Monthly Overview: die spannendsten US-Releases vom März // Listen

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Der Monat März bot auch in Übersee einige High-, Low- und Midlights. Wir haben ein paar der Releases herausgesucht, die in den letzten vier Wochen für Diskussion gesorgt haben.

Conway & Alchemist – Lulu // Stream

Griselda fluten den Markt mit postmodernem Gangstarap. Alle Neunziger-Helden sind sich einig: Westside Gunn, Conway und Benny machen es gerade ein bisschen passieren. Auch Alchemist bekannte sich gegenüber dem Billboard Magazine kürzlich als Fan: »Was Conway und Girselda bisher abgeliefert haben, erinnert mich sehr an den 90s-Rap, den wir alle so lieben.« Nun erschien ein Kollabo-Projekt von der Producer-Ikone und dem Buffalo Bill, das sich vor allem dort am wohlsten fühlt, wo die Samples aus Soul-Crates und die Punchlines aus der Schattenwelt kommen. Silbenzähler, Underground-Wühlmäuse und Straßenköter kommen hier gleichermaßen auf ihre Kosten, wenn The Machine etwa auf einem heruntergefahrenen Horn-Flip aus bester RZA-Sozialisation heraus erzählt, wie es im heimischen Buffalo so zugeht: »Louis kicks Virgil-made, shits is purple suede/ Killa Cam ‚Purple Haze‘ while we was servin‘ yay«. Mehr Real-Rap-Schlüsselreize kann man auf sieben Songs kaum unterbringen. Doch sei klarzustellen, das hier ist keine Nostalgie-Sause, sondern komplett auf der Höhe der Zeit. 2020 and kickin‘.
Text: Fionn Birr

Megan Thee Stallion – Suga // Stream

2020 ist immer noch #HotGirlSemester. Megan Thee Stallions Mini-Album »Suga« setzt genau da an, wo die 25-jährige Texanerin im 2019er »Hot Girl Summer« aufgehört hat: basslastige Bootie-Trap-Hymnen, übersexualisierte Schlafzimmer-Ansagen und eine charismatische Rap-Performance, die Megan längst zur Top-Liga der US-Youngins zählen ließe. In klassischer Houston-Tradition platzieren sich Aufzählerflows wie »Classy, bougie, ratchet/ Sassy, moody, nasty« auf »Savage« oder Gewinnerposen wie »I love a lot of zeros, but I don’t fuck with no losers / Two type of people in this world and I’m a chooser« auf »Rich« in geschmeidiger G-Funk-Synthie-Umgebung, die UGK genauso viel schuldet wie Too $hort. »Suga« ist manchmal etwas übersüßt und abgestumpft, wenn Megan zum Beispiel zwischen all dem Braggadocio die R&B-Klischees ins Autotune sabbelt (siehe »Crying In The Car«) , doch wohl-portioniert ist es die Prise Sweetness, die ein Dessert abrundet. Die »Hood Mona Lisa« zerlegt Hoes, Herzen und Beats.
Text: Fionn Birr

Don Toliver – Heaven or Hell // Stream

Das Problem mit Don Toliver ist nicht, dass sein Major-Debütrelease »Heaven Or Hell« ein Totalausfall ist. Zwei Jahre nachdem der Houstoner in der rückblickend doch recht überschätzten »Astroworld« nebst Drizzy, Kid Cudi, 21 Savage oder Takeoff eine durchaus beachtliche Performance in Travis‘ Studio hinlegte, soll der Solo-Wurf ihn nun an die Front tragen. »Heaven or Hell? It be a story to tell/ Sellin‘ the work, I had to push out the bales« kündet Don dann auch auf dem Opener entsprechend großspurig an. Auf dem musikalischen Fundament der Scott’schen Stammesbesetzung um WondaGurl, Sonny Digital oder Mike Dean gelingt es Toliver dann auch über weite Strecken, die Autotune-Angebereien melodisch, eingängig und überzeugend in Szene zu setzen. Allerdings fehlt es Donny Womack, so der Name seines letzten Mixtapes, schlichtweg an Identität. Der Jackboys-Hook-Lieferant lullt die 808s sirupartig und spielerisch in Vocal-Reverb-Konstrukte ein und schafft es, sogar den ollen »Party«/»Bacardi«-Reim halbwegs stilsicher ins neue Jahrzehnt zu tragen. Allerdings klingt das Cactus-Jack-Signing während dieses 36-minütgen Höllenritts meistens nach Gevatter Travis aus der »Days Before Rodeo«-Phase. Außer den üblichen Problemchen mit Geld, Girls und Genussmitteln tellt »Heaven Or Hell« dann leider auch nicht sonderlich viel Story um Toliver. In der aktuellen Spielzeit ist das aber immer noch ein hoher Qualitätsstandard und hilft als Methadon für Travis-Scott-Junkies. Heaven? Hell? Leider zu bodenständig.
Text: Fionn Birr

