer noch beobachten. Ich glaube, dass sie in fünf Jahren richtig groß sein könnten. Die Gorillaz hingegen haben das Undenkbare schon geschafft. Sie vermischen alle Stile, bekommen es irgendwie hin, dass das Ergebnis verdammt gut klingt und dann ­gehen die Penner auch noch auf Tour, ohne wirklich auf Tour zu gehen. Wahnsinn.

Damon Albarn und Thom Yorke reisen ja um die Welt und kaufen das alte Equipment aus den legendären Studios auf, die zum großen Teil ­schließen mussten. Seid ihr da auch hinterher?
Shay: Chad [Hugo, drittes N.E.R.D.- und zweites Neptunes-Mitglied, Anm. d. Verf.] ist in dieser ­Hinsicht sehr im Bilde. Er fliegt ständig umher, kauft alte ­Maschinen auf und verkauft sie wieder, wenn er ­bessere findet. Fast wie ein Händler.
Pharrell: Es ist ja auch viel zu schade um die alten Geräte, da sie einfach nur herumstehen und nicht mehr genutzt werden. Darauf sind ja zahlreiche Klassiker entstanden. Wenn man es sich leisten kann, dann macht das auf jeden Fall Sinn. Aber mir ist das zu stressig, die sind ja auch extrem sperrig und empfindlich. Das ist schon eine Wissenschaft für sich. Wenn sie im Studio rumstehen – fein. Aber dafür sorgen, dass sie dort heile ankommen – kein Bock. (lacht)

Du wurdest im Internet als Produzent für Big Bois Soloalbum »Sir Lucious Left Foot« genannt, bist aber auf dem Album doch nicht dabei.
Pharrell: Echt? Wo stand das? (ruft seine Managerin) Hey, gab es eine Anfrage von Big Boi für sein neues Album?
Managerin: Nein, nie.
Pharrell: Siehst du. Scheiß-Internet. Deswegen hasse ich es manchmal so sehr. Er hat mich deswegen nie angerufen und sie auch nicht.
Managerin: Wir kennen sein Team sehr gut, das wäre gar kein Ding gewesen.
Pharrell: Außerdem bin ich gut mit ihm befreundet. Er hätte nur fragen müssen. Ich wäre sofort dabei gewesen, wenn es zeitlich gepasst hätte. Big Boi ist super. Da hätte ich gerne was gemacht. Trotzdem bin ich auf das Album sehr gespannt.

Text: Ndilyo Nimindé

Foto: T. Williamson

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