Rich The Kid – Boss Man // Stream

Mimikry-Rap kann Rich The Kid auch. Würde man »Boss Man« als Instrumental-Album veröffentlichen, wäre es ein perfekter Querschnitt darüber, was man unter »Type Beats« im Internet erstöbern kann. Breite Orgel-Akkorde, kratzige Achtziger-Synthies und krabbelnde Hihats werden zeitgemäß, aber recht unauffällig um die 808s gestreut. Dazu gibt es eine Prise Rockstar-Haltung im Autotune, wenn es nicht gerade wahlweise mit Post Malone und trivialen Ansagen wie »Walk around with two chains like I’m Tity Boi/ Drinkin‘ out the bottle like I’m Diddy, boy« über den Highway geht oder mit Quavo auf dem Fantasy-Trap »That’s Tuff« geflötet, äh geflirtet wird. Die Zeitgeist-Signale weiß Rich zu bedienen, doch sind es gerade die Alleingänge wie der reduzierte Reverb-Sample-Cruiser »Ain’t No Doubts« oder etwa der soulige Cadillac-Bounce »You«, wo sich The Kid nicht seinen Gästen anpassen, sondern zum Boss aufschwingen kann. Letztlich entbehrt es bei dieser soliden Vorstellung allerdings nicht einer gewissen Ironie, dass Rich hiermit nicht an die Erfolge der »The World Is Yours«-Vorgänger anknüpfen konnte. Vom Boss zum Tellerwäscher. Angeblich ist »Boss Man 2« bereits in Arbeit. Sportsetzung folgt.
Text: Fionn Birr

Joyner Lucas – ADHD //Stream

Das hätte auch schiefgehen können. Nach seinem blitzartigen Aufstieg vom Internet-Geheimtipp um das eindrucksvolle »Ross Capicchioni«-Video und dem nicht minder viralen »I’m Not A Racist« galt Joyner Lucas seit 2015 als Realrap-Hoffnungsträger. Umso verwirrender, dass gleich im Anschluss erstmal ein Kollaboprojekt mit Chris Brown (!?!) erschien, Joyner sich aber alsbald auf Features bei Eminem und Logic wieder auf das besann, was Youtube-Kommentartoren an ihm so schätzten: traditionsbewusstes Lyricism und handwerklich vorbildliche und weitestgehend autotune-freie Flow-Abfahrten. Allerdings versinkt sein langersehntes Solodebüt »ADHD« genau dort, wo große Kunst und (kommerzielle?) Erwartungshaltungen sich trennen, im Kompromiss. Denn wo etwa die charmante Hommage »Will« Knowledge, Witztum und Unterhaltung miteinander verbindet, stößt Lucas etwa bei »I Love« an seine Grenzen. Nicht, weil er den modernen Sound nicht beherrscht, sondern weil ein so text-orientierter Rapper wie Joyner Lucas a) nicht unbedingt singen muss und b) all over erstaunlich wenig zu erzählen hat, ja sich am Ende in gefühlten Wiederholungsschleifen verheddert. Mag allerdings auch daran liegen, dass die erste von neun Singles vor gut anderthalb Jahren rauskam und sich der Überraschungseffekt bei 18 Songs somit in Grenzen hält. Für ein Album, dessen Gästeliste sich vor den Mikros (u.a. Young Thug, Logic und Fabolous) und hinter den Boards (u.a. Boi-1da, Timbaland, Illmind und Youtube-König Crank Lucas) liest wie ein Realkeeper-Traum, ist das eine erstaunlich magere Ausbeute.
Text: Fionn Birr

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